PhilosophiePhilosophie

PORTRÄTS

Bauer, Bruno

Von der extremen Linken

zur extremen Rechten

Hermann-Peter Eberleins Biographie Bruno Bauer: Vom Marx-Freund zum Antisemiten (255 S., kt., € 16.80, 2009, Dietz, Berlin)

Am 6. September 1809 kommt Bruno Bauer als Sohn eines Porzellanmalers in Eisenberg, dem Hauptort der Porzellanherstellung in Thüringen, zur Welt. Bruno ist noch keine sechs Jahre alt, da wird sein Vater als Obermaler an die Königliche Sanitätsgeschirrfabrik zu Charlottenburg bei Hannover berufen. Berlin wird – von kurzen Zeiten abgesehen – Bauers Lebensmittelpunkt bleiben. An der Berliner Humboldt-Universität beginnt Bauer auch sein Studium der Theologie. Zierde der theologischen Fakultät ist zu dieser Zeit Friedrich Schleiermacher. Bauers Lehrer wird ein anderer, nämlich Schleiermachers Rivale Konrad Philipp Marheineke. Dessen Ziel ist es, die Objektivität der christlichen Wahrheit, ihre Wirklichkeit und absolute Geltung herauszuarbeiten. Das meinte er aber nur erreichen zu können, indem er der Selbstdarbietung dieser Wahrheit in ihrer geschichtlichen Fülle als Offenbarung Gottes zu folgen sucht – mit Hilfe von Hegels dialektischem Denkmodell. Dabei spielt die Geschichte als das Material, an dem sich das spekulative Denken bewährt, die entscheidende Rolle.

 Der Theologe Bauer wird nie in den Kirchendienst eintreten. Er ist der reine Intellektuelle, und bei dieser Veranlagung ist seine Hinwendung zur spekulativen Theologie Marheinekes kein Wunder. Und der wahrheitssuchende Studiosus bleibt nicht beim Schüler – bei Marheine – stehen, sondern greift ins Zentrum, zu Hegel, der während seiner ersten beiden Studienjahre im selben Haus lehrt.Bauer geht es darum, die theoretischen Grundlagen der Kirche zu verstehen. Das kann nicht auf dem schwankenden Grund subjektiver Gefühle erfolgen, dazu braucht es die gedankliche Vermittlung von individuellem Subjekt und objektiver Gegebenheit. Dieses dialektische Modell prägt Bauer für sein Leben. Hegels Religionsphilosophie trifft genau das Interesse Bauers, das Bestehende nicht nur zu erklären, sondern auch zu begründen.   1829 stellt Hegel für die Philosophische Fakultät eine Preisaufgabe über die Ästhetik Kants. Bauer, der gerade einmal ein Studienjahr absolviert hat, nimmt an dem Wettbewerb teil – und gewinnt. In diesem Beitrag erkennt Bauer an, dass Kants Kritik den Weg zu einer Orientierung in der Welt als einer einheitlichen ebnen möchte. Allerdings könne ihm das nicht gelingen, weil er über die Antinomie von subjektiver Erkenntnis und letztlich unerkennbarem „Ding an sich“ nicht hinauskomme. Hegels dialektischer Idealismus hingegen schließe diese Kluft, indem er der Erkenntnis einen objektiven Grund und der Objektivität Raum in der Bewegung des Erkennens verschaffe. Und es sei schließlich die Kunst, in der sich die unmittelbare Einheit von Denken und Materialität materialisiere und die so der unerschöpflichen Fruchtbarkeit der Idee Ausdruck gebe. Am 15. März 1834 wird der vierundzwanzigjährige Bauer zum Lizentiaten promoviert und gleichzeitig zur Habilitation als Privatdozent zugelassen. Seine Fächer sind Religionsphilosophie und Altes Testament.

Bauer macht sich mit Feuereifer an die Arbeit als Privatdozent. Vom Wintersemester 1834/34 bis zum Sommersemester 1839 kündigt er nicht weniger als neunundzwanzig Vorlesungen an, nicht nur aus den genannten Fächern, sondern auch über neutestamentliche und kirchenhistorische Themen. Allerdings hat er nur wenige Hörer, was auf „das Vorherrschen einer dürren Abstraktion“ zurückgeführt wird. Dennoch: 1839 sitzt der zwanzigjährige Karl Marx als Hörer der Jesaja-Vorlesungen zu seinen Füßen. Auch literarisch ist Bauer während dieser Zeit außerordentlich produktiv. Dreiundvierzig teils sehr umfangreiche Rezensionen und Aufsätze sind aus diesen Jahren bekannt – der junge Autor liefert die ersten Beweise der quantitativen Potenz seiner Feder.  Allerdings sind es gerade diese Erzeugnisse, die Bauers Sonderstellung innerhalb der Hegelschen Schule (der Meister ist 1831 an der Cholera gestorben) begründen. Und es ist diese Sonderstellung, die langfristig den Ruin seiner akademischen Karriere bewirkt.

Für Marheineke gibt Bauer 1836 und 1838 die „Zeitschrift für spekulative Theologie“ heraus, das Organ der orthoxoden, konservativen Hegelianer. In seinen Beiträgen zu dieser Zeitschrift sucht er nach einer eigenen Methode der Bibelauslegung, die auch jene Reste rational-kritischen Denkens zu überwinden bestrebt ist, die bei Marheineke selbst noch durchscheinen. An die Stelle der historisch-kritischen Methode, die der Subjekt-Objekt-Spaltung verhaftet bleibt, setzt er eine „spekulativ-kritische“ Methode, in der diese Spaltung überwunden ist und die darum allein zu wahrer Erkenntnis geschichtlicher Prozesse führen kann. In der konkreten Durchführung ändert Bauer freilich die religionsphilosophischen Deduktionen seines Meisters ab: Die Einheit der Geschichte Gottes mit den Menschen in ihrem geschichtlichen Gang muss sich in der Geschichte des Gottesbewusstseins im endlich Ich erweisen. Damit schwenkt Bauer wieder – ohne es zu bemerken – auf die Bahnen des subjektivistischen Denkens der Moderne ein – mit Konsequenzen, die aus ihm später den vielleicht radikalsten Theologen der Moderne machen werden.

Wie Bauer seine Methode handhabt, lässt sich an seinem ersten großen Werk ablesen, das er  1838 vorlegt: seiner zweibändigen „Religion des Alten Testaments in der geschichtlichen Entwicklung ihrer Principien“. Eine „Kritik der Geschichte der Offenbarung“, wie Bauer sie sich vornimmt, meint ein immanentes Aufspüren der inneren Dialektik der Geschichte des Gottesbewusstseins, seiner religiösen Vorstellungen und Anschauungen, wie es „im Volksbewusstsein der Hebräer…..“ erschienen ist.  Auf Grund des Mangels an historischer Kritik war das Werk ausgesprochen konservativ. So kam das Missverständnis auf, man habe es bei dem Verfasser mit einem orthodoxen Biblizisten wie Ernst Wilhelm Hengstenberg, dem mächtigen preußischen Kirchenfürsten und einflussreichen Theologen, zu tun. Bauer holt nun zu einem vernichtenden Angriff auf Hengstenberg aus: dieser verfüge mitnichten über eine wissenschaftlich haltbare Methode. Damit sind Bauers Chancen auf ein weiteres Fortkommen in Berlin gleich Null.

Wird es in der Theologischen Fakultät um Bauer immer einsamer, so lebt er umso mehr  in einem lockeren Kreis Gleichgesinnter auf, die sich etwa seit 1836 in einem Wirtsgarten zu Stralau bei Berlin treffen. Es sind junge Männer der Hegelschen „Linken“, die hier essen, reichlich trinken und dabei hitzig diskutieren. Da die meisten ihr Studium gerade beendet haben, firmiert die Gruppe unter dem Namen „Doktorklub“. Zwar wird keiner akademische Karriere machen, aber es ist diese Linke, die das geistige Leben Deutschlands für zwei Jahrzehnte in Atem halten und über den Marxismus die Welt für mindestens zwei Jahrhunderte gestalten wird. Dazu gehören etwa neben Bruno Bauer sein Bruder Edgar oder Johann Caspar Schmidt, den man wegen seiner hohen Stirn Max Stirner nennen wird und nicht zu vergessen, zwar noch keine zwanzig, aber voller literarischer        Ideen: Karl Marx.

Meinheke empfiehlt seinem Schüler Bauer angesichts dessen Reputationsverlustes an der Berliner Universität, sich nach Bonn umhabilitieren zu lassen. Allerdings kommt Bauer in Bonn nicht gut an. Dabei ist es weniger seine spekulative Theologie – die in Bonn durchaus als Ergänzung zum theologischen Lehrbetrieb gesehen wird – als Bauers „hochfahrender“ Charakter, sein immenses

 

 aus: Heft 5/2010

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Bruno Bauer

 

Selbstbewusstsein und seine Vermessenheit, die auf Ablehnung stoßen. Bauer bezeichnet es als bisheriges Ergebnis seiner theologischen Arbeit, den „vollen Glauben an die Offenbarung des Alten Testaments“ mit „dem Systeme seiner Philosophie in Übereinstimmung“ gesetzt zu haben.

 

In Bonn vollzieht sich ein Bruch in Bauers Verständnis von Kritik und damit im Ergebnis ein Bruch mit seinen bisherigen Anschauungen vom Christentum. Damit gibt er auch den Plan auf, die gesamte Geschichte der göttlichen Offenbarung spekulativ-kritisch, also in ihrer dialektischen Entfaltung vom Alten Testament über die jüdische Gedankenwelt der späteren Zeit bis zur frühchristlichen Theologie der neutestamentlichen Schriften nacheinander darzustellen. Unter dem Titel „Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes“ erscheint das nächste Buch, in dem Bauer ausführt, in diesem ersten Evangelium bestehe nunmehr die einzige Möglichkeit, der historischen Gestalt Jesu nahezukommen. Die Widersprüche zwischen den Evangelien erklärt er sich damit, sie seien Ausflüsse verschiedener mündlicher Überlieferungen  und es gelte, aus dem ihnen Gemeinsamen einem mehr oder weniger großen historischen Grundbestand herauszuschälen. Da aber die Evangelien durchwegs einen schriftstellerischen Ursprung haben, ist es nicht möglich, das „rein Gegebene und nackt Reale“ unmittelbar vorzufinden. Der Messias der Christenheit wird zu einer literarischen Figur.  Damit ist das historische Fundament des Christentums vernichtet.

 

Bauers Aussichten auf ein Extraordinariat in Bonn schwinden. Seine wirtschaftliche Lage wird immer schwieriger. Er muss seine Bücher verkaufen, um sein Leben bestreiten zu können. Als einziger der Hegel-Herausgeber kann er nicht auf sein Honorar zu Gunsten der Witwe Hegel verzichten, was ihn deprimiert. Bauer beschließt, freier Schriftsteller zu werden und publiziert nun eine Schrift nach der anderen.

 

Im Oktober 1841 erscheint bei Wigand in Leipzig ein anonymes Buch mit dem Titel Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel, den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum“. Bereits im Dezember lässt die Zensur den ersten Teil der Veröffentlichung beschlagnahmen. Doch Bauer bringt bereits im Juni des nächsten Jahres eine Fortsetzung auf den Mark: Hegels Lehre von der Religion und der Kunst. Von dem Standpunkt des Glaubens aus beurteilt – eine Auseinandersetzung mit Hegel und eine Abrechnung mit Fichte, Schleiermacher und anderen. Das Buch redet nur vordergründig aus der Posi­tion des beleidigten Christentums heraus, es will vielmehr aufklären: über einen Widerspruch, denn der Meister selbst und seine konservativen Getreuen nicht sehen können oder nicht sehen wollen: dem Widerspruch zwischen dem biblischen Christentum und Hegels Philosophie. Gott als objektive Größe hat in Hegels Denken keinen Platz. In seinem Glauben, in seinem Denken, auch im Gebet kreist der religiöse Mensch allein um sich selbst; was er Gott nennt, ist nichts als eine Projektion seines Selbstbewusstseins; „Das ist der entsetzliche, schaudererregende, alle Frömmigkeit und Religiosität ertötende Kern

 

des Systems“. In dreizehn Kapiteln zeigt Hegel, dass eine aus dem menschlichen Selbstbewusstsein abgeleitete und darauf reduzierte Religion auf die Auflösung des Christentums hinausläuft.

 

Daneben veröffentlicht Bauer unter eigenem Namen den ersten Band der Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker und überbringt dieses dem zuständigen Minister Eichhorn. Dieser richtet darauf ein Schreiben an alle Evangelisch-theologischen Fakultäten und bittet um ein Gutachten, da der Autor „mit Ansichten hervorgetreten, welche das Wesentliche und den eigentlichen Bestand der christlichen Wahrheit in ihrem innersten angreifen“.  Die Gutachten bieten, wie kaum anders zu erwarten, zwar ein uneinheitliches Bild, aber doch negatives Bild. In der Folge wird ihm die verliehene „licentia docendi“ der Fakultät zurückgenommen – Bauer ist entlassen.

 

Sein nächstes Buch, Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit erscheint 1842 nun an einem neutralen Ort, im Verlag des literarischen Comptoirs in Zürich und Winterthur. Bauer richtet hier Anfragen an die Theologie, die in ihrer Radikalität kaum zu überbieten sind. Der Band, so Eberlein, „ist eines der schärfsten, der intelligentesten, der maßlosesten theologie- und reli­gionskritischen Bücher aller Zeiten“. Bauer definiert darin die Religion als „Bedürfnis der Schwäche, als Strafe der Unbestimmtheit, als Folge der Mutlosigkeit“. Aufgabe der Kritik ist es nun, dieses Gefängnis aufzubrechen, und den Menschen zur Selbsterkenntnis zu führen“. Und die Theologie? Sie ist „die Beschränkung der Wissenschaft“. Der eigentliche Feind ist aber nicht die Kirche, auch nicht die Theologie, es ist der christliche Staat: „Der christliche Staat ist der Staat der Unfreiheit und Bevormundung, der Staat, der noch nicht den Mut gefasst hat, wirklich Staat zu sein.“

 

Bauer kehrt nun Mitte 1842 nach Berlin zurück, wo er für den Rest seines Lebens bleibt. Allabendlich trifft er sich mit Gleichgesinnten in der Hippel’schen Weinstube in der nördlichen Friedrichstraße, eine zwanglose Gesellschaft von Intellektuellen, die mit den herrschenden Zuständen unzufrieden sind. Es ist dies eine Fortsetzung des früheren „Doktorklubs“, und Bruno Bauer ist das von allen akzeptierte Haupt dieser „Freien“. Der Dichter Herwegh äußerte sich bei Marx negativ über das Treiben dieser Leute: „Wenn ich die Gesellschaft der Freien, die einzeln meist treffliche Leute sind, nicht besucht habe, so geschah es … weil ich diese Frivolität, diese Berlinerei in der Art ihres Auftretens, weil ich diese platte Nachäfferei der französischen Clubs … hasse und lächerlich finde.“

 

Bauer schreibt nun, um seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen, für verschiedene Zeitungen, so für die in Köln erscheinende und von Karl Marx redigierte Rheinische Zeitung. Er schreibt über die Parteien in Frankreich, über die Rheingrenze, über den französischen Bürgerkönig, über die „deutschen Nationalen“ und über geschichtliche Ereignisse. Doch Bauer überwirft sich mit Marx und verliert diese Publikationsmöglichkeit.

 

In seiner Bildungswelt, unter den Theologen und den Berliner „Freien“, hat Bruno kaum Kontakt mit Juden, und deshalb überrascht es, dass er sich Anfang der 40er Jahre literarisch mit der Judenfrage auseinanderzusetzen beginnt. Bauer betrachtet diese aus der Warte desjenigen, dem die Hegelsche Geschichtsphilosophie den Schlüssel in die Hand gelegt hat, um das unvermeidliche Ende aller Religion zu deduzieren. Seine Judenfrage ist zwar eine Schrift gegen jede Religion, aber es ist zugleich eine Schrift mit gefährlich antisemitischen Zügen. Für Bauer ist das wahre Wesen des Menschen die Freiheit, ist die alle Grenzen überschreitende Humanität, ihr Schöpfer ist das freie und unendliche Selbstbewusstsein. Die geschichtliche Bewegung wird deshalb der Menschheit den Sieg über die Religion sichern. Der Christ hat dabei nur eine Stufe, nämlich das Christentum zu überwinden. Der Jude, da er Bauer zufolge nichts zur Aufklärung beigetragen hat, vielmehr die Aufklärung „ihren wahren Sitz im Christentum hat“, hat es schwerer. Damit, so Eberlein, postuliert Bauer eine Überlegenheit des Christentums über das Judentum. Er bewegt sich damit paradoxerweise in den Bahnen der klassischen antijüdischen Stereotype und behauptet ganz naiv, die Geschichte von ihrem Endziel her zu beurteilen. Bei Bauer sind „der Jude“, „das Judentum“ nach dem Schema Hegelscher Dialektik konstruierte Stereotypen, die von ihrem letzten Ziel her scharfrichterlich beurteilt werden. Für Eberlein ist es dieses Schablonenhafte zusammen mit dem Anspruch von Überlegenheit, was den Text als antisemitisch ausweist.

 

Seltsamerweise traf nicht nur Bauers Vorahnung, „ob es meiner Arbeit möglich sein wird, unter den jetzigen Umständen, die ihre Abschließung in diesem Augenblick bestimmt haben, ans Licht zu treten, weiß ich nicht“ für sein nächstes Buch, Das entdeckte Christentum, zu, sondern auch seine Behauptung: „ein Blatt wird immer noch übrig bleiben“. Allerdings blieb nicht ein Blatt, sondern ein Exemplar übrig, und es hat beinahe ein Jahrhundert gedauert, bis der Text wieder verbreitet werden konnte. Die Absicht des Buches ist eminent politisch: die christliche Restauration mit den vereinten Waffen der französischen Aufklärung und der hegelschen Kritik zu vernichten. Dass ein solches Werk in Deutschland nicht gedruckt werden kann, ist Bauer klar. Darum beschwört er Fröbel, seinen Verleger in der Schweiz: „ich beweise, dass die Religion die Hölle der Menschenfeindlichkeit, Gott der Profoß dieser Hölle ist“.  Mitte Juli 1843, die Auflage ist gedruckt, wird die gesamte Auflage von Bauers Werk in Fröbels Lager konfisziert. Verantwortlich dafür ist der Rechtshistoriker Johann Caspar Bluntschli, der eine persönliche Fehde mit Fröbel austrägt.

 

Merkwürdigerweise erschien 1843 in Bern eine Schrift des atheistischen Junghegelianers Wilhelm Marr, die auf einer genauen Kenntnis des Bauerschen Buches basiert. Auf unbekannten Wegen war ein Exemplar zu einem Aristokraten in die Romandie gelangt, und dieser hatte es Marr ausgeliehen. Im Jahr 1909 befand sich das Exemplar im Besitz von Rudolf Steck, und über diesen kam es ins Amsterdamer „Internationale Institut für Sozialgeschichte“.

 

Daneben existiert noch eine 300 starke Abschrift wohl nicht des Druck-, sondern des Handschriftenexemplars, die Ernst Barrikol 1914 in der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek entdeckte. Barrikol hat  1927 eine erste Neuauflage des Entdeckten Christentums herausgebracht. Das Fazit des Buches: Die Religion ist nichts weiter als   eine zu überwindende Stufe auf dem Weg zum richtigen Selbstbewusstsein. „Um wahrhafter Mensch zu werden, musste er erst den Unmenschen überwinden, also erst kennenlernen: in der Religion ist er selber der Unmensch geworden und hat er die Unmenschlichkeit als sein Wesen verehrt.“

 

1847 erscheint eine dreibändige Vollständige Geschichte der Partheikämpfe in Deutschland, die im wesentlichen nichts anderes beinhaltet als eine gigantische Zeitschriftenschau (und entsprechend eine Fundgrube für Publizistik-Historiker ist). Bauer, so Eberlein, muss eine geradezu manische Zeitungslektüre betrieben haben, um diesen Stoff zusammenzutragen. Bauer beschreibt die neuen reaktionären religiös-kirchlichen Bewegungen und sieht darin eine gerechte Antwort auf die Unentschlossenheit und Mutlosigkeit der Matadoren der junghegelianischen Partei des Jahres 1842: „Kurz, die Reaktion ist die richtige Folge der Bewegung des Jahres 1842 und die religiöse Restauration das gerechte Schicksal, welche sie selbst auf sich herabbeschworen hat.“ Dieser Satz markiert in der Theorie, was Bauer praktisch erst später vollziehen wird: den Schwenk von der revolutionären Linken zur politischen Reaktion. Eberlein sieht den Grund dafür in der Hegelschen Identifizierung des Vernünftigen mit dem Faktischen bzw. in der Unfähigkeit des Intellektuellen, das nicht ins Denken Passende als solches zu akzeptieren: Die Reaktion ist erfolgt, also muss sie sich in irgendeiner Weise ins Systems integrieren lassen. Ist sie aber integriert, also verstanden, also notwendig – ist sie im Recht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bruno Bauer-Grabstein

 

Bauer bewirbt sich um einen Sitz in der zweiten preußischen Kammer. Viermal wird

er abgelehnt. Es ist dies das Ende einer politischen Karriere, bevor sie begonnen hat. Erhalten sind seine Wahlreden. Zum einen fordert er staatlichen Protektionismus, zum anderen die Anerkennung proletarischer Selbst­organisation. In seinen nächsten Arbeiten  analysiert Bauer die gescheiterte Revolution und mutiert dabei immer mehr zum Konservativen. Das Bürgertum verkörpert für ihn nun alles, was den geschichtlichen Prozess lähmt. Das hängt mit der angeborenen politischen Unselbständigkeit des Bürgertums zusammen, seiner Unfähigkeit zur Entscheidung und seiner Angst vor wirklicher Entscheidung. Bauer sieht hier einen historischen Auftrag des deutschen Volkes: die Kolonialisierung der Slawen und Ungarn. Die Einbeziehung des Vielvölkerstaates Österreich hierbei, so Bauers Vorwurf,  hat das Parlament verpasst. Aus dem Hegelschen Staatsdenken heraus entwickelt sich bei Bauer ein national-visionäres, wenn nicht gar nationalistisches oder rassistisches Denken, das immer weniger mit einer Analyse der konkreten historischen Situation zu tun hat. Bruno Bauer ist ein Exempel für den Umschlag von der extremen Linken in die extreme Rechte, vom abstrakten Idealismus in einen inhumanen Zynismus.

 

Im Berliner Stadtteil Neukölln gibt es eine Bruno-Bauer-Straße. Wohl niemand in diesem Problembezirk mit vielen Immigranten wird etwas mit dem Namen Bruno Bauer anfangen können. Bruno Bauer lebte hier seit 1844. Sein Bruder Egbert ist gestorben und hat eine große Familie hinterlassen, die nun vor dem Nichts steht. Ihretwegen bricht Bauer mit seinen Lebensgewohnheiten und lebt nun als Ackerbauer in Neukölln auf des Bruders Anwesen. Im ehemaligen Stall hat er sich ein Arbeitszimmer mit Bibliothek eingerichtet, und den durchdringenden Geruch nach Dung und Jauche versucht er mit dem Tabaksqualm seiner Pfeife zu überdecken. Hier entsteht nicht nur sein Hauptwerk Christus und die Cäsaren,sondern auch viele zeithistorische Werke und Artikel  über die politischen Verhältnisse auf dem Balkan für Zeitungen. Jede Woche lässt er sich einmal auf dem Bretterwagen in die Stadt mitnehmen. Bei einem Konditor tauscht er die Zeitungen der abgelaufenen Woche gegen Naturalien und besucht anschließend Freunde. In das Bewusstsein der örtlichen Bevölkerung geht er als „Einsiedler von Rixtorf“ ein – ein Intellektueller von einer kaum zu unterbietenden Bescheidenheit, ein Mensch, reduziert auf seinen ohne Unterlass arbeitenden Kopf. Und dabei ist er das, was er immer sein wollte: frei.

 

Nach den Bewertungsmaßstäben des 20. Jahrhundert ist Bauer kein Rassist. Denn er sieht eine möglichst vielfältige Vermischung der Rassen als Bedingung für den historischen Erfolg eines Volkes. In den europäischen Ländern diagnostiziert er einen Auflösungsprozess. Ursache hierfür ist die Auflösung aller hergebrachten kollektiven Strukturen durch einen enthemmenden Individualismus. Den größten Teil seiner intellektuellen Arbeit verwendet Bauer nun darauf, diesem Auflösungsprozess des Westens nach zugehen. Die Chance für Deutschland sieht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

an der Seite Russlands. Mit dessen völliger Unterordnung des Einzelnen unter den Staat  kommt es zu einer coincidentia oppositorum, einer Einheit auf höherer Ebene. Bauer, der nonkonformistische Denker, den eine Staatsmacht um sein Lehramt gebracht hat, jubelt nun dem omnipotenten Staat des russischen Zaren zu, vor dem es nur Konformität gibt.

 

Zwischen 1859 und 1868 erscheint unter Bauers Redaktion ein Staats- und Gesellschaftslexikon in 23 Bänden. Viele der Artikel stammen von Bauer selbst, und sie haben es in sich. In ihnen erweist sich Bauer als geistiger Urheber jenes antisemitischen Na­tionalismus auf antichristlicher Grundlage, der den geistigen Boden und die unmittelbare Vorstufe zum Nationalsozialismus bildet. Und damit hat Bauer in der Intellektualgeschichte des 19. Jahrhunderts neben dem antichristlichen Exegeten und dem Vorläufer des Marxismus noch einen dritten Platz. Neben Wagner war es vor allem ihm zu verdanken, wenn in den Konservatismus antisemitische Gedanken einflossen. Er ist davon überzeugt, dass die Juden danach streben, sich die Welt zu unterjochen und eine jüdische Weltherrschaft aufzurichten. Auch sieht er sie als Schmarotzer, die das gutgläubige Gastvolk ausnutzen und aussaugen. 1877 erschien Bauers Hauptwerk, Christus und die Cäsaren, indem Bauer in Philos von Alexandria einen der Gründer des Christentums sieht. Dieser hat die griechische Philosophie so bearbeitet, dass sie als eine Vorstufe zum Christentum gesehen werden konnte. Als   eigentlichen Schöpfer des Messiasbildes sieht er dagegen Seneca. Um dies zeigen zu können, hebt Bauer die bisherige Trennung ín Profan- und Kirchengeschichte auf und betrachtet politisches wie religiöses Geschehen als zwei Seiten einer gemeinsamen Tendenz. So überholt dies heute auch erscheinen mag, so hat Bauer nach Eberlein die historische Frage in der Theologie offengelassen.

 

Am 13. April 1882 stirbt Bauer unterwartet. Den Grabstein gibt es noch – aber nicht am ursprünglichen Platz. Nach der Eröffnung des Neuen St. Jakob-Friedhofs an der Hermannstraße wurde er dorthin umgebettet.

 

„Seine Bedeutung steht fest, mein Geschmack war er aber nicht“, urteilt der alternde Fontane über Bauer. „Seine kleinen dunklen Augen, klug, aber unfreundlich, bohrten alles an, was ihnen in den Weg kam“.