PhilosophiePhilosophie

BERICHT

Wolfgang Künne:
Der Universalienstreit in der neueren analytischen Philosophie

Ein Universale ist etwas, was man mehreren Gegenständen zu Recht oder zu Unrecht zuschreiben kann, ein praedicabile. (Mit dieser Begriffsbestimmung folge ich der Aristotelischen Tradition.) Ist das sprachliche Vehikel der Zuschreibung ein einstelliges Prädikat, pflegen wir das Zugeschriebene als Eigenschaft zu bezeichnen.
Prima facie wird dem Sokrates in der elementaren Prädikation ‘Sokrates ist tapfer’ mit Hilfe des Prädikats genau das zugeschrieben, worauf in der höherstufigen Prädikation

(P*) Tapferkeit ist eine Tugend

identifizierend Bezug genommen wird. Allem Anschein nach denotiert der singuläre Term in (P*) eine Eigenschaft, die Sokrates mit allen teilt, die tapfer sind. Und es sieht ganz danach aus, als würden wir über Entitäten wie diese quantifizieren, wenn wir sagen: ‘Sokrates hat mehrere Eigenschaften, die Alkibiades auch gern hätte’. Im Unterschied zu Sokrates, zu seiner ersten Erkältung und zu seinem letzten Spaziergang ist Tapferkeit nichts, was irgendwann irgendwo sich befindet, auftritt oder stattfindet, nichts Lokalisierbares oder Datierbares. Sie ist kein Einzelding, kein particular. Es ist wohl dem Einfluss von Carnap und Quine geschuldet, dass man particulars heutzutage meist als konkrete Gegenstände zu bezeichnen pflegt, und alle non-particulars (also nicht nur Universalien, sondern auch Zahlen, Mengen, Typen und Propositionen) als abstrakte Gegenstände. In einem abgeleiteten Sinn können wir, Quine folgend, auch Terme konkret oder abstrakt nennen. (P*) enthält also nur abstrakte Terme, – einen singulären, der einen abstrakten Gegenstand denotiert, und einen generellen, der nur auf abstrakte Gegenstände zutrifft. (P*) verdient also seinen Stern: schließlich zeigt Platon in Raffaels ‘Schule von Athen’ nach oben.

Innerhalb und außerhalb der Schule von Athen argwöhnen viele Philosophen, wir ließen uns hier durch sprachliche Irrlichter in metaphysische Sümpfe locken. Wie schon der Kyniker Diogenes beklagen die Befürworter des Partikularismus, sie seien zwar mit Tischen vertraut, aber so etwas wie Tischheit sei ihnen noch nicht untergekommen. John Locke hat in seinem Essay Concerning Human Understanding die Parole formuliert, nach der ich diese Philosophen benenne: „all Things, that exist, [are] Particulars“ (III.iii.1). Wie man zu einem Gegenstand, der weder lokalisierbar noch datierbar (und deshalb kausal impotent) ist, kognitiven Zugang erlangen kann, ist den Partikularisten unerfindlich. Heutzutage werden sie meist als Nominalisten bezeichnet. Ich werde diesem Sprachgebrauch nicht folgen, weil ich glaube, dass dieser historisch resonante Titel besser für eine bestimmte Variante des Partikularismus reserviert wird. Anti-Partikularismus (vulgo Platonismus) ist die Negation der These, dass es nur particulars gibt. Zweifellos war Platon ein Anti-Partikularist, aber wer den Partikularismus verwirft, braucht Platons Konzeption der Universalien nicht zu akzeptieren, und er sollte es auch besser nicht tun.

Der Partikularismus kann verschiedene Gestalten annehmen. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen reduktivem und nicht-reduktivem Partikularismus. Anhänger der reduktiven Spielart sind der Auffassung, man könne durch sinnerhaltende Paraphrasen zeigen, dass Wahrheiten, die von einem abstrakten Gegenstand zu handeln scheinen, in Wirklichkeit nur von particulars handeln. Partikularisten dieses Typs befürworten entweder einen objekt- oder einen metasprachlichen Reduktivismus.

Anhänger der robusten Variante des objektsprachlichen Reduktivimus vertreten die folgende These: Wahrheiten, die von einem Universale (erster Stufe), F-heit, zu handeln scheinen, handeln in Wirklichkeit von particulars, die F sind. (‘F-heit’ ist hier Platzhalter sowohl für Nominalisierungen eines generellen Terms ‘F’, ‘Weisheit’, ‘Mut’, etc., als auch für komplexere Ausdrücke des Typs ‘[die Eigenschaft,] [ein] F zu sein’.) In den Augen des robusten Partikularisten ist also z.B. unser (P*) paraphrasierbar als eine generelle Aussage über Leute, die tapfer sind. Aber wie sieht die erdgebundene Paraphrase von (P*) aus, in der kein abstrakter Term mehr vorkommt? Doch hoffentlich nicht so: ‘Notwendigerweise sind alle, die tapfer sind, tugendhaft’; denn im Unterschied zu (P*) ist das, auch ohne den Modaloperator, falsch: manche Leute, die tapfer sind, sind aufs Ganze gesehen eher Schurken. (Anders als der platonische Sokrates unterstelle ich, dass man sehr wohl Eine Tugend haben kann, ohne alle zu haben.)

Akzeptabel wäre wohl die folgende Paraphrase: ‘Notwendigerweise, wer tapfer ist, der ist in mindestens einer Hinsicht tugendhaft.’ Aber hilft sie dem robusten Partikularisten? Was sind Hinsichten? Eine Hinsicht, in der mehrere konkrete Gegenstände übereinstimmen, scheint selber kein konkreter Gegenstand zu sein. Es sieht also ganz so aus, als würde der robuste Reduktivist bei seinem Versuch, den Anschein der Bezugnahme auf einen einzelnen abstrakten Gegenstand zu vermeiden, über abstrakte Gegenstände quantifizieren. Außerdem sind seine Paraphrasen für Sätze, die allem Anschein nach dieselbe Form haben, nicht gleichförmig: Die Hinsichtsklausel, die in der Paraphrase von (P*) unentbehrlich ist, hat in dem robusten Gegenstück zu ‘Rot ist eine Farbe’ nichts zu suchen. Durch seinen ad hoc-Charakter steht dieses Reduktionsprogramm einer systematischen Semantik für diesen Bereich unserer Sprache im Wege. Und schließlich ist daran zu erinnern, dass das Vehikel der augenscheinlichen Bezugnahme auf ein Universale nicht immer vom Typ ‘F-heit’ ist, also eine syntaktische Modifikation eines konkreten generellen Terms. Wie würde der robuste Reduktivist

(Q*) Die Eigenschaft, die Sokrates in diesem Aufsatz am häufigsten zugeschrieben wird, ist eine Tugend

paraphrasieren?
Anhänger der subtilen Variante des objektsprachlichen Reduktivismus vertreten die folgende These: Wahrheiten, die von einem Universale (erster Stufe), F-heit, zu handeln scheinen, sind in Wirklichkeit Generalisisierungen über diese F-heit (die von a und von nichts anderem), jene F-heit (die von b und von nichts anderem), usw. Solche Entitäten hießen im Mittelalter Erste Akzidenzien, bei Leibniz individuelle Akzidenzien und bei Bolzano Adhärenzen - und heute müssen sie sich den seit Jahrhunderten für ganz anderes vergebenen Titel ‘Tropen’ gefallen lassen (Texte dazu finden sich in 18). Als Adhärenz konzipiert, kann die F-heit von a nicht mit der F-heit von b identisch sein, wenn a und b verschieden sind, und die F-heit von a existiert höchstens so lange, wie a existiert. Nach dieser Konzeption ist der Ausdruck ‘die Tapferkeit des Sokrates’, im Gegensatz zu ‘Tapferkeit’, kein abstrakter singulärer Term; denn eine Adhärenz einer Person ist genausowenig wie die Person selber ein abstrakter Gegenstand. Ein Reduktivist, der mit dieser Kategorie arbeitet, wird (P*) vielleicht so paraphrasieren: ‘Notwendigerweise, für alle x, für alle y, wenn x die Tapferkeit von y ist, dann ist x eine Tugend’. Hier fungiert der Ausdruck ‘eine Tugend’ nicht als abstrakter genereller Term; denn in dieser Verwendungsweise trifft er ja nur auf Adhärenzen von Personen zu. Auch wenn man der Ansicht ist, dass die Kategorie der Adhärenzen nicht leer ist, kann man Zweifel daran haben, dass sie weit genug ist, um dem subtilen Reduktivisten Paraphrasen für alle Aussagen wie (P*) zu ermöglichen: Wie steht es etwa mit ‘Kontingenz ist eine modale Eigenschaft’? Macht es Sinn, die Kontingenz eines Gegenstandes zu unterscheiden von der Kontingenz eines anderen? Und im übrigen tritt das Problem mit (Q*) wieder auf: Kann der subtile Reduktivist Sätze paraphrasieren, in denen augenscheinlich mit einer Kennzeichnung auf ein Universale Bezug genommen wird?

Wilfrid Sellars befürwortet den metasprachlichen Reduktivismus. Diese Version des Partikularismus verdient nun wirklich den Titel ‘Nominalismus’. Im 12. Jahrhundert vertraten Roscelin und Abaelard bekanntlich die Auffassung, ein Universale sei keine res, sondern ein nomen, und im 17. Jahrhundert machte sich Hobbes im Leviathan diese Konzeption mit den Worten zu eigen: „There [is] nothing in the world Universall but [Common] Names“ (I, 4). In Sellars’ Ausarbeitung wird daraus die These, dass Aussagen, die von dem abstrakten Gegenstand F-heit zu handeln scheinen, in Wirklichkeit Aussagen über alle Ausdrücke sind, die in irgendeiner Sprache mit dem generellen Term ‘F’ in unserer Sprache ‘funktional äquivalent’ sind. (Damit die metasprachliche Paraphrase den Partikularisten nicht kompromittiert, muss sich die Rede über Ausdrücke als Rede über Äußerungen und Inskriptionen verstehen lassen.) Sellars schreibt:

„Der Ausdruck ‘Tapferkeit’ sieht nur so aus (für ein Auge, das von einem bestimmten Bild verhext ist), als würde er etwas Nicht-Sprachliches bezeichnen. Da er auf alle Audrücke zutrifft, die in irgendeiner Sprache eine bestimmte Rolle spielen, wird sein sprachenübergreifender Bezug mit einem nicht-sprachlichen Bezug verwechselt.“ (21, 183, Beispiel geändert)

Mir erscheint diese Position nicht plausibler als ihre historischen Vorläufer. Wie auch immer Sellars’ Paraphrase von (P*) genau aussehen mag, man kann sie nur verstehen, wenn man über den Begriff der funktionalen Äquivalenz von Ausdrücken in verschiedenen Sprachen verfügt. Muss man über diesen Begriff verfügen, um den Gedanken denken zu können, dass Tapferkeit eine Tugend ist? Muss man auch nur über den Begriff eines Ausdrucks verfügen, um diesen Gedanken denken zu können? Schwerlich, doch dann hat die Formulierung, die der metasprachliche Reduktivist anbietet, nicht denselben Gehalt wie das Original (siehe dazu 11, S. 47/48). Und auch an diesen Reduktivisten ist natürlich die Frage zu richten, wie er (Q*) paraphasieren würde.

Selbst wenn es dem Reduktivisten der einen oder der anderen Spielart gelänge (was sehr unwahrscheinlich ist), für (P*) und (Q*) und für jeden anderen Satz, in dem augenscheinlich auf ein Universale Bezug genommen wird, eine sinnerhaltende Paraphrase anzubieten, in der nur über ‘particulars’ geredet wird, was würde das beweisen? Die Paraphrasierbarkeit eines Satzes durch einen anderen beweist nicht, dass der eine im Gegensatz zum anderen eine bloße façon de parler ist; denn die Beziehung, die durch den Ausdruck ‘eine sinnerhaltende Paraphrase von’ konnotiert wird, ist symmetrisch (dazu: 22, S. 31ff. und 8, S. 45 f.). Der Anti-Partikularist kann den Spieß also umdrehen und sagen: Nicht die Anwesenheit abstrakter Terme in Sätzen wie (P*) ist ontologisch irreführend, sondern ihre Abwesenheit in der vom Partikularisten vorgeschlagenen Paraphrase. Crispin Wright hat, so scheint mir, die Grabinschrift für den reduktiven Partikularismus formuliert, als er schrieb: „‘Ontological reduction’ by analysis is a radically misconceived endeavour.“ (22, S. 69)

Partikularisten brauchen nun aber nicht auf die Karte des Reduktivismus zu setzen. Nicht-reduktive Partikularisten sind sich darin einig, dass mit Sätzen, die von abstrakten Gegenständen zu handeln scheinen, niemals etwas buchstäblich Wahres ausgesagt wird. Dafür dass es so traurig um diese Sätze bestellt ist, machen sie verschiedene Gründe geltend: die Begründung der Non-Deskriptivisten ist, dass man mit solchen Sätzen gar nichts Wahrheitswertfähiges sagt; die Begründung der Irrtumstheoretiker ist, dass man mit solchen Sätzen (im Allgemeinen) nur Falsches behaupten kann; und die Begründung der Figuralisten ist, dass man mit solchen Sätzen (im Allgemeinen) nur metaphorisch Wahres behaupten kann. (Den ersten beiden Positionen entspricht in der Metaethik (1) der Non-Kognitivismus der Expressivisten und Präskriptivisten und (2) die Irrtumstheorie John Mackies.)

Anhänger des Non-Deskriptivismus, der manchmal auch als No Statement View bezeichnet wird, sind der Ansicht, dass mit Sätzen, die von abstracta zu handeln scheinen, nichts gesagt wird, was man in der Dimension von Wahrheit und Falschheit beurteilen könnte. Der Autor des Tractatus vertrat diese Auffassung für arithmetische Gleichungen: ‘3 ´ 2 = 6’ beispielsweise kodifiziere eine Regel, die den Schritt von der wahrheitswertfähigen Prämisse ‘Sie hat drei Fehler gemacht, und er doppelt so viele’ zu der wahrheitswertfähigen Konklusion ‘Er hat sechs Fehler gemacht’ legitimiert. Auf die augenscheinliche Rede über Universalien ist diese Idee bestenfalls in den Fällen anwendbar, die in den Augen des Anti-Partikularisten notwendige Wahrheiten über ein Universale sind. Es ist nicht zu sehen, dass ein Satz wie ‘Weisheit ist die Tugend, für die Salomo berühmt war’ als Kodifizierung einer Regel aufgefasst werden könnte, und da aus ihm folgt ‘Weisheit ist eine Tugend’, kann man doch wohl auch mit diesem Satz Wahrheitswertfähiges sagen.

Der Partikularismus in der Gestalt einer Irrtumstheorie wird von Hartry Field, seinem eloquentesten Fürsprecher in der Philosophie der Mathematik, als Fictionalism bezeichnet (in 6). Der irrtumstheoretische Partikularist ist der Auffassung, dass in Äußerungen von Sätzen, die von abstracta zu handeln scheinen, im Allgemeinen etwas Falsches behauptet wird. [Im Allgemeinen, aber nicht immer: Wahr sind in seinen Augen natürlich Aussagen, in denen die Existenz abstrakter Gegenstände bestritten wird, und wenn er Recht hat, sind Aussagen des Typs ‘"x (x ist ein abstrakter Gegenstand von der-und-der Art ® Fx)’ trivialerweise wahr.] In den folgenden Passagen porträtiert Quine den Partikularisten als Irrtumstheoretiker.

„Man kann zugeben, dass es rote Rosen, Häuser und Sonnenuntergänge gibt, und doch bestreiten, dass sie - außer in einer volkstümlichen und irreführenden Redeweise - irgendetwas gemeinsam haben.“ (19, 11)

„[Sagen wir: ‘Es gibt Primzahlen zwischen 10 und 20’, so wird der Nominalist (i.e. Partikularist)] klug genug sein, nicht aufgrund seiner Theorie Einwände zu erheben... In der Praxis wird er sich sogar selber zu unserer Redeweise herablassen: sowohl um die Kommunikation zu erleichtern als auch wegen der Sprachgewohnheiten, die er in seiner umnachteten Jugend angenommen hat. Dies wird er tun, solange es sich nicht um die theoretische Frage handelt – so wie wir ja auch von der Sonne sagen, sie gehe unter... Er wird akzeptieren, dass es Primzahlen zwischen 10 und 20 gibt, solange wir Arithmetik und nicht Philosophie treiben. Wenn wir uns aber der Philosophie zuwenden, wird er diesen Sprachgebrauch entschuldigen und seine Paraphrase anbieten.“ (20, S. 99-100).

Quines Irrtumstheoretiker folgt Berkeleys Devise: ‘think with the learned, and speak with the vulgar’ (Principles of Human Knowledge, 1711, § 51). Die für Partikularisten anstößige Formulierung verhält sich nach Quine so zu der unverfänglichen, die sie vorziehen, wie sich ‘Die Sonne ist um 7 Uhr aufgegangen’ zu ‘Die Sonne wurde um 7 Uhr am Horizont sichtbar’ verhält. Auch wer weiß, dass die Ptolemäische Astronomie widerlegt ist, braucht keine Skrupel zu haben, von Sonnenaufgängen zu reden. Aber strenggenommen ist das, was er dann sagt, falsch, denn es impliziert die falsche Aussage, dass sich die Sonne bewegt. Quine bezeichnet die in den Augen des Partikularisten koschere Formulierung als ‘Paraphrase’ des anstößigen Originals, aber natürlich kann eine Paraphrase, die einen anderen Wahrheitswert als das Paraphrasierte hat, nicht mit ihm gehaltgleich sein. Quine fordert von der revidierenden Paraphrase, dass sie vom Original rettet, was wert ist, gerettet zu werden, ohne das fatale Handikap des Originals zu teilen, das darin besteht, falsch zu sein.

Für den irrtumstheoretischen Partikularisten enthalten alle Bereiche des alltäglichen wie des wissenschaftlichen Diskurses Unmengen von falschen Behauptungen, obwohl auch der eifrigste Partikularist diese Behauptungen immer erst dann als falsch verwirft, wenn er „sich“ (wie Quine sagt) „der Philosophie zuwendet“. Das macht Quines analogia proportionalitatis fragwürdig: ‘Vor-Kopernikanische’ Aussagen über die Sonne durchziehen nicht alle nicht-philosophischen Diskursbereiche, und ihre Irrigkeit wird nicht mit apriorischen philosophischen Überlegungen dargetan.— Behaupten wir: ‘Anna und ihre Mutter haben etliche höchst unerfreuliche Charakterzüge gemeinsam’ oder ‘Schimpansen teilen mit den Menschen viele kognitive Dispositionen’, so sagen wir, wenn der Irrtumstheoretiker Recht hat, auf jeden Fall etwas Falsches, ganz gleichgültig wie es um Anna oder um die Schimpansen bestellt sein mag; denn Charakterzüge und Dispositionen sind Eigenschaften. Wer im nicht-philosophischen (alltäglichen oder wissenschaftlichen) Diskurs solchen Behauptungen widerspricht, tut dies aber, weil er anderer Ansicht über Anna oder die Schimpansen ist. Und wenn wir außerhalb des philosophischen Seminars gelegentlich einer Behauptung des Typs ‘a und b haben nichts gemeinsam’ zustimmen, dann ist unser Grund keineswegs, dass wir als Anhänger des Partikularimus die Existenz von Universalien bestreiten. Vielmehr denken wir den Quantifikationsbereich als stillschweigend auf eine Unterklasse der Eigenschaften restringiert (etwa auf Beschaffenheiten, die einem an einer Person zu missfallen pflegen), und wir hören die Botschaft, dass a und b keine dieser Beschaffenheiten gemeinsam haben. Wenn Ihnen Annas Mutter entschieden zuwider ist, dann werden Sie vor Ihrer ersten Begegnung mit Anna erleichtert sein, wenn ich Ihnen versichere: ‘Sie hat nichts mit ihrer Mutter gemeinsam’.

Angenommen, ein Philosophie-Professor, der den Partikularismus auf seine Fahnen geschrieben hat, wird von seiner kleinen Tochter gefragt, ob es eine Primzahl zwischen 10 und 20 gibt, und er antwortet spontan: ‘Aber ja, Kleines, es gibt mehrere Primzahlen zwischen 10 und 20’. Doch dann erinnert er sich plötzlich an seine philosophische Position. Etwas verlegen räuspert er sich und fügt mit ernster Stimme hinzu: ‘Was ich da gerade gesagt habe, ist strenggenommen nicht korrekt; denn Zahlen gibt es ja nicht wirklich (dazu: 1, S. 451 und 20, S. 98-100). Der Mann sollte sich nicht wundern, wenn ihn seine Tochter nie wieder um Hilfe bei ihren Mathe-Aufgaben bittet... Quine würde diesem Partikularisten gewiss Mangel an Klugheit vorwerfen, aber wenn es nun einmal keine abstrakten Gegenstände gibt, so ist das, was hier prudentiell zu tadeln ist, epistemisch zu loben. Was leistet das Adverb ‘wirklich’ in der feierlichen Selbstkorrektur unseres verlegenen Partikularisten? Wenn der Mann ein Irrtumstheoretiker ist, so dient dieses Adverb der Zurückweisung eines Scheins. Mit ‘Solche Gegenstände existieren nicht wirklich’ behauptet er, dass solche Gegenstände nicht existieren, und er deutet an, dass das Gegenteil (sc. dass sie existieren) immerhin der Fall zu sein scheint. Dass es zumindest der Fall zu sein scheint, kann man daran sehen, dass uns im alltäglichen wie im wissenschaftlichen Diskurs die dem Partikularisten anstößigen Existenz-Aussagen (und andere Aussagen, die sie implizieren) ständig über die Lippen gehen, ohne dass daraus irgendwelche Probleme entstünden. Und der Partikularist verhält sich in solchen Diskursen keinen Deut anders – weshalb Rudolf Carnap ihm so etwas wie eine mauvaise foi nachsagt:

„[Ein Philosoph, der abstrakte Gegenstände wie Zahlen und Eigenschaften suspekt findet,] wird wahrscheinlich von all diesen Dingen genauso reden wie alle anderen Leute auch, aber mit einem schlechten Gewissen, so wie jemand, der an den Wochentagen mit einem gewissen Unbehagen vieles tut, was nicht mit den hehren moralischen Prinzipien im Einklang steht, zu denen er sich sonntags bekennt.“ (4, S. 205)

Da befindet sich der figuralistische Partikularist denn doch in einer weniger misslichen Lage. Befürworter des Figuralismus behaupten, dass das, was mit Sätzen, die von ab-stracta zu handeln scheinen, buchstäblich gesagt wird, im Allgemeinen niemals wahr ist, dass mit solchen Sätzen aber oft durch die Blume einer figura dictionis etwas Wahres zu verstehen gegeben wird. Seit den neunziger Jahren ist Stephen Yablo der beredteste Anwalt einer solchen Position. Der Figuralist verwirft nicht Unmengen von Aussagen, die wir außerhalb des philosophischen Diskurses als wahr anerkennen, in Bausch und Bogen als falsch. Dadurch vermindert er die Spannung zwischen den sonntäglichen Bekenntnissen des Partikularisten und seiner alltäglichen Praxis. Ist unser bekennender Partikularist, der eine unvorsichtige Bemerkung mit den Worten ‘Aber Zahlen existieren nicht wirklich’ zurechtzurücken versucht, ein Figuralist, so dient das Adverb ‘wirklich’ der Zurückweisung der buchstäblichen Interpretation von ‘Abstrakte Gegenstände der Art X existieren’. Mit ‘Solche Gegenstände existieren nicht wirklich’ behauptet er, dass solche Gegenstände nicht existieren, und er deutet an, dass das Gegenteil (sc. dass sie existieren) immerhin eine metaphorische Wahrheit ist.

Die Relation, die durch den Ausdruck ‘eine buchstäbliche Paraphrase von’ konnotiert wird, ist nicht symmetrisch: Ein Satz (A) mag eine buchstäbliche Paraphrase eines Satzes £ sein, obwohl £ keine buchstäbliche Paraphrase von (A) ist. Das gilt z.B. für die folgenden abschätzigen Bemerkungen über Herrn Dr. NN:

a Dr. NN ist ein Esel
(A) Dr. NN ist dumm.

Was mit (A) buchstäblich gesagt wird, ist, so wollen wir annehmen, wahr, und eben das gelte auch von dem, was mit a zu verstehen gegeben wird. Da Dr. NN kein langohriger Vierbeiner ist, ist falsch, was mit a buchstäblich gesagt wird. Partikularisten könnten die Beziehung zwischen einer abgegriffenen Metapher und ihrer buchstäblichen Paraphrase als Modell für die Charakterisierung der Relation zwischen Sätzen wie

b Zwischen Anna und Ben besteht ein erheblicher Altersunterschied.
(B) Anna ist erheblich älter als Ben, oder Ben ist erheblich älter als Anna.

verwenden. Wenn es sich bei bum das handelt, was Yablo als ‘unaufdringliche Existenz-Metapher (unobtrusive existential metaphor)’ bezeichnet (23, S. 219), so könnte der Partikularist argumentieren: ‘(B) ist eine buchstäbliche Paraphrase von b wohingegen b keine buchstäbliche Paraphrase von (B) ist. Was mit (B) buchstäblich gesagt wird, ist, so wollen wir annehmen, wahr, und eben das gelte auch von dem, was mit ¬ zu verstehen gegeben wird. Aber so etwas wie Altersunterschiede gibt es nicht wirklich, mithin ist das, was mit b buchstäblich gesagt wird, falsch.’ (Natürlich kann man die angebliche Analogie bezweifeln. Dass die Klassifikation von Dr. NN als Esel nur bei metaphorischer Deutung eine Chance hat, wahr zu sein, ist unumstritten, aber dass auch die Aussage, es gebe Altersunterschiede, nur bei metaphorischer Deutung wahr sein kann, liegt nicht gerade auf der Hand, und für manchen kompetenten Sprecher unserer Sprache dürfte die angebliche Existenz-Metapher in bnicht unaufdringlich, sondern unauffindbar sein. Aber stellen wir diese Zweifel fürs Erste zurück.)

Figuralisten wie Yablo gehen an dieser Stelle einen Schritt weiter. Manche Metaphern sind paraphrase-resistent, und vielleicht kann man gewisse Sätze, die von abstrakten Gegenständen zu handeln scheinen, als Metaphern dieses Typs verstehen (23, S. 211-226). Treten wir an dieser Stelle erst einmal einen Schritt zurück, um ein Beispiel genau unter die Lupe zu nehmen, das schon lange zum polemischen Arsenal der Partikularisten gehört und das jüngst auch von den Figuralisten bemüht worden ist. Der Satz

(D) Die italienische Durchschnittsmutter hat 2,5 Kinder

besagt, dass italienische Mütter durchschnittlich 2, 5 Kinder haben. Wer glaubt schon – so pflegen die Partikularisten auszurufen –, dass es außer Müttern auch noch Durchschnittsmütter gibt, von denen eine in (D) zum Thema gemacht wird? Kaum weniger abwegig ist es, so versichern uns die Partikularisten sodann, (P*) beim Wort zu nehmen.... Nun ist der Anti-Partikularist natürlich nicht darauf festgelegt, alles, was auf den ersten Blick wie ein singulärer Term aussieht, als echten singulären Term zu akzeptieren und z.B. aus ‘Sie lag auf der Lauer’ genauso wie aus ‘Sie lag auf dem Sofa’ zu schließen: ‘Also gibt es etwas, worauf sie lag’. (Freilich, wie schwer es ist, hier die Spreu vom Weizen zu sondern, ohne dabei bereits ontologische Intuitionen in Anspruch zu nehmen, kann man an den einschlägigen Arbeiten von Dummett, Wright und Hale sehen (5, Kap. 4 und 14; 22, Kap. 2; 7, Kap. 2).) Dass wir in einer Äußerung von (D) nicht wirklich auf eine Durchschnittsmutter identifizierend Bezug nehmen, zeigt im Übrigen nicht, dass (D) für den Partikularisten unverfänglich ist. Jeder, der die statistische Auskunft (D) versteht, weiß, dass sie genau dann wahr ist, wenn gilt:

(Z) Die Zahl der italienischen Kinder geteilt durch die Zahl der italienischen Mütter ist gleich 2,5.

Sehr erdgebunden hört sich (Z) nun auch nicht gerade an; denn hier wird anscheinend auf Zahlen, also auf abstrakte Entitäten Bezug genommen. Nun folgt aus (Z) aber eine Disjunktion von Anzahl-Aussagen, die so beginnt:

(A) Entweder gibt es 2 mamme und 5 bambini, oder 4 mamme und 10 bambini, oder 6 mamme und 15 bambini, oder ...

Russell hat vorgeführt, wie man Anzahl-Aussagen in der Sprache des klassischen Prädikatenkalküls mit Identität wiedergeben kann, zu deren Vokabular keine Zahlbezeichnungen gehören. Deshalb könnte der Partikularist hier neue Hoffnung schöpfen. Schließlich handelt die Disjunktion (A) ja wirklich nur noch von konkreten Gegenständen. Aber die Hoffnung, nun (Z) verabschieden zu können, erweist sich rasch als illusorisch, sobald man über die Pünktchen in (A) nachdenkt. Erstens wissen wir nur auf der Basis von (Z), wie die Reihe nach den ersten Disjunkten fortzusetzen ist, und zweitens ist die Disjunktion nicht von der Art, dass wir ihren Gehalt fassen könnten. Das wäre übrigens auch dann der Fall, wenn sie nicht unendlich lang wäre, sondern, sagen wir, mit dem Disjunkt ‘2000 mamme und 5000 bambini’ aufhören würde: Wir könnten den Gedanken, den die gerade beschriebene Disjunktion ausdrückt, genauso wenig fassen wie wir uns ein Tausendeck anschaulich vorstellen können.

Muss sich der Partikularist deshalb geschlagen geben und einräumen, dass man eine Aussage wie (Z) als wahr anerkennen muss, wenn man nicht auf eine wichtige Information über italienische Familien verzichten will? Joseph Melia hat gezeigt, dass es hier noch Spielraum für den Partikularisten gibt (17, S. 225-226). Das, was wir durch (D) bzw. (Z) über italienische Familien erfahren, geht nicht nur nicht verloren, es wird durch Informativeres ersetzt, wenn wir die Frage beantworten, wie viele italienische Mütter und Kinder es gibt. Und mit der Anzahl-Aussage, die diese Frage beantwortet, legen wir uns nicht auf die Existenz irgendeines abstrakten Gegenstandes fest. – Diese Strategie lässt sich auch auf manche Aussagen anwenden, in denen augenscheinlich über Universalien quantifiziert wird; z. B. auf ‘Es gibt eine Tugend, die Salomo und Solon gemeinsam ist’. Das, was wir durch diese Aussage über Salomo und Solon erfahren, geht nicht nur nicht verloren, es wird durch Informativeres ersetzt, wenn wir die Frage beantworten, wodurch sich beide Herren gleichermaßen auszeichnen. Und mit der Antwort ‘Salomo ist weise, und Solon ist es auch’ legen wir uns nicht auf die Existenz irgendeines abstrakten Gegenstandes fest.

Melias Strategie, bei der wir durch Verzicht gewinnen, ist nun aber nur auf Aussagen anwendbar, die in den Augen des Anti-Partikularisten kontingenterweise wahr sind. Und Melia zeigt selber, dass sie auch in diesem Bereich nicht immer zum Ziel führt. Betrachten wir die Aussage, die mit

(D*) Der Durchschnittsstern hat 2,5 Planeten bzw.
(Z*) Die Zahl der Planeten geteilt durch die Zahl der Sterne ist gleich 2,5

gemacht wird. Auf die Frage „Weißt Du, wieviel Sternlein stehen …?“ muss jeder, der nicht „Gott der Herr“ ist, auch wenn er noch so lange zählt, mit Nein antworten. Also können wir die Information über das „blaue Himmelszelt“, die unsere von Astronomen vielleicht mit guten Gründen akzeptierte statistische Aussage enthält, nicht durch eine Anzahl-Aussage einfangen. Wir wissen aber, dass eine Theorie, die besser ist als die besten Theorien, über die wir je verfügen werden, (D*) durch eine informativere Aussage ersetzen würde, in die keine Bezugnahme auf Zahlen eingeht. Melia wendet diesen Punkt gegen Quines Kriterium für ‘ontologische Verpflichtung’:

„Die bloße Tatsache, dass wir in unseren besten Theorien über eine bestimmte Art von Gegenständen quantifizieren oder auf sie Bezug nehmen, bedeutet - contra Quine - nicht notwendigerweise, dass wir derartige Gegenstände in unsere Ontologie aufnehmen sollten. Wir sollten nicht immer an die Gegenstände glauben, über die unsere besten Theorien quantifizieren.“ (17, S. 229)

Damit ist nun das Zeichen für den Auftritt des Figuralisten gegeben. Manche Metaphern widersetzen sich dem Versuch einer buchstäblichen Paraphrase. Nun können wir manchmal eine wichtige Information nur festhalten, wenn wir uns einer Metapher bedienen. Der Figuralist schlägt vor, manche Aussagen, die von abstrakten Gegenständen zu handeln scheinen, entsprechend aufzufassen. Auch wer glaubt, dass es keine Zahlen gibt, kann (Z*) mit behauptender Kraft äußern. Was er glaubt, fällt aber nicht zusammen mit dem, was dieser Satz buchstäblich ausdrückt, und er kann in diesem Fall das, was er glaubt, nicht anders artikulieren als unter Verwendung dieses Satzes (oder eines sprachlich gleichbedeutenden). (Z*) wäre demnach eine nicht-eliminierbare Metapher; und so vermutlich auch unser (P*), ‘Tapferkeit ist eine Tugend’.

Doch wie konnte, so lautet eine naheliegende Frage, der metaphorische Charakter eines jeden Diskurses, der prima facie von abstrakten Gegenständen handelt, so lange verborgen bleiben? Wenn uns gelegentlich nicht klar ist, dass wir uns in einer Aussage einer Metapher bedienen, so pflegen wir die Metapher doch im Allgemeinen sofort als solche zu erkennen, sobald wir bemerken, dass das, was wir sagen, buchstäblich verstanden, gar zu offenkundig falsch ist (‘Dr. NN ist ein Esel’, ‘Juliet is the sun’) oder gar zu offenkundig wahr (‘Dr. NN ist kein Esel’, ‘No man is an island’). Fälle wie ‘Es gibt Zahlen’ oder ‘Es gibt Eigenschaften’ sind nun aber ersichtlich ganz anders gelagert. Solche Aussagen kommen uns, wenn sie buchstäblich verstanden werden, keineswegs offenkundig falsch vor, und wir finden ihre Negationen, buchstäblich verstanden, keineswegs offenkundig wahr. Wenn ein Philosoph solche Aussagen (buchstäblich verstanden) für falsch erklärt, so stellt er vielmehr eine kontroverse metaphysische These auf.

Eine weitere Frage drängt sich auf, wenn man bedenkt, dass Metaphern zu einem Vergleich einladen, der manchmal ein kühner Vergleich ist. Was sollen wir womit vergleichen, wenn (P*) metaphorisch zu verstehen ist? Ich habe keine Ahnung. Außerdem ist das Verständnis einer Metapher stets fundiert in der Kenntnis der buchstäblichen sprachlichen Bedeutung der Ausdrücke, die als Vehikel der Metapher dienen: Wer nicht weiß, was ‘sun’ im Englischen heißt, weiß nicht, was mit ‘Juliet is the sun’ zu verstehen gegeben wird. Yablo versucht aber, die Unauffälligkeit dessen, was er ‘platonic metaphors’ nennt, unter anderem im Rekurs auf die Möglichkeit zu erklären, dass „manche Wörter immer metaphorisch gebraucht werden, weil sie gar keine buchstäbliche sprachliche Bedeutung haben“ (23, S. 223) Was hier für möglich erklärt wird, ist in Wahrheit ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich denke, die folgende Zwischenbilanz ist gerechtfertigt: Reduktiver Partikularismus ist hoffnungslos, und dass ein nicht-reduktiver Partikularismus durchführbar sei, ist bislang nicht mehr als eine Hoffnung derer, die unter Eidophobie leiden. Wenn eine Aussage (P*) nun aber irreduzibel und buchstäblich wahr ist, dann garantiert ihre Wahrheit die Wahrheit der anti-partikularistischen These, dass es mindestens ein Universale gibt. Das Argument des Anti-Partikularisten ist von ergreifender Schlichtheit:
(1) Tapferkeit ist eine Tugend. Annahme ( = P*)
(2) Alle Tugenden sind Eigenschaften. Annahme
(3) Tapferkeit ist eine Eigenschaft. Aus 1, 2
(4) Alle Eigenschaften sind Universalien. Annahme
(5) Tapferkeit ist ein Universale. Aus 3, 4
(6) Es gibt mindestens ein Universale.
Aus 5.
Wenn Annahme (1) alias (P*) wahr ist, dann ist sie eine begriffliche Wahrheit. Die Annahmen (2) und (4) sind allemal begrifflich wahr. Also ist dieses kleine Argument durch und durch a priori. Anti-Partikularisten sollten sich durch die legitime Frage, wie wir zu einem Universale F-heit, das weder lokalisierbar noch datierbar (und deshalb kausal impotent) ist, kognitiven Zugang erlangen können, nicht ins Bockshorn jagen lassen. Wenn eine Explikation des Wissensbegriffs eine Kausalbedingung einschließt, die so stark ist, dass sie den Anti-Partikularismus epistemologisch desavouiert, dann ist sie Einwänden ausgesetzt, die nichts mit einer ontologischen Kontroverse zu tun haben: sie schließt nämlich Wissen in diversen Bereichen aus, in denen es gar nicht um abstrakte Gegenstände geht (dazu: 22, Kap. 2, § xi; und 7, Kap. 4) . Wir können zu einem Universale F-heit dadurch kognitiven Zugang erlangen, so lautet die Antwort – oder zumindest der Beginn einer Antwort, dass wir den abstrakten singulären Term ‘F-heit’ verstehen (dazu: 8, S. 138-185). Man kann höherstufige Prädikationen wie (P*) freilich nur dann verstehen, wenn man gelernt hat, elementare Prädikationen wie ‘Sokrates ist tapfer’ zu verstehen, wohingegen man höherstufige Prädikationen nicht zu verstehen braucht, um solche elementaren Prädikationen zu verstehen. Entsprechendes gilt auch von höherstufigen Quantifikationen wie ‘Es gibt unentdeckte physikalische Eigenschaften’ im Verhältnis zu solchen erster Stufe wie ‘Es gibt unaufgeklärte Verbrechen’. Diese These von der einseitigen Verständnisabhängigkeit ist scharf zu unterscheiden von den dubiosen Reduzierbarkeitsthesen mancher Partikularisten. Die Abhängigkeitsthese impliziert übrigens auch nicht, dass jeder abstrakte singuläre Term, den wir verstehen, die Nominalisierung eines konkreten generellen Terms ist, den wir zuvor bereits verstanden haben. Das folgt nicht nur nicht, es stimmt auch gar nicht. Kein Wort verhält sich im Deutschen syntaktisch so zu ‘Animosität’, wie sich ‘virtuos’ zu ‘Virtuosität’ verhält.

Um der Semantik für höherstufige Prädikationen und Quantifikationen willen plädiere ich für eine sehr großzügige Eigenschaftskonzeption. Mit Hilfe der Konstruktion ‘die Eigenschaft, (ein) F zu sein’ kann man aus jedem konkreten generellen Term ‘(ein) F’ einen abstrakten singulären Term bilden. Dieser kann auch dann eine Eigenschaft denotieren, wenn der generelle Term auf kein Objekt in der wirklichen Welt zutrifft (‘ein goldener Berg’) oder sogar auf keines in irgendeiner möglichen Welt (‘ein Messer ohne Klinge’). Gemäß dieser Auffassung der Eigenschaften sind manche Eigenschaften exemplifiziert, manche de facto unexemplifiziert und manche nicht exemplifizierbar. Nicht alle Anti-Partikularisten akzeptieren diese Auffassung. Unter ihnen ist David Armstrong heutzutage wohl der prominenteste. Er ist ein Anhänger des Scientia Mensura-Satzes: Die Naturwissenschaften sind ‘das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, und der nicht-seienden, dass sie nicht sind’. Für ihn gibt es daher nur dann so etwas wie die Eigenschaft, F zu sein, wenn ‘F’ zum Basis-Vokabular dessen gehört, was er „total science“ nennt. Schlechte Aussichten für mein Paradigma einer Eigenschaft; denn der generelle Term ‘tapfer’ dürfte wohl kaum zu diesem Vokabular gehören. Armstrong verkennt nicht, dass der Titel ‘Eigenschaft’ oft weniger restriktiv verstanden wird:

„Was im Alltagsdiskurs als Eigenschaft und Beziehung bezeichnet wird, ist oftmals keine Eigenschaft oder Beziehung in dem Sinne, in dem diese Ausdrücke in diesem Buch [sc. in Universals & Scientific Realism] gebraucht werden. Die Eigenschaften und Beziehungen des Alltagsdiskurses sind bloße Geschöpfe des Alltagsdiskurses. Sie sind nichts weiter als die Schatten, die unsere Prädikate auf die Welt werfen.“ (3, II, S. 8)

Impliziert unsere generöse Eigenschaftsauffassung (oder der ‘Alltagsdiskurs’ über Eigenschaften), dass es keine Eigenschaft gibt, für die wir kein Prädikat haben, mit dem wir sie zuschreiben können? Impliziert sie sogar die stärkere These, dass Eigenschaften ihre Existenz unseren Prädikaten verdanken? Ich vermag weder das eine noch das andere zu sehen. Warum sollte der Befürworter der großzügigen Eigenschaftskonzeption annehmen, wir verfügten gegenwärtig in irgendeiner Sprache über ein (sei es auch noch so komplexes) Prädikat, mit dem eine Eigenschaft zugeschrieben werden kann, welche die Physiker erst in 2000 Jahren oder vielleicht nie entdecken werden? In einer möglichen Sprache, die vielleicht eine Erweiterung der unseren ist, gibt es ein solches Prädikat; aber das ergibt sich schon daraus, dass eine Eigenschaft etwas ist, was einem Gegenstand zugeschrieben werden kann. Wenn die Eigenschaften im Sinne der generösen Auffassung ‘Geschöpfe des Alltagsdiskurses’ wären, dann müssten wir wirklich über Prädikate verfügen, mit denen man sie zuschreiben kann. Bloß mögliche Diskurse können nicht schaffen, was wirklich existiert. Bloß mögliche Entitäten werfen auch keine Schatten auf die wirkliche Welt.

Dadurch dass ich bestreite, dass großzügig konzipierte Eigenschaften Schöpfungen unserer Diskurse sind, lege ich mich nicht darauf fest, dass die Existenz einer Eigenschaft immer notwendige Existenz ist. Die Eigenschaft, ein Schüler des Sokrates zu sein, beispielsweise existiert nur dann, wenn Sokrates existiert, und die Existenz des Sokrates ist kontingent. Und wenn es abstrakte Gegen-stände wie das Schachspiel, Die Kunst der Fuge, die Trikolore und die Einer-Menge {Big Ben} gibt, so ist auch ihre Existenz keine notwendige Existenz. Husserl unterschied solche abstracta als ‘gebundene Idealitäten’ von den ‘freien Idealitäten’.

Wer die generöse Eigenschaftsauffassung für die Semantik der höherstufigen Prädikation und Quantifikation unentbehrlich findet (und z. B. für die Erörterung der Frage, ob Wahrheit eine Eigenschaft ist, (dazu 11, Kap. 2), kann Armstrongs Beschreibung dieser Position mit Fug und Recht verwerfen. Er kann und sollte aber einräumen, dass für andere theoretische Zwecke, etwa für den physikalischer Erklärungen, nur eine winzige Minorität der Gegenstände, die er Eigenschaften nennt, relevant ist. Aus ganz anderen Gründen als Armstrong befand schon Platon, nicht alle generellen Terme seien sozusagen eidos-würdig, und er nannte als Beispiele ‘Grieche’ und ‘Barbar’. Geistreich mit einer platonischen Metapher spielend, sagt David Lewis in New Work for a Theory of Universals’ von den großzügig konzipierten Eigenschaften, die er als ‘abundant properties’ von Armstrongs dünn gesäten Eigenschaften unterscheidet: „[Abundant] properties carve reality at the joints – and everywhere else as well“ (15, S. 13, unter Anspielung auf Platons Phaidros) . Doch das ist auch für Lewis kein Grund, ihnen ontologische Irrelevanz zu bescheinigen:

„Wir sollten anerkennen, dass wir beide Konzeptionen haben und dass eine adäquate Ontologie auch für beide Platz haben sollte. Wenn wir die abundanten Eigenschaften haben, dann haben wir eine von ihnen für jede der spärlichen Eigenschaften. Mithin können wir getrost sagen, dass die spärlichen Eigenschaften schlicht einige der abundanten sind.“ (16, S. 178)

Goldene Worte, so finde ich; weshalb ich mit ihnen jetzt auch schließe (13, S. 178).

UNSER AUTOR:

Wolfgang Künne ist Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Von ihm ist zum Thema u. a. erschienen „Abstrakte Gegenstände“ (1983) und „Conceptions of Truth“ (2003)
Gekürzte Fassung eines Vortrages am Hegel- Kongress in Stuttgart.

LITERATUR ZUM THEMA

(1) Anderson, A. R.: ‘Church on Ontological Commitment’, Journ. Phil., 56, 1959: 448-52.
(2) --‘What Do Symbols Symbolize?’. In: B. Baumrin (Hg.),Philosophy of Science - The Delaware Seminar, vol. 1. 551 p., £ 1990, 1962, p. 137-151, J. Wiley, New York.

(3) Armstrong, D. M. Universals & Scientific Realism. 2 Bde., 1978, Cambridge University Press, Cambridge.

(4) Carnap. R.:. ‘Empiricism, Semantics, and Ontology’. In his Meaning and Necesssity. Viii, 260 p., pbk., £ 3.95, University of Chicago Press.

(5) Dummett, M.: Frege - Philosophy of Language. 2. Aufl., 708 p., pbk., £ 25.—, 1981, Duckworth, London.

(6) Field, H.: Science without Numbers. 1980, Blackwell, Oxford (im Buchhandel vergriffen).

(7) Hale, B. : Abstract Objects, 1987, Blackwell, Oxford. (im Buchhandel vergriffen).

(8) Künne, W. Abstrakte Gegenstände. 1983, Suhrkamp, Frankfurt, im Buchhandel vergriffen. Neuauflage bei Klostermann, Frankfurt, in Vorbereitung.
(9) - Abstrakte Gegenstände via Abstraktion? Fragen zu einem Grundgedanken der Erlanger Schule’. In K. Prätor (Hg.), Aspekte der Abstraktionstheorie. Rader, Aachen, 1988, S. 19-24.
(10) - Rezension von Hale 1987. Ratio (New Series), 1989, 2 S. 89-100.
(11) - Conceptions of Truth. 508 p., cloth 2003 £ 60.--, pbk. 2005 £ 30.--, Clarendon Press, Oxford
(12) - 2004. ‘Die Gigantomachie in Platons Sophistes’, Archiv für Geschichte der Philosophie, 86, 2004, S. 1-18.
(13) - ‘Properties in Abundance’, in:
(14) P.F.Strawson, P.F./ Chakrabarti, A. (eds.): Universals, Concepts and Qualities. New essays in the meaning of predicates. 336 p., cloth, £ 55.—, 2006, Ashgate, Aldershot,

(15) Lewis, D. ‘New Work for a Theory of Universals’, in: Mellor & Oliver (eds). 1983, 188-227.
(16) - ‘Modal Realism at Work: Properties’., in: 18

(17) Melia, J. 1995. ‘On What There’s Not’, Analysis 55, 1995, S. 223-9.

(18) Mellor, D. H. & Oliver, A. (eds.) : Properties. Vi, 276 p., cloth £ 35.—, pbk. £ 15.—, 1997, Oxford University Press, Oxford.

(19) Quine, W. V. O.,: ‘On What There Is’. In his From a Logical Point of View, 200 p., pbk., £ 11.50, Harvard University Press.

(20)  ‘Existence and Quantification’. In ders. Ontological Relativity and Other Essays, pbk., £ 11.50, Columbia University Press, New York.

(21) Sellars, W.: ‘Conceptual Change’, in: ders.
Esays in Philosophy and Its History, S. 172-188, 1974, Reidel, Dordrecht (im Buchhandel vergriffen)

(22) Wright, C. : Frege’s Conception of Numbers as Objects, 1983, Aberdeen University Press, Aberdeen (im Buchhandel vergriffen).

(23) Yablo, S.,: ‘Apriority and Existence’, in Boghossian, P./ Peacocke. C. (eds): New Essays on the A Priori, 490 p., pbk. £ 22.—, 2000m Oxford University Press, Oxford