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Carnap als Pietist

CARNAP

Carnap als Pietist

Rudolf Carnap sei oftmals missverstanden worden, zu Unrecht habe man in ihm den wissenschaftsgläubigen Logiker gesehen, der die Welt in ein szientistisches Korsett pres-sen wollte. Dies behauptet Alexander Grau in einem Artikel „Seelengrund als süße Zel-le“ in der Frankfurter Allgemeinen (27. 4. 2005). Dieses nach wie vor aktuelle Bild „entstellt Carnaps Motive vollkommen und verfehlt so die zentralen Aspekte seines Denkens“. Grau weist auf die pietistische Herkunft Carnaps hin: seine Mutter lebte einen intensiven, mystisch geprägten Pietis-mus, und auch Carnaps Denken bewegte sich „innerhalb dieser pietistischen Grundkoordi-naten“. So versteht er in seinem Hauptwerk Der logische Aufbau der Welt gut pietistisch das Selbst als eine Konstruktion, die ihre Ba-sis nicht in sich hat und zugleich ein Werk-zeug ist, sich selbst zu überschreiten. In bes-ter pietistischer Tradition wende er sich ge-gen jeden metaphysischen und den theologi-schen Sprachgebrauch. Beide sind sinnlos. Die Rede von Gott ist nicht auf Wahrheits-bedingungen eines Elementarsatzes redu-zierbar, Fragen nach der Existenz Gottes sind keine kognitiven Fragen. Aber religiöse Sät-ze müssen keine Scheinsätze sein, sie sind es nur, wenn man sie dazu macht. Carnaps Ideale von Einfachheit, Reinheit und Klarheit gründen Grau zufolge tief in seinem pietisti-schen Weltbild. Und der Wiener Kreis mit seiner konzentrierten Suche nach Klarheit und Erkenntnis gleicht durchaus einem pie-tistischen Zirkel.