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FORSCHUNG

Medienphilosophie: Was ist ein Medium?

MEDIENPHILOSOPHIE

Was ist ein Medium?

Mike Sandbothe und Ludwig Nagl haben ein Buch vorgelegt, das erstmals die verschiede-nen medientheoretischen Ansätze nebenein-ander zeigt:

Sandbothe, Mike/Nagl, Ludwig (Hrsg.): Systematische Medienphilosophie. 410 S., Ln., € 49.80, 2005, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderband 7, Akademie-Verlag, Berlin

Alle wichtigeren gegenwärtig im deutsch-sprachigen Raum vertretenen Ansätze sind darin enthalten und zwar geordnet nach „sinnlichen Wahrnehmungsmedien“, „semiotischen Transformations- und Kommunikationsmedien“ sowie „technischen Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien“ – eine Fundgrube für jeden, der sich über die gegenwärtige Medienphilosophie informieren will.

Die Szene der Medienphilosophie ist lebhaft und vor allem auch jung. Sie ist nicht auf sich voneinander abschließende „Denkschulen“ beschränkt, und die Debatte konstituiert sich in Bezug auf die medientheoretische Diskussion in den USA und den europäischen Ländern. Allerdings herrscht dabei auch eine gewisse Verwirrung, denn die Medientheoretiker sagen selten, von welchem Standpunkt aus sie ihre Aussage formulieren. Medientheorien können von den verschie-densten Wissenschaften aus entwickelt werden, und entsprechend gibt es die verschiedensten Medientheorien, die jeweils unterschiedliche Erkenntnisse über die Phänomene zu Tage fördern. Und auch der Übergang von einzelnen Medientheorien zur eigentli-chen Medienphilosophie ist meist fließend. Strittig ist insbesondere auch, was Medien-philosophie eigentlich leisten soll.

Oft werden die Ausdrücke Medientheorie und Medienphilosophie synonym gebraucht. Der österreichische Medienphilosoph Reinhard Margreiter erklärt dies damit, dass Theorie und Metatheorie in einschlägigen Texten eng miteinander verschränkt und nur rekonstruktiv zu trennen sind. Allerdings sieht er einen Satz von Fragestellungen und Problemfiguren, die gewissermaßen diskurs-übergreifend als „philosophisch“ gelten dürfen, da sie sich leitmotivisch durch jene von der Antike bis zur Gegenwart reichenden Tradition hinziehen, die wir als „Philosophie“ bezeichnen. Dabei handelt es sich um Fragen z.B. nach der Begründbarkeit und logischen Verknüpfungen von Aussagen oder nach dem Verhältnis von Realität und Intellekt, von Erfahrung und Spekulation, von Denken und Handeln. Wer die Medienthematik mit derartigen Fragen verbindet, betreibt Medienphilosophie.

Einer der Streitpunkte in der Diskussion um ein tragbares Konzept von Medienphilosophie besteht darin, ob diese immanent aus dem Begriff des Mediums und/oder der Medienpraxis zu entwickeln sei. Margreiter spricht bei der ersten Konzeption von „naturwüchsiger“ oder „genuiner“ Medienphilosophie. Er hält beide Ansätze für legitim und sieht zusätzlich einen dritten Ansatz, der darin besteht, Medienphilosophie als „prima philosophia“ zu betreiben.

Margreiter sieht gegenwärtig, nach dem „lin-guistic turn“, einen „media turn“, der darin besteht, Sein mit Medialität gleichzusetzen. Die Thesen, dass Wirklichkeit über Denken, Denken über Sprache, Sprache über Zeichen und Zeichen über Medien vermittelt sind, bilden für ihn eine Kette philosophischer Entdeckungen, die aufeinander aufbauend „Sein“ als Grundverhältnis zunehmend adäquater in den Blick bringen. Dieser „media turn“ bringt zur Einsicht, dass wir über Medien – sinnlich-körperliche und technisch-apparative Medien – wahrnehmen und fühlen, denken und urteilen, sprechen und symbolisieren, dass wir also unter medialen Bedingungen Realität erfahren und mit Realität umgehen. Medialität wird so zur überzeitlichen Grundverfassung menschlichen Daseins.

Viele Medientheorien wählen als Bezugsrahmen die Kommunikationswissenschaften. So auch der Kultur- und Medientheoretiker Michael Giesecke von der Universität Erfurt. Für Giesecke liegt Medienphilosophie auf der Mitte zwischen der Überkomplexität alltäglicher Medienphänomene und den einzelwissenschaftlichen Modellen. Ihre Aufgabe ist es, sich in disziplinären Modellen aufzuheben und empirische Untersuchungen voranzutreiben.

Strittig ist bereits, was denn unter Medien zu verstehen sei. „Nichts scheint dringender, aber nichts wäre auch fruchtloser als definie-ren zu wollen, was Medien eigentlich sind“ (Bernhard Dotzler). Dazu zählt man insbe-sondere Kommunikationsmedien, Wahrneh-mungsmedien, technische Medien, Massen-medien und Medien der Überlieferung. Barbara Becker, Professorin für Medienwissen-schaft an der Universität Paderborn, versteht unter Medien „vorrangig jene Instanzen, die eine Distanzierung von der leiblich-sinnlichen Erfahrung der Welt implizieren. Dies sind Sprache, Schrift und alle technischen und kulturellen Wahrnehmungs- und Kommunikationsmedien“. Damit unterscheidet sie sich etwa von Stefan Münker, für den „bereits die Sinne als Medien zu begreifen sind“ und „Wirklichkeit … immer nur als mediale Konstruktion zugänglich ist“ – ein Ansatz, der als „Medienapriorismus“ bezeichnet wird. Wenn der Begriff Medien so weit gefasst wird, droht aber „unsere Welt des Erkennens, Handelns und Konstruierens in unendliche Verschachtelungen von Me-dien der verschiedensten Kategorien“ aufgelöst zu werden, gibt der Linguist Christian Stetter von der TH Aachen zu bedenken. Für ihn ist ein Medium „eine in Operation gesetzte Apparatur, sodass durch diese Operation etwas, nämlich eine Darstellung, von bestimmter Gestalt dargestellt wird“. Medien sind für ihn symbolisierende Performanzen und im engeren Sinne solche, deren Adressaten Menschen sind.

Für Dieter Teichert von der Universität Konstanz ist der Medienbegriff nicht ab- schließend und klar definierbar, sondern fungiert als ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Konzepten, die im wittgensteinschen Sinn durch Familienähnlichkeit verbunden sind und ein außerordentlich weites Spektrum umspannen. Dazu gehören insbesondere
 die klassischen Sinne (Auge, Ohr, Nase, Geschmack, Haut) und die ihnen zuzuord-nenden Wahrnehmungsobjekte;

 die physikalisch beschreibbaren Verbindungswege zwischen Zeichenproduzenten und Rezipienten;

 die technischen Instrumente und Apparate, mittels derer die Kontaktmaterie zur Zei-chenproduktion präpariert und verändert wird;

 die Institutionen, welche die unterschiedlichen Mittel zum Ziel der Erzeugung von Zeichenprozessen regeln (Bibliotheken, Galerien, Theater);

 die Konzepte des Mediums als Bestandteil eines durch den Zweck der zu übermittelnden Botschaft fixierbaren Zeichensystems (z.B. Unterscheidung von Textsorten);

 die Codierung der Botschaft im Sinn der für die Produktion und Rezeption vorgesehenen Regeln.

Für Teichert beinhaltet dies aber nicht einen Verzicht auf begriffliche Klarheit. In seiner Medienphilosophie des Theaters verwendet er die philosophischen Elemente der Begriffsanalyse und Begriffsgeschichte. um die Vielfalt der Zugangsweisen zum Medium Theater zu verdeutlichen und situiert dabei das Medium im übergreifenden Rahmen einer Sozial- und Kulturphilosophie. In seinem Konzept sind die Kritik und normative Beurteilung der Medienpraxis von großer Bedeutung.

Für die Berliner Philosophin Sybille Krämer liegt die Besonderheit von Medien in ihrer Heteronomie, d.h. dem Sachverhalt, dass Medien in dem, was sie leisten, nicht selbst organisiert sind, sondern einem „fremden Gesetz“, einer äußerlichen Vorgabe und Auflage folgen.

Was das Thema der Zeit betrifft, so wird, wie Ralf Beuthan (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität
Jena) ausführt, durch die medientheoretische Reflexion der theoretische Fokus von der Zeit als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit von Wirklichkeit verschoben auf die Zeit als Bedingung der Wirklichkeit von Erfahrung.