PhilosophiePhilosophie

03 2015

Christian Barth, Christoph Demmerling, Wolfgang Neuser und Markus Wild :
Der Begriff „Begriff“.

aus: Heft 3/2015, S. 42-53

Sind Begriffe mentale Entitäten oder abstrakte/platonische Entitäten? 

Christoph Demmerling: Begriffe sind weder abstrakte noch auch mentale Entitäten. Die These, dass Begriffe abstrakte Entitäten sind, führt die Gefahr einer Verdinglichung des Gehalts von Begriffen mit sich; die These, dass Begriffe mentale Entitäten sind, die häufig im Rahmen sogenannter repräsentationaler Theorien des Geistes vertreten wird, macht von einem mehr als fragwürdigen Modell des Verhältnisses von Geist und Welt Gebrauch, indem sie so tut, als würden sich geistbegabte Wesen vermöge von etwas in ihrem Geist auf die Welt beziehen. Das ist eine spätestens seit Locke populäre Position, gegen die sich viele Argumente formulieren lassen, so dass es überrascht, dass sich heute immer noch eine rege philosophisch-kognitionswissenschaftliche Betriebsamkeit um diese Konzeption herum entfaltet. Meiner Auffassung nach handelt es sich bei Begriffen um Fähigkeiten, die sich im Urteilen und Handeln manifestieren und einen Zugang zur Welt eröffnen. 

Christian Barth: Unter Begriffen werden gewöhnlich Fähigkeiten, Repräsentationen oder subpropositionale Gehalte verstanden. Fähigkeiten und Repräsentationen sind mentale Entitäten. Ich verstehe Begriffe als Fähigkeiten und nicht als Repräsentationen. Die Rede von Fähigkeiten ermöglicht, die enge Verknüpfung zwischen Begriffen und Rationalität zu verstehen. Begriffe sind Fähigkeiten der Rationalität. Ihre Ausübungen tragen bei zu dem Vollzug mentaler Akte, die im zentralen Fall propositional gehaltvoll sind. Subpropositionale Gehalte sind Bestandteile propositionaler Gehalte. Sie werden oftmals als abstrakte Entitäten konzipiert. Mit dieser Konzeption ist häufig die Auffassung verbunden, dass sich mentale Akte auf abstrakte Entitäten beziehen. Dieses Verständnis von Gehalten hat hohe Kosten. Die Annahme abstrakter Gehaltentitäten hat zur Folge, dass der epistemische Zugang zu Gehalten problematisch wird. Wie soll ein epistemischer Zugang zu Entitäten möglich sein, zu denen wir in keinem kausalen Kontakt stehen? Ich fasse Gehalte nicht als Entitäten auf, sondern als funktionale Rollen. Gehaltvoll zu sein, heißt dann nicht, sich auf Gehaltentitäten zu beziehen, sondern eine bestimmte funktionale Rolle zu spielen. Subpropositionale Gehalte sind entsprechend Komponenten propositionaler funktionaler Rollen. Die Rolle in Schlussfolgerungen ist ein Bestandteil der funktionalen Rolle, die für das Gehaltvollsein mentaler Akte aufkommt. Zudem verstehe ich die funktionalen Rollen als normative und nicht als kausale Rollen. Gehalte sind weder mentale, noch abstrakte, sondern normative Entitäten. 

Markus Wild: Ich misstraue abstrakten Gegenständen. Begriffe sind etwas, das Menschen und andere Lebewesen erwerben, ausbilden, benutzen und revidieren, um sich in ihrer natürlichen, sozialen oder kulturellen Umwelt zu orientieren. Menschen sind keine abstrakten Gegenstände außerhalb von Raum und Zeit, sondern konkrete Lebewesen in Raum und Zeit. Wie sollen wir uns nun die Beziehung zwischen Menschen und diesen Abstrakta vorstellen? Das scheint mir rätselhaft. Sogar wenn ein Mensch eine solche abstrakte Entität irgendwie zu fassen bekommt, wie sieht diese kognitive Relation genau aus? Begriffe sind als abstrakte Objekte ebenso außerhalb unseres Geistes wie ein großer Teil der Objekte, auf die sich Begriffe beziehen; und ebenso wie wir Bezugsobjekte unterschiedlich repräsentieren können, könnten wir auch abstrakte Entitäten unterschiedlich repräsentieren. Verwenden wir dann denselben Begriff? Woher wissen wir überhaupt, dass wir den Begriff korrekt repräsentieren? Dieses Problem der epistemischen Relation scheint mir noch rätselhafter als das Problem der kognitiven Relation.

 Es ist naheliegender, Begriffe als psychische Entitäten zu verstehen, die Menschen und andere Lebewesen erwerben, ausbilden, benutzen und revidieren. So betrachtet haben wir Begriffe „in unserem Kopf“, und das Problem der kognitiven Relation verschwindet. Begriffe sind Typen mentaler Repräsentationen, die konstitutiv mit bestimmten behavioralen und/oder epistemischen Fähigkeiten verbunden sind. So kann der Hund Titus auf bestimmte Dinge (z. B. Katzen) angemessen reagieren, wenn er sie unter einem Begriff fasst (behavioral), er kann sie wieder erkennen oder Informationen anhäufen (epistemisch). Ich kann das Wort „Katze“ aktivieren und Gespräche führen (behavioral), Schlüsse ziehen und systematisch neue Informationen sammeln (epistemisch). Natürlich bleiben epistemische Fragen im Hinblick auf die Dinge, die unter einen Begriff fallen, aber es gibt kein besonderes epistemisches Problem im Hinblick auf meinen KATZEN-Begriff.

 

 

Gegen die repräsentationalistische Auffassung wird gesagt, dass Begriffe nur noch private Dinge im Kopf wären, dabei müssen Begriffe doch intersubjektiv teilbar sein. Doch „im Kopf“ sind lediglich die Token oder Vehikel der Begriffe, die Inhalte oder Bezugsobjekte der Begriffe sind draußen in der Welt und für alle zugänglich (außer sie handeln von etwas in mir, z. B. von meinem Gehirn oder meinem Herzen, und das ist dann wirklich privat). Von der Auffassung, dass Begriffe mentale Repräsentationen sind, wird oft die Auffassung abgegrenzt, Begriffe seinen Fähigkeiten. Ich halte es hierbei mit Ruth Millikan und vertrete die Ansicht, dass ein Begriff die Fähigkeit ist, eine mentale (oder sprachliche) Repräsentation auf bestimmte Art zu erzeugen und zu gebrauchen.

Wolfgang Neuser: Begriffe stellen Bedeutungsmuster dar, die zur Deutung von Erfahrungen oder Handlungen genutzt werden. Es macht keinen Sinn, ihnen einen ontologischen Status etwa unveränderlichen Inhalts zu geben oder sie bloß als eine mentale Entität, das ist eine geistige Aktivität, zu verstehen. Vielmehr sind sie als Deutungen immer dann präsent, wenn Wissen gehabt oder gehandhabt wird. Die Entgegensetzung in der Fragestellung erscheint mir fragwürdig: Begriffe sind kulturell geschaffene Deutungsmuster und konstituieren so eine äußere Welt. 

Begriffe sind die in einem komplizierten Begriffsgefüge selbstorganisierten Bedeutungsgehalte, die Erlebtes oder Rezipiertes zu Erfahrungen machen und Handlungen prospektiv ausführbar machen. Begriffe enthalten neben dem expliziten, aktuell benutzten Bedeutungsgehalt ihre eigene Bedeutungs- und Verwendungsgeschichte (als impliziten Bedeutungsgehalt) und enthalten vielfältige Formen von Wertungen. 

Die Entwicklung der informatischen Techniken führen zunehmend dazu, dass man Deutungen und Bedeutungsgehalte unabhängig von (empirischen oder transzendentalen) Subjekten vorfindet. Deutungen werden für rezeptiv über Sensoren Aufgenommenes mittels informatischer Prozeduren vorgenommen, und in Folge dieser Deutungen steuern und initiieren Prozesse durch Aktoren und Algorithmen Aktionen. Begriffe haben also Deutungsfunktionen sowohl in persönlichem Wissen, als auch im „Allgemeinwissen“. Da Begriffe alle Deutungsmuster umfassen, treten sie in unterschiedlichen Funktionen auf, wie als Vorbegriffe, als Metapher, als Symbol, aber natürlich auch als explizite Bedeutung hinter einem Namen bzw. Wort. Selbst in den exakten Wissenschaften sind die Begriffe nicht „claire et distinct“, sondern so ausgelegt, dass sie verschiedene Sachverhalte unter einem Begriff fassen können. 

Welche Arbeit soll der Begriff „Begriff“ in philosophischen Theorien leisten? 

Markus Wild: Philosophie wird oft als „Arbeit am Begriff“ oder als „Begriffsanalyse“ verstanden. Ich kann dem nicht zustimmen. Die Begriffsanalyse in der klassischen Form scheint mir gescheitert zu sein, weil ihr eine falsche Auffassung des Begriffs als Definition zugrunde liegt. Die Hegelsche Arbeit am Begriff geht von volkstümlichen Unterscheidungen aus (z. B. der volksbiologischen Unterscheidung von Pflanze, Tier, Mensch) und versucht, diese Volksbegriffe als objektive Begriffe auszuweisen. – Keine Frage, die Philosophie erfindet Begriffe und macht dadurch intellektuelle Wirklichkeiten gleichsam sichtbar (wie Deleuze und Guattari betonen), sie versucht Klarheit in Begriffe zu bringen (wie die analytische Tradition anmahnt), sie unterscheidet Begriffe (wie William James betont), und sie stellt (von Platon bis Fodor) Theorien darüber auf, was Begriffe sind. Insofern Begriffe zentrale Bestandteile des Denkens sind und die Philosophie über das Denken nachdenkt, sind Begriffe zentraler Bestandteil des Philosophierens. Dabei sollte man aber die „Sachen selbst“ nicht vergessen. Es ist gut, über den Begriff WISSEN nachzudenken; noch wichtiger scheint es mir, darüber nachzudenken, wozu wir den Begriff haben, was Wissen wirklich ist und wie wir über Wissen denken sollten. 

Christoph Demmerling: Die Philosophie beschäftigt sich im Wesentlichen mit Begriffen, ihren Voraussetzungen und Implikationen sowie mit den Verhältnissen, die zwischen Begriffen bestehen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass die Begriffsanalyse über lange Zeit hinweg als ein maßgebliches Verfahren der Philosophie angesehen wurde. Auch wenn dieses Verfahren heute nicht mehr ganz so unumstritten ist, liegen seine Vorteile klar auf der Hand: Begriffsanalysen schaffen Klarheit, wo zuvor Verwirrung herrschte. Sie erlauben es, semantische Abhängigkeiten und inferentielle Beziehungen zwischen verschiedenen Begriffen zu erkennen, den Streit um Worte vom Streit um Sachen zu unterscheiden, mit verschiedenen Behauptungen verbundene Existenzannahmen auszuloten oder auch durch sprachliche Formulierungen bedingte Denkfehler zu korrigieren. Begriffe sind der zentrale Stoff des Philosophierens. Philosophische Überlegungen handeln von Begriffen und sie bestehen aus Begriffen. Deshalb tut man gut daran, sich über den Begriff des Begriffs zu verständigen. 

Christian Barth: Begriffe verleihen dem Vermögen der Rationalität eine kompositionale Struktur. Diese Struktur ermöglicht es, die Systematizität und Produktivität der Denkfähigkeit zu erklären. Es ist eine zentrale explanatorische Aufgabe des Begriff des Begriffs, Systematitzität und Produktivität zu erklären. Begriffe müssen daher so verstanden werden, dass gilt: Wer einen Denkakt vollziehen kann, kann viele weitere, verwandte Denkakte vollziehen (Systematizität); und er oder sie kann eine Unmenge von Denkakten vollziehen, die er oder sie noch nie vollzogen hat (Produktivität). Die kompositionale Struktur auf der Ebene der Fähigkeiten überträgt sich auf die Ebene der Gehalte mentaler Akte. Daher haben die Gehalte mentaler Akte ebenfalls kompositionale Struktur. 

Wolfgang Neuser: Die Bezeichnung „Begriff“ nutze ich, um die komplexen Deutungseigenschaften, die jedem Wissen zugrunde liegen, zu benennen. Nun ist alles, was uns in der Welt hält, eine Form von Wissen. Deshalb bezeichnet der Begriff „Begriff“ insbesondere auch diejenigen Deutungsmuster, deren Funktionen und deren Verwendungen, die erlauben, Wissen selbst zu begreifen. 

Da eine philosophische Theorie ein Verstehensversuch allen In-der-Welt-Seins ist, haben Begriffe in philosophischen Theorien die Funktion von Deutungsmustern für das Verstehen der Zusammenhänge des Denkens. Philosophische Theorien deuten dazu Methoden und Voraussetzungen für das Begreifen, für Erfahrungen und Handlungen und so deuten in philosophischen Theorien Begriffe die je zugrunde gelegten Deutungszusammenhänge allen In-der-Welt-Seins. 

Kann man über einen Begriff verfügen, ohne auf Sprache zu rekurrieren? 

Wolfgang Neuser: Ja. Begriffe beschreiben und erfassen Zusammenhänge, die Bedeutungen darstellen. Wichtige Teile eines Deutungsvorgangs von Erfahrungen oder Handlungen etwa liegen uns als Vorbegriffe vor. Die Schwierigkeit ist dann ja gerade, dass die erfahrenen Zusammenhänge präsent sind, ohne sie bereits in Sprache gefasst zu haben. Die informatischen Techniken nutzen Deutungszusammenhänge, und das heißt Begriffe, ohne dies in Sprache auszudrücken. Es sind dann Zustände, die wir z. B. einem Algorithmus zuschreiben können. Menschliches Bewusstsein ist dazu ebenfalls nicht nötig. Die Deutungskonzepte in den Wissenskonzepten erzeugen eine Prozessordnung, die durch vielfältige Struktur- und Verlaufsordnungen die Logizität des Deutungszusammenhangs begründen. Sprache symbolisiert mit ihren Worten die Begriffe und in ihrer Grammatik die Prozessordnung. Aber die Begriffe als die allem Wissen zugrunde liegenden Deutungsmuster bedürfen der Sprache nicht zwingend. 

Christoph Demmerling: Über einen Begriff verfügen, ohne auf Sprache zu rekurrieren, ist sicher möglich. Nicht immer wenn wir einen Begriff anwenden, aktualisieren wir unser Sprachvermögen. Hinter der Frage steckt aber die weitergehende Frage, ob es möglich ist, über einen Begriff zu verfügen, ohne über eine Sprache zu verfügen. Wenn man Begriffe als Fähigkeiten ansieht, die sich im Urteilen und Handeln manifestieren, muss man darüber nachdenken, ob auch Lebewesen über Begriffe verfügen, die nicht über eine Sprache verfügen. Gelegentlich werden bereits einfache Unterscheidungsfähigkeiten zum Anlass genommen, die Zuschreibung eines Begriffs in Erwägung zu ziehen. Dieser Begriff des Begriffs ist mit Sicherheit zu anspruchslos, denn auch Benzinuhren zeigen den Unterschied zwischen einem leeren und einem vollen Tank an, ohne deshalb über einen entsprechenden Begriff zu verfügen. Es ist sinnvoll, nach Kriterien für das Verfügen über einen Begriff zu suchen, die unterhalb einer voll ausgebildeten Sprachkompetenz, aber oberhalb einfacher Diskriminierungsleistungen anzusiedeln sind. Ohne die Latte so hoch zu legen wie die Behauptung, das Verfügen über einen Begriff sei von der Sprache abhängig, erlauben es auch solche Kriterien, zwischen projektiven und berechtigten Zuschreibungen zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang ist im Einzelnen viel kleinteilige Arbeit zu leisten. Ich würde nach solchen Kriterien im Bereich der Fähigkeiten sprachlos und auf eine gekonnte Weise mit Dingen oder Sachverhalten umzugehen suchen. Wer angemessen mit einem Werkzeug umgehen kann, der verfügt über einen (praktischen) Begriff des entsprechenden Werkzeugs. Dazu gehört es, das Werkzeug als dieses oder jenes Ding klassifizieren zu können, mit welchem sich diese oder jene Zwecke realisieren lassen. Dazu gehört auch, das Werkzeug aus den entsprechenden Gründen zu benutzen; ferner muss man richtige und falsche Verwendungsweisen unterscheiden und sich beim Gebrauch korrigieren können. 

Markus Wild: Ja. Sprachlose Tiere und vorsprachliche Kleinkinder können mentale Repräsentationen auf bestimmte behaviorale und/oder epistemische Weise ausbilden und benutzen. Also verfügen sie über Begriffe. Dazu gibt es auch eine interessante und eindrückliche Reihe empirischer Belege. Die Argumente dafür, dass man Begriffe nur haben kann, sofern man über eine Sprache verfügt oder zu einer Sprachgemeinschaft gehört, scheinen mir nicht überzeugend und sind von ganz unterschiedlichen philosophischen Lagern eindringlich kritisiert worden. Interessanter wäre die Frage, was genau mit Begriffen passiert, wenn ein Wesen aktives Mitglied einer Sprachgemeinschaft wird. Hunde und Kleinkinder können Begriffe für Katzen, Wasser, Artgenosse, Mama, Innen, Außen usw. entwickeln. Wenn das Kind aber Teil der Sprachgemeinschaft wird, dann revidiert und erweitert es seine ursprünglichen Begriffe durch die Begriffsverwendung in der Sprachgemeinschaft. Was genau passiert da? Das möchte ich genauer verstehen. 

Christian Barth: Ich verstehe die Frage so: Kann man über Begriffe verfügen, ohne einer natürlichen Sprache mächtig zu sein? Zunächst scheinen nicht-sprachfähige Kleinkinder, manche Autist*innen und höhere Tiere dafür zu sprechen, die Frage zu bejahen. Allerdings ist zu fragen, ob bei der Zuschreibung von Begriffen und mentalen Akten zu ihnen dasselbe unter Begriffen und mentalen Akten verstanden wird wie in unserer alltäglichen Praxis der gegenseitigen Zuschreibung derselben unter Erwachsenen. Denn nur wenn wir die Frage mit Bezug auf diese Praxis stellen, gewinnt sie an philosophischer Brisanz. Dass ein technischer Begriff des Begriffs eingeführt werden kann, der auf nicht-sprachfähige und sprachfähige Wesen zutrifft, ist keine Überraschung. Dass unser alltäglicher Begriff des Begriffs etwa auf nicht-sprachfähige Tiere Anwendung findet dagegen schon. Die alltägliche Zuschreibung von Begriffen unter Erwachsenen geht mit Unterstellungen einher, welche die Bedingungen des Verfügens über Begriffe betreffen. Mit der Systematizität und Produktivität wurden bereits zwei solcher Bedingungen angesprochen. Wichtig ist zudem, dass Begriffe an die Fähigkeit zu propositionalen mentalen Akten geknüpft sind. Die Frage nach dem Besitz von Begriffen weitet sich damit auf die Frage nach dem Besitz der Fähigkeit zu wahrheitswertfähigen propositionalen Akten aus. Damit rückt die klassische Frage in den Vordergrund, was es heißt, den Unterschied zwischen dem subjektiven Für-wahr-Halten eines propositionalen Gehalts und dem objektiven Wahrsein desselben zu beherrschen. Donald Davidson hat dafür argumentiert, dass nur sprachfähige Wesen diesen Unterschied meistern können. Davidsons Überlegungen sind am besten als ein transzendentales Argument zu verstehen, das Bedingungen des Erwerbs der Denkfähigkeit betrifft. Dieses Argument ist stärker, als es zumeist gesehen wird. Ein anderer Weg für die
Sprachabhängigkeit des Denkens zu argumentieren, schließt an Wittgensteins Praxisgedanken und die Konzeption von Gehalten als normativen funktionalen Rollen an. Versteht man die gehaltbestimmenden Normen als solche, die eine Praxis mit konstituieren, scheint es zumindest plausibel, dass diese Normen auch sprachliche Interaktion betreffen müssen. Denn nur durch Interaktion im Verlauf eines Spracherwerbsprozesses können die intersubjektiven Normen in einer Sanktionspraxis eingeübt werden. 

Welche Beziehung besteht zwischen Begriff und Erfahrung? 

Christoph Demmerling: Das ist eine alte philosophische Frage. Spätestens seit den Analysen, die Kant im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie vorgelegt hat, gehört ihre Beantwortung zu den schwerwiegendsten Problemen der Philosophie. Es sind bereits viele Worte über die Zwei-Stämme-Lehre der Erkenntnis verloren worden und insbesondere auch darüber, ob und inwieweit mit ihr ein Dualismus von durch Sinnlichkeit gegebenen Anschauungen und den Begriffen des Verstandes zementiert wird. Die Überlegungen von Kant lassen sich jedoch auch so verstehen, wie z. B. John McDowell geltend gemacht hat, dass die Rezeptivität von Wesen, die über Begriffe verfügen, von vornherein mit Begrifflichkeit durchwachsen ist. Erfahrung ist begrifflich und kann nur deshalb als Instanz der Rechtfertigung unserer Überzeugungen fungieren. Begriffe stehen also nicht zwischen uns und dem Material, welches wir durch die Sinnlichkeit aufnehmen, und sie fungieren nicht einfach als Raster von Inhalten. Sie eröffnen einen Zugang zur Welt und sind bereits auf die jeweiligen Inhalte zugeschnitten. 

Die Frage nach der Beziehung zwischen Begriffen und Erfahrung stellt sich allerdings nicht nur auf einer im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Ebene. Menschen sind Wesen, die ihr Leben mit Begriffen führen und ihre Erfahrungen mit Begriffen machen. Der Einfluss von Begriffen auf die psychischen, sozialen und politischen Dimensionen ihres Lebens kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Ein Leben mit anderen Begriffen ist ein anderes Leben. Um ein Beispiel zu geben: Wer Zeit lediglich als Ressource begreift, die man sparen oder verlieren kann, der bewegt sich bereits auf dem Gleis einer vorrangig effizienzorientierten kapitalistischen Wirtschaftsform und lässt sich den Takt seines Lebens möglicherweise durch sie vorgeben. Wer sich ernsthaft mit Begriffen beschäftigt, hat auch über diese Dimension nachzudenken, auch wenn diesbezügliche Fragestellungen auf den ersten Blick von ganz anderer Art zu sein scheinen als jene, die in den Kernbereichen der Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie oder Philosophie des Geistes diskutiert werden. Am Ende zeigt sich, dass Grundfragen der theoretischen Philosophie gar nicht auf angemessene Weise diskutiert werden können, wenn nicht dem Umstand der geschichtlichen und sozialen Vermitteltheit der jeweiligen ‚Gegenstände’ (in unserem Fall: der Begriffe) Rechnung getragen wird. 

Christian Barth: Die Frage fokussiert – mit Kant gesprochen – auf die Begriffe endlicher Vernunftwesen, also von Wesen, deren kognitiver Zugang zur Realität durch Erfahrung erfolgt. Kommen in der Erfahrung selbst bereits Begriffe zum Zug? Mir scheint, dass diese Frage bejaht werden muss, da wir andernfalls mit einer Kluft zwischen dem, was die Sinne liefern, und Begriffen konfrontiert sind, die schwer zu überbrücken ist. Soll Erfahrung tatsächlich einen kognitiven Zugang zur Realität ermöglichen, durch welchen die Realität uns „etwas zu sagen“ hat, müssen Begriffe in ihr bereits zum Zuge kommen. 

Markus Wild: Das ist eine weitreichende Frage, die ins Herz vieler klassischer Probleme von Plato bis Fodor trifft. Ich möchte nur einen, wenn auch wichtigen, Aspekt herausgreifen: Der Kontakt mit der natürlichen und sozialen Umwelt und mit dem eigenen Körper wird über die Sinne, die Empfindungen und Emotionen hergestellt. Der Gehalt der entsprechenden sensorischen Repräsentationen ist nicht-begrifflicher Gehalt. Um eine Katze als Objekt in Raum und Zeit zu sehen müssen keine Begriffe zur Anwendung gebracht werden, dazu reichen biologische Fähigkeiten (die entsprechende Theorie kann z. B. durch die sog. Teleosemantik geliefert werden) Dieser nicht-begriffliche Welt- und Selbstkontakt ist die Voraussetzung für die Ausbildung von empirischen Begriffen, Selbstbegriffen, Individuenbegriffen oder Begriffen für natürliche Arten. Ich denke, dass auch soziale Normen über diesen Kontakt – wesentlich über Emotionen – erfasst wird. Dafür ist kein Sprachvermögen erforderlich. Entwicklungspsychologen und Verhaltensforscherinnen studieren den Erwerb solcher Begriffe. Wenn wir nicht auf den merkwürdigen Gedanken verfallen wollen, dass alle Begriffe angeboren sind, dann brauchen wir diese Art von nicht-begrifflichem Kontakt mit der Welt. 

Wolfgang Neuser: Erfahrungen stellen Erfahrenes oder Rezipiertes und Erlebtes dar, das gedeutet wurde. Die Deutungsmuster werden durch Begriffe geliefert, die in einem hierarchischen Begriffsgefüge eine gewisse Kohärenz und Konsistenz erreichen. Erfahrungen entstehen, wenn in einem unmittelbaren Erleben uns ein zunächst ungedeutetes Bild als „inneres Bild“ oder Intuition präsent ist und dann gedeutet wird. Wir haben freilich als Deutungsmuster bloß Begriffe zur Verfügung. Die zunächst benutzten Begriffe haben den Status von Vorbegriffen. Diese werden etwa durch Nachdenken für das Erfahrene zutreffender modifiziert oder gegen andere getauscht oder ausdifferenziert. Begriffe haben keine präzise Bedeutung sondern firmieren als Teile eines Bedeutungsgefüges und eignen sich nur deshalb als Interpretament für Erfahrenes, das seine „Struktur“ erst durch den Begriff bekommt. Der gleiche Begriff kann dabei durchaus Erfahrungsgehalten zugeschrieben werden, die bloß ähnlich sind. 

Wie entstehen neue Begriffe? 

Markus Wild: Gute Frage! Begriffstheorien stellen sich die Frage nach Ursprung und Herkunft der Begriffe zu wenig. James Joyce soll auf einem Markt in Freiburg i. Br. den Ausdruck „Quark“ von einer Bäuerin aufgeschnappt und ihn dann in Finnegans Wake („Three quarks for Muster Mark.“) ungefähr im Sinne von „Grünschnabel“ verwendet haben. In Anlehnung daran bezeichnete der Physiker und spätere Nobelpreisträger Murray Gell-Mann 1964 die elementaren Teilchen von Protonen und Neutronen als „Quarks“. Gell-Mann hat damit einen Begriff eingeführt, und zwar sowohl sprachlich als auch mit der Absicht, etwas Bestimmtes zu benennen. Die Absicht ist wichtig, denn weder die Bäuerin noch Joyce haben den Begriff QUARK eingeführt, sondern Gell-Mann. Freilich werden nicht alle Begriffe sprachlich und intentional eingeführt, das ist eine späte und komplexe kognitive Stufe. Dinge können benannt werden ohne Absicht einen neuen Begriff einzuführen, sondern mit der Absicht über Dinge zu kommunizieren. Prä-intentional können Begriffe als mentale Repräsentationen ausgebildet werden. Hier wird nicht die Absicht der Begriffseinführung oder der Kommunikation verfolgt, sondern es gehört zur normalen Entwicklungs- und Lerngeschichte vieler Lebewesen, dass sie Begriffe für Katzen, Wasser, Artgenosse, Mama, Innen, Außen usw. ausbilden. 

Wolfgang Neuser: Völlig neue Begriffe entstehen nicht. Alle „neuen“ Begriffe sind Folge einer veränderten Deutungssituation, sei es, weil Handlungen eine Differenzierung oder eine Kontraktion von Bedeutungen nahelegen oder weil Erfahrungen veränderte Deutungszusammenhänge erzwingen. Nun gibt es Begriffe, die in einer höheren Hierarchieposition stehen und größere Deutungsfelder umfassen. Diese abstrakteren Begriffe ändern sich in Folge der Änderungen der Begriffe, die in der tieferen Begriffs-Ebene liegen, und weil die abstrakteren Begriffe unter einem Wandel besser zu den veränderten Begriffen „passen“. Auf diese Weise können sich Teile oder – über Jahrhunderte – ganze Begriffsgefüge ändern. 

Wenn sich in unserer Kultur der Wissens-Begriff ändert, wechselt die Epoche und damit auch das gesamte Begriffsgefüge im Laufe von Jahrhunderten in seiner ganzen Tiefe. Kriterien für diesen Wandel sind Konsistenzen der Erfahrungsräume, aber nicht die Widerspruchsfreiheit der Erfahrungen, sowie gemäßigte Widerspruchsfreiheit der Handlungsräume und Kohärenz und Konsistenz der Begriffe. Begriffe verändern sich durch Ausdifferenzierung der Bedeutung, Bedeutungsverschiebungen, Kontraktion der Bedeutungen in einem Begriff oder durch Präzisierung der Bedeutung oder auch Expansion der Bedeutung auf eine andere Erfahrung. 

Christian Barth: Die Ursachen und Motivationen für die Wandlung von Begriffen sind vielfältig und schwer zu systematisieren. Am ausführlichsten sind solche Wandlungsprozesse in der wissenschaftlichen Begriffsbildung sowohl historisch als auch systematisch untersucht worden. Gering sind begrifflicheInnovationen, wenn neue Begriffe aus der Neukombination bereits bestehender Begriffe hervorgehen. Kreativ sind Wandlungen vor allem dann, wenn Begriffe aus einem Anwendungsbereich analog auf neue Anwendungsbereiche übertragen werden. In der Alltagssprache geschieht dies etwa, wenn neue Metaphern Verwendung finden. Für die wissenschaftliche Bildung theoretischer Begriffe ist die analoge Begriffsbildung anhand von Modellen grundlegend, die sich auf wahrnehmbare Vorgänge beziehen. Niels Bohrs Planetenmodell des Atoms ist hier nur eines von vielen einschlägigen Beispielen. In diesen Wandlungsprozessen erfolgt der Erwerb eines neuen Begriffs, d. h. einer neuen Fähigkeit, wobei dies gewöhnlich mit der Rekonfiguration der bestehenden Fähigkeiten einhergeht. Es ist ein wesentlicher Aspekt unserer Rationalität, dass wir unsere Begriffe verändern können. 

Christoph Demmerling: Diese Frage lässt sich auf allgemeine Weise nur schwerlich beantworten. Es ist zwischen dem Fall zu unterscheiden, in dem ein Begriffsverwender einen ‚neuen’ Begriff erwirbt, über den er bisher nicht verfügte und dem Fall, in dem eine begriffliche Landschaft aufs Ganze gesehen um einen neuen Begriff erweitert wird. Neue Begriffe entstehen, wenn neue Aspekte aus der natürlichen oder sozialen Umwelt von Begriffsverwendern in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken und für diese Bedeutsamkeit gewinnen. Wer z. B. eine Ausbildung oder ein Studium durchläuft, der erwirbt eine Vielzahl von neuen Begriffen, weil er mit für ihn neuen und fortan wichtigen Aspekten der Welt umzugehen lernt. Aufs Ganze gesehen entstehen neue Begriffe, wenn man Unterscheidungsgewohnheiten revidieren möchte oder entdeckt hat, dass man mit bestimmten Begriffen ein falsches Leben führt. Deshalb überrascht es nicht, dass viele Emanzipationsbewegungen ‚Begriffspolitik’ betreiben. Sie möchten eine Umlenkung der Aufmerksamkeit erwirken. Hier zeigt sich einmal mehr die soziale und auch politische Dimension des Begrifflichen. 

Gegenwärtig scheint sich der Begriff „Begriff“ zu verändern. Ist dies richtig, und wenn ja, von wo nach wo geht die Veränderung? 

Christian Barth: Mit der kognitiven Wende und der Ablösung des Behaviorismus in der Psychologie hat die Konzeption von Begriffen als mentalen Repräsentationen seit den 1970er Jahren einen Aufschwung erlebt. In den Fokus gerückt sind in den letzten Jahren die Psychologie nicht-sprachlicher Tiere (siehe etwa Markus Wilds Arbeiten zur Tierphilosophie) und die Evolution des Denkens (siehe etwa die Arbeiten von Michael Tomasello). Damit gehen verstärkt kognitionswissenschaftliche Versuche einher, einen Begriff des Begriffs zu entwickeln, der auf nicht-sprachliche Wesen zutrifft. Auf der anderen Seite lassen sich innerhalb der Philosophie des Geistes Debatten ausmachen, die am aristotelischen Fähigkeitsbegriff anknüpfen und Begriffe vornehmlich als Fähigkeiten verstehen. Stichwortgeber dieser Debatte sind Autoren wie Wittgenstein, Strawson, Anscombe und McDowell. Schließlich ist auch eine gewisse Renaissance des inferentialistischen Ansatzes von Wilfrid Sellars festzustellen, die durch Brandoms Making It Explicit wesentlich ausgelöst wurde, in deren Verlauf aber Sellars vermehrt unabhängig von Brandom zu seinem Recht kommt. 

Christoph Demmerling: Ich bin nicht sicher, ob ich von einer Veränderung des Begriffs des Begriffs sprechen würde. Sicher konkurrieren unterschiedliche Theorieangebote miteinander, wenn es darum geht, die Frage nach dem Begriff des Begriffs zu beantworten. Neben der klassischen Auffassung, der zufolge sich die Gehalte von Begriffen durch die Angabe von notwendigen und hinreichenden Bedingungen angeben lassen, stehen Vorschläge nach Art der Prototypentheorie, es finden sich atomistische Theorien, so genannte Theorie-Theorien und neoklassische Ansätze. Aber man sollte die Veränderungen nicht überschätzen. Es lässt sich allenfalls sagen, dass die klassische Auffassung unter Druck geraten ist. Nunmehr versucht man bessere Alternativen zu formulieren oder aber die klassische Auffassung so umzubauen, dass sie den einschlägigen Einwänden standhält. Das ist aber eine Standardsituation in der Philosophie und kein besonderes Kennzeichen der Diskussion über Begriffe. 

Wolfgang Neuser: Der Begriff vom Begriff ändert sich m. E. unter dem Druck, dass die informatischen Techniken eine autonome Funktion für die Wissenskonstitution übernommen haben und zunehmend weiter übernehmen. Die überkommene neuzeitliche Vorstellung von dem, was Wissen ist, ist damit unzureichend geworden. Es ändert sich die Erklärung für das, was Wissen ist, und eine subjekttheoretische Begründung der Wissensvorstellung kann keine hinreichenden Erklärungen mehr für unsere Welt liefern. Die Entwicklung und Änderung der Technik und ihre „Übersetzung“ in Alltagsleben ist ihrerseits eine Folge von Begriffsänderungen. Den Bereich der „künstlichen Intelligenz“ als ein Maschinen-Analogon zur Menschen-Intelligenz verstehen zu wollen, erscheint mir naiv und hilflos. In der Medizin, in sozialen Kontexten bis zur Datenverwertung durch die NSA u. a. sind Strukturen für uns prägend, die andere als frühere Wissensschöpfungen darstellen. 

Im Kontext der subjekttheoretisch begründeten Wissensvorstellungen der Neuzeit hat sicher Hegel eine der differenziertesten Vorstellungen vom Begriff ausgearbeitet. Was in Platons Theaitetos für eine Definition als ein Überschreiten der Grenzen von dem Genus proximum einer species zu dem übergeordneten Genus dargestellt wird, das die dialektische Bewegung bloß von Definitionen beschreibt, hat Hegel als Begriffsbewegung aller Momente aller Begriffe des gesamten Wissenskonzeptes der Neuzeit aufgefasst. Spätere Begriffsdeutungen (z. B. von Sneed oder Stegmüller) haben eine Formalisierung des Begriffs untersucht, werden aber immer noch subjekttheoretisch gedacht. 

Von dem grundlegenden Wandel unserer Lebensumstände durch Änderung des Wissenskonzepts ist auch das Verstehen des Begriffs vom „Begriff“ betroffen. Der Begriff vom „Begriff“ muss unter den Bedingungen der gerade beginnenden Denkepoche eine Reihe von Bedingungen erfüllen: Er kann nicht ein Subjekt voraussetzen, dass denkend autonom das Wissen über einen ihm äußeren Gegenstand, die Welt, im Begriff erfasst. Er muss den raschen Wandel von Wissen so erfassen, dass das Gewusste nicht als flüchtiger Inhalt des Begriffs erscheint, sondern der Begriff dynamisch den Wechsel fasst. Der Begriff vom Begriff muss möglich machen zu verstehen, worin Konsistenz und Kohärenz des Gewussten liegt und muss verstehbar machen, was das durch die informatische Technik erzeugte Wissen mit dem Wissen der Individuen verbindet und von ihm unterscheidet. Der Begriff vom Begriff muss die Deutungsmuster (in) der Wissensgesellschaft angemessen deuten können. 

Markus Wild: Ich denke, es gibt für die Philosophie drei wichtige Veränderungen: Erstens werden Begriffe nicht mehr von allen als intellektuelle Höchstleistung angesehen, sondern die Einsicht wächst, dass Begriffstheorien nicht-sprachliche Wesen einschließen muss. Zweitens ist die Idee der Philosophie als Arbeit am Begriff oder Begriffsanalyse fragwürdig geworden, weil sie auf prekären Voraussetzungen beruht. Drittens – und dieser Aspekt hatte in meinen bisherigen Antworten noch zu wenig Gewicht – muss auch die historische Dimension der Begriffe Beachtung finden. Begriffe werden eingeführt, Begriffe werden erlernt, Begriffe haben eine Geschichte. PhilosophInnen in der platonischen Tradition (Begriffe = abstrakte Entitäten) beachten diesen Aspekt zu wenig und beharren auf ahistorischen und definitorischen Begriffstheorien. PhilosophInnen in der anti-platonischen Tradition (Begriffe = soziale Konstruktionen) hingegen zitieren gerne Nietzsches Diktum, dass nicht definiert werden könne, was eine Geschichte habe, und behaupten, dass alle Begriffe historisch kontingent oder kultur- und sozialrelativ seien. Jenseits dieser beiden Extreme gibt es als Alternative die Genealogie als Methode, über die Herkunft und Bedeutung basaler Begriffe nachzudenken. Sie wurde von Nietzsche mit einigen Ambiguitäten eingeführt und von Foucault etwas einseitig weiter entwickelt. Die rekonstruktive Genealogie, wie sie im Anschuss an Hume und Nietzsche von Bernard Williams oder Edward Craig entwickelt worden ist, scheint mir einen Weg anzubieten, den es sich zu begehen und auszubauen wirklich lohnt.

UNSERE AUTOREN:

Christian Barth ist Privatdozent für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Christoph Demmerling ist Professor für theoretische Philosophie an der Universität Jena. Wolfgang Neuser ist Professor für Philosophie an der Universität Kaiserslautern. Markus Wild ist Professor für theoretische Philosophie an der Universität Basel.