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BERICHT

Vanessa Albus :
Didaktik: Die desolate Lage der Philosophiedidaktik

aus Heft 2/2013, S. 16-26


Personelle Ressourcen in der Philosophiedidaktik

In dem 1998 erschienenen Handbuch Philosophische Disziplinen schreibt Ekkehard Martens, der erste Professor für Philosophiedidaktik in Deutschland, in seinem Überblick zur Philosophiedidaktik:

„Faktisch allerdings hat sich bisher eine Institutionalisierung [der Philosophiedidaktik] in Form eigener Lehrstühle mit entsprechender Personal- und Sachmittelausstattung kaum etabliert. Die Regel ist vielmehr eine Reduktion fachdidaktischer Aktivitäten auf methodisch-praxeologische Lehrerausbildung ohne hinreichende innovative und fundierende Forschungsarbeit.“ (E. Martens, Philosophiedidaktik, in: Philosophische Disziplinen, hrsg. von A. Pieper, S. 299)

Diese Aussagen sind leider noch heute, 15 Jahre später, gültig. In einem vor wenigen Monaten erschienen Artikel desselben Autors zur Standortbestimmung der Philosophiedidaktik heißt es:

„Gerade universitäre Ausbildung [im Bereich der Philosophiedidaktik] bedarf […] dringend einer professionellen Verbesserung.“ (E. Martens, Didaktik der Philosophie, in: Information Philosophie 3/4 2012, S. 102)

Auf der Basis aktueller Zahlen lässt sich die mangelhafte Institutionalisierung der Philosophiedidaktik belegen. Wirft man zunächst nur einen flüchtigen Blick auf die personellen Ressourcen im WS 12/13 in der Philosophiedidaktik an 43 deutschen Universitäten, an denen ein Philosophiestudium mit Lehramtsoption möglich ist, ergibt sich bereits das Bild einer siechenden Randdisziplin. An 54% der Universitäten wird Philosophiedidaktik allein durch Lehraufträge abgedeckt. Meistens handelt sich bei dieser Statusgruppe um engagierte Lehrkräfte aus dem Schuldienst, in Einzelfällen um Fachleiter aus den umliegenden Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung. Eine maßgebliche Beteiligung an philosophiedidaktischer Forschung ist aufgrund der hohen Belastungen dieser Statusgruppe nicht vorhanden.

Wissenschaftliche Mitarbeiter, Akademische Räte, Lehrkräfte für besondere Aufgaben und Studienräte im Hochschuldienst stellen 30% der personellen Ressourcen für Philosophiedidaktik. In dieser Statusgruppe haben 54% eine Lehrverpflichtung von 13 bis 18 Semesterwochenstunden, was – wenn man die üblichen Aktivitäten in der Selbstverwaltung berücksichtigt – mit erheblichen Einbußen in der Forschungskapazität einhergeht. Drei von 13 Universitäten, die die Philosophiedidaktik aus dem hauptamtlichen Mittelbau heraus bedienen, verfügen in dieser Disziplin über habilitiertes Personal. In nur einem der drei Fälle gelang die Habilitation auf einer Studienratsstelle mit hohem Lehrdeputat. Unabhängig von der akademischen Qualifikation des Personals wird der hauptamtliche Mittelbau die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht leisten können. So gibt es z. B. in Essen kein fachdidaktisches Oberseminar, das den Lehramtsstudierenden die Möglichkeit einer forschungsbasierten Masterarbeit in der Philosophiedidaktik eröffnet.

Die Aufgabe, wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, kommt in erster Linie den Universitätsprofessoren zu, die 14% der Philosophiedidaktikstellen an deutschen Universitäten inne haben. Auf professoraler Ebene ist zudem eine vakante, zur Zeit fachfremd vertretene Juniorprofessur, zu erwähnen, die mit weiteren 2% das Bild komplettiert.

Anforderungen an die Philosophiedidaktik

Schaut man sich die Besetzungsmodalitäten genauer an, zeigt sich sogar ein noch schlimmeres Bild. Denn da, wo Philosophiedidaktik drauf steht, ist nicht immer Philosophiedidaktik drin. Welche Merkmale aber muss ein Philosophiedidaktiker am universitären Lernort zwingend erfüllen? Nur derjenige, der in der Philosophiedidaktik eigenständig forscht und lehrt sowie über eigene Unterrichtserfahrungen in der Schule verfügt, genügt offenkundig dem Anforderungsprofil in der Lehrerausbildung in vollem Umfang. Wenn das Anforderungsprofil von Stellen mit philosophiedidaktischer Denomination tatsächlich genau darin besteht, schrumpft die Zahl derer, die die Philosophiedidaktik sachadäquat repräsentieren, nochmals erheblich.


In allen Statusgruppen gibt es nämlich Kandidaten, die zwar unter dem Etikett der Philosophiedidaktik tätig sind, die genannten Kriterien jedoch nicht erfüllen. Die Statusgruppe der Lehrbeauftragten z. B. bietet keine forschungsbasierte Lehre an. Es handelt sich meistens, wie bereits erwähnt, um nicht promovierte Lehrkräfte, die neben ihrer Unterrichtstätigkeit in der Schule einen Lehrauftrag an einer Universität angenommen haben und verständlicherweise kaum Kapazitäten zum Forschen aufbringen können. Eine nach obigem Anforderungsprofil völlige Fehlbesetzung liegt bei 4% der Lehrbeauftragten vor, die weder jemals an einer Schule unterrichtet, noch im Bereich der Fachdidaktik geforscht haben. Von dieser zugegebenen sehr kleinen Gruppe werden dann entweder mit großem Selbstbewusstsein praxeologische oder fachphilosophische Lehrveranstaltungen mit fachdidaktischer Modulzuweisung in Mogelpackungen angeboten.

Die Personalsituation im hauptamtlichen Mittelbau ist ebenfalls problematisch. Nur 23% können alle drei genannten Kriterien erfüllen. Keine selbständige Forschung im Bereich der Philosophiedidaktik erbringen 61% der hauptamtlich Lehrenden im Mittelbau. 46% verfügen weder über Forschungsleistungen noch über Lehrerfahrung an Schulen.

Auf professoraler Ebene lehren 42% der Stelleninhaber mit philosophiedidaktischer Denomination in der Didaktik der Philosophie entweder überhaupt nicht oder zumindest nicht forschungsbasiert. So gibt es z. B. einen Lehrstuhl mit philosophiedidaktischer Denomination, der zwar fachphilosophisch einschlägig besetzt ist, aber keinen Beitrag zur philosophiedidaktischen Lehre und Forschung leistet. Auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der Fachdidaktik wird hier zwangsläufig ebenfalls verzichtet. In einem anderen Fall wurde durch eine Hausberufung eines kurz vor der Pension stehenden Lehrkörpers ohne Venia die Chance auf richtungweisende Forschungsarbeit in der Philosophiedidaktik einmal mehr verspielt. Forschungsbasierte Lehre unabhängig von der Statusgruppe der Lehrenden können in der Philosophiedidaktik damit insgesamt nur 14% der lehramtsausbildenden Universitäten anbieten. Das ist ein Alptraum.

Eine Verbesserung der personellen Ressourcen ist zumindest in naher Zukunft nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil, es zeichnet sich momentan ab, dass nach einer bevorstehenden Emeritierung eine Professur mit philosophiedidaktischer Teildenomination gar nicht mehr und eine vakante Stelle nur fachfremd besetzt werden wird.

Der Bedarf an Philosophiedidaktik

Die personell desaströse Lage der Philosophiedidaktik resultiert nicht, wie vielleicht vermutbar, aus ihrem mangelndem Bedarf. Etwa die Hälfte der Philosophiestudierenden studiert auf Lehramt und ist somit zum Besuch von philosophiedidaktischen Lehrveranstaltungen verpflichtet. Im Sommersemester 2012 studierten z.B. an der Universität Duisburg-Essen 45% der Philosophiestudierenden auf Lehramt, in Dresden waren es sogar 52%. Mit der Verkürzung der zweiten Phase der Lehrerbildung sind im Zuge der Hochschulreform fachdidaktische Inhalte – man halte davon, was man wolle – faktisch an die Universität verlagert worden. Der Bedarf an fachdidaktischen Modulen steigt überall spürbar.

Ferner sind im Rahmen der Hochschulreform die BA-Studiengänge ohne Lehramtoption im Gegensatz zu den eher forschungsorientierten Masterstudiengängen anwendungs- und berufsorientiert ausgerichtet. Nähme man diese Ausrichtung ernst, so müsste auch in diesem Studiengang fachdidaktisches Wissen und Können vermittelt werden, weil die Absolventen später durchaus in Berufsfeldern agieren werden, in denen Vermittlungsarbeit und das Philosophieren mit Laien von Bedeutung sein könnte.

Ebenso unstrittig dürfte gegenwärtig auch der Bedarf an Philosophielehrkräften sein. Die Chancen, nach Abschluss eines Lehramtstudiums und des zweiten Staatsexamens einen Arbeitsplatz zu finden, sind keineswegs aussichtslos, denn an den Schulen steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Philosophie als Unterrichtsfach wählen. In Sachsen z. B. besuchen schon 80% der Lernenden den Ethikunterricht, nur 20% nehmen am Religionsunterricht teil. Die steigende Anzahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler in NRW im Unterrichtsfach Praktische Philosophie von 2001 bis 2008 dokumentiert die Schulstatistik (vgl. B. Wiesen: Praktische Philosophie. Entstehung und Wirkung des neuen Schulfaches in Nordrhein-Westfalen, Münster, 2009, S. 198, Abb. 105 - nur im Printmagazin).

Von Interesse in diesem Zusammenhang ist die große Zufriedenheit der Schülerinnen und Schüler mit dem Unterrichtsfach Praktische Philosophie, die in einer empirischen Studie von Bernd Wiesen mittels Umfragebogen mit freier Texteingabe ermitteln werden konnte (B. Wiesen, S. 108). Mit Einbrüchen in den Teilnehmerzahlen dürfte zukünftig nicht zu rechnen sein. Praktische Philosophie ist ein Unterrichtsfach mit enormem Entwicklungspotential.

Die steigenden Teilnehmerzahlen im Ersatzfach Praktische Philosophie in allen Schulformen geht jedoch nicht, wie man voreilig meinen könnte, mit steigenden Abmeldezahlen im Religionsunterricht einher. Ganz im Gegenteil, die Anzahl der Religionsabmeldungen sinkt mit wachsenden Teilnehmerzahlen in Praktischer Philosophie. Diese Entwicklung ist dem Wegfall von Freistunden geschuldet, die entfallen, wenn an einer Schule Praktische Philosophie für Religionsabmelder angeboten werden kann. Die Bereitschaft, sich vom Religionsunterricht abzumelden, nimmt ab, sobald die Teilnahme am Ersatzfach verpflichtend ist. Religion und Philosophie stehen als Unterrichtsfächer also nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern gehen eine Symbiose ein.

Mögliche Gründe für die Diskrepanz zwischen Bedarf und Ressourcen

Als Gründe für das Mauerblümchendasein der Philosophiedidaktik lassen sich drei Punkte ausweisen:

Vorbehalte der Fachphilosophen
Verortungsschwierigkeit
Neuartigkeit und Anspruch

Vorbehalte der Fachphilosophen

Ein Grund für das Mauerblümchendasein der Philosophiedidaktik ist in der Mentalität unseres schönen Faches zu suchen. Theologen oder Philologen z. B. stellen die Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Zeichen des Glaubens bzw. die Lehr- und Lernbarkeit von Fremdsprachen gar nicht erst in Frage und stehen daher von vorneherein didaktischen Bestrebungen offen gegenüber. Die Philosophen dagegen lieben professionsgebunden den Zweifel, und so fragen sie sich spätestens im Falle einer drohenden Institutionalisierung der Philosophiedidaktik, ob Philosophie überhaupt gelernt und gelehrt werden könne oder ob das Philosophieren vielleicht eher als eine Art spirituelle Eingebung nur wenigen Begabten von Natur aus zukäme.
Wenn Philosophie, so könnte man dann argumentieren, weder lehr- noch lernbar sei, sondern allein auf einer genetischen Disposition beruhe und auch sonst keiner weiteren Kultivierung bedürfe, sei Philosophiedidaktik entweder überflüssig oder schädlich. In beiden Fällen – überflüssig oder schädlich – wird freilich eine Institutionalisierung der Philosophiedidaktik abgelehnt.

Abgesehen davon, dass das Philosophen-Gen noch immer nicht empirisch nachgewiesen wurde, ist schließlich einzuwenden, dass das Philosophieren in unserer demokratischen und multikulturellen Gesellschaft eine notwendige Kulturtechnik ist, die von jedem mündigen und kritisch denkenden Menschen beherrscht werden muss, um Orientierungswissen generieren und Prozesse der Persönlichkeitsbildung in Gang setzen zu können. Von philosophischer Bildung kann und darf niemand aufgrund von Begabungen ausgeschlossen werden. Die Vertreter der Schädlichkeitsthese befürchten vor allem eine Simplifizierung oder Verzerrung der Philosophie durch eine popularisierende Philosophiedidaktik, scheinen doch gerade die großen Werke der Meisterdenker in Klassenzimmern zu sperrig. In diesem Sinne schade zwar die Populärphilosophie nicht den Schülerinnen und Schülern, sie schade vielmehr dem Ansehen der akademischen Philosophie.

Die Angst vor der Schädigung der akademischen Philosophie durch populären Philosophieunterricht an den Schulen führte schon im 19. Jahrhundert zur Abschaffung des Philosophieunterrichts. Aus der Geschichte aber lässt sich lernen, dass nicht der schulische Philosophieunterricht der esoterischen Philosophie Schaden zufügte, sondern vielmehr seine Entfernung aus den Stundenplänen der Schüler. Die Abschaffung des Philosophieunterrichts zur Schonung der Fachphilosophie lief langfristig auf ein wissenschaftliches Nachwuchsproblem hinaus, und die Fragen und Gegenstände der Philosophiedidaktik wurden nicht etwa obsolet, sondern lediglich in den Bereich der Hochschuldidaktik ausgelagert. Diejenigen Fachphilosophen, die erst zur Schonung der Philosophie für eine Abschaffung des philosophischen Unterrichts an den Schulen des 19. Jahrhunderts bildungspolitisch sorgten, beklagten sich wenig später über die mangelnde philosophische Vorbildung und Reflexionsfähigkeit ihrer Erstsemester.

Es ist ferner zu fragen, ob der Philosophieunterricht nicht primär unter dem Gesichtspunkt der sich philosophisch bildenden Schülerinnen und Schüler betrachtet werden sollte. Für wen findet Philosophieunterricht statt? Für das Ansehen der großen Philosophen, die sich vielleicht im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, dass ihre Philosophie nun schon als Bastelset – frei nach Depners Ansatz „Kant für die Hand“ – erhältlich ist? (H. Depner, Kant für die Hand, München, 2011) Nein, die Adressaten des Philosophieunterrichts sind sicherlich die Bildungssubjekte. Ein Kant wird es verkraften, dass die „Kritik der reinen Vernunft“ heutzutage auch in Form von populären Bastelbögen erhältlich ist.

Nicht zuletzt gilt es, das elitäre Selbstverständnis mancher Fachphilosophen zu hinterfragen. Philosophiedidaktiker und Philosophielehrkräfte erfahren vielfach keinerlei Wertschätzung, denn wer mit Laien philosophiere, könne selbst kein großer Philosoph sein. Meisterdenker philosophierten nur unter ihresgleichen und seien notwendigerweise nicht in der Lage, ihre komplexen Gedanken Anfängern der Philosophie verständlich zu machen. Eigenständiges Philosophieren und Philosophievermittlung schlössen sich gegenseitig aus und seien unvereinbar.

Verortungsschwierigkeiten

Sowohl die Unvereinbarkeits- als auch die Überflüssigkeits- und die Schädlichkeitsthese basieren auf einem Didaktikbegriff, der die Didaktik als nachträglich auffasst, und zwar in dem Sinn, als dass Didaktik Philosophie mit Hilfe rhetorischer und motivationstechnischer Tricks bloß abbildet. Eine Abbilddidaktik überträgt die Systematik der Fachwissenschaft, ohne auf die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler zu achten. Es versteht sich von selbst, dass das Abbild im Vergleich zum Urbild eine schlechtere Qualität hat. Das diachrone Verhältnis von Didaktik und Philosophie einerseits und die Summe der fachphilosophischen Vorbehalte andererseits führen in letzter Konsequenz zur Neigung, Philosophiedidaktik möglichst klein zu halten oder sie als minderwertige Disziplin des Empirischen und Kontingenten in die Erziehungswissenschaften abzuschieben.

Ein Verdienst der Vertreter der dialogisch-pragmatischen Philosophiedidaktik besteht nun aber darin, die Philosophiedidaktik auf der Basis der Konstituierungsthese als vollwertigen Teil der akademischen Philosophie zu etablieren. Martens’ Konstituierungsthese lautet:
„Philosophie ist didaktisch, insofern sie einen gemeinsamen Lehr-Lern-Prozess darstellt. Didaktik ist für sie, wie für jedes Wissen, konstitutiv. Dieser Prozess erfordert nicht nur ein Wissen, sondern vor allem ein erlernbares praktisches Können. Umgekehrt aber ist nicht nur die Philosophie didaktisch, sondern auch Didaktik philosophisch, insofern dieser Prozess einer Rechtfertigung in einem Zweck-Mittel-Zusammenhang bedarf.“ (E. Martens: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, Hannover, 1979, S. 11).

Neuartigkeit und Anspruch

Nach der schweren Krise des Philosophieunterrichts im 19. Jahrhundert wurde Philosophie als reguläres Unterrichtsfach in der Oberstufe erst 1972 eingeführt. Der erste Lehrstuhl für Philosophiedidaktik folgte 1978. Die Ausweitung des Ethik- und Philosophieunterrichts auf der Sekundarstufe I ist, wie die Disziplin der Philosophiedidaktik selbst, ein sehr junges Phänomen und benötigt vermutlich zur Stabilisierung und Etablierung etwas Zeit.
Es soll zuletzt nicht unerwähnt bleiben, dass der Anspruch der Philosophiedidaktik – erstes und zweites Staatsexamen, Unterrichtserfahrung, eigene Forschung und akademische Lehre – sehr hoch und die Aufstiegschancen promovierter Philosophen in der Schullaufbahn günstiger sind als die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs an der Universität.
Maßnahmen zur Rettung der Philosophiedidaktik

Vor diesem Hintergrund sind gegenwärtige Bemühungen zur Rettung einer institutionalisierten und professoralen Philosophiedidaktik nicht hoch genug zu schätzen. Die letzten Mohikaner der Philosophiedidaktik erarbeiten derzeit in Kooperation mit den Fachverbänden Philosophie und Ethik und den Mitgliedern des Forums für Didaktik der Philosophie eine Initiative zur Verbesserung der philosophiedidaktischen Lehrerausbildung an den Universitäten. Vorurteile sollen bekämpft und Kooperationen mit der Fachphilosophie initiiert werden. Institutionenpolitisch geplant sind die Verabschiedung eines Konzepts zur Stärkung der Philosophiedidaktik auf der DGPhil-Mitgliederversammlung 2014 sowie die Thematisierung der problematischen Situation im 19. DG Phil-Newsletter März 2013.

Themenfelder der Philosophiedidaktik

Wie jede andere Fachdidaktik auch beschäftigt sich die Philosophiedidaktik mit Fragen des Wozu, Wie, Was und Wer. Als junge Disziplin ist sie sowohl mit anderen Fachdidaktiken als auch mit der Erziehungswissenschaft und der Allgemeinen Didaktik eng vernetzt. Hinsichtlich der Kernfragen des Lehrens und Lernens von Philosophie besteht in der gegenwärtigen Philosophiedidaktik weitgehend Konsens. Die turbulenten Zeiten der Kontroversen, wie sie in der Gründungsphase geführt wurden, sind vorüber.

Wozu

Gerade in einem jungen Unterrichtsfach stellt sich mit der Absicht der Rechtfertigung die Frage nach dem Zweck des Philosophieunterrichts sehr früh. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Bildungsbegriff, der vor allem von Volker Steenblock und Kirsten Meyer zum Ausgangspunkt philosophiedidaktischer Betrachtungen gewählt wird.

Zu den notwendigen Kriterien philosophischer Bildung gehört das Kennenlernen, Vergleichen, das kritische Würdigen und das Dulden von verschiedenen Weltbildern, so dass dem Begriff der Toleranz im Rahmen philosophischer Bildungsprozesse mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Die Pluralität von Weltbildern in einer Lerngruppe manifestiert sich in unterschiedlichen Philosophien, Kulturen, religiösen Bekenntnissen, Norm- und Wertsystemen, Ordnungsprinzipien sowie grundlegenden Orientierungen des Menschen zum Seienden im Ganzen. Es wird in der Forschung noch zu zeigen sein, dass dieser Facette der philosophischen Bildung in der Genese des Philosophieunterrichts nicht dauerhaft Rechnung getragen wurde.

Wie

Im Zuge der ministerialbürokratisch geforderten und mittlerweile in der Philosophiedidaktik schon als „überbordend“ (E. Martens, Didaktik der Philosophie, a.a.O., S. 105) empfundenen Kompetenzorientierung jeglichen Unterrichts und dem Aufstieg der empirischen Bildungsforschung hat die Philosophiedidaktik nicht nur die Methoden der Philosophie und die Methoden des Ethik- und Philosophieunterrichts, sondern im reflexiven Gestus auch die eigene Forschungsmethodik im Blick.
In der philosophiedidaktischen Methodendiskussion sind die sich ergänzenden, im Generierungsverfahren jedoch gegenläufigen Modelle von Johannes Rohbeck und Ekkehard Martens einschlägig. Auf deduktivem Weg transformiert Rohbeck die Denkrichtungen der Philosophie (Analytik, Konstruktivismus, Phänomenologie, Dialektik, Hermeneutik, Dekonstruktion) in philosophische Methoden des Unterrichts. Im Gegensatz dazu entwickelt Martens induktiv aus den Elementen des alltäglichen Denkens fünf Methoden, die sich als Richtungen gegenwärtiger Philosophie herausstellen (Phänomenologie, Hermeneutik, Analytik, Dialektik und Spekulation) und als Arbeits- und Unterrichtsmethoden im Ethik- und Philosophieunterricht angewendet werden. Auf die wissenschaftliche und curriculare Etablierung der beiden Modelle folgen gegenwärtig Konkretisierungen in Form von Unterrichtsvorschlägen und Materialsammlungen für Lehrende und Lernende. Der Weg der Konkretisierung wird auch weiterhin in der Philosophiedidaktik einzuschlagen sein, um lerngruppenspezifisches Planen von Unterricht in der Praxis zu erleichtern. Exemplarisch soll dies zukünftig anhand einer Transformation von Husserls und Merleau-Pontys phänomenologischen und Blumenbergs hermeneutischen Methoden in einem Projekt gezeigt werden. Der Schwerpunkt auf phänomenologische und hermeneutische Kompetenzschulung ist dadurch motiviert, dass die Notwendigkeit eines Methodenpluralismus zu Recht Konsens der philosophiedidaktischen Forschung ist, gleichwohl aber eine bedenkliche Entwicklung zum Methodenmonismus im realen Unterrichtsprozess zu beobachten ist. Der Aufschwung der analytischen Philosophie auf esoterischer Ebene geht mit einem Übergewicht an analytischen Methoden im Unterricht einher.
Im Hinblick auf die Forschungsmethoden in den Didaktiken und Erziehungswissenschaften stellt derzeit die Wende zur empirischen Unterrichtsforschung eine große Herausforderung dar. Eine systematische Erschließung der vorhandenen empirischen Studien hat jüngst Markus Tiedemann unternommen. Es gilt, Möglichkeiten und Grenzen des empirischen Ansatzes für philosophische Bildungsprozesse auszuloten und in einer zahlenorientierten Kultur vor übertriebenen Erwartungen zu warnen, denn wenn die Evaluation des Ethik- und Philosophieunterrichts allein empirischen Verfahren ausgeliefert ist, gerät das Wertvollste der philosophischen Bildung – die Arbeit einer Person an sich selbst, die Bildung eines sittlichen Charakters, philosophische Gesinnung, praktisch gelebte Moral und Wertfestigkeit – aus dem Blick.

Philosophische Bildung zielt nicht allein auf Kompetenzerwerb, sondern beinhaltet auch den Aspekt der materialen Bildung oder des Wissens, das in Folge der Standardisierung und der Einführung des Zentralabiturs gegenwärtig weitgehend unreflektiert kanonisiert wird. Nachdem jüngst der Versuch unternommen wurde, Kanonbildungsprozesse in der Geschichte des Philosophieunterrichts deskriptiv zu beleuchten, um auf normativer Ebene Vorschläge für die gegenwärtige Unterrichtspraxis unterbreiten zu können, wäre eine empirische Verifizierung der Vorschläge und eine Implementierung lohnenswert. Die auf diesem Weg erschlossenen historischen Quellen sind größtenteils leider kaum noch zugänglich und zudem in Latein. Die bibliographische Situation verlangt geradezu nach Neueditionen, Übersetzungen und Chrestomathien für den Bereich der akademischen Philosophielehrerausbildung.

Neben Texten, die traditionell ein sehr wichtiges Medium im Philosophieunterricht sind, bildet sich jüngst ein Hybridkanon heraus, in denen ganz unterschiedliche Medien, wie z.B. Bilder, Filme, Musikvideos, Computerspiele oder Soap Operas zum Philosophieren genutzt werden. Ein bisher unentdecktes Medium stellt ganz ungerechtfertigt das philosophische Hörbuch dar. Es schult sowohl das Hörverstehen als auch die Konzentrationsfähigkeit und kann in leseschwachen Lerngruppen eingesetzt werden. Die theatrale Inszenierung philosophischer Probleme sorgt für Abwechslung, Motivation und lebensweltliche Nähe. Die Erforschung der Potentiale des philosophischen Hörbuchs für das Lehren und Lernen von Philosophie scheint ein lohneswertes Unterfangen zu sein.

Die Frage nach den Bildungssubjekten und der Beschaffenheit der Lerngruppe ist in der Philosophiedidaktik von besonderer Brisanz, da Philosophie traditionell als besonders anspruchsvolles Fach gehandhabt wurde und nur für erwachsene und zugleich männliche Bildungssubjekte geeignet schien. Ein Verdienst der dialogisch-pragmatischen Philosophiedidaktik besteht nun aber darin, die Philosophie aus dem elitären Komplex der Gelehrtenbildung befreit zu haben. Als elementare Kulturtechnik ist Philosophie inzwischen Bestandteil eines Bildungsprogramms für jedermann. An den Schulen philosophieren sowohl Kinder als auch Jugendliche. Philosophische Lehrtätigkeit findet statt in Kliniken, Jugendpsychiatrien, philosophischen Praxen, in der Gastronomie, auf Reisen, in der Unternehmensberatung und im Strafvollzug. Die Ausweitung und Erkundung außerschulischer Lernorte ist weiterhin Programm. Lerngruppenspezifische Unterrichtsmaterialien für die nicht alltäglichen Lernorte sind ein Desiderat.

Unter diesem Signum findet an der Universität Duisburg-Essen in diesem Semester in Kooperation mit UNIAKTIV, dem Zentrum für gesellschaftliches Lernen, ein vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Stiftung Mercator gefördertes Projekt zum Learning-Seminar statt, in dem Studierende mit sozialem Engagement außerschulische Lernorte erforschen und mit Menschen in Grenzsituationen, darunter Senioren, Süchtige, Depressive, Nicht-Sesshafte, Haftentlassene, Wohnungs- und Arbeitsentwöhnte und aufgrund ihrer Herkunft und Lebensweise benachteiligte Personen, philosophieren. Das Projekt ist insofern produktionsorientiert, als dass die studentischen Dokumentationen in Form einer Publikation einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Auf diesem Weg werden die hochschuldidaktischen Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts Service Learning veranschaulicht. Nicht zuletzt ist auch die Universität ein philosophischer Lernort, der innerhalb der Philosophiedidaktik bisher nur am Rande gewürdigt wurde.

Die Frage nach den Bildungssubjekten und der Zusammensetzung spezifischer Lerngruppen im Philosophie- und Ethikunterricht ist aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie eine Einstufungsfrage auf der Skala der moralischen Urteilskompetenz mittels Dilemma-Methode. Gerade Straftäter werden auf der Skala der moralischen Urteilskompetenz von den Vertretern dieses Ansatzes sehr niedrig eingestuft und dienen als Paradebeispiel für Menschen mit mangelnder moralischer Diskursfähigkeit. Die eigenen Unterrichtsversuche auf der Basis einer sokratischen Philosophiedidaktik konnten diesen Eindruck nicht bestätigen, so dass sich auch hier ein größeres Feld der Kritik und Verifizierung eröffnet.

Am schulischen Lernort sind die Lerngruppen im Philosophie- und Ethikunterricht bedingt durch den Ersatzfachstatus multikulturell und sehr heterogen. Viele Schülerinnen und Schüler lernen Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache, was das gemeinsame Philosophieren im Klassenraum sehr erschwert. Eine Herausforderung besteht nun darin, im Sinne einer durchgängigen Sprachförderung Konzepte zur Sprachbildung im Fachunterricht zu entwickeln. In der Philosophiedidaktik stellt dieser Gegenstandsbereich leider ein Desiderat dar, was gerade an der Universität Duisburg-Essen einerseits sehr schmerzlich ist, da in den neuen Lehramtstudiengängen profilrelevante Wahlpflichtveranstaltungen zu diesem Komplex angeboten werden müssen. Anderseits versetzt es uns in die komfortable Lage, dass sich interdisziplinäre Arbeitsgruppen rasch zusammenfinden, um tragfähige Konzepte für Forschung und Lehre zu entwickeln. Ein möglicher Ansatzpunkt zur Sprachförderung im Philosophieunterricht ist eine noch näher auszubuchstabierende Metapherndidaktik.

An Herausforderungen, so ist abschließend festzuhalten, mangelt es in der noch recht jungen Disziplin der Philosophiedidaktik sicherlich nicht. Um das Abgleiten in rein monologische Werkschöpfungen zu verhindern, werden in Zukunft alle Kräfte zur Institutionalisierung dieser Disziplin erforderlich sein.

Literatur zum Thema:

Albus, Vanessa: Kanonbildung im Philosophieunterricht. Lösungsmöglichkeiten und Aporien, Dresden, 2013.
Ein Grundlagenwerk, das unter dem Gesichtspunkt der Kanonbildungsprozesse die Geschichte des Philosophieunterrichts zukunftsweisend entfaltet.

Albus, Vanessa; Altenschmidt, Karsten (Hrsg.): Philosophieren mit Jedermann. Ein hochschuldidaktisches Projekt zum Service Learning, Münster, 2013. (im Erscheinen)
Dokumentiert ein hochschuldidaktisches Projekt der Universität Duisburg-Essen, das der Kultivierung des Philosophierens von Erwachsenen an außerschulischen Lernorten dient und dem Konzept des Service Learning verpflichtet ist.

Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover, 22005.
In der „Methodik“ wird das integrative Methodenparadigma entwickelt und das Philosophieren als elementare Kulturtechnik situiert.

Meyer, Kirsten: Bildung, Berlin, 2011.
Diskutiert wird das Verhältnis von Bildung zu Autonomie, Werten, gutem Leben, Neutralität und Gerechtigkeit.

Rohbeck, Johannes: Didaktik der Philosophie und Ethik, Dresden, 22010.
Leitidee ist die Vermittlung zwischen akademischer Philosophie und schulischer Unterrichtspraxis auf der Basis einer Transformation didaktischer Potenziale der Philosophie.

Steenblock, Volker: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophiedidaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, Münster, 2012.
Führt in die Philosophiedidaktik ein und plädiert für die Notwendigkeit einer philosophischen Bildung in einer Zeit der zivilisatorischen Beschleunigung.

Tiedemann, Markus: Philosophiedidaktik und empirische Bildungsforschung. Möglichkeiten und Grenzen, Münster, 2011.
Analysiert empirische Forschungsprojekte zum Philosophieunterricht und klopft sie auf Möglichkeiten und Grenzen ab.

UNSERE AUTORIN:

Vanessa Albus ist habilitierte Philosophin und lehrt an der Universität Duisburg-Essen Philosophiedidaktik. Der vorliegende Artikel ist eine gekürzte Fassung ihrer Antrittsvorlesung vom 31.01.2013.