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Postmoderne: Ein theological turn linker postmoderner Philosophie?


Ein theological turn linker postmoderner Philosophie?

Nicht nur Vattimo, auch andere postmoderne Denker finden zur christlichen Religion zu-rück. Im Mittelpunkt ihrer Wiederentde-ckung steht der Apostel Paulus. In ihrem Beitrag „Die Rebellen des ‚Als ob“ (Jungle World, 27.4.2005) zeigt dies Doris Akrap anhand von Badiou, Zizek und Agamben.
Für den französischen Philosophen Alain Badiou ist Paulus die Gründungsfigur einer „Politik der Wahrheit“. Sie unterscheide sich grundlegend sowohl von der griechischen Vernunft wie der jüdischen Prophetie und eröffne die Perspektive auf eine andere Welt. Mit seinen gegen die etablierte Ordnung ge-richteten geistigen Kräften habe der Apostel auf die konkrete Lebenspraxis der Menschen gewirkt. Badiou sieht in Paulus die „militan-te Figur“ schlechthin, die das Gesetz für auf-gelöst betrachte und sich zum Anführer einer neuen community erkläre, die frei von jeder Zugangsbeschränkung sei. Das Wahrheitser-eignis, bei Saulus das Damaskus-Ereignis, ereigne sich aus einer „unvorhersehbaren, bedingungs- und interesselosen Gnade“.

Badious „innigster Bruder im Geist“ (Akrap) im Bemühen, das messianische Programm in ein materalistisches Programm zu übersetzen ist Slavoj Žižek. Der Titel seines jüngsten Buches lautet denn auch „Die Revolution steht bevor“. Mit Hilfe christlicher Termino-logie will er die Psychoanalyse Lacans von ihrer Kryptologie befreien. Allerdings relati-viert er im Unterschied zu Boudiou die pau-linischen Leistungen: dessen Universalismus ist nicht bedingungslos. Alle, die sich wei-gern, die neue Wahrheit anzuerkennen, wer-den von der neuen Gemeinschaft ausge-schlossen.

Für den italienischen Philosophen Giorgio Agamben hat Paulus mit dem terminus tech-nicus des „als ob nicht“ einen Raum geschaf-fen, der Macht und Gesetz entkommt, indem er mit ihnen nicht in Konflikt gerät, sondern sie wirkungslos zurücklässt oder deaktiviert. Schon durch seine eigenmächtige Ernennung zum Apostel habe er das Gesetz so behan-delt, als ob es nicht mehr gültig sei. Die von Paulus verkündetete „messianische Zeit“ sei nicht das Ende der Zeit, sondern die des En-des. Mit der Verkündigung einer neuen Zeit-rechnung, die mit der Abschaffung, also dem Ende des Gesetzes synonym ist, bringe Pau-lus die Situation des Unterdrückten durch die Herrschaft des Gesetzes zur Anschauung.

Doris Akrap sieht den Kern der linken Be-schäftigung mit Paulus in der Dialektik des Gesetzes und der nihilistischen Antwort dar-auf. Paulus erklärt im Römerbrief, dass er erst durch das Verbot des Begehrens über-haupt auf die Idee gekommen sei zu begeh-ren und damit also schon das Gesetz „Du sollst nicht begehren“ übertreten habe, zum Sünder wurde und so dem Gesetz erst die Möglichkeit gegeben habe, sich zu legitimie-ren. Der Zweck des Gesetzes liege also ein-zig und allein darin, sich selbst als Herrschaft zu begründen und die bestehenden Verhält-nisse zu sichern. Deshalb könne man es auch ganz abschaffen. Diese selbstreflexive Philo-sophie, so schließt die Autorin, wirke wie „Flugblätter aus dem Studentenmilieu“: „Eine Philosophie, nach deren Konsum man weiter handeln und denken kann, als wäre nichts passiert.“