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Religion: Habermas bei den Jesuiten

 

RELIGION

 

Habermas bei den Jesuiten

 

Im Februar 2007 hat Jürgen Habermas die Hochschule der Jesuiten in München zu einer Diskussionsveranstaltung besucht. Vereinbart war, dass dies ohne Beteiligung von Journalisten stattfinden soll, und die Jesuiten waren entsprechend erstaunt, als Habermas einen Vertreter der Neuen Zürcher Zeitung mitbrachte. So kam es, dass einzig im protestantischen Zürich über diese Münchner Veranstaltung berichtet wurde.

Nun kann man den Vortrag von Habermas, die Voten der Jesuiten und die Antworten von Habermas auf diese Voten nachlesen in dem Band

 

Reder, Michael/Schmidt, Josef (Hrsg.): Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas. 110 S., kt., € 8.—, 2008, Suhrkamp, Frankfurt.

 

Um miteinander und nicht nur übereinander zu sprechen, so begann Habermas, müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die religiöse Seite muss die Autorität der „natürlichen“ Vernunft als die fehlbaren Ergebnisse der institutionalisierten Wissenschaften und die Grundsätze eines universalistischen Egalitarismus in Recht und Moral anerkennen. Umgekehrt darf sich die säkulare Vernunft nicht zum Richter über Glaubenswahrheiten aufwerfen, auch wenn sie im Ergebnis nur das, was sie in ihre eigenen, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig akzeptiert.

 

Die moderne Philosophie hat sich das griechische Erbe kritisch angeeignet, aber gleichzeitig das jüdisch-christliche Heilswissen abgestoßen. Sie rechnet die Metaphysik zu ihrer eigenen Entstehungsgeschichte; zu Offenbarung und zu Religion hingegen verhält sie sich wie zu einem Fremden, Äußeren. Es ist dies ein Riss, der sich nicht wieder kitten lässt. Aber, so Habermas, beide, religiöse und metaphysische Weltbilder haben ähnliche Lernprozesse in Gang gesetzt, und beide Überlieferungen gehören zur Entstehungsgeschichte der säkularen Vernunft, in deren Modi man sich heute verständigt. Die moderne Vernunft wird sich deshalb nur dann verstehen, wenn sie ihre Stellung zum zeitgenössischen, reflexiv gewordenen religiösen Bewusstsein klärt.

 

Die gegenwärtige Lage ist geprägt von der beunruhigenden weltweiten politischen Rolle religiöser Gemeinschaften, die mit Grundüberzeugungen der Moderne zusammenstoßen. Die Konflikte entzünden sich an der weltanschaulichen Neutralität der Staatsgewalt, d.h. an der gleichen Religionsfreiheit für alle und an der Emanzipation der Wissenschaft von religiöser Autorität. Machtpolitisch gesehen kann sich der weltanschaulich neutrale Staat mit der bloßen Anpassung der Religionsgemeinschaften an eine rechtlich durchgesetzte Religions- und Wissenschaftsfreiheit zufrieden geben, nicht aber der liberale Staat: Als demokratischer Rechtsstaat ist er auf eine in Überzeugungen verwurzelte Legitimation angewiesen. Um sich diese zu beschaffen, muss er sich auf Gründe stützen, die in einer pluralistischen Gesellschaft von gläubigen, andersgläubigen und ungläubigen Bürgern gleichermaßen akzeptiert werden können. Und diesem normativen Anspruch gegenüber können sich die Religionsgemeinschaften nicht taub stellen. Deshalb kommt hier ein komplementärer Lernprozess ins Spiel, in den sich die säkulare und die reli­giöse Seite gegenseitig verstricken. Der säkulare Staat muss sich fragen, ob er seinen religiösen Bürgern nicht asymmetrische Verpflichtungen auferlegt: Er darf von seinen religiösen Bürgern nichts verlangen, was mit einer authentisch „aus dem Glauben“ geführten Existenz unvereinbar ist. Um dies zu gewährleisten, muss die politische Gemeinschaft offiziell anerkennen, dass religiöse Äußerungen zur Klärung kontroverser Grundsatzfragen einen sinnvollen Beistand leisten können.

Habermas sieht in der Gesellschaft eine Entsolidarisierung. Die politischen Akteure führen sozialdarwinistische politische Machtspiele. Die Vernunftmoral schärft zwar unser Urteilsvermögen für die Verletzung individueller Ansprüche und individueller Pflichten, aber sie richtet sich an die Einsicht von Individuen und erzeugt keine Antriebe für ein solidarisches, d.h. ein moralisch angeleitetes kollektives Handeln. Der säkularen Moral fehlt eine Einbettung in gemeinsame Praktiken. Das religiöse Bewusstsein hingegen ist wesentlich mit der fortdauernden Praxis des Lebens in einer Gemeinde verbunden und im Falle der Weltreligionen mit der im Ritus vereinigten globalen Gemeinde aller Glaubensgenossen. Aus diesem universalistisch angelegten Kommunitarismus kann das religiöse Bewusstsein des einzelnen auch in rein moralischer Hinsicht stärkere Antriebe zu solidarischem Handeln beziehen. Auch Kant hat dies als ein bedrückendes Defizit der praktischen Vernunft empfunden, und er hat die philosophische Aneignung religiöser Überlieferungen für den richtigen Weg gehalten, dieses Defizit zu beheben.  

 

Die Antwort der Jesuiten auf das Votum bleibt erstaunlich schal. Einen Großteil der verwendeten Zeit nutzen sie, um das von Habermas Ausgesagte zu referieren.

 

Norbert Brieskorn entgegnet Habermas, der von ihm gewünschte Konsens befördere zwar den gesellschaftlichen Frieden, doch „das Geschäft der Wahrheit überfordert ihn, ist es doch nicht das seine“. Wer auf Abmachungen als letzten Grund verweise, führe ein menschliches Produkt ein, eben den Konsens, und dieser sei selbst begründungsbedürftig. Die Diskursgemeinschaft könne     einer radikal individualistisch verstandenen Subjektivität nicht entrinnen. Und was die Stärke des auf Religion fundierten solidarischen Handelns betrifft: Die egoistische Lebensweise hat auch bei der Religion nicht Halt gemacht und die solidarische Lebensweise kraftlos gemacht.

 

Michael Reder wirft Habermas vor, die Religionen für eine reflexive Bearbeitung der


moralischen Probleme der Gegenwart zu instrumentalisieren. Religionen haben für Habermas in erster Linie die gesellschaftliche Funktion einer moralischen Ressource, wenn moderne Gesellschaften nicht mehr in der Lage sind, eine motivationale Basis für die eigenen normativen Grundlagen zu erschließen. Religionen übernehmen aber vielfältige gesellschaftliche Funktionen, von denen die Bereitstellung ethischer Weltbilder nur eine ist. Reder nennt explizit die Gestaltung kulturellen Lebens, die Verarbeitung von Kontingenz und die Thematisierung des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenz als solche Funktionen. Erst in der Zusammenschau ergibt sich ein detailliertes Bild ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Im Namen der Religion wehrt sich Reder gegen eine solche Verkürzung.

 

Was die moralischen Weltbilder betrifft, so bezieht die Philosophie im Gegensatz zur Religion keine inhaltliche Stellung, sie moderiert nur und sie kann zwischen konkurrierenden Weltbildern nicht rational entscheiden, sie lässt deren Plausibilität dahingestellt. Reder spricht auch den Weltbildern eine     eigene Rationalität zu: Weder auf der individuellen noch auf der sozialen Ebene sind säkulare und religiöse Aspekte eindeutig voneinander zu trennen. Das verkenne Habermas, der beides trennen will. Reder schlägt Habermas ein erweitertes, vom Glauben nicht so scharf abgetrenntes Vernunftverständnis vor.

Friedo Ricken verteidigt Kant, allerdings nicht gegenüber Habermas, sondern gegenüber dem Papst (und der kantfeindlichen katholischen Tradition): Kants Vernunft ist kei­ne szientistische, wie dieser unterstellt, sondern eine kritische, die über ihre Möglichkeiten und Grenzen reflektieren kann. Damit, dass die christliche Theologie die semantischen Gehalte der Religionen in allgemein zugängliche Diskurse zu übersetzen hat, wie Habermas fordert, verlangt er etwas, das diese seit jeher tut und dem die natürliche Theologie und die Lehre vom Sittengesetz dienen soll. Für Josef Schmidt muss sich der Glaube nicht vor der Vernunft fürchten, noch braucht die Vernunft vor dem Glauben als einem irrationalen Gebilde zurückzuschrecken. Vielmehr muss sich die säkulare Vernunft fragen, ob sie ihre Vernunftgrenzen nicht zu voreilig und zu eng gezogen habe, umgekehrt muss der Glaubende damit rechnen, auf ein unaufgehelltes und dem Aberglauben zuzurechnendes Beiwerk hingewiesen zu werden. Ein solcher Dialog bringt zudem die Religion sich näher und macht sie selbstsicherer. Umgekehrt kann die säkulare Vernunft die Frage nach der metaphysischen Verfasstheit