PhilosophiePhilosophie

02 2015

Martin Düchs:
Architekturphilosophie. Eine Kartierung

aus: Heft 2/2015, S. 26-35



architektur war eine niederung, zu der die philosophie selten herabstieg.

Dieser 1991 geäußerte Satz des Designers Otl Aicher hat noch immer Gültigkeit. Zwar gab es immer wieder einzelne Philosophen wie Hegel oder Schopenhauer, die auch die Architektur würdigten – aber fast immer nur am Rande im Rahmen von Überlegungen zur Ästhetik. Spezialisierte philosophische Untersuchungen zur Philosophie der Architektur fehlten zumindest bis in die jüngste Zeit. Umgekehrt haben aber auch Architekten kaum je versucht, das Wissen der Philosophie systematisch in ihre Arbeit einzubinden. Auf den ersten Blick ist das nicht erstaunlich, unterscheiden sich doch die Disziplinen scheinbar stark voneinander. Bei der Architektur handelt es sich um eine Praxis, wohingegen die Philosophie selbst in ihrer praktischen Ausprägung eine theoretische Wissenschaft bleibt. Das primäre Kommunikationsmittel des Philosophen ist die Sprache, wohingegen der Architekt seine Ideen über Bilder vermittelt. Einige wenige Philosophen erkannten, dass sich eine gegenseitige Verbindung trotz der fundamentalen Unterschiede in Ziel, Sprache und Methode lohnen würde. So konstatierte Ludwig Wittgenstein, der einmal selbst als Architekt tätig war:

Die Arbeit an der Philosophie ist – wie vielfach die Arbeit in der Architektur – eigentlich mehr die Arbeit an Einem selbst. An der eignen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.)

Die enge Verbindung beider Disziplinen von denen Wittgenstein spricht, sieht auch der eingangs genannte Otl Aicher

architektur und philosophie haben wenig berührungspunkte, meint man. aber das scheint nur so. (1991, S. 82)
Diese Einsicht hat sich in den letzten Jahren zunehmend verbreitet und damit die Versuche, das Gebiet der Architektur philosophisch zu erkunden. Entsprechende Gesellschaften, Konferenzen und Buchreihen wurden gegründet:

● 2009 wurde die „International Society for the Philosophy of Architecture“ ins Leben gerufen, um eine gemeinsame Plattform zu schaffen für „the relatively few philosophers of architecture“ (www.isparchitecture.com).
● Besagte ISPA veranstaltete 2014 an der TU-Delft bereits die zweite größere Konferenz zur Architekturphilosophie (nach 2012 in Newcastle).
● 2012 wurde in Deutschland die „Internationale Gesellschaft für Architektur und Philosophie e.V.“ ins Leben gerufen.
● Das „Netzwerk Architekturwissenschaft“ integriert die Sichtweise der Philosophie, indem es sich zum Ziel gesetzt hat, „die Reflexion über Architektur in den unterschiedlichen Disziplinen sowie deren Forschungspraktiken und -methoden am Gegenstand der Architektur in einen Dialog zu bringen, um einer verbindenden Architekturwissenschaft den Boden zu bereiten.“
● Renommierte Verlage (z. B. Princeton Architectural Press) nehmen zunehmend das Thema Architekturphilosophie auf und publizieren Einzeltitel und Reihen. So veröffentlichte z. B. der Routledge-Verlag seit 2007 bislang 10 Bände in der „Thinkers for architects“-Serie, in denen jeweils das Werk eines bedeutenden Philosophen in Bezug auf Architektur und für Architekten dargestellt wird.

Themen der Architekturphilosophie

Der Kompositcharakter der Architektur


Wesentlich ist der Architektur als Disziplin eine „Kompositstruktur“, d. h. die Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzt ist, wobei von einzelnen Architekten und Autoren jeweils andere Elemente in den Vordergrund gestellt werden. Zu Anfang des letzten Jahrhunderts betonten der Architektur-Moderne zuzurechnende Architekten wie Le Corbusier oder Ludwig Mies van der Rohe im Rahmen ihrer theoretischen Äußerungen eher die technischen und funktionalen Aspekte, wohingegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts postmoderne Architekten wie Robert Venturi den Aspekt der Schönheit und der Symbolhaftigkeit von Architektur hervorhoben. Über das Merkmal des Kompositcharakters hinaus besteht keine Einigkeit über Anzahl und Gewichtung der verschiedenen Elemente der Architektur. Jeder Versuch einer Definition von Architektur, der darin mehr als ein flexibles und offenes System von Antworten auf das basale Bedürfnis des Menschen nach Behausungen, die funktional hilfreich, atmosphärisch wirksam und symbolisch bedeutsam sind, hinausgeht, kommt eine Vorläufigkeit zu.
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