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FORSCHUNG

Philosophie in München. Die Geschichte der Münchener Universitätsphilosophie

aus Heft 2/2013, S. 66-74


Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts kam der Wunsch auf, den Werdegang der Philosophie der Münchener Universität mit ihren drei Standorten Ingolstadt, Landshut und München zu erforschen. Robert Spaemann unterstützte das Projekt, und verschiedene Autoren lieferten Beiträge, die zeigten, dass durchaus von einer „Münchener Philosophie“ die Rede sein kann. Geplant war, dass die Institutsgeschichte Mitte der 1990er Jahre erscheinen sollte, doch kurz vor der Abgabe blieb das Manuskript aus unerfindlichen Gründen liegen. Hans Otto Seitschek unternahm schließlich einen neuen Anlauf und brachte den voluminösen Band, an dem viele mitgearbeitet haben, heraus:

Seitschek, Hans Otto (Hrsg.): Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Die philosophische Lehre an der Universität Ingolstadt-Landshut-München von 1472 bis zur Gegenwart. 390 S., Ln., € 39.80, EOS-Verlag, Sankt Ottilien.

Die Vorgeschichte in Ingolstadt und Landshut

Die Geschichte der Münchener Philosophie beginnt 1472 in Ingolstadt mit der Gründung der dortigen Universität. 1571 wurde der Cursus philosophicus den Jesuiten zugesprochen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wird der Einfluss der Jesuiten langsam zurückgedrängt. Der Einfluss von Christian Wolff erzeugte in Ansätzen einen katholischen Wolffianismus: Wolffs scholastische Denkweise kam denjenigen Jesuiten, die für die Moderne halbwegs aufgeschlossen waren, entgegen. Einig waren sich die Jesuiten darin, die Rolle der menschlichen Freiheit und Selbstverantwortung retten zu müssen. Insgesamt wurden neuzeitliche Entwicklungen in Ingolstadt mit etwa fünfzig Jahren Verspätung registriert.

Die „katholische Aufklärung“ in Bayern wurde von der 1759 gegründeten antijesuitischen Bayerischen Akademie der Wissenschaften getragen, in Ingolstadt von Johann Adam von Ickstatt (1702-1776), der als Direktor der Universität die Jesuiten aus den Entscheidungsgremien und Lehrkörpern der Universität verdrängte – mit Ausnahme der Theologie und der Philosophie. Die fast ausschließlich aus Jesuiten bestehende theologische Fakultät protestierte dagegen. Sie hatte streng darauf geachtet, dass kein nicht-katholisches Buch in die Hände eines Studenten gelangte. Doch regierende Fürst folgte dem Rat Ickstatts, und damit wurde auch das Zensurrecht der Theologen eingeschränkt. Auch sollten die Beispiele für den Ethik-Unterricht nicht mehr ausschließlich der Bibel und dem Leben der Heiligen entnommen werden.

1773 wurde der Jesuitenorden aufgehoben. Das hatte die größte Zäsur in der Geschichte der Philosophie der Universität Ingolstadt zur Folge: nicht nur musste der gesamte Lehrkörper ausgewechselt, auch die Konzeption des Unterrichts musste neu erarbeitet werden. Dem Philosophieunterricht wurden nun nicht-katholische Lehrbücher aus dem protestantischen Norden zugrunde gelegt. Der Erfolg dieser Studienreform zeigte sich darin, dass bis zur Verlegung nach Landshut (1800) in der philosophischen Fakultät an die 200 Promotionen stattfanden. Umgekehrt verfasste in dieser Zeit keiner der Professoren ein eigenes Lehrbuch oder eine eigene Schrift. Zum Wintersemester 1784/85 erschien das gedruckte Vorlesungsverzeichnis zum ersten Mal in deutscher Sprache – ein Zeichen dafür, dass die Vorlesungen nun auch in deutscher Sprache gehalten wurden – nicht zuletzt wegen des barbarischen Lateins, das sich in den Vorlesungen eingebürgert hatte.

1800 wurde die Universität aus der Garnisons- und Grenzstadt Ingolstadt nach Landshut verlegt. Der philosophische Lehrkurs war nun auf zwei Jahre festgelegt und umfasste:

1. Semester: 12 Semesterwochenstunden (SWS) Logik und Metaphysik. 6 SWS Geschichtsphilosophie.

2. Semester: 3 SWS Anthropologie, 6 SWS empirische Psychologie

3. Semester: 3 SWS Ästhetik, 6 SWS Moralphilosophie

4. Semester: 6 SWS Naturrecht, 4 SWS Pädagogik, 6 SWS Geschichte der Philosophie.


Die Landshuter Periode war geprägt von einer geistigen Gegnerschaft: die medizinische Sektion propagierte die Philosophie Schellings, die philosophische Sektion die Philosophie Kants. Spannungen gab es zwischen einer aufklärerischen bzw. vernunftimmanenten Erklärung der christlichen Religion und einer von der katholischen Kirche autorisierten Darstellung der religiösen Wahrheiten. Ab 1838/39 wurden die Vorlesungen über Religionsphilosophie ausschließlich den Professoren der theologischen Fakultät vorbehalten. Man versuchte nun, Schelling nach Landshut zu berufen, doch dessen Gegner konnten auf Anraten Jacobis den Schellinggegner Friedrich Köppen (1775-1858), der mit Jacobi eng befreundet war, berufen. Köppen hatte eine Schrift Schellings Lehre, oder das Ganze der Philosophie des absoluten Nichts veröffentlicht, in der er sich als Gegner der neuesten Philosophie Fichtes und Schellings zeigte: Das Absolute lässt sich nicht konstruieren, sondern muss als etwas dem Wissen schlechthin Transzendentes und Unergründliches vorausgesetzt werden. Allerdings handelte sich der reformierte Köppen auch Schwierigkeiten ein, weil er sich kritisch zu dem 1817 ausgehandelten Konkordat zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl ämusserte, in dem er eine Bevormundung der Bevölkerung sah. Wegen dieser und anderer freimütiger Ämusserungen wurde Köppen 1826 bei der Verlegung der Universität von Landshut nach München nach Erlangen versetzt.

Die Münchener Zeit bis Ende des 19. Jahrhunderts

König Ludwig hatte alles aufbieten müssen, um den berühmten Schelling, der bereits von 1808 bis 1823 als Generalsekretär der Akademie der bildenden Künste in München gewirkt hatte, zur Annahme eines Rufes an die 1826 neugegründete Münchener Universität zu bewegen. Die ansehnliche Besoldung und die Aussicht auf neue glanzvolle öffentliche Wirksamkeit zeigten Erfolg. Von Schelling ging eine gewaltige rhetorische Faszination aus, er war nicht nur Philosoph und Gelehrter, sondern er wurde auch zu einem mächtigen Mann in der bayerischen Kulturszene. Auch übte er Macht aus. Als sich 1829 Ludwig Feuerbach um eine Professur in München bewarb, befand Schelling, „dass Feuerbach nicht ausgezeichnet sei, keinen Ruf genieße und selbst in Erlangen nicht genüge“. Auch Karl Friedrich Krause verwehrte er, in München Fuß zu fassen: Schelling sorgte dafür, dass der Vater von 14 Kindern polizeilich aus Bayern ausgewiesen werden sollte. Im letzten Moment gelang es Franz von Baader, das bereits ausgefertigte Ausweisungsdekret rückgängig zu machen. Kurz darauf starb Krause an einem Schlaganfall.

Mit ungeheurem Fleiß versuchte Karl von Prantl zu einem Lehrstuhl an der Universität zu gelangen: Er hielt pro Woche ca. 18 Stunden in Philosophie und Philologie. Doch die Ultramontanen hielten ihn für einen Pantheisten und verboten ihm 1852 philosophische Vorlesungen zu halten. Prantl widmete sich nun umso intensiver der Forschung und veröffentlichte 1855 den ersten Band seiner Geschichte der Logik im Abendland. Erst im April 1864 erfolgte die lange ersehnte Berufung zum ordentlichen Professor der Philosophie. Zugleich mit Prantl berufen wurde Johann Nepomuk Huber, der seinerzeit gegen dessen Berufung angetreten war, so dass sich die beiden „wie Hund und Katze mit gesträubten Haaren einander gegenüberstanden“ (G. Spicker). Allerdings geriet auch Huber mit der Kirche in Konflikt, als er das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes bekämpfte: seine Philosophie der Kirchenväter kam auf den Index, und Huber wurde zum Mitgründer der Münchener altkatholischen Gemeinde. Ähnlich erging es seinem Nachfolger als Philosophieprofessor, Jakob Frohschammer: seine Schrift Über den Ursprung der menschlichen Seelen kam auf den Index. Frohschammer verwahrte sich in der Folge gegen „die Unterwerfung der Wissenschaft unter die geistliche Autorität“, was zum Verbot für Kandidaten der Theologie führte, bei Frohschammer Vorlesungen zu hören. Frohschammer baute nun ein eigenes philosophisches System, bei dem Die Phantasie als Grundprincip des Weltprocesses im Zentrum steht, ohne damit allerdings Beachtung zu finden.

Die Ära von Hertling/Stumpf/Lipps

1882 wurde Georg von Hertling und 1889 Carl Stumpf nach München berufen Beide sind von der Philosophie Franz Brentanos geprägt. Von Hertling ist maßgeblich an der Gründung der Görres-Gesellschaft beteiligt, deren Aufgabe darin besteht, „wissenschaftliches Leben im katholischen Deutschland zu wecken und zu fördern“. Von Hertling fühlt sich der philosophia perennis verbunden. Auf dem Boden der griechischen Philosophie, insbesondere Aristoteles stehend, will er im Sinne der christlichen Väter des Mittelalters an der Philosophie weiterarbeiten. Zudem machte von Hertling auch eine politische Karriere: 1917 wurde er Reichskanzler und premussischer Ministerpräsident, wenn auch nur für ein Jahr.

Ganz anders verlief die Karriere von Stumpf: Er wollte ursprünglich Priester werden, erlebte dann seinen Lehrer Brentano beim Ringen um das neue Unfehlbarkeitsdogma und machte die gleiche Erfahrung: „Das ganze Gebäude der katholisch-christlichen Glaubenslehre und Weltanschauung zerfiel mir vor den Augen: Unter furchtbaren Seelenschmerzen musste ich das gewählte Lebensideal wieder aufgeben.“ Er arbeitet nun eine Schrift über die mathematischen Axiome aus, mit der er als Privatdozent zugelassen wird. Auch für die weitere Orientierung bleibt Brentano maßgebend: „Seine Habilitationsthese, dass die wahre philosophische Methode keine andere sei als die naturwissenschaftliche, war und blieb mir ein Leitstern.“ Stumpf blieb nur fünf Jahre in München, 1894 folgte er einem Ruf nach Berlin.

1894 wurde Theodor Lipps als Nachfolger von Stumpf nach München berufen. Ihm wurde die Einrichtung eines „Psychologischen Seminars“ genehmigt. Dabei, so argumentierte Lipps, gehe es um die Entscheidung, ob die Psychologie als philosophische Disziplin erhalten bleibe oder ob sie auf die naturwissenschaftliche experimentelle Psychologie zusammenschrumpfen solle. Lipps versuchte, die positivistische Verkümmerung der Wirklichkeit des Seelischen auf das experimentell Nachweisbare zu verhindern. Er betrachtete die Psychologie als die Grundlegungswissenschaft nicht nur der Philosophie, sondern auch aller anderen Wissenschaften in einem philosophisch uneingeschränkten Sinn, so dass „Psychologie“ soviel bedeutet wie „Bewusstseinswissenschaft“. Auf der Grundlage dieser Wissenschaft entwickelte er die Grundzüge der drei Normwissenschaften Logik, Ethik und Ästhetik. Doch von 1909 an machte eine Krankheit Lipps zu schaffen: Er versuchte in jedem Semester von neuem, seine Vorlesungen zu halten, musste aber nach wenigen Stunden wieder abbrechen, so dass eine vorzeitige Emeritierung unvermeidlich wurde. Lipps starb wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges.

In den 18 Jahren der Ära von Hertling/Lipps fanden nicht weniger als vierzehn Habilitationen statt. Diejenigen Habilitanden, die aus von Hertlings Schülerkreis hervorgingen, wurden schnell vor allem auf Konkordatslehrstühle berufen. Die anderen verblieben jahrelang, zum Teil bis an ihr Lebensende, in München. Zu letzteren gehören u. a. Alexander Pfänder, Aloys Fischer, Aloys Wenzl und Kurt Huber. 1932 versuchte zum erstenmal eine Frau, Gertrud Kahl-Furthmann, sich zu habilitieren. Ihr Gesuch wurde abgelehnt.

Die Ära Baeumker – Geyser – Külpe – Becher – Hönigswald (1912-1933)

Nachdem von Hertling seine Professur aufgegeben hatte, forderte das Kultusministerium 1912 einen Lehrstuhl „für einen auf dem Boden der kirchlichen Lehre stehenden katholischen Vertreter der Philosophie“, einen Konkordatslehrstuhl, zu schaffen. 1912 wurde Clements Baeumker (1853-1924) auf den Münchener Konkordatslehrstuhl berufen. Baeumkers Leistung besteht in der ideengeschichtlichen Erschließung und Erforschung der mittelalterlichen Philosophie, die er mit umfangreichen textkritischen Editionen begleitete. Sammelbecken dieser Forschungen waren seine „Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters“ (1891 ff.). Durch ihn gewann die Münchener Universität zum ersten Mal europaweit Anerkennung auf dem Gebiete der kritischen Edition philosophischer Texte. 1918/19 war Baeumker Rektor der Universität und wurde während der Unruhen der Räterepublik kurzfristig von den roten Revolutionären als Geisel genommen. Die Aufregungen führten zu einer Krankheit, von der sich Baeumker nicht mehr erholte. 1924 wurde Joseph Geyser als sein Nachfolger berufen.

Geyser versuchte die aristotelisch-thomistische Psychologie mit der Denkpsychologie der Würzburger Schule zu verbinden. In vielen Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen Philosophie rechtfertigte er seinen in Einklang mit dem Neothomismus stehenden kritischen Realismus.

Nach Lipps Emeritierung hielt die Universität an der wissenschaftsgeschichtlich überholten Verbindung von Philosophie und Experimentalpsychologie fest. Nachfolger von Lipps wurde Oswald Külpe. Er war nun Vorstand des „Psychologischen Institus“ und Mitvorstand im Philosophischen Seminar, während Baeumker das Recht hatte, die Apparate und die Bibliothek des Psychologischen Seminars mitzubenutzen. Überraschend starb Külpe bereits Ende 1915 an einer Infektion. Sein Nachfolger wurde Erich Becher, der bis 1929, seinem Todesjahr, den Lehrstuhl innehat. Nun verzögerte sich die Wiederbesetzung des Lehrstuhls, da eine einflussreiche konservative Gruppe innerhalb der philosophischen Fakultät für einen ausgesprochen deutschnationalen Kandidaten, den protestantischen Theologen Friedrich H. Brunstäd (1883-1944) aus Rostock favorisierte. Selbst der damalige Reichskanzler Brüning setzte sich für Brunstäd ein. Damit die Arbeit des Instituts weitergeführt werden konnte, erhielt Alexander Pfänder, der auch im Bereich der empirisch-experimentellen Psychologie bewandert war, Titel und Rechte eines Ordinarius. Das führte zu einer Trennung zwischen Philosophie und Psychologie.

1930 wurde Richard Hönigswald Nachfolger von Becher. Das Philosophische Seminar wurde nun in zwei Abteilungen aufgeteilt und die institutionalisierte Verbindung mit der Psychologie aufgegeben. Der Konkordatslehrstuhl von Geyser firmiert nun als „Philosophisches Seminar I“ und die unter Hönigswald stehende Abteilung unter „Philosophisches Seminar II“. Hönigswald definierte die Philosophie als die Wissenschaft von der transzendentalen Bestimmtheit des Gegenstandes und verfolgte (neben dem Marburger und dem badischen Neukantianismus) eine dritte Version des Neukantianismus. Nach dem berüchtigten Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verlor Hönigswald seine Professur. Zwölf Professoren, darunter Bruno Bauch und die beiden katholischen Philosophen Ludwig Baur und Michael Wittmann. setzten sich für einen Verbleib Hönigswalds ein, während die Studentenschaft ausdrücklich Hönigswalds Entlassung forderte, da es ganz unmöglich sei, „dass ein Jude im neuen Staat die Weltanschauung und Philosophie des Nationalsozialismus lehren kann“. Auch Heidegger sprach sich für eine Entfernung Hönigswalds aus: „Ich muss auch heute noch die Berufung dieses Mannes an die Universität München als einen Skandal bezeichnen.“ In der Reichskristallnacht 1938 wurde Hönigswald verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert, 1939 konnte er nach Amerika auswandern.

Die Zeit des Nationalsozialismus

Josef Geyser wurde zum 31. 3. 1935 mit der Begründung emeritiert, dass eine Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit nicht erwünscht sei, „weil er es nicht verstanden habe, sich positiv zum neuen Staat zu stellen“. An Geysers Stelle trat 1936 Fritz-Joachim von Rintelen. Faktisch war der Konkordatslehrstuhl jedoch zur Bedeutungslosigkeit degradiert, da ihm als „Weltanschauungsprofessur“ erst die Prüfungsberechtigung entzogen und Rintelen schließlich beurlaubt wurde. Er wehrte sich vergeblich gegen diese Kennzeichnung mit der Begründung, dass seine Philosophie in keinerlei Widerspruch zur herrschenden Weltanschauung stehe. Das Philosophische Seminar I blieb nominell bestehen, die Geschäfte führte seit dem Sommersemester 1941 von Rintelens bevorzugter Schüler Hermann Krings.

Die Studentenschaft verlangte nun, dass Heidegger auf die Stelle von Hönigswald berufen werde. Heidegger, der auch einen Ruf nach Berlin erhalten hatte, antwortete, dass er sich unter Zurückstellung alles Persönlichen für diejenige Aufgabe entscheiden müsse, „durch deren Erfüllung ich dem Werke Adolf Hitlers am besten diene“. Allerdings entstand gegen die Berufung Heideggers Widerstand. Die Fakultät einigte sich auf die Sprachregelung, dass eine Philosophie der Angst und Sorge nicht im Sinne der heutigen Zeit sei und man wolle deshalb von Heidegger Abstand nehmen. Doch das Staatsministerium setzte sich über das Votum der Universität hinweg und ließ am 1.10.1933 den Ruf an Heidegger ergehen. Auch die Studentenschaft forderte im Völkischen Beobachter eine „nationalsozialistische Philosophie, die eine Philosophie der höchsten geistigen Hingabe und schöpferischen Tat ist“. Doch Heidegger lehnte am 15. 1. 1934 den Ruf nach München ab. Alfred Rosenberg, der Beauftragte des Führers zur Überwachung der Schulung und Erziehung der gesamten nationalsozialistischen Bewegung, empfahl nun die Berufung von Wolfgang Schultz. Doch die Fakultät lehnte Schultz ab, er käme „nach der Richtung seiner vorliegenden Arbeiten vielleicht für einen Lehrauftrag für Mythenforschung oder Volkskunde in Frage“.

Am 15. 5. 1934 betonte die Universität die Dringlichkeit der Wiederbesetzung des Lehrstuhls und setzte nun Erich Rothacker an die erste und einzige Stelle der Liste. Doch zum 16. 5. erfolgte die Berufung von Schultz, allerdings vorerst nur in Vertretung des Lehrstuhls. In der Stellungnahme des Kultusministeriums hieß es dazu, „dass er aus der Weltanschauung und den Bedürfnissen des Nationalsozialismus heraus nach eigener Überzeugung in der Lage ist, seinen Schülern die Grundlage für eine Philosophie zu bieten, wie sie der heutige Staat an seinen Hochschulen vertreten sehen muss“. Schultze hatte über Das Farbenempfindungssystem der Hellenen promoviert und sah in der Philosophie „Ausdruck eines einheitlichen, an bestimmten Stellen besonders deutlich durchbrechenden Stromes bluthafter Bedingtheit“. Doch bereits am 24. 9. 1936 starb Schultz an den Folgen einer Operation. Die Fakultät stellt erneut eine Liste mit Heidegger an erster Stelle auf, doch der Lehrstuhl wird nun für den Ausbau des Seminars für deutsche Philologie verwendet. Erst nach der Krieg kam er zur Philosophie zurück und wurde 1946 mit Aloys Wenzl besetzt.

Am 18. 3. 1941 starb Alexander Pfänder. Pfänder war als das Haupt der Münchener phänomenologischen Schule und Mitherausgeber von Husserls Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung. Mit der Vertretung des Lehrstuhls wurde nun Hans Alfred Grunsky vertraut, der als „nationalsozialistischer Philosoph im totalen Sinne des Wortes“ galt. In seiner Antrittsrede in Anwesenheit des Bayerischen Ministerpräsidenten führte er aus: „Die Freiheit des Geistes und der Gehorsam des Blutes, sie widersprechen sich nicht, sondern bedingen sich gegenseitig wie Geist und Blut. Und darum sind wir dem schöpferischsten Manne gehorsam, ohne unfrei zu werden, weil der Schöpferischste der ist, der dem Blute am meisten gehorcht“. Da konnte es nicht ausbleiben, dass Grunsky eine Professur erhielt und zum Mitvorstand des Philosophischen Seminars II berufen wurde. Sein Programm war es nun, die Geschichte der Philosophie von den „jüdischen Verfälschungen“ zu befreien und die „Themen der großen arischen Philosophie“ zurückzugewinnen. Zu den Themen seiner Lehrveranstaltungen gehörten nun Vorlesungen über „Geist und Blut“, „Wille und Schicksal“, „Seele und Staat“. Da überrascht es nicht, dass man 1942 ein Sinken des Leistungsniveaus feststellen musste.

Doch in München gab es auch Philosophen wie Kurt Huber, der bis zum 31. 1. 1935 Assistent am Psychologischen Institut war. Er lernte 1942 die Geschwister Scholl kennen, erfuhr von ihren Flugblattaktionen und verfasste im Februar 1943 das sechste Flugblatt. Er wurde verhaftet und am 19. 4. 1943 zum Tode verurteilt. Sein Schüler Georgi Schischkoff leitete mit dem Abdruck eines von Huber 1938/39 geschriebenen Aufsatzes über Leibniz 1948 das erste Heft der Zeitschrift für philosophische Forschung ein.

Ein anderer Philosoph ist Hugo Dingler (1881-1954). Er hatte bereits 1933 die Aufnahme in die NSDAP beantragt, wurde jedoch erst 1940 aufgenommen. In Artikeln und Büchern bekannte er sich zum Nationalsozialismus. Nach Heideggers Rufablehnung wurde er vom Kultusministerium für die Nachfolge Hönigswalds in Gespräch gebracht. Die führenden Nazi-Philosophen beklagen in ihren Gutachten jedoch seine Judenfreundlichkeit. In einem Brief an Goebbels versuchte Dingler nun nachzuweisen, dass seine Schrift über die Kultur der Juden keineswegs judenfreundlich sei. Darauf teilte das Reichspropagandaministerium mit, dass nun nichts mehr gegen Dingler vorliege. Dingler erhielt einen Lehrauftrag für die Geschichte und Methodik der exakten Naturwissenschaften. Nach dem Krieg wird Dingler seines Amtes enthoben und nicht wieder in den Hochschuldienst übernommen

Von 1945 bis zur Gegenwart

Nach dem Krieg wurden die Nationalsozialisten des Amtes enthoben, und 1948/49 erfolgte ein Neuanfang mit der Berufung von Wenzl, von Varga, Guardini, Dempf und Grassi. Dazu kommen Lauth (1949) und Deku (1946). Diese personelle Besetzung prägt das Institut bis 1960 und noch darüber hinaus.

Die Zahl der Veranstaltungen in Philosophie steigt von den wenigen Vorlesungen der unmittelbaren Nachkriegszeit schnell auf eine Zahl von 34 pro Semester (1949) und stabilisiert sich in den fünfziger Jahren bei etwas über 40. Im Wintersemester 1970/71 hat sie 70 erreicht und liegt im Sommersemester 1992 bei 111.

Alois Dempf (1891-1982) hat seine Wurzeln in der Kulturphilosophie der zwanziger Jahre. Für ihn ist christliche Universalgeschichte noch Gegenwart.

Am 16. 3. 1946 erhielt Aloys Wenzl die Lehrerlaubnis und wurde auf den Lehrstuhl, der vorher Erich Becher innehatte, berufen. 1938 war ihm als SPD-Mitglied und nach seinem Eintreten für die Relativitätstheorie wegen weltanschaulicher Untragbarkeit die venia legendi entzogen worden. Seine philosophische Arbeit galt der Entwicklung eines philosophischen Systems, welches die großen und unvergänglichen Fragen nach dem Sein und Wesen der Gesamtwirklichkeit aufnehmen und beantworten sollte. Als erkenntnistheoretische Basis seines metaphysischen Systems wählte er den kritischen Realismus. Die empirische Basis bilden die Urerfahrungen der äußeren und inneren Wahrnehmung sowie die wissenschaftlichen Erfahrungen der Naturwissenschaften. Wenzl wurde 1955 emeritiert. Als Nachfolger wurde Helmut Kuhn berufen, der jedoch bald auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl für Philosophie wechselte, sodass Stegmüller als Nachfolger Wenzls gilt.

Am Philosophischen Seminar II wurde 1956 Wilhelm Britzelmayr zum Ordinarius ad personam ernannt – für die damalige Zeit eine Merkwürdigkeit, denn Britzelmayrs Interessen hatten sich vom Jahr 1939 an mehr und mehr auf Fragen der formalen Logik verlagert, die man damals zur Unterscheidung von der traditionellen Logik „Logistik“ nannte. Britzelmayr hat die Entwicklung der Philosophie an der Universität München nachhaltig beeinflusst. Ihm ist es zu verdanken, dass die formale Logik nach der Unterdrückung durch die Nationalsozialisten wieder an die deutschen Universitäten zurückkehrte und „Logik und Wissenschaftstheorie“ in München sogar als Promotionsfach und später auch als Hauptfach eines Magisterstudienganges zugelassen wurde. Aber Britzelmayr ist es auch zu verdanken, dass als Nachfolger von Aloys Wenzl Wolfgang Stegmüller berufen wurde.

1960 beginnt die zweite Epoche der Nachkriegsphilosophie mit den Berufungen Wolfgang Stegmüllers und Max Müllers. Bereits 1954 war ein Lehrstuhl für amerikanische Philosophie eingerichtet und Helmut Kuhn als persönliches Ordinariat zugesprochen worden. Der Lehrkörper vergrößerte sich langsam, nicht zuletzt durch jene Stellen, die durch von Akademieinstitutionen getragene Editionen wie die Fichte- oder Schelling-Ausgabe ermöglicht wurden.

Unter Max Müller (1906-1994) gewann das Institut an Ausstrahlung. Müller war zum einen von der katholischen Jugendbewegung geprägt (insbesondere von Romano Guardini), dann von der Philosophie Heideggers, und er versuchte eine Synthese aus Katholizismus und Existenzialontologie. Er machte das Philosophische Jahrbuch zu einer der angesehensten philosophischen Zeitschriften und förderte eigenständige Begabungen. 1973 wurde Robert Spaemann sein Nachfolger. Mit seinem Vorgänger Dempf verbindet Spaemann eine skeptische Einstellung gegenüber den Entwicklungen der Moderne, gespeist aus einer Besinnung auf die christliche Tradition. Er führte eine vielbeachtete Kontroverse mit Jürgen Habermas, dessen Konzeption vom herrschaftsfreien Diskurs ihm eine Form von Utopie zu sein scheint. Auf Spaemann folgte 1993 Wilhelm von Vossenkuhl, der inzwischen auch bereits emeritiert ist.

Durch Wolfgang Stegmüller (1923-1991), der 1958 auf den später für „Philosophie, Logik und Grundlagenforschung“ umbenannten Lehrstuhl berufen wurde, erhielt die Münchener Philosophie international einen hervorragenden Ruf, und Stegmüller selber galt als einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. Sein Engagement führte zu einer Verbreitung der Gedanken des logischen Empirismus und der analytischen Philosophie, insbesondere der dort diskutierten erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Ideen. Stegmüller wurde nicht nur von Fachkollegen, sondern auch von einem breiten Publikum als Experte auf diesen Gebieten anerkannt, insbesondere auch durch seine Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, die er bis zu seinem Tode immer wieder umschrieb und neu herausgab. Sein eigentliches Hauptwerk, die Summe seiner Lehre, ist jedoch Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Die Bedeutung des Ausdrucks „Wissenschaftstheorie“ in Europa wurde wesentlich durch sein Werk geformt. Auf Stegmüller folgte ab 1993 sein Schüler Carlos Ulises Moulines.

1958 wurde neben dem Konkordatslehrstuhl ein zweiter Lehrstuhl eingerichtet und mit Helmut Kuhn besetzt. Kuhn war 1933 emigriert und hatte nach seiner Rückkehr einen Lehrstuhl für „Amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie“ am Amerika-Institut inne, drängte aber auf einen reinen Philosophie-Lehrstuhl. Er wurde deshalb erst auf die Nachfolge Wenzls berufen, erhielt aber bereits nach drei Monaten einen eigenen Lehrstuhl, den späteren Lehrstuhl II für Philosophie. Dennoch empfand Kuhn die Stimmung in München gegenüber dem zurückgekehrten Emigranten, dem konvertierten Juden, dem liberalen Konservativen und dem Kritiker der Existenzphilosophie als feindselig. Kuhn versuchte die metaphysische Position wiederzugewinnen, indem er der Philosophie einen sokratisch-platonisch gedachten Ursprungsort zuwies. Metaphysik erkennt (und darin besteht ihr Wesen), dass das, was ist, in Beziehung auf ein Gutes ist.

Auf Kuhn folgte 1968-1980 Hermann Krings als Nachfolger. Krings kam vom mittleren und späteren Schelling her zur Transzendentalphilosophie. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht der Begriff der Freiheit, genauer der transzendentalen Freiheit. Er will den moralischen Sinn des rechten Handelns aus einem primären Anerkennungsakt von Freiheit durch Freiheit konstruieren. Krings erwarb sich zudem große Verdienste um die historisch-kritische Schelling-Ausgabe. Auf Krings folgte 1981-1994 Dieter Henrich. Henrich hielt an der Zentralität einer philosophischen Analyse des Selbstbewusstseins fest und das auch in Zeiten, als man Bewusstseinsphänomene sprachanalytisch reduzierte. Nachfolger von Henrich wurde 1996 Eckart Förster, der aber bereits 2004 einen Ruf nach Amerika annahm. Darauf wurde 2006 Axel Hutter berufen.

In dieser Periode der Münchener Philosophiegeschichte sind einige Ordinariate zu nennen: Von 1997-1984 Reinhard Lauth, der Fichte-Forscher, von 1986-1995 Rolf-Peter Horstmann, seit 1999 Günter Zöller. Hinzu kommt der Lehrstuhl für Philosophie III, der auf die Eingliederung der beiden Lehrstühle für Philosophie der Pädagogischen Hochschule zurückgeht und schwerpunktmäßig für die Bereiche der Antike und des Mittelalter zuständig ist; dieser war von 1982-1996 mit Werner Beierwaltes besetzt. Im Zentrum der Arbeit von Beierwaltes steht die Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit, näherhin der Versuch, dieses Verhältnis in der exemplarisch von Platon begründeten Metaphysik so zu klären, dass die Mannigfaltigkeit auf ein transzendentes Prinzip von Einheit zurückgeführt werden kann. Auf Beierwaltes folgte ab 2000 Thomas Buchheim.

1948 wurde eigens für Romano Guardini der Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie geschaffen. Guardini hatte in München weder Assistenten, noch brauchte er Prüfungsverpflichtungen nachzukommen. Dafür hatte er mit seinen Vorlesungen in der Öffentlichkeit großen Erfolg. Sein Nachfolger waren von 1964-1967 Karl Rahner – unter dem aus dem Lehrstuhl ein Institut für christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie wurde –, von 1974-1986 Eugen Biser, von 1988-1999 Hans Maier und ab 2002 Rémi Brague, der jedoch seinen Lehrstuhl an der Sorbonne behielt und bis zu seiner Emeritierung vor allem im Sommersemester in München lehrte.

Ebenfalls nach dem Krieg kommt ein „Centro Italiano di Studi Umanistici e Filosofici“ in München als Zweigstelle eines entsprechenden römischen Instituts hinzu, und Ernesto Grassi wurde zum ersten Professor für Philosophie und Geistesgeschichte des Humanismus berufen. Daraus entstand das „Seminar für Philosophie und Geistesgeschichte des Humanismus“, das mehr als 20 Dissertationen und zwei Habilitationen hervorbrachte. Auf Grassi folgten Stephan Otto (1973-1997), Eckhard Kessler (1980-2000) und ab 2004 Thomas Ricklin als Nachfoger. 1999 kommt der Lehrstuhl für Philosophie und Ökonomik bzw. Lehrstuhl für Philosophie hinzu, den 1999-2008 Karl Homann und ab 2009 Julian Nida-Rümelin innehat. 2009 wird ein neuer Lehrstuhl geschaffen, der Lehrstuhl für Philosophie V, eine Forschungsprofessur, die seit 2009 Christof Rapp innehat.