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Religion: Spaemanns letzter Gottesbeweis

RELIGION

Robert Spaemanns „letzter Gottesbeweis“ aus dem Futurum exactum


In einer modernen Abwandlung von Platons Höhlengleichnis sitzen die Menschen ange
kettet in einer fensterlosen Höhle und blicken auf eine Wand. Von einer unsichtbaren Lichtquelle aus wird als eine Art Höhlenkino ein Schattenspiel gegeben. Die Menschen kennen zwar keine andere Situation als diese, doch geistert das Gerücht herum, es gebe so etwas wie eine wahre Welt außerhalb der Höhle, und es gebe auch die Möglichkeit einer Befreiung. Aber diejenigen, die in diese wahre Welt gelangten, seien vom Sonnenlicht geblendet worden. Die Höhlenbewohner sträuben sich deshalb mit Händen und Füßen, wenn jemand sie befreien will.

Robert Spaemann erzählt diese Geschichte in seinem Buch

Spaemann, Robert: Der letzte Gottesbeweis. Mit einer Einführung in die großen Gottesbeweise und einem Kommentar zum Gottesbeweis Robert Spaemanns von Rolf Schönberger. 127 S., Ln., € 12.95, 2007, Pattloch, München

um, etwas „großspurig“, wie er selber sagt, einen neuen, einen „letzten Gottesbeweis“ vorzubringen.

Der Projektor, den die Höhlenbewohner nicht zu sehen bekommen, ist die eigentliche Ursache des Geschehens. Die Höhlenbewohner kennen zwar ein altes Gerücht von Gott, aber bei ihrem Bedürfnis, das zu erklären was sie sehen, stoßen sie nur auf strukturelle Regelmäßigkeiten, auch wenn sie sich mathematisch formulieren lassen. Diese Regelmässigkeiten erklären weder sich selbst noch die Welt. Dennoch gehört gerade der Fortschritt der auf ihnen basierenden Wissenschaften zu den Ursachen, die das Gerücht von Gott verdrängen. Die rasche Erweiterung des Machbaren verdrängt die Frage nach Grund und Sinn des Ganzen, also nach einem Ausserhalb der Höhle. Die Wissenschaften fragen nicht, warum etwas ist, sondern nach den Bedingungen seines Entstehens. Aber das Unbedingte, also Gott, kann in den Wissenschaften so wenig wie der Projektor im Film auftauchen. Der Glaube an Gott ist der Glaube an einen Grund, der für sich selbst durchsichtig und sein eigener Grund ist. Für Spaemann lautet deshalb die Alternative nicht: wissenschaftliche Erklärbarkeit der Welt oder Gottesglaube, sondern Verzicht auf Verstehen der Welt, Resignation der Vernunft oder Gottesglaube.

Indem wir heute von einer Geschichte der Natur wissen, stellt sich die Frage nach dem Ursprung dringlicher als zuvor, weil sie nun die Frage nach dem Anfang annimmt. Eine plötzliche grundlose Entstehung der Welt aus nichts denken zu müssen, enthält für Spaemann eine Zumutung an die Vernunft, die alle anderen Zumutungen in den Schatten stellt. Nicht weniger absurd ist der Gedanke, die Welt von Bedeutung und Sinn, die mit dem Leben auftaucht, könne als Epiphänomen eines Prozesses verstanden werden, der von Faktoren regiert wird, die mit dieser Welt gar nichts zu tun haben und ihr gegenüber blind und indifferent sind.

Für Spaemann glaubt der, der an Gott glaubt, an eine fundamentale Rationalität der Vernunft. Er glaubt, dass das Gute fundamentaler ist als das Böse. Er glaubt, dass das Niedere vom Höheren aus verstanden werden muss und nicht umgekehrt. Er glaubt, dass Unsinn Sinn voraussetzt und nicht der Sinn eine Variante von Sinnlosigkeit ist. Im Begriff „Gott“ denken wir die Einheit zweier Prädikate, die in unserer Erfahrungswelt nur manchmal und niemals notwendig miteinander verbunden sind: die Einheit der Prädikate „mächtig“ und „gut“, die Identität des absolut Mächtigen und des absolut Guten, die Einheit von Sinn und Sein. Wer an Gott glaubt, glaubt, dass die beiden Unbedingtheiten identisch sind: die Unbedingtheit dessen, was ist, wie es ist, die Unbedingtheit des Faktischen und die Unbedingtheit des Guten. Diese beiden Unbedingtheiten hat der heilige Thomas im Auge, wenn er von den beiden Willen Gottes spricht, dem Gebotswillen und dem Geschichtswillen, also dem, wovon Gott will, dass wir es wollen, und dem, wovon er will, dass es geschieht.

Wir wissen nicht, wer wir sind, ehe wir wissen, wer Gott ist, aber wir können nicht von Gott wissen, wenn wir die Spur Gottes nicht wahrhaben wollen, die wir selbst sind, wir als Personen, als endliche, aber freie und wahrheitsfähige Personen. Die Spur Gottes, von der wir ausgehen müssen, ist der Mensch selber. Wenn wir nicht mehr glauben, was wir sind, wenn wir uns überreden lassen, wir seien nur Maschinen zur Verbreitung unserer Gene und wenn wir unsere Vernunft für ein evolutionäres Anpassungsprodukt halten, das mit Wahrheit nichts zu tun hat, dann können wir nicht erwarten, irgendetwas könne uns von der Existenz Gottes überzeugen.

Der Begriff der Gottebenbildlichkeit des Menschen hat eine ungeahnt genaue Bedeutung: Gottesebenbildlichkeit heißt Wahrheitsfähigkeit. Die Personalität des Menschen steht und fällt mit der Wahrheitsfähigkeit. Dass der Mensch ganz und gar Natur ist, ein natürliches Wesen und aus untermenschlichem Leben hervorge¬gangen ist, ist für das Selbstverständnis des Menschen nur dann nicht tödlich, wenn die Natur ihrerseits von Gott geschaffen ist und die Hervorbringung des Menschen einer göttlichen Absicht entspricht.

Spaemann will nun die Behauptung, dass Wahrheit Gott voraussetzt, an einer Art Gottesbeweis verdeutlichen, der aus de Futurum exactum geführt wird. Dieses Futurum ist denknotwendig mit dem Präsens verbunden.

Von etwas zu sagen, es sei jetzt, ist gleichbedeutend damit, zu sagen, es sei in Zukunft gewesen. Wenn wir heute hier sind, sind wir morgen hier gewesen. Das Gegenwärtige bleibt als Vergangenheit des künftigen immer wirklich. Solange Vergangenes erinnert wird, ist es nicht schwer, die Frage nach seiner Seinsart zu beantworten: Es hat seine Wirklichkeit eben im Erinnertwerden. Aber die Erinnerung hört irgendwann auf. Da zur Vergangenheit immer eine Gegenwart gehört, deren Vergangenheit sie ist, müssten wir also sagen: Mit der bewussten Gegenwart – und Gegenwart ist immer nur als bewusste Gegenwart zu verstehen – verschwindet auch die Vergangenheit, und das Futurum exactum verliert seinen Sinn. Aber genau dies können wir nicht denken. Der Satz „In ferner Zukunft wird es nicht mehr wahr sein, dass wir heute Abend hier zusammen waren“, ist Unsinn. Er lässt sich nicht denken. Von welcher Art ist aber diese Wirklichkeit des Vergangenen, das ewige Wahrsein jeder Wahrheit? Für Spaemann kann die einzige Antwort nur lauten: Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein: Gott. Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.