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Heidegger, Martin: Der Briefwechsel mit Hannah Arendt

Der Briefwechsel mit Hannah Arendt

1982 hatte Elisabeth Young-Bruehl in ihrem Buch Hannah Arendt: For Love of the World erstmals öffentlich gemacht, was manche aus mündlichen Quellen wussten: dass es zwischen Martin Heidegger und seiner Schülerin Hannah Arendt eine intime Beziehung gegeben habe, und dass der Briefwechsel zwischen beiden noch vorhanden, aber unter Verschluss sei. Elzbietta Ettinger gelang es, für ihr Projekt einer Arendt Biographie Einblick in diese Materialien zu erhalten. Entgegen ihrer Ankündigung entschloss sie sich dann zu einer gesonderten Publikation unter dem Titel Hannah Arendt Martin Heidegger, die noch im selben Jahr, 1995, in der “Serie Piper” auf deutsch als Hannah Arendt - Martin Heidegger: Eine Geschichte erschien. Dabei kam Heidegger schlecht weg und, wie Ursula Ludz berichtet, konnte Heideggers Sohn Hermann, der Nachlassverwalter, aus diesem Grund dazu bewogen werden, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach lagernden Briefe zu veröffentlichen:

Hannah Arendt/Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse. Aus den Nachlässen herausgegeben von Ursula Ludz. 2., durchgesehene Auflage, 435 S., Ln., DM 88--, 1999, Vittorio Klostermann, Frankfurt

Von den erhaltenen Mitteilungen stammt lediglich ein Viertel von Hannah Arendt; im einzelnen sind es 119 Briefe, Postkarten oder Kurzmitteilungen von ihm an sie und 33 Schriftstücke von ihr, von denen viele nur als Kopien oder Konzepte existieren. Hinzu kommen noch einige wenige für den Zusammenhang wichtige Briefe sowie u. a. Gedichte von Heidegger.

Die tendenziöse, heideggerfeindliche Darstellung, die Elzbieta Ettinger dem Verhältnis gegeben hat, muss nach dieser Publikation korrigiert werden: Von einer einseitigen Verfallenheit der Hannah Arendt an Heidegger und einer skrupellosen Ausnutzung dieser Abhängigkeit zu seinen Gunsten kann nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um eine für beide tiefe und wichtige, von Krisen geschüttelte, aber das ganze Leben hindurch andauernde Beziehung, in der Heidegger jedoch derjenige bleibt, zu dem Hannah Arendt aufblickt.

Den ersten Brief schreibt der siebzehn Jahre ältere verheiratete Professor Martin Heidegger am 10. Februar 1925 in Marburg seiner Schülerin, die im Wintersemester 1924/25 ihr Studium begonnen hatte: “Liebes Fräulein Arendt! Ich muss heute Abend zu Ihnen kommen und zu Ihrem Herzen sprechen. Alles soll schlicht und klar und rein zwischen uns sein. Dann sind wir einzig dessen würdig, dass wir uns begegnen durften.” Bereits der zweite Brief, am 21. Februar, beginnt ganz anders: “Liebe Hannah! Warum ist die Liebe über alle Ausmaße anderer menschlicher Möglichkeiten reich und den Betroffenen eine süße Last?” Diese tiefsinnige Sprache weicht aber schnell einem prosaischen Stil, in dem Heidegger berichtet, was er gerade macht, was er plant. In einem Text “Schatten” erzählt Hannah, als suche sie Schutz vor einer direkten Verwundung, in der dritten Person von sich und gibt ihr Innerstes preis: “Denn Fremdheit und Zärtlichkeit drohten ihr schon früh eins und identisch zu werden. Zärtlichkeit bedeutet scheue, zurückgehaltene Zuneigung, kein Sich-Geben, sondern ein Abtasten, das Streicheln, Freude und Verwundern an fremden Formen war ... Sie wusste um Vieles - durch eine Erfahrung und eine stets wache Aufmerksamkeit. Aber alles, was ihr so geschah, fiel auf den Grund ihrer Seele, blieb dort isoliert und verkapselt. Ihre Ungelöstheit und ihre Unaufgeschlossenheit verwehrten es ihr, mit Geheimnissen anders umzugehen, als in dumpfem Schmerz oder träumerischer, verwunschener Verbanntheit”.

Heidegger antwortete am 24. April: “Ganz aus der Mitte Deiner Existenz bist Du mir nah und für immer in meinem Leben wirkende Kraft geworden”, aber auf den Hilferuf Arendts in ihrem Text kann er nicht antworten, er ist letztlich nur an seiner Arbeit interessiert. Sie sei ihm hier zu nahe gekommen, meint Martin Meier in seiner Besprechung in der Neuen Zürcher Zeitung, er wolle sie so, wie er sie brauche: "immer mit den gleichen Attributen der Weiblichkeit, den strahlenden Augen, der reinen Stirn, den gütigen, scheuen Händen". Skeptisch gegen Heideggers Liebesbeteuerungen ist auch Rahel Jaeggi in ihrer Besprechung. Seine Liebesbriefe würden wie Beschwörungen dessen klingen, was ihm gerade nicht gelingt: “das ‘Du’ wirklich zu nehmen”. Er fahre stattdessen ein ganzes Repertoire von Männerphantasien auf, “eine Ansammlung von Projektionen, die das Verhältnis auf eine merkwürdige Art unpersönlich werden lassen”.

Tief fühlt Hannah Arendt, so in einem Brief aus dem Jahr 1929: “Vergiß mich nicht, und vergiß nicht, wie sehr und tief ich weiß, dass unsere Liebe der Segen meines Herzens geworden ist.” Im Winter 1932/33 endet der erste Teil des Briefwechsels abrupt. Hannah Arendt hatte ihm über Gerüchte geschrieben, die sie beunruhigten. Heidegger antwortet etwas herablassend und selbstgefällig: “Dass ich Juden nicht grüßen soll, ist eine so üble Nachrede, dass ich sie mir allerdings künftig merken werde ... Ich bin dieses Wintersemester beurlaubt und habe deshalb im Sommer rechtzeitig bekannt gegeben, dass ich in Ruhe gelassen sein möchte und Arbeiten und dergleichen nicht annehme. Wer trotzdem kommt und dringlich promovieren muss und auch kann ist ein Jude ... Wer mir vor einigen Wochen eine umfangreiche Arbeit zur dringlichen Durchsicht schickte, ist ein Jude ... Im übrigen bin ich heute in Universitätsfragen genauso ein Antisemit wie vor 10 Jahren und in Marburg, wo ich für diesen Antisemitismus sogar die Unterstützung von Jacobsthal und Friedländer fand.”

Erst 1950 findet der Briefwechsel seine Fortsetzung, Arendt hatte Heidegger auf ihrer Deutschlandreise in Freiburg besucht und auch Heideggers Frau kennengelernt; dieser hatte ihr in der Zwischenzeit alles gebeichtet. Während Heidegger sich über die vergangene Zeit, über die Beziehung zu ihr, über die Zeit des Nationalsozialismus, nie offen äußert, sich immer hinter seinem Jargon versteckt, wird Arendt direkter: Sie hätten nicht viel und nicht übermäßig offen miteinander verkehrt, schreibt sie am 9. Februar 1950, und weggegangen aus Marburg sei sie damals einzig seinetwegen. Auch an Heideggers Frau schreibt sie einen Tag später und meint, deren Gesinnung bringe es “mit sich, dass ein Gespräch fast unmöglich ist, weil ja das, was der andere sagen könnte, bereits im vornhinein charakterisiert und ... katalogisiert ist - jüdisch, deutsch, chinesisch.” Martin Heidegger meint jedoch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den beiden Frauen: “Es bedarf nur noch einer geringen Beseitigung eines Missverständnisses, das vielleicht im oberflächlichen Gerede anderer seine eigentliche Wurzel hat.”

Heideggers Gefühle zu seiner ehemaligen Studentin erwachen neu: “Wie oft führ ich gerne mit dem fünffingrigen Kamm durch Dein Wuschelhaar, vollends wenn Dein liebes Bild mir mitten ins Herz blickt.“ Umgekehrt sind von Hannah Arendt aus dieser Zeit keine Briefe erhalten. Neben Berichten über Heideggers Arbeit erfährt man aus dem Briefwechsel einiges über sein Bild der Weltlage: “Die wachsende Bedrohung durch die Sowjets zwingt uns, heller zu sehen, heller auch als jetzt der Westen sieht. Denn jetzt sind wir die unmittelbar Bedrohten. Stalin braucht den Krieg ... Ich mache mir auch nichts darüber vor, dass ich mit meinem Denken zu den Bedrohtesten gehöre, die zuerst ausgelöscht werden ... es kann auch geschehen, dass auf lange Zeit hinaus kein Weitergeben des Großen und kein Wiederbringen des Wesenhaften mehr möglich ist ...Vielleicht ist der planetarische Journalismus die erste Zuckung dieser Verwüstung aller Anfänge und ihrer Überlieferung.” Heidegger fordert ein Denken, “das bedenkt, ... dass das Schicksal der Juden und der Deutschen ja seine eigene Wahrheit hat, die unser historisches Rechnen nicht erreicht”.

1954 kommt das Thema der Übersetzung von Heideggers Schriften ins Englische zur Sprache. Heidegger, der kaum Englisch kann, wünscht sich, dass sie die Übersetzungen kontrolliert und bringt dies zögernd zur Sprache: “Aber ich wage kaum daran zu denken, dass Du bei Deiner sonstigen Inanspruchnahme auch nur diese letzte und doch maßgebende Überprüfung Dir aufladen dürftest.“ Hannah Arendt antwortet ganz begeistert: “Du weißt, hoffe ich, dass Du mir schwerlich eine größere Freude hättest machen können.“

In den folgenden Briefen spricht Heidegger immer von seiner Arbeit, er schickt ihr auch seine Publikationen, die Arendt liest und die sie nachhaltig beschäftigen. “Ich las gerade nochmals den ganzen Hölderlinband, mit besonderer Aufmerksamkeit auf das, was Du darin über das Denken und das deinon sagst”, schreibt sie 1971. Umgekehrt interessiert sich Heidegger auffallend nur für ihre Person, nie für ihre Arbeit und ihre Publikationen, die nun auch in deutscher Sprache erscheinen. “Im Unterschied zu Dir schenke ich der Politik nur geringes Interesse”, schreibt er 1974, um gleich die Weltlage, die “klar ist”, zu skizzieren: “Alles bewegt sich im Vordergründigen. Gegen die Aufsässigkeit der ‘Massenmedien’: und der Institutionen vermag der Einzelne nichts mehr”, schreibt Heidegger in einem der letzten Briefe.

Rahel Jaeggi macht auch auf ein Doppelspiel der Hannah Arendt aufmerksam: Der “huldigend erhebenden Ton”, in dem sie an Heidegger schreibt, wird konterkariert durch die scharfzüngigen, Heidegger durchschauenden Beschreibungen, die sie an Jaspers oder ihren Ehemann Blücher liefert.