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BERICHT

Anton Leist :
Ethik: Klimagerechtigkeit

Der Beginn einer Diskussion

Mit Klimawandel und Klimapolitik beschäftigen sich Philosophen erst seit wenigen Jahren. Dennoch hat sich bereits ein Punkt ergeben, an dem die reale Politik die begriffliche Phantasie eher zu unterlaufen scheint als ihr ein offenes Anwendungsfeld zu bieten. Der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 hat für vermutlich längere Zeit die Hoffnung zerstört, es könnte eine ethisch geläuterte Nachfolgeversion des Kyoto-Abkommens geben. Die Kontrahenten, insbesondere die USA und China, stehen sich starr gegenüber und die Europäer sind mangels Masse und Einfluss unfähig, diese Blockade aufzubrechen. Für Bürger der westlichen und der übrigen Welt sollte es dennoch hilfreich sein, diesen Zustand mindestens zu begreifen, begleitend zu politischen Vorarbeiten für Koalitionenbildung im bescheideneren Umfang. Welche Rolle Gerechtigkeit dabei jetzt und in der Zukunft spielen kann, wird ein Teil dieser Diagnostik sein. Die Philosophie könnte also das Verständnis der augenblicklichen Stagnation unterstützen, allerdings nur, wenn sie die real-sozialen Kräfte neben den idealen berücksichtigt. Ob der Klimawandel überhaupt noch menschlich kontrolliert werden kann, ist durchaus ungewiss. Ob anspruchsvolle Kooperationen langfristig und im globalen Maßstab möglich sind, wird historisch zum ersten Mal getestet; und die traditionell eine einzige, weltumfassende Vernunft reklamierende Philosophie könnte in diesem Fall real widerlegt werden. In welchem Sinn können Philosophen angesichts des Klimawandels überhaupt hilfreiche Dienste leisten?

Zweifellos sollten sie erstens fähig sein, die im politischen Prozess bereits thematisierten Prinzipien für die gerechte Verteilung der Lasten im Klimawandel zu präzisieren. Zweitens sind, um diese Prinzipien zu begründen, Analysen zu ihren begrifflichen und sozialen Voraussetzungen nötig. Drittens werfen die möglichen Instrumente der Klimapolitik, wie eine Steuer oder der Emissionsmarkt, ihrerseits Gerechtigkeitsprobleme auf. Viertens steht in Frage, was eine gerechte Klimapolitik von den willigen Nationen forderte, wenn sich nicht alle beteiligen. Eine angemessene Analyse der Fairnessargumente sollte schließlich, fünftens, einzuschätzen erlauben, wie weit Moral und Rationalität voneinander abweichen. Nur so ließe sich der mögliche Erfolg von Klimaverhandlungen beurteilen. Ebenso wenig wie andere Naturprozesse kann das Klima in einem direkten Sinn ‚gerecht’ sein. Dennoch könnte der hier unterstellte, streng genommen illusionäre Titel helfen, den Ehrgeiz zu fördern, die (vermutlich) menschenverursachten Klimaschäden zu bekämpfen.

Muss Klimagerechtigkeit die Vergangenheit einbeziehen?

Für viele, die sich dem ethischen Problem des Klimawandels zum ersten Mal nähern, steht das historische Verantwortungsprinzip im Vordergrund. Dabei wird allerdings leicht übersehen, welche ungewöhnlichen Hindernisse der Moral gegenüberstehen, wenn sie auf Kollektive und auf generationenübergreifende Zeiträume angewandt wird. Zwei Interpretationen des Verantwortungsprinzips liegen dabei nahe: als kausales (polluter pays) und als Nutznießerprinzip (beneficiary pays).

Interpretiert man das Verantwortungsprinzip kausal, so sollte es beim Klimawandel auf den effektiven Schaden gerichtet sein. Als kausales Schadensprinzip stößt die historische Verantwortung aber auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten. Erstens ist die moralisch relevante Kausalität, also der anthropogene Anteil im Klimawandel, kaum auch nur ungefähr zu ermitteln (Caney 2010a). Zweitens handelt es sich um eine Kausalität durch frühere Generationen, also durch Kollektive. Können Kollektive moralisch verantwortlich sein? Drittens wussten die Früheren nichts von den Folgen ihres Handelns. Gesichertes Wissen kann bestenfalls etwa ab 1990 (erster IPCC-Bericht) unterstellt werden (Caney 2010a). Viertens werden die Taten der Früheren den Heutigen aufgebürdet. Warum sollen insbesondere individuell Einzelne heute für unbekannte frühere Individuen verantwortlich sein (Neumayer 2000)? Fünftens, die Aneignung der Atmosphäre durch Emissionen nach der Logik des Lockeschen Aneignungsprinzips verweist am Ende auf die Frage, ob in der Gegenwart „genug und gleich Gutes“ nicht nur an Emissions-, sondern an Entwicklungsmöglichkeiten allgemein verfügbar ist. Die kausale Problematik geht deshalb in einer Problematik der Verteilungsgerechtigkeit in der Gegenwart auf (Miller 2009).


Diesen Einwänden wäre zu entkommen, wenn ein Prinzip strikter Haftung bei Schäden unterstellt werden könnte, für das weder Absicht noch Wissen zählen (Neumayer 2000). Anders als bei Haftungsfällen von Firmen hatten die früheren Generationen aber kaum eine Möglichkeit, aus der Industrialisierung auszusteigen. Sie dennoch als für die Folgen haftend zu erklären, würde gegen die im westlichen Denken verankerte Freiheitsvoraussetzung der Moral verstoßen (Schüssler 2011).

Angesichts dieser Bedenken interpretieren manche die historische Verantwortung stattdessen so, dass sie aus dem Nutzen der früheren Emissionen für die heutigen Generationen entspringt (Grosseries 2004). Dieser Gedanke kann verschieden gewendet werden, im Sinn historischer Verantwortung stößt aber auch ein solches Nutznießerprinzip auf erhebliche Probleme. Erstens ist allgemein erklärungsbedürftig, warum das bloße (sogar unfreiwillige) Nutznießen eines Guts anderen gegenüber zu etwas verpflichtet. Dem Nutznießen der Emissionen ging kein irgendwie bindender Vertrag voraus. Zweitens haben vor der heutigen Generation bereits viele Nutznießer der Industrialisierung gelebt, ohne dass sie für die Schäden aufgekommen wären. Sollen dennoch die heute Lebenden auch den Nutzen der früheren Generationen verantworten? Das scheint unfair. Drittens, unabhängig davon: wieso sollte das Nutzenmaß für das Ausmaß des Entschädigens relevant sein – ist es nicht eher (oder mindestens auch) der verursachte Schaden? Daran zeigt sich, dass das Nutznießerprinzip nicht eigentlich eine Alternative zur kausalen Verantwortung ist, sondern sie bestenfalls ergänzt. Aufgrund der letzten beiden Punkte stößt es auf dieselben Schwierigkeiten wie das kausale Prinzip.

Etwas allgemeiner ansetzend haben Meyer/Roser (2006) eine historische Verantwortung daraus herzuleiten versucht, dass die früheren Generationen einen größeren Teil der insgesamt zu begrenzenden Emissionsmenge bereits in Anspruch genommen haben, und die nachfolgenden Generationen deshalb höhere Lasten zu tragen hätten. Wie viele andere Vorschläge mutet auch dieser ad hoc an, weil nicht klar ist, warum ein früher, unter Unwissen verbrauchtes Gut, eine spätere Verantwortung verursacht – anders als bei einem etwa zeitgleich verbrauchten Gut im Rahmen verteilender Gerechtigkeit. Wiederum wäre deshalb eher das Lockesche Aneignungsprinzip das einschlägige historische Gerechtigkeitsargument für oder gegen nachträgliche Korrekturen früherer Aneignungen, wonach sich eine Aneignung durch die gleich gute Restmenge für andere auszeichnet. Meyer/Roser (2006) sind tatsächlich der Meinung, dass diese Lockesche Argumentation eindeutig zu lasten der früheren ‚Aneigner’ ausfiele. Wendet man Lockes Argument direkt an, mag das zutreffen; allerdings hatte Locke nie die globale, sondern nur die nationale Aneignung im Sinn. National herrschen enge Wirtschaftsbeziehungen, die im globalen Maßstab fehlen. Der durch die Emissionen erwirtschaftete Nutzen, sollte er überhaupt isoliert werden können, wäre in seinen positiven Folgen auch für die internationalen Staaten zu beachten, und das wird kaum ohne zusätzlich angelegte Gerechtigkeitskriterien möglich sein (s. Miller 2009).
Mit dem Lockeschen Argument allein ist die Vorstellung, der Westen hätte vom Emissionskuchen bereits zu viel verbraucht, nicht zu präzisieren.
Insgesamt ist damit ein Verantwortungsprinzip bestenfalls für den ab 1990 verursachten Schaden relevant. Doch selbst dann bliebe offen, wie die Kompensation dieses Schadens intergenerationell unter den Bürgern westlicher Staaten genauer zu verteilen ist.

Welche verteilende Gerechtigkeit?

Versucht man nun die Lasten des Klimawandels tatsächlich verteilungsgerecht zu analysieren, so lautet die zentrale Frage:

1) Mit welchen Prinzipien könnten diese Lasten beurteilt werden?

Und an diese Frage knüpfen sich unausweichlich zwei weitere Fragen:

2) Was ist es, das zu verteilen oder mit dem zu korrigieren ist: ökonomische Vermeidungskosten, Emissionsrechte, Emissionsreduktionen (Mitigationen), Vorteile aus Emissionen, ökologische Ressourcen/Räume/Chancen, (ökologische) Wohlfahrt, (ökologische) Entwicklungsfähigkeiten, etc.?

3) An welche Ansammlung von Individuen oder Kollektiven sind die Gerechtigkeitsforderungen gerichtet? Sofern an Staaten, nur an ausgewählte Staaten (wie im Kyoto-Protokoll) oder alle Staaten?

Ich werde auf die Frage nach den Prinzipien etwas ausführlicher eingehen, und nur knapp auf die Güter und die Adressaten. Unter den Prinzipien sind drei bei Klimaverhandlungen besonders häufig im Gespräch: das Prinzip der gleichen Pro-Kopf-Rechte, das Besitzstandsprinzip (Grandfathering; status-quo Rechte) und das Prinzip des Beitragens nach Fähigkeit (ability to pay). Ähnlich wie beim Verantwortungsprinzip verweisen auch diese Prinzipien auf tieferliegende, klassische Gerechtigkeitsideen. Wieweit sie in diesem globalen Ausmaßtatsächlich anwendbar sind, bedarf einer kritischen Analyse.

(a) Dabei zeigt sich, dass sie teilweise untauglich und teilweise ergänzungsbedürftig sind. In die erste Kategorie fällt die populäre Forderung des Pro-Kopf-Rechts auf Emissionen. Die strikte Gleichheit von Ansprüchen zu fordern leuchtet nur dann ein, wenn über die Eigenschaften der Beteiligten nichts bekannt ist und moralische Ungleichheit deshalb mangels Gründe willkürlich wäre. Über die ungleiche Wohlfahrt der Weltbewohner ist jedoch, individuell wie kollektiv, hinreichend viel bekannt, oder kann leicht in Erfahrung gebracht werden. Entscheidend ist, dass Emissionen ein Mittel für Wohlfahrt sind und sie gleich zu verteilen bei ungleich situierten Ländern ungleiche Wohlfahrt zur Folge hätte. Versteht man Menschenrechte so, dass sie auf die gleiche Wohlfahrt selbst gerichtet sind, so können die Emissionsrechte nicht eigenständige Menschenrechte – sondern bestenfalls untergeordnete Rechte neben anderen sein (Hayward 2007; Caney 2009; Miller 2009).

Beim Beurteilen der Pro-Kopf-Emissionen in der Praxis ergeben sich zwei Probleme. Angenommen, man verständigte sich auf eine Obergrenze für die Emissionen, wie könnten dann zusätzlich die lokalen CO2-Senken berücksichtigt werden, die man ebenfalls den Bürgern eines Landes zurechnen kann? (CO2 stehe hier und im folgenden vereinfacht für alle Treibhausgase.) Würde man die Senken mit dem Argument ignorieren, ihr Besitz sei zufällig („Ist es nicht zufällig, dass manche Länder große Waldflächen haben?“), so gälte Ähnliches auch für die Notwendigkeit des Energieverbrauchs („Ist es nicht zufällig, dass manche Länder besonders heißes/kaltes Klima haben?“). Als zweites Problem ist zu bedenken, dass die Pro-Kopf-Verteilung Staaten motivieren könnte, ihr Bevölkerungswachstum zu fördern. Das Prinzip würde stark wachsende Nationen gegenüber schwach wachsenden bevorteilen und so deren steigende Emissionen nicht zügeln.

Unter diesen Einwänden gegen die Pro-Kopf-Rechte ist derjenige des bloßen Mittelcharakters der Emissionen der bedenkenswerteste, weil Emissionen und Wohlfahrt gleichzusetzen in der Praxis die gegenteilige Wirkung haben kann wie beabsichtigt. Emissionsrechte sollten deshalb nicht unter Individuen, sondern unter Staaten oder Nationen verteilt werden, was nicht heißen soll, dass die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen ignoriert werden. (Beispielsweise ist der CO2-Ausstoß Chinas inzwischen höher als derjenige der USA, die chinesische Bevölkerung misst jedoch mehr als das Vierfache der USA.)

(b) Das Besitzstandsprinzip („die de facto Emissionen werden festgeschrieben“) wird von Ethikern in der Regel für ein politisch-pragmatisches Prinzip ohne jeden moralischen Anspruch gehalten. Ein flankierendes Effizienzargument im Geist des Utilitarismus: „so, wie die Emissionen de facto verteilt sind, schaffen sie den meisten industriellen Nutzen“ ist kaum glaubhaft. Zu einem normativen Prinzip würde der Status quo erst dann, wenn der ungleiche tatsächliche Emissionsumfang mit einer entsprechenden Bereitschaft des Reduzierens nach Fähigkeit verbunden würde, beispielsweise dem unterschiedlichen Wohlstand entsprechend.

(c) In diesem Sinn forderte das Beitragsprinzip von wohlhabenden Staaten größere Reduktionspflichten als von armen Staaten, einzig aufgrund des höheren Wohlstands (Shue 1999; Caney 2010a). Ein solches Prinzip scheint normativ gesehen verkürzt (Posner/Weisbach 2010, Kap.4). Wieso genügt dafür, dass manche höhere Lasten tragen sollen, bereits, dass sie es können? Eine Antwort findet sich in dem Gedanken, dass sie, in der Gegenwart, auch einen höheren Anteil der begrenzten Emissionen für sich in Anspruch nehmen, woraus eine höhere Verpflichtung entspringt. So erweitert würde aus dem Beitragen allein aufgrund von Können ein Beitragen aufgrund eines gerechten Verhältnisses werden. Wenn empfangenes Gut und geleisteter Beitrag im gerechten Verhältnis stehen, spricht man von ‚Leistungsgerechtigkeit’.

Wie genau jedoch Emissionsumfang und Reduktionsforderung zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, ist unklar. David Miller setzt Fähigkeiten und Bedürfnisse zueinander in Beziehung und nennt es das Prinzip gleicher Lasten (Miller 2009). Die aufgrund ihrer Bedürfnisse nötigen Emissionszunahmen aufseiten der armen Nationen sollten das Reduktionsmaß für die aktuell wohlhabenden Emitter diktieren. Problematisch dabei ist, dass einem Teil der Emitter damit eine carte blanche für Emissionen gegeben wird. Effektiver wären Technologietransfers und verlagerte Emissionsreduktionen als Zugeständnisse des Emissionswachstums (Posner/Weisbach 2010). Außerdem kommen mit dem Bedürfnismaßstab die bisher ausgeklammerten Fragen nach den Gütern/Adressaten und den Voraussetzungen ins Spiel: was soll eigentlich unter wen verteilt werden und welche Art von Moral kann dabei im internationalen Maßstab unterstellt werden?

Güter und Adressaten

Wie die bisherigen Probleme vor allem der kausalen Verantwortung und der individuellen Emissionsrechte zeigen, ist es kaum sinnvoll, die Güter und Adressaten der Klimagerechtigkeit ohne ein tragfähiges Prinzip zu ermitteln. Während die zentrale IPCC-Unterscheidung diejenige zwischen Mitigation (Emissionsreduktionen) und Adaptation (Katastrophenvorsorge) ist, scheint kurzfristig die Frage wichtiger, wie strikt die Lastenverteilung bei den Reduktionen von der weltweiten Wohlfahrtsungleichheit getrennt werden kann. Ein großer Teil der politischen Klimadebatte bindet Mitigationslasten und Entwicklungshilfe eng aneinander. In gewissem Ausmaß ist das unvermeidlich, weil sowohl die Emissionshöhen wie die Mitigationen nicht vom Wohlstand eines Landes getrennt werden können. Emissionszuwächse können in elementare Bedürfnisse oder in Luxusbedürfnisse fließen, Reduktionen sind in entwickelten Staaten teurer als in sich entwickelnden. Dennoch können die Ziele der Klimagerechtigkeit und diejenigen gerechter Entwicklungspolitik voneinander unterschieden und dann mit Gründen verbunden oder voneinander getrennt werden.

Posner/Weisbach (2010) plädieren mit zwei plausiblen Gründen für das Trennen. Erstens benötigten hilfebedürftige Länder in der unmittelbaren Gegenwart Hilfe, während sich die Mitigation erst langfristig wohlfahrtssteigernd auswirke. Aufgrund dieses Zielkonflikts könne nur entweder den gegenwärtigen Bedürftigen nicht geholfen oder keine effektive Mitigation betrieben werden. Zweitens gälte ein analoger Zielkonflikt für besonders arme und wenig reduktionsbelastete Nationen im Verhältnis zu mittelmäßig wohlhabenden, aber (aufgrund veralteter Technologie) hoch reduktionsgeforderten Nationen. Eine effektive Reduktionspolitik wird sich nicht auf die besonders armen, sondern auf mittelmäßig reiche Nationen konzentrieren.

Im Kyoto-Protokoll sind die Entwicklungsländer (einschließlich der heute besser zu sondernden BRIC-Staaten: Brasilien, Russland, Indien, China) bekanntlich von den Forderungen ausgenommen. Verschiedene Gründe sprechen jedoch dafür, von ihnen in einer kooperativen Mitigation ebenfalls Beiträge zu erwarten (Posner/Weisbach 2010). Ohne die BRIC-Staaten wird das 2°/2050-Ziel nicht zu erreichen sein. Westliche Industrien können zudem leicht in Länder ohne Reduktion auswandern und westliche Reduktionen würden effizienter, wenn sie auch in den Entwicklungsländern getätigt werden könnten.

Die bisherigen Bemerkungen machen deutlich, dass die Akteure der Klimagerechtigkeit unausweichlich Staaten sein müssen (unter Einbezug allerdings der Bevölkerungszahl). Ohne Staaten kämen internationale Vereinbarungen nicht zustande und könnten nicht verlässlich kontrolliert werden. Selbst wenn individuelle Rechte beim Klima unwiderlegbar wären, wie sollten sie realisiert werden? Nur Staaten haben die Möglichkeit, ihre Klimalasten gerecht unter ihren Bürgern zu verteilen. Demgegenüber würde eine globale Pro-Kopf-Verteilung die ungleichen Emitter ungerecht gleich behandeln.

Begriffliche und soziale Voraussetzungen der Klimagerechtigkeit

Wie andere Bereiche der Gerechtigkeit auch, weckt die Klimagerechtigkeit das Bedürfnis, abstrakte Prinzipien in Forderungen zu überführen, die auch realisierbar sind. Rawls hat aus diesem Grund von „Verteilen“ als „Verteilen in einer Kooperation“ gesprochen und das vom abstrakten „Zuteilen“ unterschieden (Rawls 2001, 50; s. dagegen „Allokation“ in Meyer/Roser 2006; Meyer 2009). Im Unterschied zum Zuteilen wird beim Verteilen auch der Prozess der Produktion von Gütern berücksichtigt, und das vor allem aus zwei Gründen. Erstens sollten, im Sinne Humes, Forderungen der Gerechtigkeit kooperative soziale Beziehungen voraussetzen. Ohne Kooperation geriete ein gerechtes Verteilen zu einem Schenken. Zweitens wird der Klimawandel, sofern überhaupt, nur kooperativ bewältigt werden können, so dass sich Gerechtigkeit in jedem Fall auf die Kooperation beziehen wird müssen. Gerechtigkeitsprinzipien müssen sich in reziproken Anforderungen und nicht zuteilend bewähren. Es wäre deshalb verkehrt, moralisch anspruchsvolle Forderungen des Umverteilens einzig aufgrund bestehender ökonomischer Ungleichheit aufzustellen.

In fast jedem Beitrag zur Klimagerechtigkeit wird betont, inwiefern die Langfristigkeit intergenerationelle Anforderungen der Gerechtigkeit stelle. Da jedoch die zu erwartenden Folgen des Klimawandels inzwischen innerhalb der Lebensspanne der heute etwa 30jährigen liegen dürften, ist die akademische Diskussion über intergenerationelle Pflichten weitgehend irrelevant geworden. Von ungleich aktuellerer Bedeutung ist hingegen, ob die „Kosmopoliten“ in der Ethik (Shue 1999) darin recht haben, dass lokale moralische Maßstäbe global erweitert werden können und sollen. Gleiche Lebenschancen für alle zu fordern, würde aufgrund der gewohnten Priorität der eigenen Kinder bestenfalls von wenigen akzeptiert, und global gleich suffiziente Wohlfahrt dürfte mit lokalen Pflichten unvereinbar sein (Miller 2005). Die Kosmopoliten verwechseln häufig moralische Rechte mit verteilender Gerechtigkeit, und wenn sie beispielsweise globale Suffizienzrechte fordern (Meyer 2009), erweitern sie die Gerechtigkeit des kooperativen sozialen Nahbereichs einfach ohne Gründe auf alle Menschen.

Gerechtigkeit ist an Reziprozität gebunden und Rechte ohne Reziprozität haben dubiose normative und noch weniger soziale Grundlagen. Reziprozität bildet den Kern kooperativen Handelns, in dem die Beiträge zu gemeinsamen Zielen wechselseitig voneinander abhängig sind. Verteilende Gerechtigkeit benötigt Institutionen der Kooperation, weil ohne sie der angemessene Ausgleich zwischen Geben und Nehmen nicht ermittelt werden kann, ein Grund, der in der ungleich komplexeren globalen Gerechtigkeit eher noch stärker zum Tragen kommt als in der nationalen. Das Ziel sollte eine sowohl gerechte wie effektive Reduktionspolitik sein, in der sich alle in angemessenem – nämlich gerecht ungleichem – Maß beteiligen.

In diesen Rahmen passt am ehesten ein Prinzip der Leistungsgerechtigkeit, das man als verbesserte Version von Millers Fähigkeiten/ Bedürfnisse-Vorschlag (Miller 2009) entwickeln könnte. Dabei könnten die wirtschaftlich stärksten Staaten mit ihren hohen Emissionsmengen in einen Reduktionspfad einsteigen, in dem sie über Technologietransferverträge und andere Kooperationsformen, ihrer Leistungskraft entsprechend, Emissionen proportional reduzieren (Leist 2011). Begrenzt man die Klimapolitik um ihrer Effizienz willen darauf, möglichst schnell zu reduzieren, ist ein gestaffeltes Instrumentarium nötig, das den beteiligten Partnern die Freiheit lässt, wie sie reduzieren. Wichtig ist, dass auch die heutigen starken Emitter aus dem Reduktionsplan einen Nutzen ziehen können, um sich ihm zu unterwerfen. Ohne einen solchen, nicht notwendig gleichen, Nutzen käme die Kooperation nicht zustande (Heath 2005).

Instrumente der Klimapolitik

Eine Folge dieser Forderungen ist, dass das erste und grundlegende Instrument der Klimapolitik ein internationales Abkommen sein muss, an dem (anders als bei Kyoto) möglichst alle Staaten beteiligt sind. Wie dieses Abkommen genauer ausgelegt werden soll, ist nur teilweise von ethischen Prinzipien abhängig; zusätzlich (und vielleicht stärker) spielen praktisch wirksame Methoden auf der Grundlage realistisch beurteilter internationaler Politik eine Rolle. Posner/Weisbach (2010) sind der Meinung, dass die Pareto-Bedingung für Klimaverträge die geeignetste Rahmenbedingung ist, die einerseits sicherstellt, dass die Partner durch Verträge keine Verluste erleiden, die aber andererseits einen erzielten Surplus nach gerechten Kriterien verteilt. Ein Surplus ist (berechnet etwa auf Grundlage des Stern-Reports) zu erwarten, weil der Klimawandel ohne Mitigation nahezu alle Nationen ungleich schlechter stellen wird. (Dabei ist wiederum unterstellt, dass der Klimawandel weitgehend anthropogen ist und sich tatsächlich beeinflussen lässt.) Die Pareto-Bedingung entspricht einer fairen Kooperation, in der gegenseitiger Vorteil mit einer Verteilung nach Fairness vereinbar wird.

Im Rahmen eines solchen pareto-optimalen Vertrags wären verschiedene Ungleichverteilungen des erwartbaren Gewinns denkbar.
Beispielsweise könnte der Gewinn völlig gleich, oder nach Suffizienz (an die ärmsten Länder bis zum genügenden Niveau), oder nach Priorität (an die ärmsten Länder lexikalisch) verteilt werden. Vorzugsweise sollte die Verteilung jedoch mit Anreizen verbunden werden, weshalb Posner/Weisbach vorschlagen, diejenigen mit höheren Reduktionsanstrengungen entsprechend zu belohnen. Ein solches Prinzip scheint unfair, weil es die reicheren Nationen bevorteilte: aufgrund ihres höheren technologischen und ökonomischen Niveaus sind sie leichter als ärmere Nationen in der Lage, auf Emissionen zu verzichten. Dem Sinn fairer Kooperation entspräche hingegen, diejenigen zu belohnen, die mit der Reduktion zugleich einen Umverteilungseffekt erzielten. Ein entsprechendes Prinzip könnte darin bestehen, dass ein Land dann einen größeren Anteil am Gesamtgewinn erhielte, wenn es seine Reduktion mit einem Wohlfahrtszuwachs in einem anderen Land kombinierte, in Form einer Kooperation mit diesem anderen Land. Die Zuteilung könnte weiter berücksichtigen, auf welchem Niveau der Wohlfahrtszuwachs stattfindet, wie schnell, und in welchem Verhältnis der Partner untereinander.

Für die Klimakooperationen sind Fairnessbedingungen nötig. Simon Caney nennt zwei Bedingungen. Erstens muss die Emissionsverlagerung insgesamt Emissionen verringern und zweitens darf sie keine unfairen Lasten für andere schaffen (Caney 2010b). So einfach diese Bedingungen zunächst klingen, sie angemessen zu erfüllen, ist schwierig. Unter dem eben erwähnten Belohnungsprinzip für Emitter, die ihre Emissionen in Länder so verlagern, dass sie den Wohlstand dieser Länder erhöhen, wäre zwar die zweite Bedingung erfüllt, doch indirekt drohen zwei problematische Folgen. Erstens kann der große Wohlfahrtsunterschied dazu führen, dass verlagerte Emissionen für das Empfängerland ungleich weniger vorteilhaft sind, womit ein Ausbeutungseffekt des schwächeren Landes droht. Zweitens kann das billigere Verlagern von Emissionen das teure Entwickeln neuer Techniken verhindern. Ob dieser Effekt eintritt, wird vom Preisniveau der Emissionen abhängen und könnte dann politisch gesteuert werden.

Nicht-ideale Theorie

Angesichts des klimapolitischen Desasters von Kopenhagen ist die vielleicht wichtigste aktuelle Frage, in welchem Ausmaß Gerechtigkeit von den nach wie vor Willigen (beispielsweise den europäischen Ländern) Mitigationsleistungen fordert, die über das proportionale Maß bei Gleichbeteiligung aller hinausgehen. Diese Frage stellt sich Individuen ebenso wie Staaten (sowie Staaten und Bürgern im gegenseitigen Verhältnis), und im Rahmen von unklarem Wissen zur physikalisch bedingten Schwelle, unterhalb derer klimaförderliches Verhalten mangels Menge ineffektiv bleiben wird. Im folgenden sei – ohne sicheres Wissen – unterstellt, diese Schwelle sei nicht unterschritten.

Welcher Art ist der moralische Hintergrund, vor dem sich die Frage des Lückenfüllens stellt? Können sich die Verweigerer, beispielsweise die USA, damit rechtfertigen, dass sie alle konkreten Vorschläge ungerecht finden? Muss eine gerechte Lösung geteilt werden, damit der einzelne sich von Gerechtigkeit aufgerufen finden kann? Diese Frage ist nicht belanglos, weil im globalen Rahmen ungewiss bleibt, in welchem Ausmaß welche Gerechtigkeit tatsächlich angemessen ist. Ethik ist häufig nichts anderes als eine rationale Rekonstruktion des moralischen Verhaltens – global ist aber unsicher, was genau zu rekonstruieren ist.

Wichtig scheint, wie man das System der Klimagerechtigkeit versteht, ob als „opferbezogenes“ oder als „selbstbezogenes“ System. Im ersteren System gehörte man einem Kollektiv an, das Rechte seitens potentieller Opfer zu erfüllen hat; im zweiten System ist man Teil eines Kollektivs, das sich mehr oder weniger entschieden dem Erbringen bestimmter Güter oder dem Verhindern bestimmter Schäden widmet. Die Vertreter historischer Verantwortung neigen zur opferbezogenen Sicht. Sie argumentieren, dass das Kollektiv der Verursacher den zukünftigen Opfern verpflichtet ist, und wenn sich einige nicht beteiligen, muss der Rest deren Lasten übernehmen. Aufgrund der übernommenen Verantwortung steigen die Lasten jedes Beteiligten, sind andere nicht bereit, ihren Anteil zu tragen. Anders verhält es sich im selbstbezogenen System. In ihm ist die moralische Grundlage nicht Verantwortung, sondern die Pflicht zur fairen Beteiligung bei gemeinsamen Zielen. Leisten einige ihren Beitrag nicht, so gehen ihre Pflichten nicht auf andere über, sondern das System ist einfach weniger effektiv.

Angesicht des Verhaltens der USA und Chinas befürchten manche, eine solche selbstbezogene, kooperative Sichtweise bemäntle nur die Weigerung, in eine gerechte Klimapolitik einzusteigen. Wenn China und die USA ihre eigene Beteiligung wechselseitig von der Beteiligung des anderen abhängig machen, verfolgen sie dann nicht einzig ihren Nutzen anstelle von Gerechtigkeit? Nutzen und Gerechtigkeit lassen sich jedoch nicht voneinander trennen, weil bei verteilender Gerechtigkeit nur durch einen aktiven Prozess herausgefunden werden kann, welches Ausmaß die jeweiligen Rechte und Pflichten annehmen. Ihre Rationalität wird China und die USA spätestens dann zu einem Abkommen motivieren, wenn der Gewinn der jeweils eigenen Beteiligung die Einbuße durch die nationale Klimapolitik übersteigt. Diese Möglichkeit im Blick, könnte die Vision einer für fast alle vorteilhaften kooperativen Klimapolitik den rationalen Boden dafür bilden, zusätzlich auch fair zu verteilen. Denn nur unter auch fairen, und nicht nur rationalen, Partnern ist längerfristig Kooperation zum gegenseitigen Nutzen möglich.

Literatur zum Thema

Caney, D. (2009), Justice and the Distribution of Greenhouse Gas Emissions, in: Journal of Global Ethics 5(2), 125-146
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Grosseries, A. (2004), Historic Emissions and Free Riding, in: Ethical Perspectives 11, 36-60
Hayward, T. (2007), Human Rights versus Emission Rights. Climate Justice and the Equitable Distribution of Ecological Space, in: Ethics and International Affairs 21(4), 431-450
Heath, J. (2005), Rawls on Global Distributive Justice: A Defence, in: Canadian Journal of Philosophy, Suppl.Vol. 31, 193-226
Leist, A. (2011), Klima auf Gegenseitigkeit, in: D.Birnbacher (Hg.), Klimawandel und Intergenerationelle Gerechtigkeit. Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik
Meyer, L. H. (2009), Klimawandel und Gerechtigkeit, in: J.Wallacher/K.Scharpenseel (Hg.), Klimawandel und globale Armut, Stuttgart
--/D.Roser (2006), Distributive Justice and Climate Rights: The Allocation of Emission Rights, in: Analyse & Kritik 28, 223-249
Miller, D. (2005), Against Global Egalitarianism, in: Journal of Ethics 9, 55-79
- (2009), Global Justice and Climate Change. How Should Responsibilities be Distributed?, in: Tanner Lectures on Human Values 28, 119-156
Neumayer, E. (2000), In Defence of Historical Accountability for Greenhouse-Gas Emissions, in: Ecological Economics 33, 185-192
Posner, E.A./D.Weisbach (2010), Climate Change Justice, Princeton
Rawls, J. (2001), Justice as Fairness. A Restatement, Cambridge/MA
Schüssler, R. (2011), Climate Justice: A Question of Historic Responsibility? In: Journal of Global Ethics (im Erscheinen)
Shue, H. (1999), Global Environment and International Inequality, in: International Affairs 75(3), 531-545

UNSER AUTOR:

Anton Leist ist Professor für allgemeine Ethik an der Universität Zürich.