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BERICHT

Lambert Wiesing:
Was ist Medienphilosophie?

aus: Heft 3/2008, S. 30-39

 

Von Medienphilosophie ist seit ungefähr zehn Jahren die Rede – und dies keineswegs immer nur positiv. Die Vermutung, es handle sich um ein Trendthema, ist nicht ganz unbegründet, denn es werden derzeit viele neue Medienwissenschaften ausgerufen: Mediensoziologie, Medienpädagogik, Medienpsychologie und so weiter. Die Hinwendung zur Medienphilosophie ist ein Teil dieser noch nicht abgeschlossenen Entwicklung. Und obwohl das Thema noch jung ist, existiert bereits eine schwer zu überschauende Diskussion. Derzeit lassen sich mindestens sechs prinzipielle Antworten auf die Frage „Was ist Medienphilosophie?“ unterscheiden.

1. Medienphilosophie als Reflexion begrifflicher Probleme infolge neuer Medien

Die erste Antwort auf die Frage nach der Medienphilosophie lautet: Medienphilosophie behandelt die begrifflichen Probleme angesichts der modernen Medienwelt. Besonders deutlich vertritt diese Ansicht Stefan Münker. Münker, Kulturredakteur beim Fernsehen und Dozent am Institut für Medienwissenschaften der Universität Basel, versteht Medienphilosophie als Reaktion auf die jüngeren Veränderungen innerhalb der Mediengesellschaft; in seinem Aufsatz After The Medial Turn. Sieben Thesen zur Medienphilosophie von 2003 heißt es: „Erst in dem Moment, wo unsere Lebenswelt im Ganzen vom Umgang mit den so genannten Neuen: elektronischen und digitalen Medien geprägt ist, wird eine Disziplin wie die Medienphilosophie sinnvoll und notwendig zugleich“ (S. 18). Nun könnte man sagen, dass diese Beschreibung für alle Medienwissenschaften gilt, und genau deshalb nimmt Münker noch eine thematische Spezifizierung vor, um auch das hinreichende Kriterium zu nennen: „Die Sache der Medienphilosophie ist die Reflexion begrifflicher Probleme, die sich als Folge von Verarbeitung und Verwendung elektronischer und digitaler Medien einstellen“ (S. 20). Damit ist der entscheidende Punkt dieses Verständnisses genannt; es ist ein aus anderen Kontexten bekannter Gedanke: So wie es philosophische Erörterungen über Transplantationen oder Gentechnik erst gibt, seitdem es diese Techniken gibt, kann es für Münker auch eine Medienphilosophie erst geben, seitdem es die neuen Medien gibt. Die Medienphilosophie ist somit dezidiert als eine Reaktion auf lebensweltliche Veränderungen konzipiert – und dass sie dies ist, wird positiv bewertet: „Sie erhielte zugleich einen spezifischen Gegenwartsbezug“ (S. 24).

2. Medienphilosophie als Arbeit am Medienbegriff

Dies sieht die zweite Position ganz anders – sie vertritt die Meinung: Medienphilosophie ist die Arbeit am Medienbegriff. Man findet diese Ansicht in den zahlreichen Arbeiten von Alexander Roesler, Wissenschaftslektor beim Fischerverlag: Seine Konzeption der Medienphilosophie baut auf einem gleichermaßen einfachen wie überzeugenden Gedanken auf: Philosophie ist traditionellerweise die Arbeit am Begriff, folglich ist Medienphilosophie die Arbeit am Medienbegriff. So schreibt er in seinem eigenen Beitrag in dem von ihm, zusammen mit Stefan Münker und Mike Sandbothe herausgegebenen Band Medienphilosophie von 2003, dass Medienphilosophie „ein Nachdenken über Medien im Hinblick auf den Begriff ‚Medium‘ ist, über ein Verständnis dessen, was dieser Begriff bedeuten soll und was mit ihm zusammenhängt, über die theoretischen Auswirkungen dieses Begriffs auf andere Begriffe, über den Status von Theorien, die um diesen Begriff herumgebaut sind“ (S. 35). Der Unterschied dieser Position zur ersten liegt auf der Hand: Die Entwicklung der neuen Medien ist für die Medienphilosophie unerheblich, denn es geht in erster Linie um den Medienbegriff – was ein mehr oder minder zeitloses Problem ist; Medienphilosophie wurde demnach eigentlich schon immer in der Philosophie praktiziert, nämlich immer dann, wenn auf den Begriff des Mediums reflektiert wurde – was bekanntlich bereits bei Aristoteles der Fall ist.


3. Medienphilosophie als Erweiterung zum medial turn

Ganz ähnlich ist die Situation auch beim dritten Ansatz. Dieser verteidigt ebenfalls die Meinung, dass eine bereits lange in der Philosophie bekannte Sache nun als Medienphilosophie bezeichnet wird. Er tritt für die These ein: Medienphilosophie ist die Erweiterung des linguistic turn zum medial turn. In diesem Konzept übernehmen die Medien die Funktion, welche die Sprache in der sprachanalytischen Philosophie innehat. Besonders repräsentativ für diesen Ansatz ist die beeindruckende Monographie Medien der Vernunft von Matthias Vogel aus dem Jahr 2001 – aber auch sein Aufsatz Medien als Voraussetzungen für Gedanken von 2003. In diesen Texten entwirft und verteidigt Vogel (er vertritt gegenwärtig eine Professur für Philosophie an der Universität Marburg) das Medienphilosophieverständnis, demnach sich dieser die Aufgabe stellt, „ein Bild zu entwickeln, das von einem allgemeinen Medienbegriff ausgeht und erlaubt, die Sprache als ein spezifisches und prominentes Medium unter anderen zu verstehen“ (S. 117). Man hat es mit einem derzeit ausgesprochen verbreiteten Grundgedanken zu tun, welchen Sybille Krämer, Philosophie-Professorin an der Freien Universität Berlin, in ihrem Aufsatz Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? von 2003 so zusammenfasst: „Alles, was Menschen beim Wahrnehmen, Kommunizieren und Erkennen ‚gegeben ist‘, ist in Medien gegeben“ (S. 83). Ob man sich an Vogel oder Krämer hält, die Medien werden als die unsichtbaren Bedingungen der Möglichkeit des Gegebenseins verstanden, welche in einer Medienphilosophie erforscht werden sollen. In der Medienphilosophie geht es, so Krämer, immer um „die Frage nach medialen Konstitutionsleistungen“ (S. 89). Damit ist deutlich: Medienphilosophie wird in diesem Ansatz nicht als eine philosophische Teildisziplin verstanden, sondern als eine Weise, wie überhaupt Philosophie betrieben werden sollte. Martin Seel, Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt, bringt diese Konsequenz in seinem Beitrag zu dem schon erwähnten Sammelband Medienphilosophie mit dem viel sagenden Titel Eine vorübergehende Sache auf den Punkt: „Wäre Medienphilosophie erfolgreich, würde sie weniger den Kranz der philosophischen Disziplinen als vielmehr die Art des Philosophierens selbst bereichern“ (S. 15).

Die genannten drei Positionen haben gemeinsam, dass sie – zwar nicht in gleicher Weise, aber doch gleichermaßen – in der Medienphilosophie ein Projekt für die akademische Philosophie sehen: Sie verstehen Medienphilosophie als eine Herausforderung, der man sich in einem Institut für Philosophie stellen sollte. Genau diese grundsätzliche Ausrichtung ist bei den folgenden drei Ansätzen innerhalb der Diskussion nicht gegeben. Für sie ist Medienphilosophie etwas, was nicht oder nur bedingt in der universitären Philosophie betrieben wird.

4. Medienphilosophie als Grundlagendiskurs der Kultur- und Medienwissenschaften

Die vierte Position sieht die Medienphilosophie als eine Art Grundlagendiskurs für die empirischen Medienwissenschaften und Medienpraxis. Man findet diese Ansicht in Reinhard Margreiters Buch Medienphilosophien von 2007, aber auch schon in seinem Aufsatz Medien/Philosophie: Ein Kippbild von 2003; Margreiter, Privatdozent für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, bringt in diesem Aufsatz das Medienphilosophieverständnis folgendermaßen auf den Punkt: „Medienphilosophie kann als eine Art kultureller Grundlagendiskurs betrachtet werden“ (S. 151). Man könnte auch sagen: Medienphilosophie ist demnach die Wissenschaftstheorie der Medienwissenschaften. Hierzu passt der Gedanke, den der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber in Under Construction. Plädoyer für ein empirisches Verständnis von Medienepistemologie von 2003 verteidigt: „Medienphilosophie in diesem Sinne meint somit die Beschäftigung mit den philosophischen Grundlagen medien- und kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung“ (S. 176). Das heißt: Es geht in der Medienphilosophie letztlich – so Barbara Becker, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Paderborn, in Philosophie und Medienwissenschaft im Dialog von 2003 – um die „Einbindung philosophischer Perspektiven in die medientheoretische und medienanalytische Forschungslandschaft“ (S. 93). Die Hoffnung dieses Medienphilosophieprogramms ist, dass ein „philosophisch begründeter Blick auf aktuelle Medienentwicklungen wichtige Impulse für die Deutung des Beobachtbaren geben kann“ (S. 105).

Die zweifelsohne radikalste Auslegung dieses Verständnisses findet sich in Mike Sandbothes programmatischer Monographie Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internets von 2001. Ohne jede Einschränkung argumentiert Sandbothe (Research Professor an der Universität Aalborgh) dafür, dass Medienphilosophie die philosophische Beratung von anderen Wissenschaftlern und insbesondere von Medienpraktikern ist. In seinem Aufsatz über den Vorrang der Medien vor der Philosophie von 2003 spricht er explizit von der „Medienphilosophie als wissenschaftstheoretische Dienstleisterdisziplin“ (S. 185). Konkret stellt er sich das so vor, dass Medienphilosophie genau dann praktiziert wird, wenn sich Philosophen an der Gremienarbeit in der Medienwelt beteiligen. Bezüglich der Möglichkeiten einer Medienphilosophie als eine theoretische Herausforderung ist er eher skeptisch – und teilt insofern die Meinung, welche die fünfte Position explizit vertritt: Medienphilosophie gibt es nicht.

5. Medienphilosophie gibt es nicht

Diese Ansicht ist in den Schriften von Friedrich Kittler stets zumindest implizit präsent. Explizit findet man sie in Elena Espositos Aufsatz Blindheit der Medien und Blindheit der Philosophie von 2003 – dort schreibt sie unmissverständlich: „Ich werde die These vertreten, dass es keine [Medienphilosophie] geben kann“ (S. 26). Für Esposito, Professorin für Kommunikationssoziologie an der Universitá di Modena e Reggio Emilia, müsste sich die Philosophie in Psychologie oder Soziologie verwandeln, wollte sie sich mit Medien beschäftigen. Für sie gibt es keine spezifischen philosophischen Probleme mit den Medien.

6. Medienphilosophie als die von den Medien praktizierte Philosophie

Der Vater oder zumindest Klassiker einer sechsten Grundposition in der Diskussion um die Frage nach der Medienphilosophie dürfte der Phänomenologe Vilém Flusser (1920-1991) sein. In seinen zahlreichen Schriften zur Fotografie wird von ihm stets die Ansicht verteidigt, dass das eigentliche und zukunftsträchtige Medium der Philosophie nicht die Sprache, sondern die Fotografie sei. In Gesten. Versuch einer Phänomenologie von 1991 bringt er seine These auf den Punkt: „Seitdem die Fotografie erfunden wurde, ist es möglich geworden, nicht bloß im Medium der Wörter, sondern auch der Fotografien zu philosophieren“ (S. 106).

Diese Ansicht, der zufolge Medienphilosophie in den modernen Bildmedien vollzogen wird, wird derzeit besonders klar und radikal von Lorenz Engell verteidigt, dem Inhaber der ersten Professur für Medienphilosophie in Deutschland, die an der Bauhaus Universität in Weimar angesiedelt ist. Seine Idee lässt sich so erklären: Der Genitiv in der Formulierung „Philosophie der Medien“ wird nicht als ein genitivus objectivus, sondern als genitivus subjectivus gelesen. Folglich ist Medienphilosophie für Engell nicht die Philosophie, die sich mit Medien befasst, sondern die Philosophie, welche in Medien vollzogen wird. Medienphilosophie ist, so heißt es in Tasten, Wählen, Denken. Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur von 2003, „die philosophische Praxis der Medien“ (S. 77). Es geht also darum, „den Medien wirklich eine eigene philosophische Tätigkeit außerhalb aller Philosophen-Philosophie zuzubilligen“ (S. 54). Das bedeutet: Die theoretische Herausforderung besteht darin, die in einem Medium selbst vollzogene Philosophie nachzuvollziehen und in die Schrift zu übertragen. Der Medienphilosoph wird in diesem Konzept zu einer Art Dolmetscher, der die philosophische Praxis der Medien in eine andere Sprache übersetzt. So fordert Engell zum Beispiel explizit „die Philosophie des Fernsehens aus dem ihm ‚Eigenen‘ – dem Fernsehen – ins ihm ‚Fremde‘ – das Philosophisch-Schriftliche – zu übertragen“ (S. 53).

Das Beispiel, welches Engell als den geglückten Fall einer solchen in den Medien selbst praktizierten Medienphilosophie gibt – dies dürfte viele Philosophen erschrecken –, ist die erste Fernsehübertragung der Mondlandung: „Der Möglichkeitsraum des Fernsehens (oder Fernsehen als Medium) wird im Mondflug als Form des Fernsehens reflexiv. Die fernsehgenerierte Welt als Welt schaut sich selbst beim Zuschauen zu und erfährt ihre eigene Medialität“ (S. 61). Das heißt hier konkret: Der Fernsehzuschauer sieht die Erde, den Ort, an dem er sich selbst befindet. Das Fernsehen zeigt eine mediale Möglichkeit, in dem es diese Möglichkeit verwirklicht – und diese selbstreflexive Struktur ist der Grund, wieso Engell zu dem Ergebnis kommt, dass das Fernsehen sich hier „als philosophische Apparatur“ (S. 61) versteht. „Wenn ein Medium sich auf seine Möglichkeiten – d.h. seine Medialität – hin entwirft und realisiert, dann reflektiert es auf seine eigenen Voraussetzungen“ (S. 69). Und genau das ist für Engell ein Grund, von einer Philosophie in den Medien zu sprechen; denn Philosophie wird bei ihm über dieses sicherlich notwendige, aber keineswegs hinreichende Merkmal definiert: „Die Philosophie ist diejenige Form, die sich reflexiv zu diesen Formen verhält“ (S. 56). Es liegt auf der Hand: Wenn der Philosophiebegriff – wie in diesem Konzept – erst einmal so erweitert ist, dass demnach auch das Fernsehen philosophiert, dann kann die akademische, argumentative Form der Philosophie nur noch bestenfalls eine besondere Subform der Philosophie unter den verschiedenen Arten der Philosophie sein. Und in der Tat genau so wird in diesem Ansatz argumentiert. In dieser Hinsicht ist Engell beeindruckend konsequent: Er spricht von der „Philosophen-Philosophie“ und meint dies negativ im Sinne von Philosophie, die von Menschen betrieben wird, die von Beruf Philosophen sind. Geradezu polemisch wird dieser Ansatz in Frank Hartmanns Buch Medienphilosophie von 2002 vertreten: Hartmann, Universitätsdozent für Medien- und Kommunikationstheorie an der Universität Wien, geht soweit, dass er in Der rosarote Panther lebt von 2003 explizit dazu auffordert „Medienphilosophie nicht im Sinne einer akademischen Disziplin zu verwenden“ (S. 142). Hartmann fordert eine anti-akademische Ausrichtung der Medienphilosophie, weil sich so endlich „jene universitäre Schwundstufe des beamteten Denkens, das die heutige Fachphilosophie darstellt“ (S. 144), überwinden ließe.

Ein kategorialer Fehler

Schaut man sich die sechs vorgestellten Grundansichten zur Medienphilosophie an, so fällt auf, dass eigentümlicherweise gerade die zweite Gruppe – also die, die Medienphilosophie nicht oder nur bedingt als eine akademische Disziplin entwirft – derzeit besonders viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dieses Interesse erklärt, wieso für nicht wenige Philosophen die Rede von der Medienphilosophie einen unseriösen Beigeschmack hat. In der Tat gibt es in Teilen der Medienphilosophie eine dezidierte Feindlichkeit gegenüber universitärer Philosophie – die Schwachstellen derer Projekte lassen sich allerdings schnell und leicht formulieren. So mag es medienwissenschaftlich sinnvoll sein, die Möglichkeiten eines Mediums an Beispielen der bemerkenswerten Verwendung zu beschreiben, aber keineswegs ist es sinnvoll, deshalb gleich alles Philosophie zu nennen, was sich irgendwie mit Medien auseinandersetzt: Die sicherlich vorhandene Selbstreflexion von Bildern auf ihre eigenen Möglichkeiten ist kategorial anderer Art als die Reflexion des Philosophen auf das eigene Denken: Bildliches Zeigen und propositionales Argumentieren gilt es zu differenzieren, auch wenn beides manchmal als „reflektieren“ angesprochen werden kann. Insbesondere darf nicht übersehen werden, dass genau dies, die Beschreibung der Entdeckungsgeschichte von medialen Selbstreflexionsmöglichkeiten, seit langem vorzüglich in der Kunstgeschichte praktiziert wird und dies ohne den zweifelhaften Schritt zu gehen, die Differenz von Kunst und Philosophie aufzugeben. Zumal sich der Eindruck einstellt, dass in der Kunstgeschichte auch schon bemerkenswertere Fälle der bildlichen Selbstreflexion erkannt und beschrieben wurden, als dies die Übertragung der Mondlandung ist. Die These von der Philosophie in den Medien übergeht einen kategorialen Unterschied: Natürlich sind Bilder oft das Produkt einer durchdachten Tätigkeit, aber deshalb sind sie nicht selbst Subjekte, die denken, noch Behauptungen, die eine Tatsache feststellen. Deshalb unterscheidet sich Philosophie weiterhin prinzipiell von bildlichen Reflexionen dadurch, dass Philosophie an den propositionalen Gehalt von Aussagen und die Argumentation mit Aussagen gebunden ist. Es ist daher abwegig, den Ort der echten und wahren Medienphilosophie in die Medien selbst verlegen zu wollen.

Zu Recht verlangen die Verteidiger der Medienphilosophie als Teildisziplin der Philosophie eine notwendige Bindung an die kategoriale Argumentation, wenn über Medien philosophiert wird – doch das alleine ist auch zu wenig, um von Medienphilosophie sprechen zu können. Das Projekt einer Medienphilosophie wird ausgesprochen blass verteidigt, wenn man Medienphilosophie schlicht als die Reflexion des Medienbegriffs definiert. Das ist zwar nicht falsch: Natürlich wird man dem Gedanken zustimmen, dass Medienphilosophie eine kategoriale Arbeit an den Begriffen leistet, welche in empirischen Beschreibungen von Medien vorausgesetzt werden. Doch man darf nicht übersehen, dass das nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bestimmung ist: Wenn dies der einzige Grund wäre, müsste zu jedem problematischen Begriff eine spezielle Professur gegründet werden.

Die Hinwendung zur Medienphilosophie beinhaltet eine Abwendung von der Ästhetik

Schaut man sich die Diskussion um die Frage nach der Medienphilosophie an, dann fällt auf, dass ihr Verhältnis zur Ästhetik wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das ist eigenwillig: Es gibt eine traditionelle Teildisziplin der Philosophie, welche sich schon lange mit den kategorialen Problemen medialer Prozesse befasst: eben die philosophische Ästhetik, und es scheint für eine Bestimmung der Aufgaben der Medienphilosophie mehr als notwendig zu sein, die Frage zu beantworten: Warum soll man die Bearbeitung der Medien nicht als philosophische Ästhetik bezeichnen? Vieles von dem, was heute als Medienphilosophie bezeichnet wird, wurde vor noch nicht zu langer Zeit der philosophischen Ästhetik zugeordnet. Man denke an die Philosophie des Bildes, aber auch an das derzeit viel bearbeitete Wechsel verhältnis von Medien und Wahrnehmung – dies waren und sind klassische Themen der Ästhetik. Doch gerade die Bildtheoretiker legen heute großen Wert darauf, dass sie gerade keine Ästhetik machen, sondern Medienphilosophen sind. Oder ein anderes Beispiel: Benjamins Kunstwerk-Aufsatz von 1936, der die Veränderung der Wahrnehmung durch neue Reproduktionstechniken beschreibt. Was ein klassischer Text der Ästhetik war, wird in zunehmendem Maße ein kanonischer Text der Medienphilosophie. Dies sind wenige Beispiele, die für eine prinzipielle Tendenz stehen: Die Hinwendung zur Medienphilosophie ist in nicht geringem Maße mit einer Abwendung von der philosophischen Ästhetik verbunden – und dies hat einen Grund, der in der gegenwärtigen Bewertung der Ästhetik zu suchen ist.

Derzeit scheint in der Philosophie – und dies ist ganz anders als in den 1980er Jahren zu Zeiten der Postmoderne – das Interesse ausgesprochen gering zu sein, den Ästhetikbegriff neu zu bestimmen oder zu öffnen. Es hat sich durchgesetzt, dass die Ästhetik nicht mehr nur ein einziges Thema, sondern in klassischer Weise drei unterschiedliche Themen teilweise zugleich verfolgt: Wahrnehmung, Schönheit und Kunst. Versuche, die Ästhetik auf die Bearbeitung eines dieser Themen zu reduzieren, gibt es gegenwärtig nicht. Das bedeutet: Im Mittelpunkt der Ästhetik steht die Arbeit an Kategorien, die Etwas als etwas Besonderes und Bemerkenswertes auszeichnen: eben als Schönes und eben als Kunst, das bzw. die wahrgenommen wird. Es gibt keine Hinweise, dass ein Medienphilosoph dies verändern will; was allerdings zu Recht gefordert werden kann, ist, dass in der Medienphilosophie die in der traditionellen Ästhetik stets vorhandene implizite Bewertung programmatisch aufgegeben wird. Dies wäre jedenfalls ein überzeugender Grund für eine dezidierte Hinwendung zur Medienphilosophie: Da die Ästhetik zumindest größtenteils eine Disziplin ist, die sich mit bewertenden Kategorien befasst, bedarf es eines Komplements für alle Formen der Medialität: für das Urlaubsbild, das Computerspiel genauso wie für das Röntgenbild und die Radiosendung. Mit dieser Erweiterung des Blicks tut sich die Ästhetik schwer, weil die Extension des Ästhetik-Begriffs in seiner Entwicklung von Baumgarten über Kant zu Hegel stets abnimmt – die Medienphilosophie dreht hier die Richtung um. Die Entwicklung des Ästhetik-Begriffs von Baumgarten zu Hegel ist getragen von der Meinung, dass sich die Ästhetik dem für die Wahrnehmung eigentlich Wichtigen zuzuwenden hat. Man befasst sich nur noch mit dem Besonderen, letztlich mit dem, wie es in Hegels Ästhetik so treffend heißt, was die tiefsten Interessen des Menschen zum Ausdruck bringen kann. Also mit dem Einzigartigen und Emphatischen. Und genau hierauf kann und sollte man mit einem komplementären – wohlgemerkt nicht konkurrierenden, sondern komplementären – Projekt einer Medienphilosophie reagieren. Es geht um eine thematische Erweiterung der Ästhetik, welche die Emphase und Aufwertungstendenz aus der traditionellen philosophischen Ästhetik herausnehmen soll.

Die inflationäre Verwendung des Medienbegriffes

Nicht wenige Beiträge der gegenwärtigen Medienphilosophie schießen in ihrem Interesse, nicht bewertend und einengend zu sein, über das Ziel hinaus und haben eine nicht unproblematische Situation erzeugt. Lässt sich in der Ästhetik beobachten – man kann hier an Heidegger, an Adorno, aber auch durchaus an Gumbrecht denken –, dass die ästhetische Erfahrung als Spielart einer Epiphanie beschrieben wird und somit zu einem höchst seltenen Ausnahmephänomen stilisiert wird, so muss in der Medienphilosophie das genaue Gegenteil festgestellt werden: Uneingeschränkt alles wird als Medium angesprochen. Der elitären Verwendung des Kunstbegriffs steht eine inflationäre Verwendung des Medienbegriffs gegenüber. Man denke als Beispiel an die McLuhan-Schule: In ihrer Theorie ist der Begriff „Medium“ ein Synonym zum Werkzeug- oder Mittel-Begriff. Für Anhänger von Marshall McLuhan ist es vollkommen selbstverständlich, ein Auto, Strümpfe, das Nervensystem, Licht oder einen Hammer als Medien zu thematisieren. Ebenso für Niklas Luhmann: Bei ihm werden die Begriffe „Medium“ und „Möglichkeit“ synonym verwendet. Entsprechend weit ist die Extension des Medienbegriffs: Kunst, Macht, Geld, Liebe und die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit sind demnach Medien – erst kürzlich (2006) erschien aus seinem Nachlass das Buch: Das Kind als Medium der Erziehung.

Oder man denke an die phänomenologischen Medienphilosophien, etwa bei Maurice Merleau-Ponty und Boris Groys. Auch bei ihnen ist ein bedenklich weiter Medienbegriff zu beobachten – denn für sie ist alles ein Medium, was während der Benutzung unbemerkt oder unthematisiert bleibt – oder wie es zumeist heißt, was transparent ist: allen voran der eigene Leib. Doch nicht nur der, denn bekanntlich gilt auch für Strümpfe, dass sie beim Gehen nicht gespürt werden und folglich unthematisch bleiben. Die Folgen eines solchen grenzenlos weiten Medienbegriffes liegen auf der Hand: Analysiert werden ‚selbstgemachte Medien‘; Phänomene werden als Medien analysiert, die erst durch die jeweiligen Theorien als Medium identifiziert wurden. Anders gesagt: Was fehlt, sind die Unterschiede, die einen Unterschied machen. Wenn mit McLuhan jedes Werkzeug, mit Luhmann jede Möglichkeit und mit den Phänomenologen jede Transparenz als Medium angesprochen wird, dann ruft dies nach der Bestimmung von Kriterien, mit denen man einen Schraubenzieher vom Fernseher, das Kind vom Telefon und eine Fensterscheibe vom Buch unterscheiden kann – und genau hierin kann vielleicht die derzeit wichtigste systematische Herausforderung an die Medienphilosophie gesehen werden: die Suche nach der differentia specifica, um den Begriff des Mediums nicht zu einem bloßen Synonym anderer Begriffe verkommen zu lassen und um in seiner Bemühung, eine sinnvolle Erweiterung der Ästhetik zu sein, nicht über das Ziel hinauszuschießen.

Medien als Werkzeuge zur Unterscheidung von Genesis und Geltung

Es ist die klassische Unterscheidung von Genesis und Geltung, welche sich sowohl bei Frege wie auch Husserl findet und die zu den Gründungsgedanken sowohl der sprachanalytischen wie auch phänomenologischen Philosophie zählt, welche dazu verwendet werden kann, das Spezifische einer medialen Leistung zu bestimmen. Ein Definitionsvorschlag mit Rückgriff auf diese Unterscheidung lautet: Medien sind Werkzeuge – aber nur die, welche dem Menschen erlauben, eine Unterscheidung von Genesis und Geltung vorzunehmen.

Ein Medium ist demnach ein technisches Mittel, das während der Benutzung transparent ist und etwas leistet, was durch kein anderes Werkzeug erbracht werden kann: Aufgrund von Medien besteht für den Menschen die Möglichkeit, mittels physikalisch beschreibbarer Produktionstechniken etwas herzustellen, das keine physikalischen Eigenschaften hat. Die Geltung von etwas – der ‚Sinn‘ – ist ein nicht physikalisch fassbares Etwas, auf das sich Menschen aber dennoch – eben mittels Medien – beziehen können. Wenn zwei Menschen den Zauberberg gelesen haben, dann haben sie denselben Roman gelesen – nicht den gleichen, obwohl sie nur gleiche Bücher in der Hand hatten. Wenn man den Satz „Die Erde ist rund“ formuliert, dann hat man auf der einen Seite einen empirischen Sprechakt, einen materialisierten Vorgang in Raum und Zeit, eben ein physikalisch beschreibbares Phänomen. Doch auf der anderen Seite hat man auch die Geltung dieser Aussage, welche nicht davon abhängig ist, wann wer wie diese Aussage formuliert: Zwei Menschen können aufgrund des Sprachmediums dieselbe Aussage formulieren – nur deshalb kann man sich auch über dasselbe streiten. Wenn in einem Buch der Satz „2 x 2 = 4“ gedruckt ist, dann wird dieser materielle Satz altern, vergilben; das Buch kann zerstört werden. Aber das mit dem Satz Gemeinte ist von diesen Veränderungen in der Zeit nicht berührt, weshalb Husserl in den Prolegomena zur reinen Logik (1900) schreibt: „Von zeitlicher Bestimmtheit ist in dieser Sphäre gar keine Rede“ (§ 46). Und das ist der entscheidende Punkt: Mit Medien hat man es genau dann zu tun, wenn dem Menschen etwas physikalisch Undenkbares gegeben ist: Denn alles, was eine physische Existenz hat, muss älter werden. Eine solche Differenz von Zeitlichkeit und Zeitenthobenheit lässt sich bei der schlichten Aussage „2 x 2 = 4“ wie bei jedem Bild oder anderen Medium nachweisen.

Was mit der medialen Trennung von Genesis und Geltung gemeint ist, lässt sich an Bildern demonstrieren. Die Sichtbarkeit des Bildes ist medial bedingt eine prinzipiell andere Art von Sichtbarkeit als die Sichtbarkeit einer realen Sache. Denn bei der Sichtbarkeit des Bildes geht es nicht um die Sichtbarkeit des Bildträgers, des Monitors oder des Papiers, diese sichtbaren Dinge altern und unterliegen der Physik, sondern es geht um die Sichtbarkeit des so genannten ‚Bildobjekts‘: das ist das, was auf dem Bild erscheint und was ein Betrachter zu sehen meint. Er meint zum Beispiel ein Haus oder einen Menschen zu sehen. Dieses sichtbarwerdende Bildobjekt hat aber Eigenschaften, welche eine reale sichtbare Sache nicht haben kann, weshalb man ein Bildobjekt auch kaum mit einer realen Sache verwechselt: Das Bildobjekt wird nicht älter – die Leinwand wird älter, aber die Mona Lisa bleibt immer knapp über zwanzig. Das Bildobjekt lässt sich nicht berühren; es kann nicht unter einem Mikroskop untersucht werden; es kann sich nicht bewegen; es kann keine physikalischen Wirkungen auslösen – und es kann nicht von der Seite betrachtet werden. Als wenn der Husserl-Schüler Hans Jonas auf die Merkmale der Geltung anspielen würde, schreibt er überaus treffend in seinem Aufsatz über den Homo pictor von 1961, dass die im Bild sichtbar werdenden Dinge, Dinge sind, die „herausgehoben aus dem Kausalverkehr der Dinge“ (S. 32) sind.

Kurzum: Medien machen lesbar, hörbar und sichtbar – aber in jedem Fall wird etwas Besonderes durch sie lesbar, hörbar und sichtbar: nämlich intersubjektiv geltende Selbigkeit – und genau hierin kann ein entscheidender Grund für die außergewöhnliche anthropologische, aber auch kulturwissenschaftliche Bedeutung von Medien gesehen werden, die zu beschreiben die spezifische Aufgabe der Medienphilosophie ist. Hätte der Mensch keine Medien, er könnte nur sehen, was anwesend ist, er könnte nur sehen, was er auch hören, riechen und tasten könnte. Doch ein gezeigtes Bildobjekt ist genauso wie der Inhalt eines Gedankens nicht physisch existent und unterliegt nicht der Physik. Genau dies, das Denken- und das Wahrnehmen-können von physikalischen Unmöglichkeiten, ist nur mit Medien möglich. Deshalb kann ein menschliches Dasein, welches nicht nur ein stoffliches Vorhandensein ist, gar nicht ohne Medien entstehen. Der Mensch verdankt seine menschliche Existenz der Möglichkeit zur Verwendung von Medien, denn weil es Medien gibt, lebt der Mensch nicht ausschließlich in der physischen Natur, sondern auch in einer Kultur. Kultur ist aus einem ganz einfachen Grund ohne Medien nicht denkbar: Weil sich die Prozesse in der Kultur nicht nach physikalischen Gesetzen verhalten. Deshalb stellt sich der Medienphilosophie letztlich eine zentrale Aufgabe: Die Erforschung der Medien als das einzige Mittel des Menschen, sich vom Diktat der Physik befreien zu können.

UNSER AUTOR:

Lambert Wiesing ist seit 2001 Inhaber der Professur „Vergleichende Bildtheorie“ an der Universität Jena. Seit 2005 ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik.


Literatur zum Thema:

Becker, Barbara, Philosophie und Medienwissenschaft im Dialog, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 91-106.

Engell, Lorenz, Tasten, Wählen, Denken. Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 53-77.

Esposito, Elena, Blindheit der Medien und Blindheit der Philosophie, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 26-33.

Flusser, Vilém, Gesten. Versuch einer Phänomenologie (1991), Frankfurt am Main 1994.

Groys, Boris, Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien, 231 S., Ln., € 19.90, Hanser, München und Wien 2000.

Hartmann, Frank, Der rosarote Panther lebt, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 135-149.

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Husserl, Edmund, Logische Untersuchungen, Bd. 1: Prolegomena zur reinen Logik (1900), in: Husserliana, Bd. XVIII, hg. von Elmar Holenstein, Den Haag 1975.

Jonas, Hans, Die Freiheit des Bildes: Homo pictor und die differentia des Menschen (1961), in: ders., Zwischen Nichts und Ewigkeit, Göttingen 1987, S. 26-75.

Krämer, Sybille, Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 78-90.

Luhmann, Niklas, Das Kind als Medium der Erziehung (1991), Frankfurt am Main 2006.

Margreiter, Reinhard, Medienphilosophie. Eine Einführung, 202 S., kt., Parerga, Berlin 2007.

Münker, Stefan, After The Medial Turn. Sieben Thesen zur Medienphilosophie, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 16-25.

Münker, Stefan und Alexander Roesler und Mike Sandbothe (Hg.), Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, Frankfurt am Main 2003.

Roesler, Alexander, Medienphilosophie und Zeichentheorie, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 34-52.

Sandbothe, Mike, Der Vorrang der Medien vor der Philosophie, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 185-197.

Sandbothe, Mike, Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internets, Weilerswist 2001.
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Vogell, Matthias, Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf der Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt am Main 2001.

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Weber, Stefan, Under Construction. Plädoyer für ein empirisches Verständnis von Medienepistemologie, in: Münker, Roesler, Sandbothe 2003, S. 172-184.

Wiesing, Lambert, Was sind Medien? in: ders., Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes, Frankfurt am Main 2005, S. 149-162.