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INTERVIEW

Stoecker, Ralf: Sterben im Verein? ´Zur Kontroverse um die Sterbehilfe

Anfang des Jahres geriet die Schweizerische Sterbehilfe-Organisation Dignitas mit einem tragischen Fall in die Schlagzeilen. Eine Krebspatientin hatte die Organisation um Hilfe gebeten. Laut Medienberichten dauerte ihr Todeskampf nach Einnahme des von Dignitas besorgten Giftes qualvolle 38 Minuten. 2005 hat Dignitas erstmals eine Beratungsstelle in Deutschland in Form eines Vereins eröffnet. Beihilfe zum Suizid ist zwar in Deutschland nicht verboten, so etwas gab es jedoch bisher nicht in organisierter Form. In Hannover gibt es nun Bemühungen, Dignitas verbieten zu lassen. Die Organisation hat aber auch Befürworter wie etwa die Gesellschaft für Humanes Sterben.

Hat die Philosophie eine Antwort auf die Frage, ob die von Dignitas angebotene Form der Sterbehilfe ethisch vertretbar ist?

Stoecker: Ja und nein. Es wäre ein Missverständnis, wenn man von der Moralphilosophie erwarten würde, dass sie moralische Zwickmühlen, wie sie sich zum Beispiel bei der Sterbehilfe auftun, einfach dadurch beseitigt, dass sie sagt, was richtig und falsch ist. Letztlich würde auch niemand eine solche Besserwisser-Philosophie wollen. Die Aufgabe der Philosophie ist es, die Situation besser durchschaubar zu machen, indem sie die Gedanken ordnet, die für die Entscheidung, was richtig und falsch ist, wichtig sind, so dass die Person, die vor der Entscheidung steht, sieht, was auf dem Spiel steht. Und wie man einen Knoten lösen kann, wenn man die verschiedenen Schnüre lockert, lösen sich viele Probleme auf, wenn man die verwickelten Argumente auseinanderpflückt. Bei Dignitas muss man beispielsweise fragen, ob ein relativ anonymer Verein der richtige Ort und der richtige Begleiter für eine derart schwerwiegende Handlung wie eine krankheitsbedingte Selbsttötung ist. Ich bezweifle das.

Welche ethischen Argumente gibt es im Fall der Sterbehilfe?

Stoecker: Zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Wort „Sterbehilfe“ für ganz unterschiedliche Dinge stehen kann. Wörtlich bedeutet „Sterbehilfe“, jemandem im Sterben beizustehen. Eine solche Sterbebegleitung (wie sie zum Beispiel in Hospizen geleistet wird) ist ethisch stark erwünscht, aber leider nicht immer selbstverständlich. Daneben gibt es die passive Sterbehilfe, das heißt die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Sie ist zu einem ethischen Thema geworden, seit mit dem Entstehen der Intensivmedizin der Bereich zwischen Leben und Tod für die Medizin verfügbar geworden ist. Hier wirkt sich besonders die Entwicklung der Konzeption der Patientenautonomie aus, also die früher undenkbare Möglichkeit zu sagen, ich will diese Behandlung nicht mehr. Auch wenn es im Einzelfall schwierig sein kann zu entscheiden, ob eine Behandlung eingestellt werden sollte oder nicht, so ist die passive Sterbehilfe ethisch heutzutage weitgehend akzeptiert. Ähnliches gilt für die indirekte Sterbehilfe, bei der ein Leiden minderndes Medikament gegeben wird, obwohl das Risiko besteht, dass dadurch der Tod des Patienten beschleunigt wird. Die schärfsten ethischen Kontroversen drehen sich hingegen um die aktive Sterbehilfe, wobei die zumindest in Deutschland einzig wirklich strittige Form die Tötung eines Patienten auf dessen Wunsch hin ist. Das Problem ist hier, dass diese Frage ethisch davon abhängt, woraus man das Tötungsverbot ableitet.

Gibt es dafür keine einheitliche Position?


Stoecker: Tatsächlich haben wir kein gutes, allgemein überzeugendes Modell für eine ethische Grundlegung des Tötungsverbotes. Wir wissen einfach nicht genau, warum man andere Menschen nicht töten darf, obwohl jeder empfindet, dass es falsch ist. Je nachdem, welche der möglichen Begründungen man wählt, kommt man aber zu unterschiedlichen Konsequenzen. Wenn man sagt, jedem gehört sein Leben, jeder hat ein Recht an seinem Leben wie er ein Recht hat an seinem Besitz und damit kann er machen was er will, dann ist das Tötungsverbot einfach das Verbot, den Besitz eines anderen anzutasten. Man kann das Leben aber auch als etwas ganz besonders Wertvolles, vielleicht sogar Heiliges ansehen. Dann hat der Einzelne nicht mehr ein beliebig großes Verfügungsrecht über sein Leben. So wie jemand auch dann nicht einfach Schloss Sanssouci abreißen dürfte, wenn es ihm gehören würde. Und darüber hinaus gibt es weitere Erklärungsmodelle für das Tötungsverbot.

Gibt es eine ethische Verpflichtung für die Tötung auf Verlangen?

Stoecker: Es ist, wie gesagt, schon fraglich, ob es auch nur ein Recht gibt, sich töten zu lassen. Aber ich denke, es ist offensichtlich, dass es keine Pflicht gibt. Angehörige könnten es jedoch als eine Liebesverpflichtung ansehen, dem leidenden Verwandten oder Freund zu helfen.
Man muss dies aber von der Mitleidstötung trennen, bei der man jemanden tötet, weil man sich denkt, dass es besser für diesen Menschen wäre, tot zu sein. Dass solche Tötungen ethisch nicht haltbar sind, sollte – nicht zuletzt auch aus der historischen Erfahrung mit der so genannten „Euthanasie“ in der Nazizeit – in Deutschland unstrittig sein.

Der Wunsch nach Sterbehilfe resultiert ja mitunter aus den schlechten Lebensbedingungen für Pflegebedürftige. Ist die Gesellschaft nicht sogar verpflichtet, Alternativen wie beispielsweise eine Sterbehilfeorganisation zuzulassen, solange die Palliativmedizin und die Hospizbewegung noch nicht ausreichend ausgebaut sind?

Stoecker: Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Wenn es diese Alternative gäbe, wäre die Gesellschaft von dem Druck entlastet, sich um Pflegebedürftige und Sterbende besser zu kümmern. Das führt mich zu dem vielleicht wichtigsten ethischen Argument gegen die organisierte Sterbehilfe: In dem Moment, in dem man das Recht auf etwas hat, ist man auch dafür verantwortlich, ob man das Recht ausübt oder nicht. In einer Gesellschaft aber, in der alte und kranke Menschen häufig darauf angewiesen sind, sich von ihren Angehörigen unter großen persönlichen Opfern pflegen zu lassen, bürdet man den Pflegebedürftigen eine enorme Last auf, wenn man die aktive Sterbehilfe zulässt. Ein Anruf bei Dignitas, und die Tochter könnte beispielsweise wieder einmal in Urlaub fahren oder arbeiten gehen. Menschen diese Verantwortung aufzubürden, scheint mir ein mindestens ebenso inhumaner Akt zu sein wie der, es denjenigen, die sterben wollen, rechtlich zu verwehren.

Die Fragen stellte Bettina Micka. Erstveröffentlichung in „ uni-aktuell“ der Universität Potdsdam. Ralf Stoecker ist Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt An-gewandte Ethik in Potsdam.