PhilosophiePhilosophie

01 2016

Wie ist Heidegger heute zu beurteilen?

aus: Heft 1/2016, S. 74-83

 

Stellungnahmen von Hassan Givsan, Marion Heinz, Dieter Thomä und Helmuth Vetter

Hat Sie das Auftauchen antisemitischen Stellen in den „Schwarzen Heften“ überrascht?

Marion Heinz: Dass Heidegger – wie auch seine Frau Elfride – Antisemit war und sich der Stereotype des Antisemitismus zeitlebens bedient hat, ist durch zahlreiche Aussagen von Zeit-Zeugen, wie z. B. Toni Cassirer, durch Briefe und nicht zuletzt durch die Dokumente zu Heideggers amtlicher Tätigkeit als erster nationalsozialistischer Rektor der Universität Freiburg bis 1934 und auch als Hochschullehrer danach bekannt gewesen. Nicht der Antisemitismus war das Überraschende der Schwarzen Hefte, sondern seine Begründung mit den denkerischen Mitteln der Heideggerschen Philosophie. Ein erstes Zeugnis für diesen „philosophisch“ unterbauten Antisemitismus bot ja bereits die Protokollmappe zu dem Seminar Über Wesen und Begriff von Natur, Geschichte, Staat aus dem Wintersemester 1933/34, wo von den semitischen Nomaden gesagt wird, ihnen werde „die Natur unseres deutschen Raumes […] vielleicht nie offenbar“. Dass Heidegger die nationalsozialistische Ideologie einschließlich des Antisemitismus nicht nur als Privatmeinung vertrat, sondern als intrinsischen Bestandteil seiner Philosophie in seinen öffentlichen Lehrveranstaltungen mit den Mitteln seines Denkens gerechtfertigt und in der von ihm erdachten Version propagiert hat, dokumentierten diese Protokolle schon. Aber es waren „nur“ Protokolle; jetzt verfügen wir durch die Schwarzen Hefte über authentische Texte aus Heideggers Hand, und zwar solche, die Einblick in einen längeren Zeitraum, auch in die Zeit vor und nach dem Rektorat, gewähren. 

Dieter Thomä: Meine Antwort lautet: Jein. Es sind schon seit vielen Jahren antisemitische Ausfälle Heideggers bekannt – zum Beispiel seine Agitation gegen die „Verjudung“ des „deutschen Geisteslebens“ 1929. Gleichwohl hätte ich diese antisemitischen Stellen in den Schwarzen Heften so nicht erwartet. Die zuvor bekannten Stellen stehen fast durchweg nicht in einem philosophischen Zusammenhang, sondern entstammen vor allem Briefen, in denen Heidegger als Zeitgenosse, nicht als Philosoph spricht. Mit dem NS-Engagement 1933/34 hat er versucht, diese beiden Rollen zusammenzubringen, also sein Denken direkt auf politische Aktion durchschlagen zu lassen. Doch auch in den harten NS-Texten aus den Jahren 1933/34 schimpft er nur diffus über die „Lahmen, Bequemen und Halben“. Insofern ist es keine große, aber eine kleine Überraschung, dass Heidegger den Juden in den Schwarzen Heften in seiner Deutung der Moderne eine Schlüsselrolle zuweist.

In der Überraschung über Heideggers Antisemitismus versteckt sich noch eine zweite Überraschung oder Irritation: dass nämlich auch in den Schwarzen Heften die antisemitischen Invektiven nicht direkt 1933/34, sondern erst ab ca. 1938 durchbrechen, also in einer Zeit, als er zum Nationalsozialismus schon eine gewisse Distanz eingenommen hat. Das heißt nicht, dass Heidegger 1933/34 frei von Judenhass gewesen wäre. Aber er setzte ihn nicht philosophisch um. In den frühen Schwarzen Heften versteckt sich eine Erklärung dafür. Dort heißt es, dass man nur seine „geistige Blindheit“ beweise, wenn man sich mit den „Schuften und Geldjägern der Verfallszeit“ befasse. Er meinte damals wohl, sich gar nicht dazu herablassen zu sollen, sich an den Juden abzuarbeiten. Sein Antisemitismus fand damals noch im Modus des Totschweigens statt. Dass er später anders operiert, ist paradoxerweise das Eingeständnis einer Niederlage: des Scheiterns seines philosophisch-politischen Großprojekts deutscher Selbstbehauptung.

Helmuth Vetter: Nein! Ich würde nur nicht von „Antisemitismus“ sprechen, sondern das Wort „Antijudaismus“ gebrauchen. Für Heidegger war niemals die Rasse das Fundament seiner Äußerungen gegenüber Juden, sondern ein aus den kleinbürgerlich-katholischen Quellen seiner Herkunft gespeistes Vorurteil.

 

 

Hassan Givsan: Die Frage wäre zwar einfach zu beantworten, nämlich so: es hätte „überrascht“, wenn Heideggers Äußerungen über die Juden in den Schwarzen Heften anders ausgefallen wären als in seinen Briefen. Aber damit würde die Frage, was denn das thematische Zentrum der Schwarzen Hefte ist, von dem her Heidegger die Juden ins Visier nimmt, gar nicht in den Blick kommen. Und genau diese Frage muss gestellt werden. Denn trotz der Vorlesungen der Jahre 1932-1944 und der Reden und der Vorträge aus dieser Zeit hätte niemand – der nicht vorher Einsicht in die Manuskripte der Schwarzen Hefte hatte – voraussehen können, was deren thematisches Zentrum sein würde. Damit ist nicht die Seinsfrage gemeint, denn dass die Schwarzen Hefte auch davon handeln werden, war zu erwarten und vorauszusehen: sie ist nun einmal Heideggers Markenzeichen. Aber es war nicht vorauszusehen, dass das durchgängige thematische Zentrum der Schwarzen Hefte die Frage des/der „Deutschen“ sein wird. Die vielfältigen Themen, die behandelt werden, gruppieren sich um dieses thematische Zentrum. Niemand hätte es voraussehen können, dass in den Schwarzen Heften, und zwar bereits am Anfang, der Satz stehen würde: „Der Deutsche allein kann das Sein ursprünglich neu dichten und sagen“ (GA 94, 27). Darauf gründet Heidegger den „Kampf um das verborgenste Wesen der Deutschen selbst“ (GA 95, 30) als den Kampf gegen den „Ansturm des Undeutschen und Deutschlosen“ (GA 95, 23). In diesem „Kampf“ nimmt Heidegger in den Schwarzen Heften auch die Juden ins Visier, und zwar just angesichts der brennenden Synagogen und der Deportierung der Juden. Es hätte also „überrascht“, wenn Heideggers Äußerungen über die Juden anders ausgefallen wären.

Diese antisemitischen Stellen hatten ein gewaltiges Medienecho ausgelöst. Aus der Distanz von zwei Jahren: Wie bewerten Sie diese Resonanz? 

Helmuth Vetter: Die Kritik an Heidegger hat zu einem nicht geringen Teil gezeigt, wie wenig man sich sachlich auf Heidegger eingelassen hat und dies oft auch gar nicht wollte. (Von den ganz erbärmlichen Invektiven, die mehr über den Charakter ihrer Urheber/innen verraten als über den Angegriffenen, spreche ich hier nicht; bei einigen hat mich das Übermaß an Gemeinheit und Dummheit erschreckt.) Damit leugne ich nicht, dass es zahlreiche gut fundierte Einwände gibt. Doch insgesamt scheint mir die Diskussion zu einseitig negativ zu verlaufen.

 Dieter Thomä: Wenn Heidegger ein „toter Hund“ wäre, dann wäre das Medienecho ausgeblieben. Insofern ist dieses Echo ein – unfreiwilliges – Kompliment an Heidegger. Offensichtlich stoßen sich die Menschen in besonderer Weise daran, dass nicht nur Millionen ‚normaler‘ Deutscher, sondern auch ein berühmter Denker Antisemit war. Das Medienecho zeugt also vom Stellenwert der Frage nach dem Verhältnis zwischen Theorie und politischer Praxis.

Die jüngste Debatte hat aber teilweise deprimierende Züge. Denn es ist ja nicht die erste ihrer Art: Das gesamte Thema „Heidegger und der Nationalsozialismus“ sorgt in seltsamer Regelmäßigkeit für Aufregung: 1946/47 in Sartres Zeitschrift Les Temps modernes, 1966 in Critique, 1987 anlässlich des Buches von Victor Farías’, 2005 durch das Buch von Emmanuel Faye etc. Die aktuelle Debatte enthält zu neunzig Prozent keinen einzigen neuen Gedanken, sondern wärmt längst Gesagtes wieder auf. 

Interessant ist, dass es derzeit eine Fraktion von Heidegger-Kritikern gibt, die sich als Totengräber betätigen und versuchen, nach dessen physischem Tod sein gesamtes Werk zu Grabe zu tragen. Da dies ihr Geschäftsmodell ist, da ihnen offenbar nichts Besseres einfällt, als Heidegger zu kritisieren, müssen sie die endgültige Grablegung allerdings bis auf den Sankt Nimmerleinstag herauszögern. Diese Kritiker werden Heidegger noch lange am Leben erhalten, denn sonst hätten sie nichts mehr zu tun. 

Hassan Givsan: Es ist festzuhalten, dass das Familien Unternehmen mit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte publikationspolitisch einen Coup gelandet hat. Das Medienecho dürfte auch der Grund sein, dass das Familienunternehmen nun eine „Ergänzungsausgabe“ zu der Gesamtausgabe plant. Aber in inhaltlicher Hinsicht hat das Medienecho, das längst verflogen ist, nichts gebracht, was von dem „Echo in den Medien“ auch nicht zu erwarten ist. Die wirklich zu leistende Auseinandersetzung mit Heideggers „Denken“ gehört an einen anderen Ort. 

Marion Heinz: Die Publikation der „Schwarzen Hefte“ bildet eine Art Höhepunkt in der bisherigen, in Schüben sich vollziehenden „Enthüllungsgeschichte“ zum Denker Martin Heidegger, die sich gegen die Widerstände der Familie und weite Teile der Forschung durchgesetzt hat. Dieser Hintergrund und ihre symbolisch aufgeladene Position am Ende der Gesamtausgabe in Kombination mit der moralisch-politischen Ungeheuerlichkeit, zuweilen auch mit der Lächerlichkeit ihrer Inhalte macht die Heftigkeit der ersten Reaktionen plausibel. Moralische Empörung, aber auch Irritationen bestimmen die ersten Reaktionen. Die Diskrepanz zwischen dem Ansehen Heideggers als größter Philosoph unserer Zeit und seiner moralischen Kälte, der in den Schwarzen Heften erkennbar werdende Mangel an Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit, der durch einen seinsgeschichtlich begründeten Amoralismus philosophisch gerechtfertigt sein soll, hat in einer Gesellschaft, die sich mit der Ermöglichung der NS-Herrschaft durch die alltäglichen Feigheiten und Verleugnungen des „normalen“ Menschen befasst, zu Recht eine so heftige Reaktion erzeugt. Man muss sich auch klar machen, dass mit der Publikation der Schwarzen Heften erstmals ein Text vorliegt, in dem die Gewichte zwischen „reinem“ Denken und politischer Stellungnahme so verschoben sind, dass das Denken durch die aus ihm erwachsenden, teils skandalösen, teils verschrobenen Kommentare zum Zeitgeschehen und zur politischen Weltlage selbst fragwürdig wird. Die Prätention auf große Philosophie zerstört sich im Licht solider Forschungen zum Nationalsozialismus gewissermaßen selbst: Dass Heideggers selbst ersonnenes Narrativ der Seinsgeschichte ein denkerisches Fundament sein könnte, das die politische Weltlage im Ganzen und in ihrem Grunde zu erfassen und metapolitisch zu korrigieren erlaube, entpuppt sich durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Geschichte des Nationalsozialismus als eine idiosynkratische Idee des Martin Heidegger. Alles dies kam in der ersten Welle des Medienechos zur Sprache. Dass diese Empörungs- und Enttäuschungsreaktionen zu einer nüchternen Befassung mit Heideggers Werk durch die Forschung führen, um die philosophischen Konsequenzen dieser neuen Befunde zu bedenken, dafür gibt es Anzeichen. Aber natürlich rüsten sich auch die Verteidiger Heideggers, um die Destruktion seiner Weltgeltung abzuwehren. 

Wie beurteilen Sie Trawnys Interpretation eines „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“? 

Dieter Thomä: Trawnys Interpretation geht in die richtige Richtung. Es ist tatsächlich so, dass Heidegger den Juden eine „seinsgeschichtliche“ Rolle zuweist: als Macher der „Machenschaften“. Er sieht in ihnen gewissermaßen die Konkursverwalter einer Moderne, die insolvent ist, also für die eigentlich entscheidenden Fragen keine Lösung mehr hat. Wenn man sich hier gegen Heidegger wendet, dann muss man die Seinsgeschichte insgesamt der Kritik unterziehen – also Heideggers Selbstverständnis, er selbst biete einen Zugang zu jenen eigentlichen, vom Rest der Welt vergessenen Fragen. Das „Sein“ nutzt er dabei als Kampfmittel: Es dient dazu, anderen vorwerfen zu können, sie hätten das Wesentliche „vergessen“ – was immer es auch sei. Heidegger hätte nichts dagegen, wenn es solche Ignoranten nicht mehr gäbe – im Gegenteil. Insofern ist für ihn ein toter Jude ein guter Jude. 

Doch Heideggers Seinsdenken richtet sich nicht nur gegen die Juden, es hat einen grundsätzlich inhumanen Zug. Wenn Ethiker heute darüber streiten, wer denn nun zu retten sei – zwei ertrinkende Katzen oder ein ertrinkendes Menschenkind –, dann stellt sich Heidegger eine andere Frage: Was, wenn er vor der Wahl stünde, das Sein oder einen Menschen zu retten? Ohne zu zögern würde er sich für das Sein entscheiden. Der Haken ist: Das Sein ist nur ein Wort. Er verteidigt also ein Wort – sein Wort – gegen die Menschen. Er greift die Menschen an, die das angeblich Wesentliche verpasst und damit ihre Existenz verwirkt haben. Indem er das Sein als Gegenbild zu einer total seinsvergessenen Welt aufbietet, verwandelt er diese Welt in eine Nacht, in der alle Katzen grau sind. Die Nacht ist aber nicht die Welt. 

Die Auseinandersetzung mit der Seinsgeschichte, die sich aus der These vom „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ ableitet, muss über die Judenfrage hinausgehen, sich also auch auf Heideggers Interpretationen jener Philosophen beziehen, die in seiner Inszenierung Hauptrollen spielen: Descartes, Hegel, Nietzsche etc. Nach derzeitigem Stand schlägt sich er mit seiner Descartes-Kritik recht wacker, Hegel und Nietzsche werden von ihm arg verdreht. Darüber hinaus empfiehlt es sich, Heideggers seinsgeschichtliche Kanonisierung der Philosophiegeschichte zu revidieren, also jene Denker einzubeziehen, die er nicht zur Kenntnis nimmt: z.B. Spinoza, Hume, Mill und natürlich auch Wittgenstein. 

Aber eine Frage lässt die Rede vom „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ offen: Wie verhält er sich zum geschichtlichen Antisemitismus, also zu den realen Ereignissen der Judenverfolgung und -vernichtung? Es besteht eine große Distanz zwischen dem ziemlich einsamen Schreibtischtäter Heidegger, der bösartige Sätze in schwarze Kladden schreibt, und den Organisatoren des Völkermords. Die Rede vom „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ verfestigt diese Distanz, sie legt den Gedanken nahe, man könne oder solle Heidegger unabhängig von den historischen Verbrechen diskutieren. Das ist einerseits sinnvoll, denn der Kurzschluss zwischen Geist und Tat ist geistlos. Andererseits ist es fragwürdig, denn zwischen Geist und Tat besteht kein totaler disconnect. Das beste Buch, an dem sich dieses Problem studieren lässt, ist David Nirenbergs Antijudaismus

Marion Heinz: In meinen Augen ist mit dieser Etikettierung eine nicht haltbare Strategie der Verteidigung Heideggers verbunden. Der Begriff „seinsgeschichtlich“ erfüllt nämlich eine doppelte Funktion: Damit wird der Heideggersche Antisemitismus in seiner Eigenart gekennzeichnet: dieser Antisemitismus ist durch das zentrale Philosophem seiner Spätphilosophie, die Seinsgeschichte, begründet und in seinem ideologischen Zuschnitt bestimmt. Dass dieses Fundament aber auch zur Grundlage der Beurteilung von Heideggers Antisemitismus gemacht werden soll, ist die weniger offensichtliche Absicht der Verwendung dieses Begriffs. Wenn es sich nämlich um einen seinsgeschichtlich begründeten Antisemitismus handelt, dann ist derjenige, der sich mit dem Antisemitismus Heideggers philosophisch auseinandersetzt, gehalten, sich zu seiner Beurteilung streng an diese Philosophie, und nicht an x-beliebige moralische oder politische Standards zu halten, wenn er nicht die Gebote philosophischer Konsistenz und Konsequenz verletzen will. So dient dieser Begriff der paradoxen – oder besser gesagt – widersinnigen Strategie, Heideggers Denken vermittelst derjenigen Ideen zu verteidigen, die zur Begründung der politisch und moralisch skandalösen Inhalte in Anspruch genommen werden. 

Statt also Heideggers Denken einer grundsätzlichen Kritik zu unterziehen, weil mit den Mitteln dieses Denkens Antisemitismus und Nationalsozialismus propagiert wird, wird es gegen jede Kritik immunisiert, indem es als unverzichtbar für die Auseinandersetzung mit jedweder Kritik erklärt wird. Mir geht es hier gar nicht um Trawny, sondern um einen bestimmten Typ der Reaktion auf die Schwarzen Hefte, der auch bei anderen – wie etwa Donatella Di Cesare – zu beobachten ist: Man bedient sich einer Überbietungsfigur, wonach es nur durch Heideggers eigenes Denken möglich ist, die wahrhaft philosophische Befassung mit dessen zugestandenermaßen problematischen Konsequenzen wie dem Antisemitismus zu leisten. Die von Heidegger selbst immer wieder emphatisch zur Geltung gebrachte Überlegenheit seines Denkens über die gesamte abendländische Tradition wird nicht nur ungefragt vorausgesetzt, sondern sogar bestätigt, indem es angeblich auch seine eigene moralische und politische Verfehlung zu verstehen ermöglicht. Dieses Denken ist immun nicht nur gegen die Kritik des Antisemitismus, sondern gegen Kritik überhaupt. Und seine – selbst von den Verteidigern Heideggers für unakzeptabel erklärten – politischen Inhalte sind durch ihren Ursprung in diesem Quell großen Denkens und ihre wesentliche Zugehörigkeit zu ihm, als philosophisches Angriffspotential gegen Heidegger unschädlich gemacht und zu einer quantité négligeable herabgemindert. Sie sind als notwendiger Kollateralschaden des Narrativs der Seinsgeschichte hinzunehmen. Das empfinde ich als als unphilosophisch, weil jeder Versuch, den Antirationalismus und Immoralismus sowie die Aufklärungsfeindschaft des Heideggerschen Denkens angesichts seiner empörenden Konsequenzen in Frage zu stellen, verhindert wird. Heideggers Zerstörung des Unterschieds von Gefühl und Begriff, von Denken und Erkennen werden in der „Irrnisfuge“ (Trawny) als Errungenschaften eines neuen Typs von an-archischem Denken geschätzt, dem die„Irre“ wesenhaft und jede Frage nach Verantwortung und Schuld „Absage an die anarchische Freiheit“ ist. Mit dieser Figur der Feier eines elitären, den Niederungen der „Welt des Arguments“ und der Moral überlegenen Denkens aus dem „Geist der Philosophie“ kontrastiert das ein einziges Mal geäußerte Eingeständnis: Es ist „nicht ganz abzustreiten, dass die Irre als eine Immunisierung des Denkens wirken kann“ und dass der „Seins-Tragödie“ durchaus die „Gefahr der Farce, ja der Klamotte“ droht. (28) Heideggers Denken vor dem Sturz aus der Höhe in die Lächerlichkeit zu bewahren, ist Erfolg beschieden, wenn alles, was es infrage stellt, der von Heidegger ersonnenen Irre zugerechnet und dieses seinsgeschichtliche Narrativ zur einzigen dem philosophischen Geist gemäßen „Philosophie“ erhoben wird, der keine Form argumentativer oder moralischer Kritik gemäß sein kann. So vollbringt man das Bravourstück, den philosophischen Antisemitismus nicht nur unumwunden zuzugeben, sondern die denkerische Begründung dieses Antisemitismus, durch die sich – nach dem Urteil der gesunden und der philosophischen Vernunft – dieses Denken von Grund auf diskreditiert hat, zu seiner Verteidigung aufzubieten. Ob der Selbstwiderspruch, der sich daraus ergibt, dass sich auch für Trawny Philosophie und Antisemitismus ausschließen (vgl. Irrnisfuge 9), schlicht unbemerkt bleibt oder ob er billigend in Kauf genommen wird, ist nicht klar. Klar ist indessen: Es gilt, „die Irre auszuschreiten“. (Trawny, Die Zeit, 27.12.2013). Dass sich diese Figur der Verteidigung Heideggers auf der nächsten Ebene der Auseinandersetzung mit den Kritikern dieser Strategie wiederholen muss, ist evident: Wenn grundsätzlich kein Argument auf der Höhe des Heideggerschen Gedankens sein kann, betreiben nicht nur die Kritiker Heideggers, sondern auch die Kritiker seiner Verteidiger ein philosophisch sinnloses Unternehmen. Was damit ganz bewusst aufs Spiel gesetzt ist, ist die „Welt des Arguments“; was gewonnen wird ist die vermeintliche Einsicht in die Bedingtheit allen Denkens durch das unvordenkliche Sein und seine Deutungen. Dass diese Destruktion der „Welt des Arguments“ nicht zuletzt in politischer Hinsicht folgenreich ist, dürfte ebenso unübersehbar sein wie die Sympathien der neuen Rechten für Heideggers Denken. 

Helmuth Vetter: Ich schicke voraus, dass eine ausführliche Antwort mehr Platz in Anspruch nehmen müsste, als dies hier möglich ist. Dass Sie unter Ihren fünf Fragen Peter Trawny eigens erwähnen, erscheint mir als ein Indiz, wie gut es ihm gelungen ist, die öffentliche Meinung für sich zu mobilisieren. Dagegen wäre nicht unbedingt etwas einzuwenden, hätte sich Trawny nicht zu sehr auf eine Interpretation festgelegt. Seine These vom „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ geht davon aus, dass bestimmte Aussagen der Schwarzen Hefte auch Heideggers Spätwerk „kontaminieren“. Lässt sich dies aber durchwegs behaupten? Gilt dies z. B. auch für die Gottesfrage in Heideggers Spätwerk (die ihn von Anfang an bewegt und letzten Endes die Seinsfrage motiviert hat)? Was bedeutet (wieder mit Bezug auf die späten Schriften) der Rückgang auf den Anfang im frühen Griechentum? Auch denke ich an Die Kunst und der Raum und die Bemerkungen zu Kunst – Plastik – Raum. In diesen und ähnlichen Fällen suche ich bisher – soweit ich sehe, vergeblich – nach Antworten in Trawnys Arbeiten. Ist zu befürchten, dass er seiner Sache bereits zu sicher ist, um auf solche Fragen zu hören? Dann würde einer umsichtigen Interpretation etwas Wichtiges fehlen. Was das Jüdische anlangt, so ist meinem Urteil zufolge immer noch das Beste in einem kleinen, heute kaum noch zitierten Buch enthalten: Jean-François Lyotard, Heidegger und „die Juden“, 1988 im Wiener Passagen-Verlag erschienen. 

Hassan Givsan: Trawnys „Begriff“ des „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ ist verdeckend und dies nicht ohne Absicht. Wenn er schreibt: „Alles hängt jedoch davon ab, zu erörtern, was unter dem Begriff des ‚seinsgeschichtlichen Antisemitismus‘ zu verstehen ist“ (Aufl. 2015, S. 11), so erwartet man, dass er eine genaue Bestimmung dieses „Begriffs“ vorlegt. Aber er gibt keine genaue, ja überhaupt keine Bestimmung an. Vielmehr schreibt er: „Der Begriff des seinsgeschichtlichen Antisemitismus soll keineswegs besagen, dass wir es mit einem besonders elaborierten oder raffinierten Antisemitismus zu tun hätten. Heidegger hat sich im Grunde auf bestimmte allgemein bekannte Formen bezogen. Allerdings hat er sie philosophisch, d. h. seinsgeschichtlich, interpretiert.“ (S. 31) Nun muss man – dabei festhaltend, dass er bloß von „bestimmten allgemein bekannten Formen“, nicht aber ausdrücklich von dem Antisemitismus der Nazis spricht – fragen, was er damit sagen will. Will er damit sagen, Heideggers Antisemitismus sei kein „besonders elaborierter oder raffinierter Antisemitismus“, sondern nur eine der „allgemein bekannten Formen“, bloß „philosophisch“ garniert, kurz, Heidegger sei ein ganz ‚gewöhnlicher‘, ja ein ganz „banaler“ Antisemit? Ist dem so, dann ist die Rede von Heideggerschem Antisemitismus sinnleer, erst recht die Bezeichnung „seinsgeschichtlich“. 

Oder will er ungesagterweise sagen: Heidegger habe „bestimmte allgemein bekannte Formen“ des Antisemitismus – die „bestimmte allgemein bekannteste Form“ ist aber der Antisemitismus der Nazis – „seinsgeschichtlich“ untermauert, fundiert? Aber dann ist Heideggers Antisemitismus „ein besonders elaborierter oder raffinierter Antisemitismus“ Und ein „philosophisch, d. h. seinsgeschichtlich“ untermauerter Antisemitismus ist aber grundsätzlicher, radikaler als jede „allgemein bekannte Form“, mithin auch als der der Nazis, eben deshalb skandalöser. 

Nun stellt sich die Frage, ob diese skandalöse Radikalisierung auf Heideggers Konto oder ob sie auf das Konto der „Seinsgeschichte selbst“ geht. Diese Frage mag zunächst als abwegig erscheinen, aber man wird dazu genötigt durch Trawnys vermeintlich kritische Frage, die das Kapitel abschließt: „ist dann die Seinsgeschichte selbst nicht antisemitisch?“ (S. 58) Einerlei, ob er diese Frage bloß rhetorisch stellt oder er sie als eine zu bejahende ansieht, steckt der verdeckende Wurm in den Worten: „die Seinsgeschichte selbst“. Denn er sagt nicht: „die Heideggersche Philosophie selbst“, sondern: „die Seinsgeschichte selbst“. Denn sollte gemeint sein, dass „die Seinsgeschichte selbst“ – diese Worte muss man so lesen, wie Heidegger vom „Sein selbst“ spricht – „antisemitisch“ ist, so hieße das, dass aller Antisemitismus von der „Seinsgeschichte selbst“ her, weil in ihr gegründet, ratifiziert und legitimiert ist. Und diese Deutung, dass „die Seinsgeschichte selbst“ – nicht Heidegger, nicht Heideggers „Denken“ – „antisemitisch“ ist, legt Trawnys Satz am Ende seines Buches: „Von einem seinsgeschichtlichen Antisemitismus zu sprechen, impliziert also nicht, dass das seinsgeschichtliche Denken als solches antisemitisch ist“ (S. 133), nicht nur nahe, sondern der Satz schließt eine andere Deutung aus. So enthüllt sich das Perfide der Rede von dem „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“. Gegen diese doppelte und perfide Verdeckung ist zu sagen: Es ist Heidegger, der „Deutsche“, der nach seinem Grundsatz, „Der Deutsche allein kann das Sein ursprünglich neu dichten und sagen“ „das Sein dichtet und sagt“: In Heideggers „dichtendem Sagen“ gründet das Heideggersche „Sein“ und sonst nirgends. In Heideggers Deutsches Dichten und Sagen des Seins als „Sage“ des „verborgensten Wesens der Deutschen“ und als „Kampf“ gegen den „Ansturm des Undeutschen und Deutschlosen“ gründet Heideggers Antisemitismus. Heideggers „Seins Sage“ ist Heideggers Mythos des/der „Deutschen“.

An Heideggers Antisemitismus Anstoß nehmen, aber Heideggers „denkerisches Denken“, seine „Seyns Sage“ als den Mythos des „verborgensten Wesens der Deutschen“ unangetastet lassen, ist, gelinde gesagt, verlogen. 

Was bedeutet das Erscheinen der „Schwarzen Hefte“ für die Heidegger-Rezeption und -Forschung?

Hassan Givsan: Zuallererst ist zu sagen: Die Schwarzen Hefte enthalten, was den „philosophischen“ Gehalt angeht, nichts, was nicht schon in anderen bereits veröffentlichten Schriften Heideggers aus der Zeit, d.h. in den Vorlesungen, in den von Heidegger selber veröffentlichten Schriften und in den Texten wie Beiträge zur Philosophie mehrfach gesagt ist. Sie wiederholen das andernorts Gesagte endlos. Nachdem dies gesagt ist, ist zu vermerken: Die Bedeutung der Schwarzen Hefte für die Heidegger Rezeption liegt zum einen darin, dass Heidegger in den Schwarzen Heften, sich demaskierend, ins Wort führt: „undurchsichtig bleiben; die Maske“ (GA 94, 305), und ausdrücklich sagt: „Meine Vorlesungen [...] sind alle [...] ein Verstecken“ (GA 94, 257), und nicht ungesagt lässt: das Verschweigen ist eine „Waffe“ im „Kampf“ (GA 95, 75), und zwar im „Kampf um das verborgenste Wesen der Deutschen“ als dem Kampf gegen den „Ansturm des Undeutschen und Deutschlosen“. Und dem Grundsatz: „undurchsichtig bleiben“, „Verstecken“, „Verschweigen“ entsprechend, schreibt er über den Nationalsozialismus, den er „aus denkerischen Gründen“ bejaht (GA 95, 408), auch: „Der Nationalsozialismus ist nur dann eine echte werdende Macht, wenn sie hinter all seinem Tun und Sagen noch etwas zu verschweigen hat – und mit einer starken, in die Zukunft wirkenden Hinterhältigkeit wirkt.“ (GA 94, 114). Und damit erteilt er seinen Getreuen und Hörigen, Trawny als erstem, der dem Heideggerschen Satz: „Das Denken im anderen Anfang ist nicht für die Öffentlichkeit“ (GA 94, 429) blind folgend die Krone aufsetzt: „Den Antisemitismus zu verbergen fügt sich in ein Denken ein, das in der Öffentlichkeit nur ein perfektes Verbrechen an der Philosophie erkennen konnte“ (S. 16), eine Ohrfeige. 

Dieter Thomä: Jüngere Kollegen haben mich in letzter Zeit häufiger gefragt, ob sie es noch wagen sollten, über Heidegger zu forschen, ob sie damit also im akademischen Feld marginalisiert oder stigmatisiert werden. Dieser Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Nach Erscheinen der Schwarzen Hefte haben sich diejenigen die Hände gerieben, die von Heidegger sowieso noch nie etwas gehalten haben. Die Randstellung der sogenannten kontinentalen Philosophie, deren Selbstverständnis teilweise an Heidegger gebunden ist, könnte sich also verstärken – und umgekehrt könnte die Heidegger-Forschung tiefer in jene Nische hineinrutschen, in der sie sich sowieso schon befindet. 

Da hilft es nichts, wenn Heideggerianer jetzt beteuern, sie seien eigentlich gar keine, oder wenn sie sich zu jenem entschärfenden Identitätswechsel durchringen, der im Nachkriegsdeutschland gang und gäbe war: dass sie nämlich nicht Heideggerianer, sondern lieber Gadamerianer, also brave Philosophiehistoriker sein wollen. Man muss ganz anders ansetzen – nämlich bei der erwähnten Etikettierung der sogenannten kontinentalen Philosophie. Sie ist einfach unsinnig, sie gilt es zu bekämpfen. Daraus ergibt sich eine ebenso schmerzliche wie zwingende Konsequenz: Wenn man diese Etikettierung in Zweifel ziehen will, kann man sich auch nicht mit der Stigmatisierung Heideggers abfinden. Man muss ihn als einen ganz normalen Philosophen behandeln, der – so wie die meisten anderen – manchmal recht hat und meist unrecht. 

Helmuth Vetter: Es gibt zwei gegensätzliche Positionen. Die einen gehen wie Trawny davon aus, dass die Schwarzen Hefte die gesamte Heidegger-Interpretation beeinflussen. Im Gegensatz dazu meinen andere, die Schwarzen Hefte hätten auf unser heutiges Heidegger-Verständnis keinerlei Einfluss. Hier wie dort sind Vorurteile im Spiel; sie bewusst zu machen, wäre unumgänglich. 

Marion Heinz: Das Erscheinen dieser Hefte sollte für die Philosophie eine Provokation sein, ihre Aufgabe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Werk als Ganzem fortzusetzen, indem sie dieses Denken, das sich – wie die Schwarzen Hefte erstmals umfassend vorführen – programmatisch mit Politik und Weltanschauung amalgamiert, in Frage und zur Diskussion stellen. Dazu gehören die Instrumente der Text- und Ideologiekritik ebenso wie andere Formen der Kontextualisierung dieses Denkens, die uns über die Quellen, aus denen Heidegger schöpft, belehren. Das Wichtigste ist, sich über die von Heidegger intendierten philosophischen Revolutionen Klarheit zu verschaffen. Die Frage muss gestellt werden, ob die temporale Ontologie, auf die Sein und Zeit hinarbeitet, nicht ebenso wie die Seinsgeschichte ein Irrweg ist. In dieser philosophischen Auseinandersetzung mit Heideggers Werk stehen auch die Motive und Leitideen seines Denkens, die von seinen Bewunderern und Befürwortern weiter getragen wurden, zur Debatte: Sein Antiplatonismus und sein Antirationalismus. Neukantianisch gesprochen wird jede Möglichkeit von Geltung, sei es im Theoretischen, sei es im Praktischen, zunichte gemacht und mit ihr die Unterscheidung von begrifflich Allgemeinem und Besonderem – was im übrigen Trawny gesehen hat (Irrnisfuge 16,19): Die Zerstörung von Theorie als solcher ist das Programm dieses Denkens, das sich selbst zurecht nicht mehr Philosophie nennt, aber von einigen noch immer für deren wahre Gestalt gehalten wird. 

Wie ist Heidegger heute zu beurteilen? 

Hassan Givsan: Heidegger ist heute nicht anders zu beurteilen, als er auch schon vor dem Erscheinen der Schwarzen Hefte zu beurteilen war. „Heidegger ist ein Verhängnis“ schrieb ich 1998 als Schlusssatz. An den Schwarzen Heften hat in erster Linie die Heidegger Apologie sich die Zähne auszubeißen. Und mit den Schwarzen Hefte verliert die Sein und Zeit-Apologie, eben weil Heidegger in diesen Heften die Missdeutungen von Sein und Zeit anprangert, den Boden unter den Füßen. Auch ein Habermas wird das zur Kenntnis nehmen müssen. Und nicht zuletzt machen die Schwarzen Hefte die Frage, was denn das Heideggersche „Seyn“ sei, eine in der Heidegger Literatur nie gestellte Frage, dringend. Das Heideggersche „Seyn“ ist, das sei hier kurz gesagt, die mythische Gewalt. Und Heidegger ist nicht erledigt, weil dies hieße, das, wofür Heidegger „denkerisch“ eintrat, nämlich den Aufgang des Geschichtswillens des/der „Deutschen“ mit über 50 Millionen Toten, aus der Geschichte zu streichen, und weil es hieße, für alle Zukunft die Wiederkehr des/der „Deutschen“ auszuschließen. 

Helmuth Vetter: Heidegger hat der Philosophie Einsichten gebracht, auf die nicht verzichtet werden kann. Dem dürften auch jene zustimmen, die genaue Sachkenntnis mit mehr oder weniger scharfer Kritik verbinden. Die Schwarzen Hefte haben eine heftige Debatte in Gang gebracht, sie sollte zu einer neuen Auseinandersetzung mit Heidegger führen: jenseits rabiater Kritik und vorbehaltloser Zustimmung. 

Marion Heinz: Die Spätphilosophie ist m. E. nicht zu retten, und sofern Sein und Zeit die Vorbereitung dazu ist, wie Heidegger selbst sagt, wird auch dieses Werk fraglich. Darüber ist indessen nicht mit einem Federstrich zu entscheiden. Die Analysen von Sein und Zeit unter Berücksichtigung der neuen Texte und der darauf basierten Forschung müssen fortgesetzt werden. 

Dieter Thomä: Heidegger hat sein Denken als einen großen Gegenentwurf zu Verfallen, Versäumnis, Vergessenheit und Verhängnis angelegt. Doch dieses Denken ist selbst das Verhängnis, für dessen Deutung sie sich hält. Die Verstrickung Heideggers lässt allerdings nicht den Schluss zu, dass diejenigen, die heute philosophieren (und Heidegger kritisieren), der Verstrickung in ihre Zeit enthoben wären. Hegels Satz, dass Philosophie „ihre Zeit in Gedanken erfasst“ sei, ist nur die halbe Wahrheit. Philosophie ist auch immer in ihre Zeit verstrickt – jedenfalls dann, wenn sie sich nicht damit begnügt, a=a und a≠b zu sagen. So gesehen sind die Voraussetzungen für das Philosophieren immer dann günstig, wenn die Zeitläufte selbst ein Bild der Verwirrung bieten, wenn sie also nicht mit einer geschlossenen, klaren Ansage und Botschaft die Menschen dominieren. Dann fällt es auch den Philosophen leichter, Hölderlins Einladung zu folgen: „Komm ins Offene, Freund“. Bezogen auf Heidegger heißt dies, dass diejenigen seiner Texte am ehesten zu schätzen sind, die aus einer Zeit stammen, welche selbst ein besonders verwirrendes Bild bot: also die Texte aus den Jahren um 1920. dominieren. Dann fällt es auch den Philosophen leichter, Hölderlins Einladung zu folgen: „Komm ins Offene, Freund“. Bezogen auf Heidegger heißt dies, dass diejenigen seiner Texte am ehesten zu schätzen sind, die aus einer Zeit stammen, welche selbst ein besonders verwirrendes Bild bot: also die Texte aus den Jahren um 1920. 

UNSERE AUTOR(INN)EN:

Hassan Givsan ist pensionierter Professor für Philosophie an der TU Darmstadt, Marion Heinz ist Professorin für Philosophie an der Universität Siegen, Dieter Thomae ist Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen,und Helmuth Vetter ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Wien und Präsident der Martin Heidegger-Gesellschaft. 

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