PhilosophiePhilosophie

ESSAY

Flasch, Kurt: Religion und Philosophie in Deutschland, heute

 aus: Heft 2/2012, S. 8-17

Eine Wiedergeburt der Religion in der Philosophie?

Den Titel hat mir Heinrich Heine eingehaucht. Das hätte er wohl besser nicht getan. Zu leicht suggeriert der Kerl seinen rheinisch-spöttischen Ton, und zudem trifft sein altes Buch nicht mehr den heutigen religiösen status quo, denn er schrieb anno 1834: „Die Religion, deren wir uns in Deutschland erfreuen, ist das Christenthum.“. Das stimmt so nicht mehr. Bei einer Umfrage in Deutschland erklärten sich 34,2 % für römisch-katholisch, 32,6 % für evangelisch bzw. freikirchlich und 27% erklärten, sie gehörten keiner Religionsgemeinschaft an. Die Wiedervereinigung hat uns Millionenscharen von Atheisten beschert. Und wir haben Muslime, mehr als zahlenmäßig erfasst sind.

Trotzdem behauptet eine Reihe von Autoren, eine Wiedergeburt der Religion finde heute statt. Die einen führen als Grund die politischen Wirkungen des polnischen Papstes an, der andere den Iran seit Khomeini. Bush jr., sagt man, habe seine zweite Wahl nur mit Hilfe religiöser Gruppen gewonnen. Andere führen an, alte Probleme dauerten ungelöst fort: Krebs und Aids, Tod, Erdbeben und Tsunami. Die Sensibilität scheint gestiegen: Die Hoffnung auf Fortschritt nimmt ab; Zukunftserwartungen wurden gedämpft. Wer wüsste noch zu sagen, die Zukunft einer Illusion sei ihr Untergang? Staatsverschuldung, Finanz- und Wirtschaftskrise und die Misere der dritten Welt zerstören Illusionen; manche suchen Sicherung in der Religion. Philosophen fragen nach Religion. Dabei ist ihr Vernunftkonzept weicher, weniger monolithisch, also pluralistischer und historischer geworden.

Als Jürgen Habermas den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, sprach er für viele überraschend über Glauben und Wissen. Aber diese Wende war weder so überraschend noch so ‚fromm’ wie man meinte. Man muss sich nur klarmachen, dass Habermas in den Religionen zwar Ressourcen von Sinn anerkennt, dass er aber der Philosophie die Aufgabe zuweist, diesen Sinn ins Säkulare zu übersetzen. Diese Übersetzung muss konsequent, also innerphilosophisch geschehen – auch wenn Habermas seit 2001 behauptet, wir seien im Übergang zur ‚postsäkularen Gesellschaft’. Religionen behalten zudem nach Habermas unauflösbare Kerne, die der philosophierenden Transformation nicht zugänglich sind. Habermas drückt die bleibende Distanz so aus: Er sei zwar alt, aber nicht fromm geworden.

Ein zweiter Koeffizient hat die Diskussion des letzten Jahrzehnts mitbestimmt: Im September 2006 hielt der Papst seine Regensburger Rede. Seitdem überschwemmt ein Tsunami philosophischer Religionsschriften meinen Schreibtisch, auf dem sonst ältere Bücher liegen.

Verlust der Meinungsführerschaft

Die Religion greift ein ins öffentliche Leben. Dies zeigen die Debatten über Ehescheidung in Malta, über Präimplantationsdiagnostik bei uns; ich schweige von den endlosen Debatten über Abtreibung oder Strafen für Homosexuelle. In diese öffentlichen Dispute spielen philosophische Begründungen hinein; daher haben Philosophen das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, diese klärend zu analysieren. Bürger erwarten von Philosophen gelegentlich etwas gesellschaftlich Nützliches.

Es zeigt sich: Nicht wenige religiöse Autoritäten haben ihr Ansehen verspielt. Ihr Wahrheitsanspruch wird auch in seinen theoretischen Prämissen zernagt. Viele haben sich an die Evolutionstheorie gewöhnt. Wenn es im Fernsehen heißt, ein neuentdecktes anthropoides Fossil sei zwei Millionen Jahre alt, protestiert niemand mehr. Dabei widerspricht die Angabe der biblischen Chronologie, die Theologen und Kirchen jahrhundertelang entschieden verteidigt haben. Diese Schlacht scheint verloren, sogar vergessen.

Es sinkt das intellektuelle Prestige der Kirchen. Sie verlieren die Meinungsführerschaft. Große Probleme – wie Umwelt oder Kriegsverbot – griffen sie erst auf, als sie schon abgeplattet in jedermanns Mund waren. Gravierender noch: Die gegenwärtige Ökonomie verlangt Flexibilität und löst Bindungen auf an Familie, Herkommen, Gemeinden und Überzeugungen. Wir leben heute in keiner geschlossenen christlichen Gesellschaft mehr; unter uns leben Atheisten, Muslime und Freigeister.

 

 


Wir sehen also widerstrebende Faktoren. Einerseits vielleicht doch: Wiederkehr der Religionen, mehr auf der politischen Szene als in der Theorie, mehr in Kleingruppen als in Großkirchen, jedenfalls gesteigerter Anspruch ihrer Verteidiger, andererseits fortschreitende Säkularisierung, jedenfalls in Westeuropa.

Eine geschichtliche Information führt weiter

Mancher fragt sich, wo er steht. Das erklärt wohl die gewaltigen Eruptionen des religiös-philosophischen Buchmarkts. Vielleicht keine Renaissance der Religionen, gewiss aber des Redens über Religion. Was hier weiterführt, ist eine philosophisch aufgeklärte geschichtliche Information. Denn die Verwerfungen kommen aus der Vergangenheit; die Religionen haben sich mehr verändert als ihren Anhängern bewusst ist. Wenn Joseph Ratzinger zur Wiederherstellung des Kontinuitätsbewusstseins eine ‚Hermeneutik der Kontinuität’ fordert, ist das das Gegenteil historisch-kritischer Arbeit, sucht letztere doch in jeder Kontinuität Differenzen und Brüche. Kleinere, aber folgenreiche religionsgeschichtliche Eingriffe in der Geschichte der Christenheit waren die Erfindung des limbus und des Fegefeuers.
Tiefe Einschnitte in der Geschichte des Christentums waren:

- Die Neuinterpretation in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts. Die Naherwartung der Wiederkehr Christi ging zurück; die philosophische Theorie der Unsterblichkeit trat neben die Auferstehung des Fleisches; die kirchliche Hierarchie formierte sich und verstand sich neu nach alttestamentlichen Mustern. Die Dogmenbildung begann.

- Die aristotelisch-arabische Kosmologie. Sie veränderte im 13. Jahrhundert das Verhältnis von Vernunft und Religion. Das Elend der irdischen Welt war kein Einwand mehr gegen Gottes Vorsehung, denn nun konnte Thomas von Aquino lehren, Leiden und Zufall gebe es nur in der Welt unter dem Mond, und das sei minima pars universi. Im weit überwiegenden Teil herrsche dagegen Gottes Ordnung, hier strahle die Sternenherrlichkeit des guten und allmächtigen Herrn. Das antwortet heute niemand mehr auf die Theodizeefrage.

- Vor wenigen Jahren wurde in Afghanistan ein Muslim zum Tod verurteilt, weil er zum Christentum übergetreten war. Er hatte nach der Scharia nicht das Recht zur Konversion. Nach Thomas von Aquino hat das auch kein Getaufter. Nach ihm begeht der Christ ein todeswürdiges Verbrechen, wenn er nicht hält, was Taufpaten für ihn geschworen haben, Sth II – II 10, 8 ad 3 und qu. 11, 3. Die Kirche übergebe daher mit Recht diesen Sünder dem weltlichen Arm: relinquit eum judicio saeculari a mundo exterminandum per mortem, II-II 11, 3. Warum denkt heute kein Theologe mehr wie Thomas? Heinrich Heine dazu: „Die Religion, wenn sie uns nicht mehr verbrennen kann, kommt sie bey uns betteln.“ (Historisch-kritische Gesamtausgabe, Band 8, 1, Düsseldorf 1979, S. 66). Eine Heinesche Bosheit? Jedenfalls verändert sich eine Religion, die einen Wahrheitsbegriff aufgibt, demzufolge kein Apostat das Recht zur physischen Fortexistenz hat.

Heute haben wir die freie Wahl. Nach welchen Kriterien aber? Die Religion soll die wahre sein. Wann ist eine Religion wahr? Muss eine Religion ‚wahr’ sein? Ist es ausgerechnet die hiesige? Könnten alle Religionen wahr sein? Schließlich funktionieren sie alle: als Sinnstiftung, als Handlungsorientierung, als regionale Lebensform. Vielleicht müssen wir am Konzept der ‚Wahrheit’ etwas ändern: Vielleicht ist Wahrheit doch die Summe aller Irrtümer, ohne die eine bestimmte species nicht leben kann. Könnte man sagen: Religion sei Leben, und: „Leben kann nicht vor den Richterstuhl der Vernunft gebracht werden“ (W. Dilthey)?

Kriterien für das Finden der wahren Religion

Unterm Druck des Wahrheitskonzepts der Philosophen der hellenistischen Zeit bot die antike Christenheit für das Finden der wahren Religion Kriterien an. Gegen 400 zeigte Augustin in De vera religione und Confessiones (VII) in vier Schritten den Weg zur rationalen Annäherung an die vera religio:

Erstens beweise die Philosophie der ‚platonischen Bücher’ jedem Menschen, nicht nur den Christen, die Wirklichkeit und die Natur Gottes als das summum bonum. Der Christ weiß, dass Gott ist und dass er unendlich ist, (7, 20, 26). Die Vernunft zeigt den Logos, der die Welt strukturiert, der die Seele jedes Menschen erleuchtet und dass dessen Schau, das jenseitige Glück, unser Lebensziel ist.
Nach diesen Kriterien schien seit 400 die christliche Glaubensentscheidung vernünftig. Die Philosophie, dachte man, beweise die Rationalität der durch den Logos begründeten Welt und die Jenseitsbestimmung der auf bleibendes Glück angelegten menschlichen Seele.

Zweitens sollte der Gebildete das Christentum und nicht das ebenfalls monotheistische Judentum wählen; dafür bekam er eine zweite rationale Abstützung: Das Alte Testament, sagte man ihm seit den Evangelien, enthalte Weissagungen des kommenden Messias. Einzig Christus habe sie eingelöst, zum Beispiel durch Jungfrauengeburt und stellvertretendes Leiden. Nur die Juden in ihrer Verblendung sähen nicht diese Beweise.

Drittens galten die Evangelien als Tatsachenberichte glaubwürdiger Augenzeugen, von Aposteln oder ihren Schülern.

Viertens bestätige Gott durch fortlaufende Wunder die Wahrheit der christlichen Lehre.

Diese vier Glaubensstützen, schon im 14. Jahrhundert argumentativ unterhöhlt, zerbrachen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts vollends. Die protestantische Apologetik vor Schleiermacher beruhte auf ihnen, die katholische wiederholte sie bis 1960; auch Pascal verzichtete keineswegs auf sie, obwohl dies oft behauptet wird. Hume und Kant unterminierten die Gottesbeweise und die theoretisch-philosophischen Argumente für die Unsterblichkeit, Die Weissagungen verfielen der philologischen Kritik. Philologisch genau gelesen, bezogen sie sich auf etwas anderes als auf das Leben Jesu. So erklärte das theologische Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart, (3.Auflage 1962, Band 6, Spalte 1539):

„Der Weissagungsbeweis, der das genaue Eintreffen von bewusst Vorhergesagtem meint, ist erledigt.“

Die fünf Bücher Moses stammten nicht länger von Moses, und die Verfasser der Evangelien waren keine Augenzeugen, überhaupt keine Chronisten, sondern Glaubenskünder. Die Wunder schließlich galten jetzt als des Glaubens liebstes Kind, verfielen der historischen Quellenkritik oder bildeten einen unerklärlichen Rest.

Dieser vierfache Zusammenbruch bestimmt die heutigen Debatten über die philosophische und historisch-philologische Qualität der Entscheidungskriterien für oder gegen eine Religion, speziell gegen das Christentum als ‚wahre Religion’. Eine Entscheidung für eine monotheistische Religion, speziell für das Christentum, wäre heute weniger vernunftabgefedert als sie es vor etwa 400 bis etwa 1800 war.

Das erste Vaticanum schärfte die alten Kriterien der Wahrheit noch einmal ein. Gott wolle, dass der Glaubensgehorsam mit der Vernunft übereinstimme; daher habe er äußere Beweise, externa argumenta vorgelegt, nämlich die Wunder und Weissagungen, imprimis miracula et prophetias (DH n. 3009 S. 815). Aber Wunder sind selten geworden, Weissagungen als ‚externe’ Argumente sind weggefallen. Diese Verluste verschoben objektiv das Verhältnis von Religion und Vernunft. Kierkegaard konnte siegen. Protestantische, aber zunehmend auch katholische Autoren empfehlen die Glaubenszustimmung als unvordenkliche ‚Begegnung’, als ‚Entscheidung’, als ‚Sprung’, gar ‚Abenteuer’. Aus der Diskussion der Kriterien schließen sie sich dadurch selbst aus.

Diese Vorgeschichte bestimmt die Beweislage und den Mangel an Beweisen.
Matthias Matussek empfiehlt seinen katholischen Glauben als Abenteuer. Wäre er etwas belesener, könnte er diesen Ausdruck aus Joseph Ratzinger belegen. Dessen folgsamer Schüler Klaus Müller spricht vom „Abenteuer der Gottesbeweise“. Dagegen empfiehlt sich die Devise der heiligen Theresa von Avila: Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten. Wenn Abenteuer, dann Abenteuer, wenn Beweise, dann Beweise.

Eine Auferstehung der Metaphysik?

Der neuere Joseph Ratzinger betont, das Christentum sei vernunftfreundlich; er nennt es sogar ‚Aufklärung’ und beschreibt es als das Erbe der antiken Philosophie. Er übersieht die Vielstimmigkeit der antiken Philosophie und klagt, den Christen sei seit etwa 1274 in einer mehrfachen Welle der Enthellenisierung die Vernunft abhanden gekommen. Ratzinger feiert keine Renaissance der Religionen; er sieht die Krise: Die Christenheit leide Schaden durch die lange Trennung von fides und ratio. Ratzinger entwickelt nicht sein Konzept von ‚Vernunft’; er will sie ausweiten, wie er sagt, damit seine ganze Dogmatik in ihr Platz finde. Das müsste er im Detail durchführen, wie es die großen Denker des Mittelalters getan haben. Vernunft ist eine Tätigkeit, keine Statue. Philosophen erforschen ihre Natur und sehen die Schwierigkeiten, in die sie sich verwickelt, wenn sie es mit dem real Unendlichen zu tun bekommt. Sie fragen: Was genau bedeuten Worte wie ‚Ursache’ oder ‚Grund’, wenn wir sie auf die erste Entstehung des Universums anwenden, also von Erschaffung sprechen?
So entstehen Kontroversen der Metaphysik: Lässt sie sich heute erneuern? Wenn ja, wie?

Gewiss lässt ‚Metaphysik’ sich in dem neutralen Sinn allgemeiner Ontologie betreiben, dass sie allgemeinste Stammbegriffe wie ‚Individualität’ oder ‚Identität’ untersucht. Aber hier bedeutet Metaphysik mehr: Wissen von Gott und Unsterblichkeit der Seele. Auch Termini wie ‚Transzendenz’ oder ‚Glaube’ sollten bei solchen Diskussionen nicht abgeschwächt werden. Das Wort ‚Glauben’ fasst zu weit, wer mit Augustin argumentiert, kein Mensch könne leben, ohne etwas zu glauben. Das ist richtig, aber der wohlfeile Sieg trägt hier nichts bei. Es handelt sich um eine apologetische Redensart ehrwürdigen Alters.

Wir hatten schon einmal nach dem Ersten Weltkrieg eine ‚Auferstehung der Metaphysik’ als theistische Philosophie und Unsterblichkeitslehre. So hieß das Buch von Peter Wust, Leipzig 1920. Er sah das Ende der neukantianischen Vorherrschaft und machte in Troeltsch und Simmel eine neue Metaphysik aus. Jean Paul schon hatte gespottet, nach jedem Krieg bringe die Buchmesse eine neue Naturrechtslehre.

Seit 2002 produziert der Verlag, der uns sonst mit Gehlen und Heidegger erfreut, ein Jahrbuch für Religionsphilosophie. Es stammt aus dem Freiburger Katholischen Seminar für Systematische Theologie, und es plazierte programmatisch als ersten Artikel ‚Metaphysik und Transzendenz’ des Heidelberger Philosophen Jens Halfwassen (S. 13 – 27). Wie es sich für ein Manifest gehört, geht Halfwassen stramm auf sein Ziel zu; er kennt nur eine Art konsequenter Metaphysik, die neuplatonische. Er definiert Metaphysik als das Wissen vom Ganzen und seinem Grund. Nicht die platonische Lehre von den Ideen oder die Zwei-Weltenlehre sei ihr charakteristischer Inhalt, sondern die Lehre vom Einen. Die aristotelische Tradition, die Metaphysik als Ontologie fasst, bedenke nicht, dass das Eine dem Sein vorausgehen muss, schließlich ist auch das Nicht-Seiende e i n e s. Einheit sei „die Bedingung von Denken und Denkbarkeit überhaupt“ (16). Metaphysik, das sei Denken des Einen. Ich setze dem halb im Spaß entgegen, meine philosophische Arbeit sei Denken des Vielen, halb im Ernst, weil das nicht ohne Einheit geht, so wenig wie das Denken des Einen ohne das Viele.

Nach Halfwassen denkt Metaphysik nicht nur die Welt und ihren Grund, sondern ebenso das Denken und dessen Grund. Sie denke die Transzendenz als die Bewegung des Denkens, und ‚Transzendenz’ bedeute hier nichts Abgeschwächtes, sondern „absolute oder reine Transzendenz“, kein graduell Höchstes, sondern das Herausgenommensein aus der Totalität des Seins und des Denkbaren (20). Halfwassen ist nach Werner Beierwaltes unser bester Kenner der neuplatonischen Philosophen und ihrer Nachwirkungen. Sein Versuch verwickelt mich in folgende Schwierigkeit: Er löst aus dem Gewebe philosophischer Rede die Bestimmung des Einen heraus. Er will das Viele nicht verloren geben, sondern im Hegelschen Sinn aufheben im Einen, verbietet aber, diesem Einen einen weiteren Inhalt hinzusetzen. Er kann keine inhaltsreichen Sätze über es bilden. „Die duale Struktur der Prädikation verfehlt prinzipiell die reine Einfachheit des Absoluten“ (23). Das wahrhaft Transzendente denke nur, wer von ihm alle Denkbarkeit wegnimmt (Plotin, Enneade 5, 5, 6 17 – 20, hier S. 22).

Dann versinken alle Inhalte im Einen. Das ist radikale negative Theologie. Gar mancher Autor führt die negative Theologie zwar im Munde, redet dann aber weiter, als sei nichts geschehen. Halfwassen fordert Konsequenz: Die negative Theologie sei keineswegs die bloße „Vorbereitung eines sie überbietenden positiven Begreifens“, sie schlage auch nicht dialektisch um in Affirmation; sie bleibt die Verneinung aller positiven Gehalte (23). Aber mit so etwas ist niemandem geholfen, der sich entscheiden soll, Muslim zu werden oder Christ oder sich der Stimme zu enthalten.

Werner Beierwaltes hat dieselben Texte vor sich liegen wie Halfwassen; er ist mit seinem Werk Denken des Einen dessen Lehrer, gründet aber in dem Sammelband Glaube und Vernunft, Freiburg 2008, der sich auf die Regensburger Rede bezieht, den Begriff der Transzendenz nicht auf das Eine, das jenseits des Seins steht, sondern auf das reine Sein, das als „Fundament aller Bestimmungen oder Prädikate Gottes“ dienen könne (S. 42). Genau diese Moderierung im Sinne affirmativer Aussagen und damit kirchlicher Verwendbarkeit hat Halfwassen abgelehnt.

Einen robusteren Versuch der Metaphysikrestaurierung macht Karl Heinz Haag in dem Buch: Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung, Frankfurt/M. 2005. Haag ist 1924 geboren, studierte zuerst Philosophie bei den Jesuiten in Sankt Georgen, wurde von Horkheimer und Adorno habilitiert. Ich habe 1956 seinen Habilitationsvortrag gehört. Schon damals kämpfte er gegen den Nominalismus. Das Werk, das er jetzt vorlegt, bleibt auf seiner alten Spur: Es fordert Metaphysik, nur sie widerlege den Nominalismus, und der stehe an der Wurzel vielen, wenn nicht allen Unheils. Nominalismus bedeute die „Aushöhlung alles Wirklichen“ (118). Oder in der Sprache Walter Benjamins: „Alle Entitäten verlieren die Aura ihres transzendenten Ursprungs“ (115f.). Seien Universalien nicht real, sondern bloße Nomina, dann bleiben dem Denken nur wesenlose Erscheinungen; der Nominalismus führe in die „Sackgasse des Nihilismus“. In ihr steckten „Philosophie und Theologie seit den Anfängen der Neuzeit“ (90). Der Horkheimerschüler empfiehlt 2005 den mittelalterlichen ‚Realismus’, von dem er wie nebenbei eingestehen muss, dessen Realienwissen habe meist in bloßen Worterklärungen bestanden. Er lässt wie Ratzinger den Verfall mit dem Nominalismus beginnen. Diese Töne hörten wir in den fünfziger Jahren oft; Blumenberg hat gegen sie seine Legitimität der Neuzeit geschrieben, von ihm findet sich weder bei Haag noch bei Ratzinger eine Spur.

Universalienrealismus besagt nicht eo ipso theistische Metaphysik; auch Atheisten können reale Universalien annehmen. Aber Haag folgert aus der Rationalität kosmischer Prozesse, sie gingen auf eine allmächtige, schöpferische Vernunft zurück (115). Er fühlt sich stark, den Pantheismus zu widerlegen, schlägt dabei den einen oder anderen Haken: Soeben noch fand er den „Weg von reflektierender Naturerkenntnis zu rationaler Gotteserkenntnis“ (113), nimmt das aber gleich zurück: Metaphysik sei nur „als negative Metaphysik möglich“ (111); theistische Naturdeutung sei „nicht in affirmativer Form möglich“ (110), wir müssten prinzipiell verzichten „auf inhaltliche Aussagen über das Sein und Wirken der Gottheit“ (111).

Haags metaphysische Zuversicht ist so schnell zerronnen wie gewonnen. Er braucht reale Universalien, nur sie begründeten theoretisch Solidarität und Kommunikation; (8); er fordert sie mehr als er sie besitzt: Metaphysik, denn man müsse wissen, dass Gott existiert, wenn man an ihn glauben soll.
Der gereifte Haag, ein letzter Ausläufer der Frankfurter Schule sieht als rechtskatholischer Eiferer im Bündnis mit Walter Hoeres alle großen Theologen wie Bultmann, Barth und Tillich als Opfer ihres undurchschauten Nominalismus: Sie kennen keine ontologischen Wesenheiten mehr, daher verkümmern ihnen „Welt und Gott zu etwas innerlich völlig Leerem“ (63). Die katholischen Theologen sind nicht besser: Karl Rahner, dieser Häretiker, könne so wenig wie Johann Baptist Metz, Teilhard de Chardin, Hans Küng oder auch Joseph Ratzinger eine rationale Begründung ihres Glaubens liefern. Haag vermisst die alten praeambula fidei des Ersten Vaticanum, kümmert sich aber nicht weiter um sie; wie sollte auch sein antinominalistischer Notschrei Weissagungen und Wunder beweisen? Haag ist von der Kapitalismuskritik und von der Kritik der neuen Ontologie – das war damals Nicolai Hartmann – übergegangen zu einer kirchenpolitisch-philosophischen Rhapsodie nach dem Geschmack Pius IX. Unserem spätberufenen Theologiekritiker ist selbst Joseph Ratzinger nur ein gefährlicher Neuerer, ein weiteres Opfer des nihilistischen Nominalismus.

Meine religionsfreundlichen Metaphysikerneuerer tragen ihre Metaphysikmodelle vor, als seien sie die einzig möglichen. Es kümmert sie nicht, dass diese Konzepte voneinander abweichen und allesamt bestritten sind. Ganz anders Gianni Vattimo. Der 1936 geborene Philosophieprofessor aus Turin erklärt, er lebe im nachmetaphysischen Zeitalter. Sein Denken vibriert. Schon 1996 verblüffte er mit der starken These, die Wiederkehr der Religion, – mit der er doch wohl nur seine eigene religiöse Entwicklung gemeint haben kann –, sei von der Idee geleitet, dass Nietzsche und Heidegger recht haben. Er harmoniere mit dem Pragmatismus, denn es komme auf Praxis, auf Liebe an. Die objektivistische Ontologie sei überwunden. Statt fester Wesenheiten hätten wir eine Welt von Interpretationen, und die Interpreten seien allesamt geschichtlich bestimmte Personen.
Vattimo bejaht postmetaphysische Interpretationsvielfalt; Säkularisierung sei unser Geschick. Das Sein sei für uns wie für Heidegger Ereignis, nicht bleibende Struktur; unser Geschick, dies unvermeidbare historische Apriori, sei das der Schwächung (70). Es gebe kein Zurück zum metaphysischen Objektivismus und ‚Realismus’, zum Wissen von Wesenheiten, von der Natur der Dinge, das der Wissende auch als Norm für andere auslegen könne. Vattimo verabschiedet die neuscholastische Tradition des Naturrechts mit ihrer klerikalen Sexualethik und ihren menschenfeindlichen Positionen. Ihr Objektivismus machte sie autoritär; sie wusste zu sehr, was für andere gut ist.

Diese Metaphysik sei zu Ende. Das sei der ‚Tod Gottes’, aber der bedeute, wie Nietzsche erkläre, den Tod des ‚moralischen Gottes’, den Tod eines obersten objektiven Grundes, das Ende von Hierarchie als Weltmodel. Es komme ein neues, ein machtloses und spirituelles Christentum. Die Postmoderne konvergiere mit der jüdisch-christlichen Geschichtserfahrung; diese sei jahrhundertelang metaphysisch, objektivistisch verbogen worden unter dem Druck der Hellenisierung des Christentums. Das Ende der Metaphysik erlaube die Wiederentdeckung des unverbogenen Christentums. Vattimo agiert als postmoderner Reformator.

Nun waren die praeambula fidei – also die philosophischen Beweise des Theismus und die ‚äußere Argumente’ aus Weissagungen und Wundern – schon bei den Neo-Metaphysikern im Abgrund der negativen Theologie verschwunden; Vattimo verwirft sie als schlechtes Erbe der altrealistischen Metaphysik. Wir glauben nicht deshalb an das Evangelium, weil wir zuvor wüssten, „dass Christus auferstanden ist“, sondern wir glauben an Christi Auferstehung, „weil wir von ihr im Evangelium lesen“ (Rorty – Vattimo S. 59). Vattimo hat keine historischen Argumente für die Faktizität der Auferstehung; er macht aus der Not eine Tugend, verschmäht die alten vier Säulen, sie hätten auf ‚Realismus’, Objektivismus und Autoritarismus beruht; er gründet den wiederbelebten Glauben auf die „Überzeugungskraft der Botschaft selbst. Wer glaubt, hat verstanden, gefühlt, intuitiv erfasst, dass Jesu Wort ein ‚Wort des ewigen Lebens’ ist“ (Rorty – Vattimo S. 64). Vattimo denkt das Christentum als Kommunikation, als Autoritäts- und Machtverzicht; es sei nicht Gesetz, sondern Liebe, aber wer überlegen sollte, vielleicht ein Entscheidungschrist zu werden, bekommt von ihm keine Hilfe. Vattimo sagt ihm: Wer verstanden hat, glaubt; wer nicht glaubt, hat nicht verstanden.
Wird dieser Rückzug aus der Argumentation nicht selbst autoritär? Damit greife ich Vattimo nicht persönlich an. Er hat die Verlegenheit nicht erfunden, auf die er reagiert, ohne mich überzeugen zu können. Sein Konzept ist von sympathischer Offenheit, allerdings nicht sehr kirchenfreundlich; er sucht ein spirituelleres Christentum als die Kirchen. Er fordert Entmachtung der Strukturen und eine geistigere Deutung der Dogmen. Sein Glaubensheld ist Joachim von Fiore, den Ratzingers Vordenker Bonaventura als seinen Feind bekämpft hat, während Dante im Paradiso den heiligen Bonaventura zwingt, Joachim als Propheten zu feiern. Vattimos Philosophie will „der Pluralität der Kulturen und der kontingenten Geschichtlichkeit der Existenz“ (Jenseits des Christentums S. 15) entsprechen. Sein Begriff von Metaphysik ist nicht den Großen abgerungen, nicht Platon oder Plotin, Descartes oder Spinoza, nicht einmal Aristoteles; er trägt – wie die philosophischen Aspirationen Ratzingers – die Spuren bischöflicher Priesterseminare der fünfziger Jahre. Es kommt von Heidegger her das Motiv hinzu, die Metaphysik identifiziere das Sein mit dem Objekt; unter dem Einfluss von René Girard scheint der Gott der Metaphysik aus der Naturreligion zu stammen, Heiligkeit mit Gewalt zu identifizieren und einen Gott zu lehren, der die Sünde Adams bis ans Ende der Geschichte rachsüchtig straft und sich über Sühneopfer freut. Vattimos ideengeschichtliche Bewertungen von Augustin bis Max Weber finde ich allesamt unglücklich, um nicht zu sagen: falsch; aber ihm gelingen Formulierungen, die zu denken geben wie die, der postmoderne Nihilismus stelle die aktuelle Wahrheit des Christentums dar (Rorty – Vattimo S. 57). Nur begreifen die Großkirchen das offenbar nicht; Vattimo denkt an deren Erneuerung wie an ein anderes Christentum. Aber Philosophen eignen sich nicht als Religionsgründer.

In den Augen Vattimos war (und ist) die katholische Normalphilosophie objektivistisch und ‚realistisch’. ‚Realismus’ bezieht sich jetzt nicht primär wie bei Haag auf die Universalienfrage, sondern auf die Lehre von der Erkenntnis: Das Ziel war, die menschliche Erkenntnis so rezeptiv wie möglich darzustellen; Erkenntnistheorie war Abbildungstheorie. So verstanden viele den Thomismus. Als Karl Rahner mit Geist in Welt eine neue Tür öffnen wollte, fand er lebhaften Widerspruch eben der katholischen ‚Realisten’, die in den achtziger und neunziger Jahren zu einer rechtskatholischen Subkultur absanken, von der Gustav-Siewerth-Akademie bis zur Bewegung für Papst und Kirche mit ihrem Vorsitzenden Walter Hoeres, aber immer noch lautstarke Vertreter haben. Was kirchlicher Konservatismus mit erkenntnistheoretischem ‚Realismus’ zu tun hat, ist nicht leicht einzusehen. Aber diese Autoren möchten die Erkenntnis der Glaubwürdigkeit des Christentums objektiv, wie sie meinen, sichern. Es handelt sich um eine anti-moderne Aktionsgruppe, – gegen Kant und katholische Kantianer, speziell gegen Karl Rahner, den sie für einen solchen halten. Sie gehen zur alten Geschlossenheit zurück und interpretieren zu diesem Zweck Thomas von Aquino. So lebhaft sie ihren ‚Realismus’ anpreisen, den sie teils ‚phänomenologisch’, teils ‚aristotelisch’nennen, so heftig verwirft Vattimo den Objektivismus und Realismus, aus dem die katholische Sexualethik gefolgert werde. Vattimo verweist auf die Historizität menschlicher Erkenntnis; er könnte geltend machen, dass wir nicht einfach unser Wissen von den Sachen durch den Blick auf die ‚Sachen selbst’ korrigieren können.

Und der Papst?

Während die rationalen Stützen der Glaubensentscheidung in den letzten Jahrhunderten objektiv weggebrochen sind, beschwört der Papst den vernünftigen Charakter des christlichen Glaubens. Sein Bild vom Christentum der Vernunft ist einseitig; er übergeht wichtige Gegenimpulse bei Paulus, Justinus Martyr und Tertullian; sein Bild vom Verfall seit dem späten Mittelalter ist ein Überbleibsel der Neuscholastik der fünfziger Jahre. Er erzeugt mit mehr oder minder Geschick rhetorisch-politische Events, keine Erkenntnis.

Aufschlussreich ist die Unterhaltung des Papstes mit Flores d’Arcais. Da gibt ihm der italienische Fachmann für politische Philosophie zu bedenken: Der Papst gebe einzelne Positionen der katholischen Ethik für allgemeine Vernunftinhalte aus und erkläre sie damit für jedermann, nicht nur für Christen, verbindlich. Entgegenstehende Theoreme seien für ihn nicht eine andere Philosophie, sondern Unvernunft, und die Kirche handle nur vernünftig, wenn sie ihre rigorosen Konzepte von Ehe und Sexualität in politischen Gremien durchzusetzen versuche. Das tut sie de facto, und mir ist nicht erinnerlich, dass der Papst etwas vorgebracht hätte, wie sein vernünftig gemachter Glaube und seine Naturrechtskonzeption, die stoischen Ursprungs ist, die er aber für christlich hält, die Gefahr der Intoleranz und der kirchenpolitischen Interventionen vermiede.

Fazit

Die philosophischen Religionsdebatten des letzten Jahrzehnts zeigen kein einheitliches Bild und erbringen kein allgemein akzeptiertes Resultat. Alle möglichen Stimmen tönen durcheinander: extrem konservative und postmoderne, metaphysische und postmetaphysische. Das sind wir unter Philosophen gewohnt, aber Einteilungen wie modern, postmodern und post-metaphysisch verwirren nur und sind von argumentloser Leere; es sind Machtsprüche und Selbstüberschätzungen von Gruppen und Einzelnen. Soeben hat Gunnar Hindrichs in seinem Buch Das Absolute und das Subjekt, 2. Auflage Frankfurt/ M. 2011 diese subjektiv zurechtgeschnittenen Epochenschemata souverän vom Tisch gewischt und hat, von Dieter Henrich und Wolfgang Cramer inspiriert, eine neue, alte Metaphysik präsentiert: Sie beginne nicht mit dem Absoluten, sondern mit dem Subjekt, das nicht ohne das Absolute gedacht werden könne. Aber wie dies zu denken ist, wird von Hindrichs originell entwickelt; ich raffe seine Theorie mit meinen Worten zusammen:
Als Denkende ordnen wir die Welt. Wir bestimmen, was etwas ist; wir teilen ein und unterscheiden. Sofern wir dies tun, gehören wir nicht zur Welt unserer Gegenstände; wir stehen ihnen gegenüber; wir sind nichts von dem, was sie sind. Als einzelne Person, als Körper und gesellschaftliches Wesen sind wir Teil der Objektwelt, für andere, aber auch für uns selbst. Sofern wir denkend unsere Ordnung machen, sind wir für uns, sind wir weltlos der Welt gegenüber.
Vorausgesetzt ist hierbei: Die Welt zeichnet sich nicht von sich aus in uns ab. Wir tätigen unsere Welt. In dieser Funktion können wir uns nennen: Subjekt, Ich, Intellekt. In der weltordnenden Tätigkeit sind wir nicht nur unentbehrlich; wir sind hierin der letzte, der unvertretbare Grund. Als Subjekt sind wir nicht ein Weltwesen unter Weltwesen, wir sind apart, stehen außerhalb der Ordnungen, die wir konstituieren. Wir sind, obwohl vielfach bedingt – körperlich, seelisch, neuronal und sozial, historisch und geschlechtlich – quasi-absolut. Aber wir sind nicht gänzlich absolut, und jetzt stellt sich die Frage, ob wir als Subjekt, als weltmachendes, ordnendes, bestimmendes Wesen in einer Abhängigkeit höherer Ordnung stehen. Sie müsste anderer Art sein als die genannten empirischen Dependenzen. Genau genommen: Sie dürfte nicht von der Art sein, die wir als Subjekte in der Welt selbst begründen und befestigen. Wir bestimmen Weltelemente nach Art und Gattung, nach Grund und Folge. Wenn überhaupt das Ich eine weitere Heimatinstanz hat, dann darf sein Verhältnis zu ihr nicht nach den Dingkategorien bestimmt werden; es kann eine Beziehung zu ihm einrichten, aber es kann nicht von ihm verursacht sein. Die Vorstellung des Hergestelltwerdens ist völlig von ihm fernzuhalten. Wenn es ein solches Verhältnis gibt, dann vollzieht es sich im Schweigen der Wirkursache und aller anderen Welteinteilungen, die das Subjekt sonst macht.

Dies ist alles, was wir sagen können. Wir können auf das Absolute hindenken, wissen können wir es nicht. Diese Überlegung ist, wie Hindrichs ausdrücklich erklärt, keine Wiederherstellung der rationalen Theologe; er realisiere, sagt er gegen Vereinnahmungsversuche von Theologen, den Bruch, der ihn von aller ‚direkten Metaphysik’ trenne (S. 350). Was bleibt, ist diese radikal gefasste negative Theologie, so streng gefasst wie bei Halfwassen. Die überkommene Metaphysik ist zerbrochen: sie hat welthafte Bestimmungen auf das Subjekt übertragen, das sie konstituiert; sie hat das Verhältnis des Subjekts zum Absoluten wie dinghafte Abfolge von Grund und Begründetem gedacht, so endet auch Hindrichs.

Vielleicht darf ich abschließend noch einen Eindruck grob formulieren, der mir vom Was mir beim Lesen vieler Bücher über Religion und Philosophie aufgefallen ist: Was durchgängig (außer bei Vattimo) fehlte, war Religion als Lebenskraft, als Traum und Trost. Diese Autoren behandeln Religion als einen Haufen von Thesen, nicht als Leidenschaft und Exzess. Alles blickt nach Wittenberg und Kopenhagen, nichts nach einer Prozession zu Ehren der Stadtpatronin von Syrakus. Kopflastig erklärt Ratzinger die Ausbreitung des Christentums einseitig mit der Überzeugungskraft des Monotheismus; dabei wissen wir durch Paul Veyne, Quand notre monde est devenue chrétien, Paris 2007, dass andere Faktoren, darunter soziale und affektive, ausschlaggebend waren. So gehen denn Religion und Philosophie in Deutschland heute eher getrennte Wege. Dabei hat Philosophie gute und massive Gründe, sich dem religiösen Phänomen zu widmen.
Vortrag, gehalten am 2. Juni 2011 am 9. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie in Wien. Von der Redaktion gekürzt.