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Allgemeine Zeitschrift für Philosophie

ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT
FÜR PHILOSOPHIE
3/2006

Theo Kobusch beklagt sich in seinem „Nachdenken über die Menschenwürde“ über die Versuche, das unliebsame Erbe insbesondere metaphysischer Begriffe loszuwerden und hat dabei die Begriffe „Person“ und „Menschenwürde“ im Auge. Zwar hätten die Kritiker die hoffnungslose Verstricktheit des Personenbegriffs in metaphysische Geschichten erkannt und forderten deswegen seine Abschaffung – als sei es Sache der Philosophie, die Purifizierung der Sprache durch eine Abschaffung der Begriffe zu bewerkstelligen. Ein ähnliches Schicksal ereile zur Zeit den Begriff der Menschenwürde. Er werde als „Leerformel“ oder „Worthülse“ angesehen, die mit beliebigen „höchstpersönlichen Wertvorstellungen“ (Birnbacher) angefüllt werden könne. Doch das Gegenteil sei der Fall: Der Begriff der Menschenwürde sei so reich an Bedeutungen und mit so vielen auch metaphysischen Implikationen ausgestattet, dass er Gefahr laufe, nicht mehr verstanden zu werden.
Eine besonders unter denjenigen Antimetaphysikern, die vor der Metaphysik wie vor einem Pestbehafteten fliehen, verbreitete Auffassung anthropologisiert den Begriff der Menschenwürde und versteht ihn als „Gestaltungsauftrag“. Für Kobusch ist dies eine unzulässige Reduzierung des Würdebegriffs von seiner ursprünglichen Bedeutung. Dieser ist seines ursprünglichen absoluten Charakters beraubt und damit auch der unbedingten Forderung der Achtung der Menschenwürde theoretisch der Boden entzogen. Die Menschenwürde ist so zu einem Gut unter Gütern geworden.
Problematisch ist für Kobusch insbesondere die Unterscheidung zwischen „Würde des menschlichen Lebens“ als ein Abwägbares und so prinzipiell Verfügbares und einer grundrechtlich geschützten „unantastbaren“ personalen Menschenwürde. Damit wird die Bedeutung des Begriffes Menschenwürde auf jenes Minimum beschränkt, wodurch der Mensch als Mensch konstituiert ist. Dabei beruht noch bei Kant das oberste praktische Prinzip auf dem metaphysischen Grundsatz von der Person als einem mit Würde ausgestatteten Wesen. Deswegen ist auch die Formulierung des praktischen Prinzips, die sich aufgrund der Idee des Menschen als eines Zwecks an sich, nicht bloß formal, sondern mit dem Zentralbegriff der traditionellen Metaphysik des Moralischen, der Person, angefüllt – eine Brisanz, die die KantForschung, so Kobusch, noch nicht erkannt hat.

Tim Henning versucht einen Ausweg aus der „Klemme“ der kritischen Theorie, nämlich deren Konflikt zwischen normativen Voraussetzungen und ideologiekritischer Kritik: Zum einen setzt die Kritik an repressiven Lebensbedingungen und ihrer Verschleierung Rationalität und ethische Ideale voraus, zum anderen schränkt man die Kritik in fragwürdiger Weise ein, wenn man seine Vernunft und ihre Normen von ihr ausnimmt. Henning untersucht (in einem schwierigen Text) die logische Struktur dieser „Klemme“ und entwirft eine „nichtreduktive“ kritische Theorie, die Ideologiekritik und politische Evaluation in differenzierter Form betreiben will.

1/2007

Abraham Olivier geht der Frage, „Wie können wir Schmerz physiologisch definieren, ohne dass wir seine psychischen Dimensionen verkennen?“ nach und kommt zum Schluss: „Schmerz ist gestörte körperliche Wahrnehmung, sofern uns etwas weh tut, peinigt oder quält“. Volker Gerhardt stellt ausführlich die 2003 erschienene Monographie Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie von Josef Simon, die zu Unrecht (bislang) im deutschen Sprachraum keine Beachtung gefunden hat, vor. Des weiteren verteidigt Bors Hennig die These von Marianne Schark, dass das Leben keine Eigenschaft ist, sondern eine Weise zu sein, und Matthias Perkhams stellt die philosophischen Kommentare aus der Antike vor.

3/2007

Für frühe Phänomenologen wie Franz Brentano waren körperliche Empfindungen paradigmatische intentionale Zustände. Später erklärten analytische Philosophen diese unisono für nichtintentional – so etwa bei Tim Crane. Erst seit den letzten Jahren besteht eine Tendenz zur Rückkehr zu intentionalistischen Positionen. Jan Slaby vom Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück plädiert dafür, die Intentionalität der körperlichen Empfindung als körperliche Selbstwahrnehmung festzumachen. Die Empfindungen existieren nicht in der Ortlosigkeit des „reinen Bewusstseins“, sondern sind meistens an einer bestimmten Position im oder am Körper lokalisiert. Die Grundidee von Slabys Wahrnehmungstheorie des körperlichen Empfindens ist, dass diese Empfindungen verschiedene Weisen des Gewahrseins des spürbaren Körpers sind.

Das Selbstverständnis einer Person hat einen „Ableger“, der den Körper und die körperlichen Vorgänger und das darauf fußende, allgemeine körperliche Befinden betrifft. Jede Person verfügt über ein Verständnis des eigenen Körpers und der körperlichen Prozesse aus der Innenperspektive (ein Verständnis, das sich trainieren lässt, so dass manche Personen ihren Körper deutlich besser kennen als andere). Das betrifft insbesondere auch Schmerzen: Schmerzen fokussieren unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperteile. Wenn ein Schmerz andauert, immer wieder in bestimmten Situationen auftaucht und weitere affektive Zustände (Frustration, Besorgnis) nach sich zieht, erschließt uns dieser Schmerz einen körperlichen Vorgang als bedeutsam in einem robusten Sinn. Das gilt für alle affektiven Zustände: Nur wenn es sich um dauerhafte und systematisch eingebundene Zustände handelt, können sie als auf etwas genuin Bedeutsames bezogen betrachtet werden. Dies verweist auf die Abhängigkeit des Empfindungsgehaltes von Kontextfaktoren. Die grundlegende Natur einer Empfindung, so Slaby, hängt vom jeweiligen Hintergrundverständnis der Person ab. Seine These: Hedonisch qualifizierte Empfindungen wie Schmerzen oder Lustzustände unterscheiden sich von anderen affektiven Zuständen durch ihre direktere Beteiligung am Zustandekommen der Grunddimensionen des allgemeinen Wohlbefindens einer Person.
Burkhard Liebsch schlägt vor, die Rede von der menschlichen Person und ihrer Würde als nachträgliche Antwort auf ihre äußerste Infragestellung zu begreifen, wobei er vom Phänomen der menschlichen Verletzbarkeit ausgeht. Dieses gehört einerseits unvermeidlich zur Existenz leibhaftiger Subjekte, stellt andererseits aber auch das Einfallstor einer bewusst zugefügten Gewalt dar. Das Heft enthält weiter u. a. den zweiten Teil des Berichtes über philosophische Kommentare im Mittelalter.

1/2008


Bislang wurde die „Allgemeine Zeitschrift für Philosophie“ im Auftrag der „Deutschen Gesellschaft für Philosophie“ herausgegeben. Die Gesellschaft bestimmte den Herausgeber und. auf Vorschlag des Herausgebers, den Wissenschaftlichen Beirat. Das ist nun, wie der Herausgeber, Tilman Borsche, im Editorial mitteilt, nicht mehr lange der Fall: auf den 1. Januar 2009 wird die AZhPh gewissermaßen eigenständig. Wer zukünftig den Herausgeber bestimmt und wer dann der eigentliche Besitzer ist, dazu macht Borsche keine Angaben.
Im Zentrum der Nummer steht die „akrasia“, die Willensschwäche. Diese stellt für eine Theorie menschlichen Handelns ein Problem dar, widerspricht sie doch der Annahme, dass Menschen regelmäßig das tun, was sie für das Beste in der jeweiligen Situation halten. Seit der Antike haben viele Philosophen, die eine solche Verbindung zwischen Handlungen und rationalen Gründen annahmen, eine theoretische Erklärung für die Fälle gesucht, in denen jemand den Gründen zuwider handelt, die er für entscheidend hält. Dabei sind grundsätzlich zwei Ansichten möglich: Entweder man bestreitet, dass es überhaupt ein Handeln wider bessere Einsicht in diesem Sinne gibt oder man sucht nach einer Beschreibung, durch die willensschwaches Handeln auf eine mit der Theorie vereinbare Weise erklärt werden kann. Davidson hat den zweiten Weg gewählt. Matthias Perkams zeigt, wie er das macht und verteidigt Davidsons Lösung. Andreas Maier zeigt anhand des Klassikers zum Thema, Aristoteles, dass die Frage, ob Willensschwäche nur eine Selbsttäuschung von Akteuren oder tatsächlich möglich ist, von verschiedenen Hintergrundannahmen (er nennt das Wesen praktischer Rationalität, Vorstellungen vom guten Leben und das Verhältnis von Vernunft und Begehrungsvermögen) abhängt, deren Zusammenhang mit dem eigentlichen Phänomen nicht offensichtlich ist.
Stephan Schmidt stellt das von Mou Zongsan (19091995) entwickelte System konfuzianischer Philosophie vor, das aus der Übersetzung kantischer Terminologie hervorgegangen ist. Ferner enthält das Heft den dritten Teil des Berichtes über „Philosophische Kommentare im Mittelalter“.

2/2008

Oliver Hallich greift auf die berühmtberüchtigte SingerDebatte zurück, um die Frage zu untersuchen, ob sich Diskussionsbeschränkungen in der Bioethik rechtfertigen lassen. Die moralische Schlechtigkeit der Handlungsweise, zugunsten derer ein Redner plädiert, begründet nicht die Schlechtigkeit der Duldung der Äußerung, in der diese Handlungsweise gutgeheißen wird, sondern nur die Schlechtigkeit dieser Handlungsweise selbst. Die moralische Einstufung einer Handlungsweise als schlecht oder verwerflich stellt keinen Grund dar, die Äußerung zugunsten dieser Handlungsweise zu verhindern.

Hallich plädiert also dafür, das Problem der Redefreiheit konsequent von inhaltlichen bioethischen Fragen abzukoppeln. Dann geht es nicht mehr um die Einstufung der in einer bioethischen Äußerung artikulierten moralischen Ansicht, sondern um die Bewertung dieser Äußerung als einer sprachlichen Handlung. Verbale Handlungen können Schaden hervorrufen, und die Verhinderung dieses zu erwartenden Schadens kann eine Einschränkung der Redefreiheit rechtfertigen. Die Gründe, die eine Sanktionierung einer verbalen Handlung oder den Versuch, diese Handlung im Vorfeld zu verhindern, rechtfertigen können, sind konsequentialistischer Natur; sie beziehen sich auf die möglichen Folgen, die durch verbale Handlungen der fraglichen Art hervorgerufen werden können.

Wolfgang Kienzler, eigentlich als Wittgenstein-Kenner bekannt geworden, schreibt über Heideggers Umgang mit Worten. Im Feldweg gebraucht Heidegger das Wort „Kuinzige“ für die „wissende Heiterkeit, deren Miene oft schwermütig scheint“. Im Schwäbischen Wörterbuch findet sich das Wort „kuinzig“ und wird dort u. a. als in einem ironischen Sinn „neckisch, mutwillig, spaßhaft“ gedeutet. Ein Wort spielerisch weiterzuentwickeln, das tut Heidegger auch in einzelnen Fragmenten der Vorsokratiker. Es entspricht seiner grundsätzlichen philosophischen Haltung zur Sprache: er betrachtet sie als einen Vorrat von Namen, von denen viele für seine Zwecke unbrauchbar sind, andere aber (aus jeweils nicht erläuterten Gründen) genau das Wesentliche treffen.

Weitere Artikel: Schönrich, G.: Optionen einer philosophischen Werttheorie; Ziermann, C.: Mythos und Metaphysik bei Platon; Luutz, W.: Warum Macht eine immanente soziale Angelegenheit ist. 

3/2008

 

Welchen Einfluss hat die Sprache, die wir sprechen, für die Philosophie, die in ihr,  aus ihr, mit ihrer Hilfe Gedanken formuliert? Für Tilman Borsche artikuliert sich bestimmtes und damit philosophisches Denken ursprünglich nur durch eine und in einer Sprache. Die Sprache ist älter als das philosophische Denken, letzteres ist in ihr und aus ihr und mit ihrer Hilfe im 5. Jahrhundert v.Ch. im griechischen Kulturraum durch Abstraktion aus der Sprache entstanden. Das Universum des Denkens blieb in der Folge europäisch, die Verschiedenheit der Sprachen lud zu einem Wettbewerb ein, der von außen lange nicht gestört wurde. Dieses Denken zeichnet sich dadurch aus, dass es auf Übergänge des begriffsbestimmten Denkens in begriffsverwendende Wissenschaften hinarbeitet. Dabei werden Sprachzeichen nicht einfach verwendet, sondern es wird mit ihnen experimentiert, Philosophieren wird so zur Sprachkritik.

 

Für alles Philosophieren ist es deshalb von grundlegender Bedeutung, in welcher Weise die Welt, die das Denken kritisch zu reflektieren unternimmt, durch die Sprache, die es spricht, syntaktisch und semantisch bereits verstanden und dargestellt, gedeutet und gewertet wird. Denn diese Welt ist sein Gegenstand: nicht die „Welt an sich“, sondern eine gegebene Weltansicht als die Tradition, aus der heraus es sich artikuliert. Da sich     aber alles Philosophieren ursprünglich als Kritik der sprachlich dargestellten und gedeuteten Welt versteht, ist es durch die Sprache, in der und aus der und mit deren Hilfe es sich bildet, angeregt und geleitet. 

 

Für das Verständnis der Besonderheit des   eigenen Denkens ist das Studium von Fremdsprachen von grundlegend normativer Bedeutung. Es fragt sich, ob sich das philosophische Denken andernorts anders als in Griechenland konstituiert hat. Dazu ist es erforderlich, die sprachlichen Rahmenbedingungen und kulturhistorischen Hintergründe eines solches nicht-europäischen Denkens zu ergründen.

 

Beim Problem des Bewusstseins handelt es sich um die Frage, auf welche Weise aus    einem physikalischen System, dem Gehirn, Bewusstseinszustände hervorgehen können. Dabei werden in der Regel die Eigenschaften des Mentalen als vollkommen isoliert vom Körper betrachtet und umgekehrt der Körper einzig mit den Methoden der Naturwissenschaften analysiert. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass diese klassische Unterscheidung zwischen Mentalem und Physikalischem ins Wanken geraten ist. Denn die durch diese Unterscheidung getrennten Be- griffe „Körper“ und „Geist“ können das Wesen der leiblich erlebten Qualia nicht adäquat herausgreifen. Die Theorien des enactivism berücksichtigen bei der Untersuchung des Bewusstseins deshalb nicht nur die involvierten Gehirnzustände, sondern auch die Sensorik, die Motorik und die Situiertheit des erlebenden Organismus. Eva Thompson, Schülerin von Francisco Varelo, plädiert etwa für die Ersetzung des Körper-Geist-Problems durch das Körper-Leib-Problem.  Patrick Spät, Doktorand in Freiburg i. B., zeigt, dass der Ansatz des enactivism Parallelen zu  Whiteheads panpsychistischem Ansatz hat. Darüber hinaus bietet dessen Metaphysik ein ontologisch fundiertes Modell für einen Ansatz, der dem Leib den ihm zugehörigen Platz sichert.

 

Weitere Beiträge: Därmann, Iris: Wie getrennt zusammenlegen? Ueber Politik und die politische Bedeutung von Zwischenräumen. Kreis, Guido: Was ist eigentlich eine symbolische Form? Ortland, Eberhard: Horizontverschiebungen des Denkens. Der 22. Weltkongress für Philosophie in Seoul 2008.

 

1/2009

 Unter dem etwas hochtrabenden Titel „Wege der Philosophie ins 21. Jahrhundert“ sind die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates dieser Zeitschrift mit je einem Beitrag vertreten. Allerdings wird weniger darüber reflektiert, wohin die Philosophie im 21. Jahrhundert führt, als dass der Leser erfährt, worüber diese Professoren gerade arbeiten.

 

1/2009

 

Unter dem etwas hochtrabenden Titel „Wege der Philosophie ins 21. Jahrhundert“ sind die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates dieser Zeitschrift mit je einem Beitrag vertreten. Allerdings wird weniger darüber reflektiert, wohin die Philosophie im 21. Jahrhundert führt, als dass der Leser erfährt, worüber diese Professoren gerade arbeiten.

 

Günter Abel sieht in den unterschiedlichen Formen des Wissens ein Netzwerk, das als Ganzes ebenso analysiert wie gefördert werden soll. Dazu ist in Berlin unter Federführung des Instituts für Philosophie der Technischen Universität (wo Abel lehrt) ein „Innovationszentrum Wissensforschung IZW“ eingerichtet worden. Wichtig ist Abel, dass bei der genannten Analyse die interne Verbindung zwischen dem szientifischen und dem technologischen Wissen mit in Betracht gezogen werden soll. Denn noch nie in der Geschichte hatte das szientifische Wissen eine derart tief intervenierende lebensweltliche und –praktische Anwendung. Aber nicht nur das: Wissenschaften und Technologien sind in hohem Masse Welt- und Menschenbilder generierend. Allerdings kann die Frage nach einer Einheit des Wissens Abel zufolge nur mit „Nein“ beantwortet werden. Dennoch ist es zur Lösung der Probleme in den Wissenschaften und im Alltag notwendig, dass mehre Disziplinen und Wissensformen zusammenarbeiten. Dabei legt Abel das Augenmerk auf die Wissensformen: Diese sind wichtig für unsere Orientierung in der Welt, anderen Personen und uns gegenüber. Und bei den Transformationen der Wissensordnungen steht viel auf dem Spiel. Solche Transformationen ortet Abel bei den gegenwärtigen Revolutionierungen in den Wissenschaften selbst, etwa bei der Computerrevolution oder bei der Nanophysik, bei den neuartigen epistemischen Objekten wie Designer-Molekülen oder Hybrid-Objekten und bei Fragen nach dem Mensch-Maschine-Verhältnis, wie bei dem Neuro-Enhancement. Einer zeitgemässen Philosophie muss es um diese Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Wissensformen gehen.

 Pirmin Stekeler-Weithofer untersucht die Logik des „aber“. Eine solche verlangt die Nennung besonderer Ausnahmen oder Abweichungen vom Normalfall und gehört zur dialektischen Form der Anwendung der Begriffe auf empirische Einzelfälle. Seiner Ansicht nach kann es keine allgemeine Logik weltbezogenen Wissens und weltbezogener Wahrheit geben, in welcher nicht über das formale innertheoretische Deduzieren hinaus auch das generische materialbegriffliche Schliessen und dabei insbesondere das Allgemeine, Besondere und Einzelne als Aussagemodi in ihren verschiedenen Funktionen und Beziehungen zueinander geklärt. Michael Hampe weist darauf hin, dass ein Unterschied zwischen wissenschaftlicher Gewissheit und alltäglicher Selbstverständlichkeit besteht. Die szientifische Perspektivenverengung hat jedoch zu einer Verkennung des Gewöhnlichen, Alltäglichen und andererseits zu einem Unscharfwerden der Veränderungsprozesse in der Kultur geführt – wobei Hampe in der angloamerikanischen Philosophie Davidson und Brandom als Vertreter einer solchen Verengung sieht.

 Hampe plädiert dafür, im Sinne von Tarski verschiedene Wahrheitsbegriffe für formale und natürliche Sprachen zu unterscheiden. Der Szientismus deutet natürliche Sprachen als semantisch holistisch aufgebaut. Aber natürliche Sprachen sind offen, sie können nicht als abgeschlossene semantische Gebilde behandelt werden. Diese Einsicht führt zu einer neuen Sicht der begrifflichen Form von Wahrnehmungen: Sie sind nur als Bestandteile wissenschaftlicher Erfahrung theoriegeladen, ansonsten durch andere Formen des gewöhnlichen Lebens strukturiert.

 Georg W. Bertram setzt sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Kunst auseinander. Er sieht in der Kunst eine besondere Form von Verstehenspraktiken, die er als „verstehende Auseinandersetzung mit Kunstwerken“ bezeichnet. In der Auseinandersetzung mit der Kunst wird die Philosophie provoziert, ihr eigenes Tun besser zu verstehen und sie gewinnt zugleich ein Bewusstsein der Grenzen dieses Tuns. Theo Kobusch stellt der gegenwärtigen Lebenskunst das antik-mittelalterliche Verständnis der Lebenskunst gegenüber, wobei seine Sympathie bei letzterer liegt. Denn sie begreift Lebenskunst nicht als eine Aesthetisierung des Lebens, sondern versteht sich als sittliche Selbstformung des Subjekts, für die die Aufmerksamkeit eine besondere Rolle spielt. Petra Gehring untersucht die Lebenswissenschaften um 1900, in denen der Begriff des Lebens neu bestimmt wird, Ralf Konersmann sieht in den Kulturwissenschaften mit deren klaren Betonung des Kulturkonzeptes eine Herausforderung für die Philosophie und Ralf Elberfeld zeigt anhand der Geschichte der Weltkongresse für Philosophie von 1900 bis 2008, wie die Philosophie ein immer globaleres Gesicht erhält.

 

3/2009

 

Das von Michael Hampe herausgegebene Heft hat John Dewey zum Thema. Hampe sieht bei Deweys Aufreten in der Philospohie um 1920 eine der gegenwärtigen analoge Situation: Damals hatte die angloamerikanische Variante des Idealismus und die Sinnesdatentheorie von Moore und Russell die Philosophie zu einer rein akademischen Angelegenheit werden lassen. Es ist vor allem Deweys pädagogische, politische, der Wissenschaft wie der Kunst gleichermaßen gewidmete Philosophie wie auch sein Auftreten als politischer Intellektueller und experimenteller Pädagoge zu verdanken, dass die Philosophie wieder zu öffentlicher Relevanz kam. Seine pragmatistische Philosophie ist auf Kritik und Verbesserung der menschlichen Verhältnisse angelegt und zwar ausgehend von der Schule, um dann die ganze Kultur zu umgreifen. Dewey verkörperte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so etwas wie das intellektuelle Gewissen der Vereinigten Staaten.

 

Ich will losfahren, doch plötzlich tritt eine unerwartete Situation ein: der Hebel der Kupplung klemmt und lässt sich nicht mehr bewegen. Helmut Pape zeigt, dass es solche Alltagserfahrungen des Scheiterns sind, die den Ursprung des Pragmatismus bildet. Der Pragmatismus ist die These, dass das Scheitern und Handeln in der Praxis der einzige Maßstab für die Bedeutung theoretischer Überzeugungen ist.  Alltägliche wie wissenschaftliche Erkenntnisprozesse werden auf die gleiche Weise durch „Doubt-belief-Theorie“ der Erkenntnis beschrieben. Pape geht noch weiter und fragt, wie eine Antwort auf die Frage: „Was ist gut und wie wird gutes Leben möglich?“, für ihn eine der wenigen philosophischen Fragen, die es wert sind, immer wieder gestellt zu werden, auf pragmatistische Weise beantwortet werden könnte. Marc Rölli stellt dar, wie der gegenwärtig diskutierte Gegensatz Diskussion zwischen „Naturalisten“ und „Kuturalisten“  bereits von John Dewey aufgehoben und damit festgefahrene Denkgewohnheiten aufgebrochen wurden. Jens Kertscher führt in Deweys Sprachphilosophie ein, einen „normativen Pragmatismus ohne Transzendentalphilosophie“. Übersehen wird zumeist Deweys Ästhetik. Zu Unrecht, so Andreas Hetzel, in ihrem reflexiven Niveau und der Tragweite ihrer Thesen kann sich Deweys 1934 erschienene Monographie Art as Experience durchaus mit den großen Ästhetiken des 20. Jahrhunderts messen. Dass sie nicht bekannt ist, sieht Hetzel u. a. darin, dass Dewey hinter Kants Postulat einer Autonomie des     Ästhetischen zurückgeht. Darin ist er mit Benjamin verwandt: beide sind dem Projekt, die Grenzen zwischen Kunst und Leben und, damit zusammenhängend, zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kultur zu überwinden, verbunden. Marie-Luise Raters sieht die Wurzeln von Deweys Ästhetik im angelsächsischen Idealismus, insbesondere beim Oxford-Hegelianer Bosanquet.  Die Kritische Theorie war es, die nachhaltig zur Diskreditierung des Pragmatismus im 20. Jahrhundert beigetragen hat. Insbesondere wurde er als „unkritisch“ abgewertet. Martin Hartmann sieht seit einiger Zeit eine Relektüre von Dewey. Diese bewegt sich interessanterweise vor allem im Umkreis der Kritischen Theorie, wobei Dewey nun ganz explizit als kritischer Autor gesehen wird, der Mängel der älteren Kritischen Theorie beheben kann. Davon unabhängig gibt es seit kurzem einzelne zaghafte Versuche, den Pragmatismus im Lichte anderer philosophischer Strömungen zu lesen. 

 

Allgemeine Zeitschrift für Philosophie

2/2010

Jonathan Bennett hat Spinozas Ethik im Sinne einer Feldmetaphysik rekonstruiert. Danach ist der Raum als Ganzes die eine ausgedehnte Substanz, und was einem vermeintlich als ein einzelner materieller Gegenstand erscheint, reduziert sich auf lokale Eigenschaften dieser Substanz. Gegenstände sind nun etwas, das dem Raum als Eigenschaft zugeschrieben wird. Nicht mehr der Tisch vor mir hat diese oder jene Eigenschaft, sondern der Raum vor mir ist „tischig“. Die Diskussion darüber ist unter den Schlagworten einer „subjektivischen“ gegenüber einer „adjektivischen“ Interpretation von Spinozas Substanzbegriff bekannt geworden, und weitere Philosophen haben sich Bennetts Interpretation angeschlossen.

Norman Sieroka (ETH Zürich)kontrastiert Spinozas Feldtheorie, wie Bennett sie sieht,  mit der Feldtheorie der modernen Physik. Diese hatte sich im 18. und 19. Jahrhundert vor allem im Kontext der Kontinuumsmechanik und Hydrodynamik entwickelt. Möchte man beispielsweise den Fluss von Wasser durch ein Rohr beschreiben, so kann es praktischer sein, statt die Bahnen der einzelnen Wasserteilchen im Rohr zu verfolgen, die Orte im Rohr sozusagen festzuhalten und für jeden Zeitpunkt anzugeben, wie schnell gerade die Bewegung an einen bestimmten Ort ist und welche Richtung sie hat. Das Beispiel zeigt aber auch die Probleme einer Feldmetaphysik. Denn der Wechsel von der Rede über Wege, die einzelne Wasserteilchen im Rohr zurücklegen, zur Rede über ein Geschwindigkeitsfeld im Rohrinneren ist zunächst nur ein Wechsel in der Beschreibung. Von einem adjektivistischen Materieverständnis in der klassischen Feldtheorie der Physik kann keine Rede sein. Man müsste dazu eine Art geometrische Reduktion vornehmen und an die Stelle der Zuordnung zwischen Raum und Materie eine Zuordnung zwischen Raum und räumlichen (geometrischen) Eigenschaften setzen. In der Physik gab es in der Tat solche Bemühungen, die unter dem Namen „Vereinheitlichte Feld­theorie“ bekannt geworden sind, wichtige Namen dabei sind David Hilbert, Hermann Weyl und Albert Einstein. Insbesondere Einstein versuchte in seinen letzten Lebensjahrzehnten, die Eigenschaft von Materie allein über die Maßverhältnisse der Raumzeit zu explizieren. Doch die Projekte zu einer Vereinheitlichten Feldtheorie konnten sich nicht durchsetzen. Der Grund: Was man in der Physik gemeinhin als elementare Bausteine der Materie betrachtet (wie etwa Elektronen), tritt immer in bestimmten Massen- und Ladungsportionen auf. Will man die Materie vollständig auf die Eigenschaften des Raumes reduzieren, so muss man dieser Quantelung Rechnung tragen – und genau daran krankte der Ansatz: die klassische Feldtheorie ist eine Kontinuumstheorie, und es ist kaum möglich, die diskreten Zahlenwerte für die Elementarladungen oder die Masse eines Elektrons feldtheoretisch abzuleiten.

 Zum anderen kannte man, als man eine Vereinheitlichte Feldtheorie vorschlug, zwei Arten physikalischer Wechselwirkung, Gravitation und Elektromagnetismus. Vielen Physikern galt die Allgemeine Relativitätstheorie als der Prototyp einer Feldtheorie, insofern sie eine geometrische Reduktion vornahm: Gravitation galt nun als eine Konsequenz der Krümmung der Raumzeit. Mittlerweile kennt man aber noch zwei weitere physikalische Grundkräfte, die starke und die schwache Wechselwirkung. Wie soll man diese nun auch noch über Felder beschreiben? Welche geometrischen Eigenschaften könnte die Raumzeit noch haben, um auch sie auf diese neuen Wechselwirkungsarten reduzieren zu können?

 Sieroka sieht hier eine Möglichkeit mit Hilfe der Unterscheidung Spinozas zwischen finiten und infiniten Modi. Spinoza hatte als infinite Modi Bewegung und Ruhe genannt. Für eine überzeugende Aktualisierung einer Feldmetaphysik müsste man zwischen infiniten und finiten Modi im Attribut der Ausdehnung unterscheiden und damit die Strukturen kausaler Erklärung deutlich vorzeichnen.

 

Andree Hahmann (Göttingen)bietet eine Übersicht über die Forschung zum „Ding an sich“. Lange Zeit schien es in der Kant-Forschung, man habe sich bezüglich des Dinges an sich auf eine bestechend einfache Lösung des Problems geeinigt: Demzufolge haben wir es beim Ding an sich mit der Kurzform von „Ding an sich selbst betrachtet“ zu tun, also unter Absehung der transzendentalen Anschauungsformen Raum und Zeit. Gerold Prauss hatte mit dieser Interpretation auf dem Kant-Kongress 1974 in Mainz Aufsehen erregt (sein Buch Kant und das Problem der Dinge an sich war damals der Bestseller des Kongresses), und Henry E. Allison hat diese Zwei-Aspekte-Theorie später erweitert. In letzter Zeit ist diese Theorie allerdings unter Druck geraten. Hoke Robinson hat darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn es sich bei der Erscheinung und dem Ding an sich um zwei numerisch verschiedene oder aber numerisch identische Gegenstände handelt, sich etwas angeben lassen müsste, was beiden Perspektiven gemeinsam ist, d. h. etwas Invariantes, das die jeweilige Perspektive transzendiert. Das ist aber nicht möglich, da man im Falle eines Dinges an sich von allen benennbaren Bedingungen absieht. Eine weitere Kritik stammt von James Van Cleve: Wie kann von demselben Ding behauptet werden, es existiere nicht mehr in Raum und Zeit, sobald lediglich eine andere Betrachtungsweise angenommen wird? Außerdem ist die Interpretation von Prauss und Allison mit zahlreichen Stellen in den kantischen Texten nicht in Übereinstimmung zu bringen. So spricht Kant gelegentlich davon, dass die Vorstellungen des Erkenntnissubjektes durch eine Affektion der Dinge an sich verursacht werden.

 Aus diesen Gründen hat man in den letzten Jahren versucht, die methodologische Ver­sion der Zwei-Aspekte-Theorie zu ersetzen. Rae Langton sieht in den Dingen an sich Substanzen mit inneren Bestimmungen. Die inneren Bestimmungen sind für Kants vorkritische Substanzauffassung ausschlaggebend, da sie über die Substanzialität der Substanz entscheiden. Ohne innere Bestimmungen könnte es sich nicht um ein für sich bestehendes Ding handeln. Indem Langton nun das Innere einer Substanz als das Ansichsein der Dinge ausgibt, wird klar, warum wir zu keinem Wissen über die Dinge an sich kommen können: Das Innere der Substanz bleibt uns grundsätzlich verborgen, da die Substanzen nicht qua ihre inneren Bestimmungen in Gemeinschaft miteinander stehen, sondern nur aufgrund ihrer äußeren, relationalen Bestimmungen. Sie machen die Erscheinungen zu äußeren, relationalen Eigenschaften von noumenalen Substanzen, deren innere, wesentliche Bestimmungen wir nicht einsehen können und die daher einer theoretischen Erkenntnis unzugänglich sind.

 

In letzter Zeit sind weitere Versuche gemacht worden, die an Langton anschließen, insbesondere die Interpretation von Eric Watkins. Watkins hebt vor allem hervor, dass Erscheinungen in letzter Konsequenz in Dingen an sich gegründet sind. Auch der in Berlin lehrende Tobias Rosefeldt ist der Ansicht, dass Dinge an sich und Erscheinungen nicht zwei Arten von Entitäten sind, sondern dass es sich dabei um zwei Aspekte derselben Entität handelt. Im Unterschied zu Langton spricht er sich jedoch für eine subjektivistische Interpretation der ontologischen Version der Zwei-Aspekte-Theorie aus: Bei den erkennbaren Eigenschaften der Dinge handelt es sich seiner Meinung nach um Eigenschaften, die außergeistige Gegenstände nur in Rela­tion zu Erkenntnissubjekten haben, die über ein raum-zeitlich strukturiertes epistemisches Vermögen verfügen. Mit dieser Interpreta­tion ist es Rosefeldt gelungen, den vielen Stellen gerecht zu werden, an denen Kant behauptet, dass wir von den Dingen an sich affiziert werden. Rosefeldt versteht die Dinge an sich als Dispositionen, die im Erkenntnissubjekt die Vorstellungen von Ausdehnung und Zeitlichkeit verursachen.

 

Hahmann macht nun darauf aufmerksam, dass zur Klärung dieses Verursachungsverhältnisses die Auflösung der Dritten Autonomie von besonderer Bedeutung ist. Für Hahmann ist die Kausalität aus Freiheit, deren Denkmöglichkeit den Dingen an sich zugesprochen wird, als eine teleologische Kausalitätsform zu denken, da die Kausalität aus Freiheit ein Sollen ausdrückt, das in der Natur nirgends zu finden ist. In dieser Hinsicht muss die Ursache als intelligibel und somit als frei von den Zwängen der Natur verstanden werden, auch wenn ihre Wirkung im Laufe der Natur durch zeitlich vorausgehende Ursachen bestimmt ist. In dieser harmonischen Vereinigung beider Ursachen erkennt Hahmann einen Aspekt der Leibniz’schen prästabilierten Harmonie wieder. Hahmann vermutet nun, dass Kant die Leibniz’sche Theorie der prästabilierten Harmonie in einer kritisch revidierten Form stillschweigend sei­ner für die kritische Theorie zentralen Unterscheidung in Dinge an sich und Erscheinungen zugrunde legt.

Weitere Texte:

Boldyrev, I.: Sinnliche Gewissheit in Hegels „Phänomenologie des Geistes“

Scholz, L.: Nach der Geschichte. Zur Paradoxie eines globalen Liberalismus.