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STELLUNGNAHMEN

Repräsentationaler oder direkter Realismus?

Repräsentationaler oder direkter Realismus?

Stellungnahmen von Volker Gadenne, Michael Esfeld/Michael Sollberger, Richard Schantz und Marcus Willascheko

Wenn es eine physikalische Welt gibt, die von unseren Gedanken unabhängig ist, besteht das Problem, wie wir zu ihr Zugang finden. Was spricht denn dagegen, dass eine Wirklichkeit jenseits der phänomenalen Erfahrung für uns unerreichbar bleibt?

Michael Esfeld und Michael Sollberger: Es gibt keine Wirklichkeit jenseits der phänomenalen Erfahrung. Gemäß dem direkten Realismus beziehen sich unsere Wahrnehmungen und Glaubenszustände direkt auf die Wirklichkeit. Es gibt beispielsweise nicht eine phänomenale Erfahrung der Bäume im Garten und jenseits dieser die wirklichen Bäume, sondern die phänomenale Erfahrung ist direkt Erfahrung der wirklichen Bäume. Die phänomenologische Tatsache, dass unsere perzeptuellen Erfahrungen transparent sind, unterstützt diese These. Die Transparenz der Erfahrung lehrt uns beispielsweise, dass der Inhalt der phänomenalen Erfahrung eines Baumes einzig und allein der Baum mit seinen physikalischen Eigenschaften ist – wir stoßen niemals auf Eigenschaften perzeptueller oder epistemischer Bindeglieder, auch wenn wir unsere ganze Aufmerksamkeit introspektiv auf die phänomenale Ersche-nungsweise des Baumes richten. Demzufolge gibt es keinen Grund, eine Wirklichkeit jenseits der phänomenalen Erfahrung zu postu-lieren: phänomenale Eigenschaften sind nichts anderes als die mentale Erscheinungsform von physikalischen Eigenschaften.

Volker Gadenne: Wir erfahren die Welt als eine Vielfalt von Dingen mit unterschiedlichen Eigenschaften, die wir nicht durch rei-nes Nachdenken oder Wünschen ändern können. Ich kann z. B. nicht durch eine Wand aus Stein gehen, und es würde nicht helfen, mir fest einzubilden, dass hier eine offene Tür sei. Manche unserer Annahmen über die Welt bewähren sich, bei anderen erfahren wir den „Widerstand“ der Tatsachen. Der erkenntnistheoretische Realismus deutet dies so, dass (1) Existenz und (2) Beschaffenheit (Eigenschaften, Tatsachen) der Welt ontologisch unabhängig von Sprache und Denken sind und dass wir (3) über diese ob-jektive Realität teilweise Erkenntnis haben. Antirealistische Positionen bestreiten im All-gemeinen nicht die erste Annahme, jedoch die zweite oder dritte: Wir hätten nur Er-kenntniszugang zu einer Welt, die in einem gewissen Sinne durch Sprache und Denken, eventuell auch durch Werte, „konstituiert“ sei (eine These, die, nebenbei bemerkt, keineswegs weniger „metaphysisch“ ist als der Realismus). Nun lässt sich der Realismus nicht streng beweisen. Er ist aber die Position des Alltagsverstandes, so dass sich die Frage stellt, ob die Antirealisten eine insgesamt überzeugendere Theorie vorlegen können. Bisher können sie dies nicht. Ein Grundproblem aller antirealistischen Positionen ist eine gewisse Inkohärenz: Sie behaupten, dass wir über die Welt, wie sie an sich ist, nichts wissen könnten. Andererseits gehen sie wie selbstverständlich davon aus, dass Menschen existieren, eine Sprache besitzen und sich Gedanken machen. Es ist nun ziemlich un-plausibel, davon auszugehen, Letzteres zu wissen und dann zu argumentieren, wir hätten kein Wissen über die reale Welt. Manchmal wird der Wissensanspruch des Realismus missverstanden. Wer sicheres Wissen über die Realität anstrebt, vertritt natürlich eine unhaltbare Position. Ein fallibilistischer Realismus nimmt nur fehlbares Wissen in Anspruch. Wir wissen z. B., dass die Erde rund ist, dass sie keine flache Scheibe ist, und dies bedeutet: Es ist ver-nünftig, angesichts der verfügbaren Beobachtungsergebnisse die erste Hypothese vorläufig für wahr und die zweite für falsch zu halten – so lange nicht doch jemand zeigen sollte, dass die diesbezüglichen Beobachtungen alle auf einer Täuschung beruhen. So aufgefasst kann man Erkenntnis ohne Probleme auf die reale Welt beziehen und muss nicht die komplizierte und problematische Unterscheidung zwischen einer Welt an sich und einer konstituierten oder konstruierten Welt einführen, die meines Erachtens bisher noch niemandem auf eine kohärente Weise gelungen ist.

Marcus Willaschek: Jede Form des Realismus muss die Möglichkeit zugestehen, dass es Teile oder Aspekte der Wirklichkeit geben mag, die für uns (Menschen) prinzipiell unerkennbar sind. Dies könnte man nur dann ausschließen, wenn es eine Apriori-Garantie gäbe, dass alles, was wirklich ist, auch von uns erkannt werden kann. Wenn die Wirklichkeit, wie der Realismus behauptet, von unserem Denken und Erkennen in begrifflicher und kausaler Hinsicht unabhängig ist, dann kann es eine solche Garantie nicht geben. Damit ist der Realist aber nicht auf die These festgelegt, dass die Wirklichkeit „an sich“ für uns unerkennbar ist, denn es spricht nichts gegen die alltägliche Selbstverständ-lichkeit, dass wir über vielfältiges Wissen über die (von uns unabhängige) Realität verfügen: Wir wissen so unterschiedliche Dinge wie die, dass dort ein Baum steht, wie lange der Zug von Frankfurt nach München braucht, wie das menschliche Gehirn aufgebaut ist und welche Fusionsprozesse in der Sonne ablaufen. Bekannte skeptische Argumente können den Eindruck vermitteln, als sei die Möglichkeit von Wissen äußerst problematisch. Doch diese Argumente beruhen auf einem überzogenen Anspruch an mögliches Wissen. Die Standards, die im Alltag und in der Wissenschaft erfüllt sein müssen, damit eine theoretische Einstellung als Wissen gelten kann, lassen sich durchaus erfüllen. Im einfachsten Fall müssen wir einfach nur Hinschauen: Ich weiß, dass dort ein Baum steht, weil ich sehe, dass dort ein Baum steht. Dazu ist normalerweise nicht mehr erforderlich, als dass ich weiß, was ein Baum ist und ich unter geeigneten Bedingungen dorthin schaue, wo sich ein Baum befindet. (Dass es sich um geeignete Bedingungen handelt, muss ich normalerweise nicht wiederum wissen, um, dann, wenn es sich um geeignete Bedingungen handelt, zu sehen, und somit zu wissen, dass dort ein Baum steht.) Wir wissen also sehr viel über die Wirklichkeit. Und da es nur eine Wirklichkeit gibt (wenn man darunter den Inbegriff alles dessen versteht, was existiert oder wirklich ist), wissen wir sehr viel über genau jene Wirklichkeit, von der Realismus und Common sense behaupten, sie sei denkunabhängig. Die einzige Einschränkung der Erkennbarkeit der Wirklichkeit, die sich aus dem Realismus zwingend ergibt, besteht darin, dass wir nicht wissen können, ob die Wirklichkeit für Wesen wie uns vollständig erkennbar ist. Richard Schantz: Der Realismus vertritt die Auffassung, dass es eine objektive Welt gibt, eine Welt interagierender physischer Gegenstände in Raum und Zeit, die kontinuierlich und völlig unabhängig von unseren Wahrnehmungen, unseren Gedanken und unserer Sprache existieren und die unabhängig von uns gewisse Eigenschaften haben und in gewissen Beziehungen zueinander stehen. Zu behaupten, dass ein Gegenstand unabhängig von unseren epistemischen Fähigkeiten existiert, heißt keineswegs, zu behaupten, dass er unerkennbar ist, oder dass wir keine wah-ren Überzeugungen über ihn erwerben können. Es heißt nur, dass er durch unsere Überzeugungen oder durch die Begriffe, die wir gebrauchen, nicht konstituiert wird. Anders als für die verschiedenen Formen des Antirealismus und Idealismus gibt es für den Rea-lismus – den Standpunkt des reflektierten Common sense – keinen Konflikt zwischen der Unabhängigkeit eines physischen Gegenstandes, seiner Autonomie, und seiner epistemischen Zugänglichkeit, der Möglichkeit, Wissen über ihn zu erwerben. Ich sehe beispielsweise eine Katze auf dem Sofa. Die Existenz der Katze ist völlig unabhängig davon, dass sie von mir oder von irgendeiner anderen Person wahrgenommen wird. Die Katze wäre auch da, wenn ich nicht da wäre; sie ist mithin kein Aspekt meiner phänomenalen Erfahrung. Und doch, so machen die Realisten geltend, können wir in einer solchen Situation Wissen über die Katze erwerben. Der Realismus muss weder äußere Gegenstände zu bloßen Konstruktionen aus den Materialien der subjektiven Erfahrung degradieren, noch muss er bei der skeptischen Behauptung Zuflucht suchen, dass die objektive Realität jenseits unseres Erkenntnisvermögens liegt, dass sie unsere Fähigkeiten, sie zu erkennen, prinzipiell überschreitet. Ein einflussreicher Vorschlag lautet: Wir haben in unseren Gedanken Zugang zur phy-sikalischen Welt kraft mentaler Repräsentationen, die als epistemisches Bindeglied fun-gieren zwischen den Glaubenszuständen einer Person und den Gegenständen in der Welt, auf die sich diese Glaubenszustände beziehen. Was sind die Stärken, was die Schwächen dieser Position? Richard Schantz: Die erkenntnistheoretische Diskussion in der westlichen Philosophie wurde seit dem siebzehnten bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein von der Auf-fassung beherrscht, dass wir äußere physische Gegenstände nie direkt oder unmittelbar wahrnehmen können, sondern dass die direkten Objekte des Bewusstseins in der sinnlichen Wahrnehmung eine besondere Art mentaler Repräsentationen sind – Descartes' und Lockes „Vorstellungen“, Berkeleys und Humes „Sinneseindrücke“, John Stuart Mills und Ernst Machs „Empfindungen“ oder Bertrand Russells und G.E. Moores „Sinnesdaten“. Diese subjektiven Entitäten werden in jüngerer Zeit, vor allem in kognitionswissenschaftlichen Kontexten, häufig auch „Perzepte“ genannt. Charakteristisch für Sinnesdaten ist, dass sie, im Unterschied zu äußeren, physischen Gegenständen, dann und nur dann existieren, wenn sie wahrgenommen werden. Das wichtigste Argument, das für die Existenz von Sinnesdaten als den direkten Objek-ten der Wahrnehmung ins Feld geführt wurde, ist das Argument aus der Sinnestäuschung. Im Mittelpunkt dieses Arguments steht die Behauptung, dass es keine feststell-bare phänomenale oder qualitative Differenz zwischen der Wahrnehmung unter ungewöhnlichen Bedingungen und der Wahrnehmung unter Normalbedingungen gibt, die einen unterschiedlichen ontologischen Status ihrer jeweiligen Gegenstände anzeigen könnte. Nach einer Reihe von mehr oder weniger kontroversen Schritten gelangt das Argument rasch zu seiner Konklusion, dass wir immer nur Sinnesdaten direkt wahrnehmen. Die Sinnesdatentheorie vermag zwar der phänomenalen Ununterscheidbarkeit von genuinen Wahrnehmungen und Sinnestäuschungen oder Halluzinationen Rechnung zu tragen, aber sie zahlt dafür einen hohen Preis: sie führt zu erkenntnistheoretisch verheerenden Konsequenzen. Sobald ihre zentrale These, dass die direkten Gegenstände des Bewusstseins in der Wahrnehmung immer Sinnesdaten, nie aber äußere, physische Gegenstände sind, einmal akzeptiert wird, sind im Wesentlichen nur noch zwei Theorien der Wahrnehmung und der Außenwelt möglich: der Repräsentationale oder Indirekte Realismus und der Phänomenalismus. Der Phänomenalismus stellt bekanntlich die radikale Behauptung auf, dass ein physischer Gegenstand nichts anderes als ein Komplex von Sinnesdaten ist. Dagegen bestreiten die Verfechter des Repräsentationalen Realismus gewöhnlich nicht, dass wir Wissen über äußere, physische Gegenstände erwerben können. Aber wir erwerben dieses Wissen nur auf eine in-direkte Weise – mittels der direkten oder unmittelbaren Wahrnehmung der phänome-nalen Erscheinungen, die die äußeren Gegenstände infolge einer kausalen Interaktion in unserem Bewusstsein hervorrufen. Unser gesamtes Wissen von der objektiven Realität beruht auf dem direkten Wissen von Sinnesdaten. Wenn wir jedoch immer nur Sinnesdaten, nie aber die physischen Gegenstände und Ereignisse in unserer Umgebung direkt wahrnehmen können, dann stellt sich natürlich geradezu zwangsläufig die Frage, wie wir wissen können, welche Eigenschaften physische Gegenstände haben, ja, wie wir sicher sein können, dass sie überhaupt existieren. Die Sinnesdaten fungieren diesem Einwand zufolge als ein Schleier, der unseren perzeptiven und kognitiven Zugang zur Außenwelt blockiert. Die Sinnesdatentheorie reißt eine logische Kluft zwischen inneren Objekten, den Sinnesdaten, und der äußeren, physischen Realität auf, eine Kluft, die weder durch deduktive noch durch induktive Schlüsse jemals überbrückt werden kann. Wir sind gewissermaßen in der Welt unserer Sinnesdaten eingesperrt. Kein triftiges Argument, sondern allenfalls eine Form von Magie vermag uns von der hellen auf die dunkle Seite des Schleiers der Wahrnehmung zu führen. Der erkenntnistheoretische Skeptizismus scheint die unvermeidliche Konsequenz des Repräsentationalen Realismus zu sein. Volker Gadenne: Überzeugungen können einen klaren Inhalt haben, auch wenn ihnen keine Tatsachen der Realität entsprechen. Die Inhalte von mentalen Zuständen des Glaubens sind also offenbar nicht reale Tatsachen, sondern etwas Mentales: propositio-nale Inhalte. Überzeugungen können sich kraft ihres Inhalts auf reale Gegenstände bzw. auf Tatsachen richten. Sie können in der intentionalen Beziehung zu diesen Ge-genständen oder Tatsachen stehen. Insofern repräsentieren diese propositionalen Inhalte etwas in der realen Welt. Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Gegenstände existieren bzw. Sachverhalte bestehen. Als ein Problem wird von vielen angesehen, dass sich die intentionale Beziehung bisher nicht auf etwas anderes zurückführen lässt. Es handelt sich nicht um eine Ähnlichkeit oder Isomorphie zwischen Inhalt und repräsentiertem Gegenstand. Auch Versuche, In-tentionalität auf kausale Beziehungen zurückzuführen, sind bisher noch nicht erfolg-reich gewesen, nicht einmal im Falle der Wahrnehmung, wo eine solche Lösung am ehesten möglich sein sollte. Aber dies sehe ich nicht als eine grundsätzliche Schwierig-keit. Es gibt a priori keinen Grund zu der Annahme, dass alles in der Welt auf physikalische Eigenschaften und kausale Beziehungen reduziert werden kann. Möglicherweise ist Intentionalität nicht auf diese Weise reduzierbar. Manche sehen den „Repräsentationalismus“ als eine Auffassung an, zu der Descartes den Anstoß gab und die dann bei Berkeley zum Idealismus führte. Man muss aber beachten, dass in diesem Fall unter Repräsentationa-lismus die Auffassung verstanden wird, mentale Inhalte (Ideen) seien die eigentlichen Gegenstände des Wahrnehmens und Denkens. Diese Theorie macht in der Tat den Realismus unmöglich. Wer mentale Repräsentationen annimmt, muss diese jedoch keineswegs als die Gegenstände des Denkens betrachten: Der propositionale Inhalt ist vielmehr eine Eigenschaft eines mentalen Zustands, durch den sich dieser auf einen realen Gegenstand beziehen kann. Marcus Willaschek: Die repräsentationale Theorie des Geistes (RTG), der zufolge der Weltbezug unserer Gedanken und Wahrnehmungen stets durch mentale Repräsenta-tionen vermittelt ist, ist erstens unzureichend begründet und zweitens erklärt sie nicht, was sie erklären soll. Zunächst zum ersten Punkt. Im Denken und Wahrnehmen sind wir nor-malerweise ganz „bei der Sache“; wenn ich denke, dass es regnet, bin ich mir keiner Repräsentation bewusst, sondern der (wirklichen oder vermeintlichen) Tatsache, dass es regnet. Wir sind uns unserer eigenen mentalen Zustände nicht als mentaler Repräsentationen bewusst. Mentale Repräsentationen sind somit keine Gegenstände einer unmit-telbaren (inneren oder äußeren) Beobachtung, sondern „theoretische Entitäten“, die im Rahmen einer Theorie postuliert werden, um etwas Bestimmtes zu erklären. Mentale Repräsentationen nun sollen erklären, wie sich unsere Gedanken und Wahrnehmungen auf Dinge und Tatsachen in der Welt beziehen können. Doch warum können wir nicht, wie es zunächst nahezuliegen scheint, annehmen, dass wir uns unmittelbar auf die Dinge und Tatsachen beziehen? Die Antwort lautet, dass auf diese Weise nicht verständlich wird, wie falsche Gedanken und Wahr-nehmungsirrtümer möglich sind. Das Problem wird besonders anschaulich im Fall der Wahrnehmung: Wenn ich einen Baum zu sehen glaube, wo gar keiner ist, kann sich meine Wahrnehmung nicht da-durch auf ihren Gegenstand beziehen, dass ich diesen unmittelbar wahrnehme, denn einen solchen Gegenstand gibt es in diesem Fall nicht. Die Wahrnehmungstäuschung, so der naheliegende Schluss, ist ein mentaler Zustand, der einen Baum repräsentiert, obwohl ein wirklicher Baum nicht vorhanden ist. Insofern bezieht sie sich nicht unmittelbar auf die Wirklichkeit, sondern vermittels einer Repräsentation. Doch selbst wenn man das zugesteht, folgt daraus nicht, dass auch diejenigen Gedanken und Wahrnehmungen, die sich tatsächlich auf etwas in der Wirklichkeit beziehen, sich darauf nicht unmittelbar beziehen können. Dies würde nur dann folgen, wenn wir annehmen, dass wahre und falsche Gedanken, Wahrnehmungen und Täuschungen, sich in derselben Weise auf die Wirklichkeit beziehen müssen. Diese Annahme kann vor dem Hintergrund einer cartesischen Konzeption des Geistes durchaus zwingend erscheinen: der Geist als Bereich des Bewusstseins, der dem denkenden Subjekt selbst vollständig durchsichtig und von der „Außenwelt“ prinzipiell unabhängig ist. Doch dieses Bild lässt sich wohl kaum noch verteidigen. Lehnt man es ab, dann gibt es auch keinen Grund anzunehmen, dass wahre und falsche Gedanken sich in derselben Wei-se auf die Welt beziehen müssen. Ganz im Gegenteil: Wäre es nicht erstaunlich, wenn der Gedanke, dass es regnet, sich dann, wenn es wirklich regnet, in derselben Weise auf die Welt bezieht wie dann, wenn die Sonne scheint? Ohne die Annahme einer einheitlichen Erklärung des Weltbezugs unserer mentalen Einstellungen lässt sich die RTG jedoch nicht begründen. Zweitens erklärt sie aber auch nicht, was sie erklären soll, nämlich wie sich unsere Gedanken auf die Wirklichkeit beziehen können. Zum einen ist der Begriff der Repräsentation selbst äußerst erklärungsbedürftig; gegen jede der gängigen Theorien mentaler Repräsentation sind gravierende Einwände erhoben worden. Zum anderen ist die RTG offen für skeptische Einwände: Wenn der unmittelbare Inhalt unserer mentalen Einstellungen Repräsentationen sind und nicht die repräsentierten Dinge, dann bleibt immer die Möglichkeit bestehen, dass es die Dinge, die unsere mentalen Repräsentationen repräsentieren, gar nicht gibt. Schließlich können wir, so das bekannte Argument, nicht aus unserem Geist heraustreten, um nachzusehen, ob unseren Repräsentationen etwas Wirkliches entspricht. Sogenannte „kausale“ Theorien mentaler Repräsentation scheinen gegen diesen Einwand gefeit zu sein, doch nur dadurch, dass sie die Existenz der repräsentierten Dinge einfach voraussetzen. Diese Voraussetzung ist aber gerade dann, wenn wir unmittelbar nur zu unseren Repräsentationen Zugang haben, eine rein dogmatische Festlegung, deren Wahrheit nicht überprüfbar ist. Ob unsere Gedanken sich wirklich auf etwas von ihnen Unabhängiges beziehen, bleibt so in letzter Instanz unentscheidbar. Die RTG stellt somit genau das in Frage, was sie erklären sollte, nämlich dass unsere Gedanken sich auf etwas in der Wirklichkeit beziehen. Zugleich zieht sie damit Folgeprobleme wie das des Außenweltskeptizismus und des Fremdpsychischen nach sich, die sich ohne die RTG als Scheinprobleme herausstellen.

Michael Esfeld und Michael Sollberger: Ob ein Glaubenszustand die physikalische Welt korrekt repräsentiert oder nicht (wahr oder falsch ist), kann man dem Glaubenszu-stand als solchem selbst nicht ansehen, sei-nen Inhalt (was er besagt, seine Bedeutung) kann man ihm aber ansehen. Dieses ist ein gewichtiger Grund dafür, den Inhalt des Glaubenszustandes so zu konzipieren, dass er unabhängig von dessen Wahrheit oder Falschheit ist: ein korrekt und ein inkorrekt repräsentierender Glaubenszustand desselben Typs haben den gleichen Inhalt. Die Stärke des repräsentationalen Realismus ist, dieser Überlegung Rechnung zu tragen. Gemäß die-ser Position ist der begriffliche Inhalt des Glaubenszustands eine mentale Repräsenta-tion. Diese Repräsentation besteht unabhängig davon ob, der Glaubenszustand wahr oder falsch ist. Diese Repräsentation ist ein epistemisches Bindeglied, das im Falle eines wahren Glaubenszustandes zwischen den Glaubenszustand und seinen Bezugsgegenstand in der Welt tritt; im Falle eines in der Weise falschen Glaubenszustandes, dass ein Bezugsgegenstand in der Welt fehlt, gibt es dennoch diese Repräsentation, welche dann der Gegenstand des Glaubenszustandes ist. Da man dem Glaubenszustand als solchem selbst nicht ansehen kann, ob er wahr oder falsch ist, ist der repräsentationale Realismus um der Kohärenz der Position willen dann darauf festgelegt zu vertreten, dass in jedem Fall eine mentale Repräsentation der unmittelbare Gegenstand des Glaubenszustandes ist. Etwas in der physikalischen Welt kann nur indirekt, vermittelt durch die mentale Repräsentation, Gegenstand des Glaubenszu-standes sein. Hier liegt die Schwäche des repräsentationalen Realismus: die Repräsentation als epistemisches Bindeglied schiebt sich wie ein Schleier zwischen den Glaubenszustand und sein Objekt in der Welt, sie wird verdinglicht zum unmittelbaren Bezugsgegenstand des Glaubenszustandes. Diese Position führt dann zu irreführenden Vorstellungen wie der, dass der Bereich der phänomenalen Erfah-rung und der Bereich der physikalischen Wirklichkeit zwei verschiedene Bereiche sind, und sie führt zum Problem des Skeptizismus: Wir können keine rechtfertigbaren empirischen Aussagen tätigen, die auf Be-zugsgegenstände referieren, die per definiti-onem außerhalb des Bereichs unserer phänomenalen Erscheinungen liegen sollen. Der repräsentationale Realismus führt sich somit selbst ad absurdum: Die These von vermit-telnden mentalen Repräsentationen impliziert die These des physikalischen Realismus. In der Folge stellt sich nun aber heraus, dass der physikalische Realismus nicht gerechtfertigt werden kann. Folglich muss auch die These der mentalen Repräsentationen aufgegeben werden. Neuerdings wird die Position vertreten, dass sich Glaubenszustände unmittelbar auf etwas in der Welt beziehen (direkter Realismus). Wie soll man sich das vorstellen und inwie-fern ist diese These dem repräsentationalen Realismus überlegen? Volker Gadenne: Von einem „direktem Re-alismus“ bzw. von „direkter Wahrnehmung“ wird heute meist in Anlehnung an Arbeiten von McDowell und Putnam aus dem Jahr 1994 gesprochen. Im Kern geht es dabei dar-um, den Standpunkt zurückzuweisen, unseren kognitiven Zustände seien von den Ge-genständen der Außenwelt grundsätzlich getrennt und nicht einmal unsere Wahrneh-mungszustände würden „bis zu den Objekten hin reichen“. Für diese Sichtweise wird der Repräsentationalismus sowie der naturalistische (szientistische) Denkansatz in der Kog-nitionswissenschaft verantwortlich gemacht. Der direkte Realismus weist Letztere zurück und verteidigt die Annahme des Common Sense, wonach wir in der Wahrnehmung unmittelbaren Zugang zu den realen Objekten haben. Meines Erachtens kann ein direkter Realis-mus nicht überzeugen, wenn er sich gegen das stellt, was die empirische Wahrneh-mungsforschung lehrt. Nach dieser hängt das Ergebnis eines Wahrnehmungsprozesses nicht nur von der empfangenen sensorischen Information ab, sondern von vielen weiteren Faktoren, unter anderem von Gedächtnisinhalten und Erwartungen. In diesem Sinne ist Wahrnehmung eher indirekt und konstruktiv, als direkt (wobei dies ohnehin nur Metaphern sind). Das Bild einer direkten Beziehung drückt aber etwas Richtiges aus, wenn es so ver-standen wird: Erkenntnis erfordert die Annahme, dass uns die realen Gegenstände be-kannt werden, dass wir zu ihnen in einer Be-ziehung des geistigen Erfassens stehen (Ad-dis, Tegtmeier). Eben dies ist mit der intentionalen Beziehung gemeint. Wären die Ge-genstände des Wahrnehmens und Denkens nur die Inhalte des Geistes, dann könnte von einer Erkenntnis der realen Welt nicht die Rede sein. Es würde auch nicht genügen, mentale Repräsentationen zu haben, die den Tatsachen in der Welt exakt gleichen, denn dies wäre immer noch mit der Möglichkeit vereinbar, dass wir von der Existenz dieser realen Welt gar nichts wüssten. Es wäre nun aber verfehlt, diese Auffassung als Alternative zu einer kausalen/physiologischen Analyse der Wahrnehmung anzusehen. Die Philosophie kann nicht einfach ignorieren, dass das Zustandekommen einer Wahrnehmung einen kausalen Einfluss des Gegenstandes auf die Sinnesrezeptoren so-wie gewisse Gehirnprozesse erfordert. Diese Fakten stehen mit einer Beschreibung der Wahrnehmung in intentionalen Begriffen aber auch nicht in Widerspruch. Es ist viel-mehr anzunehmen, dass die kausalen/physio¬logischen Prozesse erforderlich sind, damit es zu der intentionalen Beziehung zum Wahrnehmungsgegenstand kommen kann. Der mentale Zustand des Wahrnehmens ein-schließlich der intentionalen Beziehung zum Gegenstand sind vermutlich supervenient in Bezug auf diese physiologischen Sachverhalte – was nicht notwendigerweise bedeutet, dass Erstere auf Letztere reduziert werden können.

Marcus Willaschek: Es ist wichtig, sich in diesem Zusammenhang klarzumachen, dass es hier nicht darum geht, eine explanatori-sche Theorie dafür anzubieten, wie unsere Überzeugungen sich unmittelbar auf eine von ihnen unabhängige Realität beziehen können. Es geht vielmehr darum, einen Begriff des Geistes zu rehabilitieren, der die Suche nach einer solchen Theorie überflüssig macht, weil Denken, Wahrnehmen, Überzeugungen zu haben von vornherein als un-mittelbarer kognitiver Kontakt mit der Realität verstanden werden können. Dies ist möglich, wenn man zugesteht, dass wahre und falsche Überzeugungen sich in unterschiedlicher Weise auf die Realität beziehen: Die wahre Überzeugung, dass es regnet, bezieht sich dadurch auf die Wirklichkeit, dass sie wahr ist, weil es regnet; ist die Überzeugung, dass es regnet, falsch, so bezieht sie sich da-durch auf die Wirklichkeit, dass sie falsch ist, weil es nicht regnet. Das bezeichne ich als disjunktive Konzeption des Weltbezugs von Überzeugungen: Eine Überzeugung, dass p, bezieht sich entweder dadurch auf die Wirklichkeit, dass sie wahr ist, weil p wirk-lich der Fall ist, oder dadurch, dass sie falsch ist, weil es nicht der Fall ist, dass p. Anders gesagt: Überzeugungen beziehen sich unmittelbar auf die Wirklichkeit, weil ihre Wahr-heit oder Falschheit unmittelbar davon abhängt, wie es sich in Wirklichkeit verhält. Dabei handelt es sich nicht um eine an-spruchsvolle metaphysische These, sondern um eine Trivialität: Überzeugungen sind Einstellungen zur Wirklichkeit; ihr Wirk-lichkeitsbezug ist unmittelbar, weil ihre Wahrheit oder Falschheit unmittelbar von der Wirklichkeit abhängt. Wenn wir uns von einer cartesischen Konzeption des Geistes befreien und nicht unterstellen, dass wahre und falsche Gedanken sich in derselben Wei-se auf die Welt beziehen müssen, dann reicht der triviale begriffliche Zusammenhang zwischen Wahrheit und Wirklichkeit aus, um verständlich zu machen, wie unsere Gedanken sich unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen können. Das schließt nicht aus, dass der Zusammenhang zwischen Denken und Gegenstand in kausaler Hinsicht vielfach vermittelt ist: Ich kann nicht glauben, dass es regnet, ohne dass dabei Gehirnzustände eine Rolle spielen, die man aus kognitionswissen-schaftlicher Sicht als Repräsentationen bezeichnen kann. Doch diese „Repräsentatio-nen“ sind nicht der unmittelbare Inhalt meiner Gedanken; tatsächlich muss ich über die Vorgänge in meinem Gehirn nichts wissen, um zu glauben, dass es regnet. Dazu ist nur eines erforderlich: eine Überzeugung, die entweder wahr ist, weil es regnet, oder falsch, weil es nicht regnet. Genau dann glaube ich, dass es regnet. Das ist keine wis-senschaftliche oder philosophische „Theo-rie“, die erklärt, wie meine Gedanken eine von ihnen unabhängige Welt erreichen kön-nen, sondern eine Erinnerung daran, dass ein Gedanke, sofern er wahr oder falsch ist, sich immer schon und zwar unmittelbar auf die Welt bezieht. Die Aufgabe, diesen Weltbezug durch vermittelnde Repräsentationen zu erklären, stellt sich nur vor dem Hintergrund eines falschen Bildes des menschlichen Geistes.

 Michael Esfeld und Michael Sollberger: Diese These ist dem repräsentationalen Realismus dann nicht überlegen, wenn sie im disjunktiven Sinne ausgeführt wird, das heißt, bestritten wird, dass wahre und falsche Glaubenszustände desselben Typs einen gemeinsamen begrifflichen Inhalt haben. Der direkte Realismus ist dem repräsentationalen Realismus dann überlegen, wenn es gelingt, diese Position so auszuführen, dass man beiden Einsichten Rechnung trägt: der Einsicht, dass sich unsere Glaubenszustände unmittelbar auf die physikalische Welt beziehen und der Einsicht, dass wahre und falsche Glaubenszustände desselben Typs den gleichen begrifflichen Inhalt haben. Wenn man diesen beiden Einsichten Rechnung tragen möchte, kann man den begrifflichen Inhalt eines Glaubenszustands nicht an seinen Bezugsge-genstand binden. Was den begrifflichen In-halt betrifft, ist eine inferentielle Semantik plausibel, gemäß welcher der begriffliche Inhalt eines Glaubenszustands in bestimmten inferentiellen Beziehungen zu Glaubenszuständen anderer Typen besteht (semantischer Holismus); diese Beziehungen können sozial konstituiert sein (sozialer Holismus bzw. Ex-ternalismus). Diese Beziehungen sind dieselben, unabhängig davon, ob der Glaubenszustand im jeweiligen Fall wahr oder falsch ist. Sie sind keine Repräsentationen im Sinne eines epistemischen Bindegliedes und nicht Gegenstand des Glaubenszustands. Die inferentiellen Beziehungen sind natürlich nicht hinreichend, um uns etwas in der physikalischen Welt als den unmittelbaren Bezugsge-genstand des Glaubenszustandes zu geben. Dazu muss die inferentielle Semantik um eine Wahrnehmungstheorie ergänzt werden. Das heißt, der direkte Realismus in Bezug auf Glaubenszustände setzt einen direkten Realismus in Bezug auf Wahrnehmungen voraus. Hinsichtlich der Wahrnehmung ist es notwendig, den direkten Realismus so zu konzipieren, dass veridische und illusorische Wahrnehmungen denselben Typ von phäno-menalem Gehalt besitzen können, ohne aber deshalb denselben Typ von perzeptuellem Inhalt haben zu müssen. Der phänomenale Gehalt wird eng individuiert, so dass er nicht essentiell von der aktuellen Existenz physikalischer Objekte konstituiert wird. Dies darf jedoch nicht in einen Internalismus in Bezug auf perzeptuellen Gehalt münden: perzep-tuelle Erfahrungen dürfen nicht intrinsisch von physikalischen Objekten unabhängig sein, sondern müssen extrinsisch individuiert werden. Dieser Externalismus erlaubt es dem direkten Realismus, phänomenale Eigenschaften mit physikalischen Eigenschaften zu identifizieren. Diesen Anforderungen kann eine intentionale Theorie der Wahrnehmung gerecht werden, der gemäß wir in der Wahrnehmung physika-lische Eigenschaften sensorisch repräsentie-ren, die im Falle einer veridischen Wahrnehmung vom Objekt instanziiert werden, im Falle einer illusorischen Wahrnehmung jedoch nicht instanziiert sind. Der qualitative Gehalt der perzeptuellen Erfahrung wird al-leine durch die Repräsentation eines Clusters von physikalischen Eigenschaften bestimmt. Daraus folgt, dass der trennende Faktor zwi-schen veridischen und illusorischen Wahr-nehmungen die Relation der Instanziierung ist: illusorische Wahrnehmung ist gleichbe-deutend mit veridischer Wahrnehmung minus die Relation der Instanziierung von physikalischen Eigenschaften durch Objekte. Folglich sind Wahrnehmungszustände nicht intrinsisch von physikalischen Objekten unabhängig, wenn auch das aktuelle Vor-kommnis eines solchen mentalen Typs keine hinreichende Bedingung für die aktuelle Existenz des repräsentierten Gegenstandes ist. Ein so konzipierter direkter Realismus ist dem repräsentationalen Realismus überlegen, weil er unsere intuitiven Überzeugungen bezüglich der Wahrnehmung adäquat widerspiegelt. So integriert er nicht nur die These, dass veridische Wahrnehmungen und Illusionen Zustände vom selben mentalen Typ sind, sondern auch die phänomenologische Evidenz, dass Erfahrung transparent ist, ohne dabei ontologisch dubiose perzeptuelle und epistemische Bindeglieder zwischen dem Wahrnehmungssubjekt und der physikalischen Umwelt einzuführen.

Richard Schantz: Die gravierenden Schwierigkeiten des Repräsentationalen Realismus und des Phänomenalismus waren für viele Philosophen der Beweggrund, die zentrale These dieser beiden Theorien über Bord zu werfen, die These, dass wir immer nur Sinnesdaten direkt wahrnehmen. Sie entschieden sich im Gegenzug für eine Spielart des Direkten Realismus. Diese Auffassung ist eine Form von Realismus, weil ihr zufolge physische Gegenstände unabhängig davon existieren, dass sie wahrgenommen werden. Und sie ist eine direkte Form des Realismus, weil sie behauptet, dass wir gewöhnlich physische Gegenstände direkt oder unmittelbar wahrnehmen, ohne die epistemische Vermittlung von besonderen mentalen Bindeglie-dern. Wir brauchen unser Wissen von der Außenwelt nicht durch problematische Schlüsse aus einer rein subjektiven Basis herzuleiten. Eine Version des Direkten Realismus ist Do-nald Davidsons Kohärentismus. Davidson befürwortet im Wesentlichen einen kohären-tistischen Zugang zu Wissen und epistemischer Rechtfertigung und bestreitet demnach hartnäckig, dass das, was sich an unseren Sinnesorganen abspielt, irgendetwas mit Rechtfertigung oder Evidenz zu tun hat. Er behauptet, dass der Empirismus aufgegeben werden muss, weil sein Leitgedanke, dass Wissen und Bedeutung auf einer sinnlichen Evidenzquelle beruhen, nicht aufrechterhal-ten werden kann. Die verschiedenen Versu-che des erkenntnistheoretischen Fundamentalismus, eine epistemische Basis für Rechtfertigung und Wissen außerhalb unserer Überzeugungen zu finden, in anderen Wor-ten, Rechtfertigung letztlich auf das Zeugnis der Sinne zu gründen, hält er alle für vergeblich. Die Idee, dass Rechtfertigung etwas anderes als eine Beziehung einzig und allein zwischen Überzeugungen sein könnte, beruht laut Davidson auf einer Verwechslung von Rechtfertigung und Kausalität. Erfahrungen spielen eine kausale Rolle; sie sind kausale Vermittler zwischen äußeren Gegenständen und Ereignissen und unseren Meinungen über sie. Aber die Dimension der sinnlichen Erfahrung ist in Davidsons Kohärentismus epistemisch irrelevant. Eine Erfahrung kann nicht als Grund für eine Überzeugung fungieren und hat mithin keinen Einfluss auf die Frage, ob eine Überzeugung gerechtfertigt ist oder nicht. Rechtfertigung ist für ihn ausschließlich eine logische Angelegenheit. Einer Erfahrung eine epistemische Rolle zu-zuschreiben, kann laut Davidson nur heißen, sie als epistemischen Vermittler zwischen unseren Überzeugungen und der objektiven Realität aufzufassen. Und er ist fest davon überzeugt, dass eine solche Sichtweise zum Skeptizismus führen muss, weil wir nicht si-cher sein können, dass solche Vermittler uns verlässliche Informationen über die Welt verschaffen. John McDowell hat jüngst den Einwand er-hoben, dass Davidsons kohärentistische Posi-tion, da sie nur kausale Beziehungen zwi-schen unserem Denken und unseren Erfahrungen erlaubt, den Bezug unseres Denkens auf die objektive Realität zu verlieren droht. In Davidsons Bild werden laut McDowell „rationale Einschränkungen“ von der Welt her auf das sich entwickelnde Netz unserer Überzeugungen preisgegeben. Die Tätigkeit des Rechtfertigens empirischer Überzeugungen ist kein selbständiges, in sich geschlossenes Spiel, sondern muss dem Zeugnis der Sinne verantwortlich sein. Wenn wir verstehen wollen, wie der Gebrauch von Begriffen zu gerechtfertigten empirischen Überzeu-gungen über die äußere Realität führen soll, dann müssen wir laut McDowell rationale Beziehungen zwischen Erfahrungen und Überzeugungen anerkennen, das heißt, wir müssen Raum schaffen für die Idee, dass un-sere Erfahrungen in Rechtfertigungsbezie-hungen zu unseren Überzeugungen stehen können, dass Erfahrungen als Gründe und nicht nur als Ursachen für Überzeugungen dienen können. McDowell hegt die Befürchtung, dass Da-vidsons Standpunkt, da er die epistemische Relevanz der Erfahrung leugnet, einen Rückfall in den von Wilfrid Sellars so bezeichne-ten „Mythos des Gegebenen“ hervorrufen wird. Sellars beharrt in seiner klassischen Kritik am Gegebenen darauf, dass epistemi-sche Begriffe normative Begriffe sind, Begriffe, die für den logischen Raum der Gründe konstitutiv sind, und dass folglich die Erkenntnistheorie nicht dem naturalistischen Fehlschluss anheim fallen darf, die Ordnung der Natur mit dem Bereich des Normativen zu verwechseln. Der Mythos des Gegebenen begeht den naturalistischen Fehlschluss, denn er verkörpert die Ansicht, dass der Raum der Gründe und Rechtfertigungen sich in dem Sinn weiter erstreckt als der Raum der Begriffe, dass rohe, nichtbegriffliche Ge-gebenheiten das Fundament unserer empiri-schen Überzeugungen bilden sollen. Die zugrunde liegende Idee ist, dass wir durch Bezugnahme auf ein gegebenes Element – etwas, das wir in der Erfahrung ohne Beteili-gung der Spontaneität einfach empfangen – die erforderliche rationale Einschränkung von außerhalb des Bereichs unseres Denkens und Urteilens sicherstellen können. McDowell teilt Davidsons Ansicht, dass der Mythos des Gegebenen unhaltbar ist, weil wir die Beziehungen, aufgrund deren eine Überzeugung gerechtfertigt ist, nur als Be-ziehungen zwischen begrifflich organisierten Entitäten verstehen können. Sie halten den Versuch, den Raum der Gründe so weit auszudehnen, dass er nichtbegriffliche Entitäten einschließt, für aussichtslos. Alle echten Gründe müssen, so insistiert McDowell, we-nigstens minimal artikulierbar sein. Wenn Erfahrungen als nichtbegrifflich verstanden werden, dann können sie keine rationale Ba-sis, keine Quelle der Rechtfertigung, für un-sere Überzeugungen sein. Rohe Sinnesein-drücke können nicht als Tribunal der Erfah-rung fungieren. Soweit stimmt McDowell mit Davidson überein. Aber er kann Davidsons uneingeschränkten Kohärentismus nicht akzeptieren. Um dem ständigen Schwanken zwischen dem Kohärentismus einerseits und dem My-thos des Gegebenen andererseits zu ent-kommen, ist McDowell bestrebt, eine neue Konzeption der Erfahrung zu entwickeln, deren wesentlicher Vorzug darin bestehen soll, dass sie als einzige einen rationalen Zusammenhang zwischen Erfahrung und Denken, zwischen Sinnlichkeit und Verstand, einräumen kann. Ihre zentrale Idee ist, dass Erfahrungen passive Zustände sind, Produkte der Rezeptivität, und gleichwohl schon begrifflichen Inhalt besitzen. Es verhält sich nicht so, dass Begriffe erst in Überzeugungen ins Spiel kommen, die auf der Erfahrung beruhen; sie sind schon in den Erfahrungen selbst am Werk. Unsere Erfahrungen repräsentieren die Dinge als soundso. In einer nichttrügerischen Erfahrung werden wir gewahr, dass die Dinge soundso sind. Dass die Dinge so-undso sind, ist der begriffliche Inhalt einer Erfahrung. Ein Wahrnehmungsurteil akzep-tiert einfach den begrifflichen Inhalt, den die Erfahrung schon besitzt. Wie uns die Dinge erscheinen, ist nicht unter unserer Kontrolle, aber es ist an uns, zu entscheiden, ob wir glauben sollen oder nicht, dass die Dinge so sind, wie sie die Erscheinungen repräsentieren.] Erfahrungen sind also McDowell zufol-ge begrifflich und propositional, aber nicht-doxastisch. Erfahrungen sollen es der unabhängigen Realität selbst ermöglichen, einen rationalen Einfluss auf das sich entwickelnde Netz unserer Überzeugungen auszuüben. Auf diese Weise hofft er verständlich zu machen, wie Erfahrungen in rationalen, und nicht bloß in kausalen, Beziehungen zu Überzeugungen stehen können. Sicherlich ist McDowells Sichtweise, weil sie die epistemische Signifikanz der sinnlichen Erfahrung anerkennt, Davidsons Kohärentismus vorzuziehen. Aber ich glaube, wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Ich selbst verteidige eine Version der Auffassung, die McDowell als einen Mythos brandmarkt, der Auffassung, dass es ein gegebenes Element in der Erfahrung gibt, das unabhängig vom Denken ist und das einen charakteristischen nichtpropositionalen und sogar nichtbegrifflichen Inhalt besitzt. Das Gegebene ist kein Mythos, sondern vielmehr geeignet, eine wichtige evidentielle Rolle zu spielen. Die sinnliche Erfahrung ist wesentlich nicht-doxastisch. Für unser sinnliches Bewusstsein sind keine Überzeugungen erforderlich. Alles, was für meine Wahrnehmung eines Gegenstandes notwendig ist, ist, dass er mir phänomenal in einer gewissen Weise erscheint. Solche nichtbegrifflichen sinnlichen Erfahrungen besitzen keine Rechtfertigung; sie sind keine Entitäten, die für eine Rechtfertigung auch nur empfänglich sind. Und doch sind sie meines Erachtens in der Lage, unseren empirischen Überzeugungen Rechtfertigung zu verleihen. Wenn mir unter normalen Bedingungen ein Gegenstand rot erscheint, bin ich dann nicht mehr gerechtfertigt zu glauben, dass er rot ist, als dass er blau oder gelb ist? Ich glaube schon. Es ist plausibel zu sagen, dass ich in der Weise, in der der Gegenstand für mich aussieht, einen Grund für die Überzeugung habe, dass er rot ist. Wenn ich sage, dass ein Subjekt S in der Weise, in der ihm ein Gegenstand x erscheint, einen Grund für die Überzeugung hat, dass x F ist, dann will ich damit nicht behaupten, dass S durch einen Prozess des Schließens oder Ableitens zu seiner Überzeugung gelangt sein muss. S muss nicht die Weise, in der ihm x erscheint, als einen Grund, als eine Prämisse für den Schluss, dass x F ist, benutzen. Kein bewuss-ter diskursiver Prozess braucht zwischen dem Umstand, dass x F für S erscheint, und der daraus hervorgehenden Überzeugung, dass x F ist, zu vermitteln. Die resultierende Überzeugung zeichnet sich vielmehr durch ihre psychische Unmittelbarkeit aus. Für die Rechtfertigung unserer gewöhnlichen Wahrnehmungsüberzeugungen ist es nicht erforderlich, dass wir glauben, dass uns die Dinge soundso erscheinen. Es sind die Erfahrungen selbst, die Weisen, in denen uns die Dinge erscheinen, nicht unsere Überzeugungen über sie, von der die Rechtfertigung abhängig ist. Wir haben selten Überzeugungen über phänomenale Erscheinungen. Unsere Wahrnehmungsüberzeugungen beziehen sich gewöhnlich auf äußere Gegenstände und Er-eignisse - nicht auf innere, sinnliche Reprä-sentationen von ihnen. Deshalb ist die Position, die ich verteidige, eine Form von Direk-tem Realismus. Wir erwerben durch die Sinne normalerweise direktes Wissen über phy-sische Gegenstände und Ereignisse. Der Erwerb dieses Wissen ist direkt, weil er nicht auf anderem Wissen oder anderen Überzeugungen beruht.

 UNSERE DISKUSSIONSTEILNEHMER: Michael Esfeld ist Professor für Philoso-phie und Michael Sollberger Wissenschaft-licher Mitarbeiter an der Universität Lausanne, Volker Gadenne ist Professor für Philosophie an der Universität Linz, Marcus Willaschek Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt, Richard Schantz Professor für Philosophie an der Universität Siegen. Die Fragen wurden den Teilnehmern per e-mail gestellt. Die Antworten der jeweils anderen lagen ihnen bei ihrer Antwort nicht vor.