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FORSCHUNG

Ästhetik: Kunstfeindschaft

 

ÄSTHETIK

 

Kunstfeindschaft – ein Weggefährte der Kunstphilosophie

 

Ein besonderer Teil der Ästhetik hat bislang wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die Kunstfeindschaft. Der an der Ohio State University Ästhetik und Kunsttheorie lehrende Kai Hammermeister hat sich des Thema angenommen und darüber ein Buch geschrieben:

 

Hammermeister, Kai: Kleine Systematik der Kunstfeindschaft. 182 S., Ln., € 34.90, 2008, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

 

Philosophische Kunstfeindschaft existiert nicht in Isolation, sie agiert mit der kunstfreundlichen Ästhetik. Und sie hat Auswirkungen auf die Kunstpraxis; Verschiebungen in der Motivwahl innerhalb eines Genres oder die Bevorzugung einer Kunstform vor einer anderen sind bisweilen nur als Reaktion auf kunstfeindliches Denken zu verstehen. Die Geschichten der Ästhetik hingegen gehen kaum auf diese Nebenströmung ein, obwohl sie unentrinnbar dem Diskurs der Ästhetik von den Vorsokratikern bis zur Gegenwart eingeschrieben sind.

 

Jede noch so radikale Verwerfung von Kunst war stets die Negation einer ganz konkreten Gestaltungs- oder Rezeptionspraxis. Jede kunstfeindliche Position, von Platon bis Tolstoi und von Augustinus bis Rousseau, kennt bestimmte künstlerische Ausdrucksformen, die von der Verwerfung ausgenommen bleiben. Immer sind es nur einzelne Künste, die der Kritik unterworfen werden oder einzelne Tendenzen innerhalb einer Kunstgattung. Eine Definition der Kunstfeindschaft kann deshalb lauten: „Kunstfeindlich ist jeder Diskurs, der eine Begrenzung der Kunstpraxis dann ansinnt, wenn Werte, die der Kunst übergeordnet sind, von künstlerischen Werken und Darstellungen verletzt werden.“

 

Interessanterweise beginnt philosophische Kunstfeindschaft stets mit der Anerkennung des Wertes der Kunst. Vom Ikonoklasmus unterscheidet sich Kunstfeindschaft, dass letztere immer ein Phänomen der Ideengeschichte ist und nie zur Tat aufruft. So ist Platons Staat eines der wichtigsten Zeugnisse kunstfeindlicher Philosophie, aber nirgends findet sich darin der direkte Aufruf zur Zerstörung existierender Kunst. Im kunstfeindlichen Diskurs wiederholen sich die Argumente, sie werden zwar modifiziert, um sie dem übergeordneten Diskurs einzuordnen, sie bleiben aber im Kern identisch. In systematischer Form lassen sich verschiedene Arten von Kunstfeindschaft unterscheiden:

 

Ontologische Kunstfeindschaft

 

Sie geht von einem ontologischen Mangel des Kunstwerkes aus, das nie den Seinsstatus oder die Seinsintensität seines Urbildes erreichen kann. Sie argumentiert, dass eine Kunst, deren Werke Kopien des Urbildes sind, eine überflüssige Verdoppelung des bereits Existierenden darstellt, weswegen ihre eigene Daseinsberechtigung wegfällt. Eine nicht-kopierende Mimesis wiederum stellt eine Verzerrung des Originals dar, die aus verschiedenen Gründen ein abwertender Akt ist, der zwischen simpler Karikatur und ernsthaftestem Frevel changiert. Einzelne Kunstwerke hingegen können durchaus tolerierbar sein, etwa wenn sie lehrreiche oder erbauliche Kommentare zum Urbild beisteuern, die unser Weltbild zu bereichern in der Lage sind. Generell gesagt kann aus der Sicht der ontologischen Kunstfeindschaft die verzerrende Mimesis umso eher toleriert werden, je weniger Wert dem Urbild zugemessen wird.

 

Die ontologische Kunstfeindschaft lässt sich nicht trennen von einer Metaphysik, die eine Stufenleiter der Seinsweisen postuliert, die hinaufreicht bis zum höchsten Seienden. Historisch am wirkungsmächtigsten war die ontologische Kunstfeindschaft im Byzanz des achten und neunten Jahrhunderts. Der berühmteste Vertreter der ontologischen Kunstfeindschaft ist Platon. In seiner Hierarchie der Erkenntnis nimmt der Philosoph die Spitze ein; Dichter und Künstler rangieren dagegen knapp vor Bauern, Handwerker und Sophisten. Da eine gründliche Kenntnis des Urbildes nicht vorstellbar ist ohne die Einsicht in die Idee und diese beim Künstler mangelhaft ist, kann die künstlerische Mimesis nur die Verzerrung des Urbildes sein. Platon diskutiert zwei Mängel der Mimesis, die sich aus dem fehlerhaften Bezug von Abbild und Urbild ergeben: der mimetische Prozess kann zum einen nicht alle Wesensmerkmale des Urbildes integrieren, die Notwendigkeit der Selektion führt in der Folge auf eine ontologische Reduktion. Da aber der Künstler darauf besteht, dass seine Produkte Abbilder des Urbildes sind, muss er das Publikum über seine Unkenntnis täuschen. Der ontologische Mangel führt daher zu einer ethischen Verfehlung: „Gibt es aber Täuschung, so ist notwendig alles voll von Bildern und Truggestalten und Scheinwesen.“ Die ontologische Kunstfeindschaft wird über Cicero, Plutarch und Bacon tradiert, bis sie bei Levinas eine kaum für möglich gehaltene Radikalisierung findet: Für diesen raubt die Mimesis dem Urbild das Sein vollständig. Nicht Seinsminderung ist das Resultat der Kunst, sondern Seinszerstörung. Es ist dies die Radikalisierung einer Ontologie des Verdachts, wie man sie beim Widerstand primitiver Völker gegen die Fotografie findet. Eine Variante findet sich bei Hermann Cohen: Für ihn kann ein Gottesbild keinen Zeichencharakter haben, denn das Verweisen eines Bildes auf Gott ist eine ontologische Unmöglichkeit: Gott kann nicht in einem Bilde gedacht werden. Diese Variante hat ihren Ursprung in Byzanz: Die Darstellung Gottes und Christi ist nicht erlaubt, weil man dem Bild ontologische Gleichrangigkeit mit dem Urbild zuspricht.

 

Es gibt auch ein Gegenmodell: Erst die Kunst ermöglicht eine ausreichende Ontologie. Es findet sich in Heideggers Ursprung des Kunstwerkes. Fortgeführt wird das Modell von Hans-Georg Gadamer: Nicht in der Idee ist das Wesen der Dinge zu suchen, sondern in der Kunst. Solange sie nicht Kunst geworden sind, haben die Dinge noch nicht den Vollbegriff ihres Seins erreicht.

 

Epistemologische Kunstfeindschaft

 

Die epistemologische Kunstfeindschaft attestiert der Kunst eine Verzerrung der Wahrheit. Dabei wird die Kunst von der Wahrheitsfähigkeit ausgeschlossen oder gar der Unwahrheit bezichtigt, ohne dass aber eine präzise Konzeption gegeben wird, was denn einen Gegenstand wahrheitsfähig macht. Platon argumentiert, dass die Produkte künstlerischer Mimesis ohne Beziehung zur Wahrheit sein müssen, da in sie weder wahres Wissen noch wahres Meinen eingeht.

 

Für Platon ist das Wahrheitskriterium vollständig verfehlt, wenn es um die Einordnung der Kunst in den philosophischen Diskurs geht. Stattdessen sollte Kunst ausschließlich hinsichtlich ihrer Nützlichkeit bewertet werden. Nicht die Wahrheit der mythologischen Erzählungen ist ausschlaggebend für ihren Einsatz zu pädagogischen Zwecken, sondern ihr ethischer Gehalt. Während Platon der Kunst noch einen bescheidenen pädagogischen Platz einräumt, wird ihr von den Skeptikern jeglicher Nutzen aberkannt. Sie trägt in keinerlei Hinsicht zu dem bei, was der skeptischen Philosophie erstrebenswert erscheint. Nicht nur enthält die Kunst keine Wahrheit, sie steht auch der Suche nach dem fundamentum inconcussum und der Führung eines erschütterungsfreien Lebens im Wege.

 

Am deutlichsten wird die Wahrheitsunfähigkeit der Kunst im Diskurs der Reformation herausgestellt. Die Offenbarung der Wahrheit geschieht für die Reformatoren ausschließlich im Wort, die Kunst wird auf das Kirchenlied beschränkt. Am radikalsten ist hier aber wieder Levinas, für ihn schließen sich Kunst und Verstehen einander aus. Die Wahrheit der Welt ist ihr Seinsschicksal, die Unwahrheit der Kunst ist der Einbruch der Nacht in diese Fügung. Kunst ist für Levinas nicht unwahr, weil sie lügt, sie ist unwahr, weil ihre Existenz eine Möglichkeit der Abgeschlossenheit vorgaukelt, die erst mit der Erlösung der Welt erreichbar ist. Sie antizipiert diese aber nicht, sondern hält sie auf.

 

Eine Abart der epistemologischen Kunstfeindschaft ist die These, Kunst erschwere oder verhindere gar die Erkenntnis der Wahrheit. Dieses Im-Wege-stehen kann verschiedene Gründe haben: Aufstachelung der Emotionen etwa, die der Ratio in die Quere kommen. Für Platon ist Wahrheit auf den rationalen Seelenteil beschränkt, so dass die Kunst ab ovo von der Wahrheit ausgeschlossen bleibt. Am weitesten geht Boethius, der von einer Zerstörung der Rationalität durch die Kunst spricht. Für ihn ist Kunst eine Droge, die wie alle Drogen die Heilung verspricht und tatsächlich die Krankheit verstärkt. Da die Wahrheit des Daseins aber nur auf dem Wege der Vernunft zu erfahren ist und da das Leben, um zu gelingen, der rationalen Lebensführung bedarf, ist die Kunst ein Hindernis für die Wahrheit.

 

Eine andere Variante findet sich bei Rousseau. Er geht von einer natürlichen Sprache aus, die sich in der Kindheit erwerben lässt und die zur Wahrheitserkenntnis führt. Das größte Hindernis dabei ist die Kunst: diese entfremdet die Kinder von der natürlichen Sprache und deren Wahrheitszugang, so dass für sie keine Unterscheidung von Irrtum und Wahrheit mehr möglich ist.

 

Ethische Kunstfeindschaft

 

Die ethische Kunstfeindschaft sieht bereits in der Existenz bestimmter Kunstgegenstände eine Bedrohung der Moral. Sie wirft der Kunst vor, dass sie jene Bande zersetze, die den Einzelnen in ein sinnvolles Ganzes eingliedern. Die Kunst kommt damit in Konflikt mit Familie und Freundschaft, Kommune und Staat. Am häufigsten ist dieser Typus gegen das Theater gerichtet. Cicero konstatiert einen Zusammenhang zwischen der Einführung neuer Formen von Musik und dem gesellschaftlichen Sittenverfall. 1678 musste das Hamburger Theater aufgrund von Vorwürfen der Immoralität geschlossen werden. Eine andere Variante findet sich bei Rousseau: Der Mensch kommt erst auf den Gedanken, Kunstwerke zu produzieren, wenn seine Sittlichkeit bereits zersetzt ist. Bei Plutarch sind die Kunstschaffenden körperlich untrainiert und deshalb ungeeignet für Kriegsdienste. Sie müssen deshalb Kriege fürchten, was sie zu zwangsläufig zu einer pazfistischen Ideologie führt, die die Wehrhaftigkeit des Staates untergräbt. Und für Levinas führt der Kunstgenuss zur Auflösung der Gemeinschaft; Kunstgenuss ist für ihn feige, selbstgerecht, unsozial und isolierend.

 

 

 Psychohygienische Kunstfeindschaft

 

Die psychohygienische Kunstfeindschaft versteht die Kunst entweder als Advokaten untergeordneter Elemente der Psyche oder als äußerliche Störung des Funktionierens eines wesentlichen Seelenteiles. Dazu gehört das Argument, das Kunstwerk zerstreue die Aufmerksamkeit, indem es sie auf sich ziehe und von Wichtigerem ablenke. Für Meister Eckhart verhindert die Anwesenheit von Bildern die völlige Präsenz Gottes in der Seele. Der Platz, der vom Bild eingenommen wird, bleibt für Gott versperrt. Aber nur wer sich Gott ganz hingibt, darf Erlösung erwarten. Für Pascal verdeckt die Zerstreuung durch die Kunst Gefühle der Leere und der Nichtswürdigkeit. Und für Levinas ist die Kunst ein Zaubermittel, das zur Besessenheit führt, und Besessenheit ist nichts anderes als jener Zustand, in dem die Ordnung des Ich sich auflöst und der Mensch deswegen dem Wahnsinn verfällt.