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Frankfurt: Harry Frankfurt verbindet Vernunft und Liebe


Harry Frankfurt verbindet Vernunft und Liebe

Menschen tendieren dazu, viel Energie auf das Nachdenken über sich selbst zu verwenden. Niemand außer uns Menschen scheint dazu fähig zu sein.
Mit dieser Fähigkeit stehen zwei Aspekte unserer Natur wesentlich in Zusammenhang: unsere Vernunft und unsere Befähigung zur Liebe. Beide sind emblematisch für unsere Menschlichkeit, und wir sprechen beiden ein Recht auf besondere Achtung und Respekt zu. Wie der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt in seinen Tanner Lectures an der Stanford University, die in deutscher Übersetzung erschienen sind

Frankfurt, Harry G.: Sich selbst ernst nehmen. Herausgegeben von Debra Satz, mit Kommentaren von Christian M. Korsgaard, Michael E. Bratman und Meir DanCohen, 145 S., Ln., 2007, € 18.80, 2007, Suhrkamp, Frankfurt

ausführt, sind beide aber chronisch problematisch, und ihr Verhältnis zueinander ist unklar. Frankfurt geht es in diesen Vorlesungen darum, dieses Verhältnis zu untersuchen und was es mit ihrer unverkennbaren normativen Autorität auf sich hat.

Was macht es uns Menschen möglich, uns selber ernst zu nehmen? Es ist die Fähigkeit, uns von dem unmittelbaren Inhalt und Fluss unseres eigenen Bewusstseins abzusetzen und eine Art Spaltung innerhalb unseres Denkens einführen zu können. Dabei objektivieren wir für uns selbst die einzelnen Bestandteile unseres ablaufenden geistigen Lebens. Das ermöglicht uns, auf Bewusstseinsinhalte zu reagieren, also Reaktionen zweiter Ordnung auszubilden. So können wir etwa mit den Gefühlen, die wir an uns beobachten, zufrieden oder unzufrieden sein. Diese von uns aufgebaute innere Spaltung schränkt aber unsere Fähigkeit zur unbekümmerten Spontaneität ein. Das kann uns nicht nur den Spaß verderben, sondern macht uns außerdem für verschiedene psychische und seelische Beschwerden anfällig. Wer sich selber gegen¬übertritt, wie es uns diese innere Spaltung erlaubt, bleibt oftmals verärgert und verstört von dem, was er sehen musste, zurück. Die Selbstobjektivierung fördert eine lähmende Ungewissheit, und sieht man von ihren extremen Formen ab, sind diese Beschwerden zu verbreitet, um pathologisch genannt zu werden: Sie sind vielmehr ein integraler Bestandteil unserer fundamentalen Selbsterfahrung.

Unsere Fähigkeit zur Objektivierung unserer selbst ist aber auch dafür verantwortlich, dass wir überhaupt so etwas wie praktische Vernunft besitzen. Sie stattet uns mit einer erheblichen Freiheit bei der Ausübung unseres Willens aus, und sie ermöglicht es uns auch, etwas nicht nur zu wollen, sondern uns darum zu sorgen, es als wichtig zu betrachten und zu lieben. Die Ausbildung von Einstellungen und Reaktionen zweiter Ordnung ist eine Grundbedingung dafür, den Status einer verantwortlichen Person zu erlangen.

Die willentliche Akzeptanz von Einstellungen, Gedanken und Gefühlen ändert deren Status. Sie sind nicht länger nur Elemente, die zufällig in einer bestimmten psychischen Geschichte auftauchen. Wir haben sie vielmehr als einen authentischen Ausdruck unserer selbst in Verantwortung übernommen. Sich mit den Gehalten des eigenen Geistes zu identifizieren ist unverzichtbar für unser normales Erleben.

Manchmal sind wir nicht aktiv an dem beteiligt, was in uns vorgeht. Die Dinge geschehen mit uns. Ganz verschiedene Gedanken, Wünsche und Gefühle erscheinen im Geist eines Menschen, ohne auszudrücken, was dieser in Wahrheit denkt, fühlt oder will. Trotzdem finden diese Ereignisse in unserer aus Gründen. Sie schafft Gründe. Liebe ist zugleich auch auf paradigmatische Weise persönlich.

Hume hat gezeigt, dass selbst groteske Präferenzen nicht irrational sein müssen. „Es läuft der Vernunft nicht zuwider“, schreibt er, „wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will als einen Ritz an meinem Finger.“ Vom Standpunkt der Logik aus ist diese Präferenz unbedenklich. Aber ist die betreffende Person auch ein rationales Wesen? Frankfurt bestreitet dies. Es gibt, so argumentiert er, eine geläufige Form der Rationalität, die nicht durch formale, apriorische Notwendigkeiten bestimmt wird: Der Wille von Humes Psyche statt und liefern uns wertvolle Hinweise darauf, was in uns vorgeht. Unter Umständen lehnen wir einen Teil dieses psychischen Rohmaterials entschieden ab, weil wir nicht zulassen wollen, dass es unser Verhalten bestimmt. Anstatt es in uns zu integrieren, externalisieren wir es.

Manche Philosophen sind der Ansicht, dass das bloße Haben eines Wunsches bereits ausreicht, um der betreffenden Person notwendig einen Grund für den Versuch zu geben, diesem Wunsch zu entsprechen. Frankfurt argumentiert dagegen, dass eine Person durch den bloßen Umstand, dass sie etwas wünscht, noch keinen Grund dafür hat, ihm entsprechen zu wollen, sie hat lediglich ein Problem: Sie muss sich entscheiden, ob sie sich mit dem Wunsch identifizieren soll. Der externalisierte Wunsch oder Impuls kann aber so stark werden, dass er uns überwältigt und sich gewaltsam durchsetzt. In diesem Falle zwänge ein „Geächteter“ sich uns ohne jede Autorität und gegen unseren Willen auf. Diese Vorstellung kann uns helfen zu verstehen, was es bedeutet, wenn der Wille einer Person frei ist. Wenn wir genau das tun, was wir wollen, handeln wir frei. Eine freie Handlung ist eine Handlung, die eine Person ausführt, weil sie sie ausführen will. Frei zu handeln, heißt, diese harmonische Übereinstimmung zwischen dem, was man tut, und dem, was man will, aufrechtzuerhalten. Wenn das Verhalten einer Person nicht von den warmen und großzügigen Gefühlen bestimmt wird, die sie bevorzugen würde, sondern von einem bitteren Neid, den sie ablehnt, aber nicht daran hindern konnte, die Kontrolle zu übernehmen, dann ist der Wille nicht frei.

Nehmen wir statt dessen an, dass wir tun, was wir wollen, dass ein Wunsch erster Ordnung, der unser Handeln motiviert, genau der Wunsch ist, von dem wir motiviert werden wollen, und dass dieses Motiv mit keinem Wunsch höherer Ordnung konfligiert. Dann stehen wir genau hinter dem, was wir tun und tun wollen. Wir sind nicht in der Lage, mehr Freiheit vorzustellen, als wir in diesem Moment genießen würden. So hat auch Spinoza in seiner Ethik erklärt, dass das höchste Gut in dem Einvernehmen mit dem eigenen Selbst besteht.

Eine Person, die sich selbst ernst nimmt, fragt sich, wie sie dabei richtig liegen kann, und das führt dazu, dass sie sich den grundlegenden Fragen der Normativität stellt. Wie sollten wir bestimmen, worum wir uns sorgen sollen, wenn wir uns überhaupt um etwas sorgen sollen? Wodurch wird etwas wirklich wichtig für uns? Sicher gibt es bestimmte Dinge, die inhärent und objektiv wichtig für uns sind und die es verdienen, dass man sich um sie sorgt, und andere, auf das nicht zutrifft. Manche Philosophen, etwa Thomas Nagel, glauben, diese Autorität liege in der Autorität der Vernunft. Für Frankfurt hingegen geht eine rationalistische Grundlage der Moral völlig am Sinn moralischer Normen vorbei. Für ihn ist Moral wesentlich dazu gedacht, Menschen gerade eben in die Verantwortung zu nehmen. Ob eine Person einer moralischen Verpflichtung nachkommt oder nicht, sollte nicht unabhängig davon sein, was für eine Person sie ist. Hinter der Autorität des moralischen Gesetzes muss etwas anderes stehen als die Vernunft. Es kann keine von der Vernunft gewährleisteten Kriterien dafür geben, irgendetwas als inhärent wichtig zu bestimmen.

Urteile darüber, ob etwas wichtig ist, können nur in Urteilen darüber gründen, um was oder wen sich Personen sorgen. Wichtigkeit ist nie inhärent. Sie hängt immer von den Einstellungen und Dispositionen des Individuums ab. Wem oder was unsere Sorgen gelten sollte, kann nicht die fundamentalste Frage sein, man kann sie nur auf der Grundlage der Frage beantworten, um wen oder was wir uns tatsächlich sorgen. Wir sind auf verschiedene Weisen involviert, auf die wir keinen direkten Einfluss haben. Die Objekte unserer Liebe gehören zu den Dingen, um die wir uns sorgen, ohne dass wir das verhindern könnten. Es ist sogar wesentlich für die Liebe, dass die liebende Person keinerlei Gründe braucht, um zu lieben. Liebe ist keine Schlussfolgerung. Sie ist nicht das Ergebnis einer Überlegung oder die Konsequenz Wahnsinnigem ist mangelhaft, und das hat Auswirkungen darauf, wie er zu entscheiden und zu handeln disponiert ist.

Die Grenzen der volitionalen Vernunft begrenzen das, was wir als Handlungsmöglichkeiten akzeptieren können. Sie begrenzen, um was zu sorgen uns tatsächlich möglich ist, was wir als Handlungsgründe akzeptieren und zu welchen Handlungen wir uns tatsächlich durchringen können. Verstöße gegen die volitionale Vernunft sind nicht unvorstellbar. Tatsächlich werden sie dadurch verhindert, dass sie undenkbar sind. Volitional vernünftig zu sein ist nicht nur eine Frage der Entscheidung, die eine Person tatsächlich trifft. Es beinhaltet auch, zu bestimmten Entscheidungen unter keinen Umständen in der Lage zu sein. Eine rationale Person kann sich selbst nicht dazu bringen, bestimmte Dinge zu tun, zu denen sie, soweit es ihre Kraft und ihre Fertigkeit angeht, durchaus in der Lage wäre. Sie kann sich nicht dazu bringen, um einen Kratzer an ihrem Finger zu vermeiden, die Welt zu zerstören. Aufgrund der Notwendigkeiten, die ihren Willen beschränken, ist diese Entscheidung keine echte Option für sie. Sie ist einfach undenkbar.

Warum ist diese Entscheidung undenkbar? Nach einer gängigen Meinung sind bestimmte Dinge inhärent wichtig. Sie liefern unwiderlegbare Gründe dafür, auf bestimmte Weise zu handeln, und diese Gründe besitzen eine unbezweifelbare Objektivität, eine unentrinnbare normative Autorität. Es handelt sich um die natürliche Autorität der Realität, und alles vernünftige Denken und Handeln muss ihr entsprechen. Frankfurt ist nicht dieser Ansicht. Normativität ist für ihn keine von uns unabhängige Realität. Die Maßstäbe der volitionalen Vernunft und der praktischen Vernunft gründen nur in uns selbst. Sie gründen in den Dingen, bei denen wir nicht umhin können, uns um sie zu sorgen und sie für wichtig zu halten.

Der beherrschendste, vielgestaltigste und am wenigsten in Frage gestellte Endzweck, den wir haben, ist die Selbsterhaltung. Wir haben ein Interesse an lohnenswerten Projekten, weil wir vorhaben weiterzuleben (und nicht umgekehrt, wie Bernard Williams meinte). Weder unser Wunsch zu leben noch unsere Bereitschaft, diesen Wunsch als Grund dafür zu betrachten, entsprechende Handlungen auszuführen, beruht selbst auf Gründen. Beide beruhen auf Liebe. Sie sind Folge und Ausdruck unserer Liebe zum Leben, die vermutlich ein Ergebnis der natürlichen Selektion ist. Wir lieben es zu leben. Eine volitional unvernünftige Person, die den Tod oder das Leid liebt, hat nichts falsch kalkuliert. Ihr Wille ist nicht fehlerhaft, sondern missgestaltet.

Etwas von ganzem Herzen zu lieben versorgt einen jeden von uns mit klaren Antworten auf die Frage, worum wir uns sorgen sollten. Dieses Selbstvertrauen ist die grundlegendste und sicherste Basis für unsere praktische Vernunft. Ohne es wüssten wir nicht einmal, wo wir mit dem Einsatz unserer praktischen Vernunft beginnen sollten.