PhilosophiePhilosophie

02 2018

Birgit Recki:
Anthropologie: Mensch und Technik. Eine Bestandsaufnahme in der Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts

aus: Heft 2/2018, S. 14-25

Philosophische Anthropologie
 
In der Philosophie des 20. Jahrhunderts, und zwar gerade in der deutschen Philosophie gibt es eine auffällige (auch signifikante) Konstellation von lauter großen Entwürfen zur Bestimmung des Menschen. Von großen Entwürfen darf man hier in dem Sinne sprechen, dass bei diesen Philosophen der Anspruch erhoben ist, mit der Bestimmung des Menschen, mit der philosophischen Anthropologie nicht nur eine weitere philosophische Disziplin neben anderen zu eröffnen oder zu verstärken – sondern prima philosophia zu betreiben: diejenige philosophische Fragestellung zu verfolgen, welcher der Geltungsanspruch auf die Grundlegung alles übrigen zugesprochen werden dürfe. Einigen Interpreten und Ideenhistorikern in der Philosophie erscheint dieses programmatische Selbstverständnis nicht allein so gut nachvollziehbar, sondern auch der darin artikulierte Anspruch in den Theorien so überzeugend durchgeführt, dass sie vorgeschlagen haben, für diese Formation in der Philosophie des 20. Jahrhunderts die Disziplinbezeichnung groß zu schreiben: Philosophische Anthropologie.
 
Die Anthropologie des 20. Jahrhunderts scheint damit zu beginnen, dass Max Scheler in seiner dichten Programmskizze Die Stellung des Menschen im Kosmos 1928 von der „Sonderstellung des Menschen“ spricht. Dieser von ihm geprägte Ausdruck wird bei so gut wie allen Autoren, die sich in derselben und der folgenden Zeit mit Philosophischen Anthropologien zu Wort melden, mindestens im affirmativen Zitat, öfter aber in der umstandslosen Übernahme wieder begegnen, und dabei kann dieser Fall von terminologischem Konsens geradezu als Paradebeispiel für die Einsicht dienen, dass der Gebrauch desselben Ausdrucks bei mehreren Autoren noch nichts dafür besagt, dass sie auch den-selben Begriff und Gedanken damit verbinden.
 
Max Scheler
 
Max Scheler vertritt einen Ansatz, den sein früher Kritiker Joachim Ritter 1933 eine „objektiv metaphysische Anthropologie“ genannt hat. Das soll heißen: Er bestimmt den Menschen objektiv aus seiner evolutionsbiologisch gefassten Stellung im Kosmos, und er legt dabei zugleich Wert auf die Feststellung, dass sich das Wesen des Menschen nicht biologisch bestimmen lässt, sondern nur metaphysisch. Die These, die im Begriff der Sonderstellung im Kosmos impliziert ist, lautet: Der Mensch ist „Mikrokosmos“. Scheler verbindet die Vorstellung, dass der Mensch die Bestimmungen aller anderen Wesen in der Natur zwar in sich enthalte, mit der These, dass diese Bestimmungen sich im Menschen aber zu einer einheitlichen Gestalt fügen, mit der etwas völlig Inkommensurables in die Welt komme. Er entwirft einen umfassenden Prospekt, indem er ein Schichtenmodell des Kosmos (manche Interpreten nennen dies auch ein Sphärenmodell) aufbaut, demzufolge sich das Leben in Stufen entwickelt und sich immer die nächsthöhere Stufe der Entwicklung des Lebens durch eine neue organisierende Leistung gegenüber der vorherigen auszeichnet.
 
Er differenziert die verschiedenen Stufen der Entwicklung nach dem Antriebs- und Organisationsprinzip, dem der gesamte Organismus gehorcht. So unterscheidet er von dem bewusstlosen, empfindungs- und vorstellungslosen „Gefühlsdrang“, mit dem bereits die Pflanzen ausgestattet seien (1), zunächst den „Instinkt“ als angeborene Disposition zur Lösung von Gattungsproblemen bei den Tieren (2), weiter das „assoziative Gedächtnis“ bei höheren, langfristig lernfähigen Tierarten, die aufgrund dieser kognitiven Ausstattung auch Gewohnheiten ausbilden können (3), schließlich die „praktische Intelligenz“ (4), jenes auf das Erreichen eines Triebzieles bezogene „sinngemäße[s] Verhalten neuen, weder art- noch individualtypischen Situationen gegenüber […]“. Diese Stufen der psychischen Entwicklung: Gefühlsdrang – Instinkt – assoziatives Gedächtnis – praktische Intelligenz sind Stufen der Steigerung von Differenzierung und Komplexität in Leistungen.
 
Es besteht kein Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch, sofern man nur diese vier Entwicklungsstufen berücksichtigt. Das Wesen des Menschen aber ist laut Scheler nur von einem anderen Standpunkt aus zu bestimmen, dem metaphysischen Standpunkt, durch den ein Bruch mit der biologischen Perspektive erforderlich ist. Der Mensch ist wesentlich Geist. Indem er mit Geist begabt ist, macht er dadurch, dass bei ihm quasi schlagartig ein neues Prinzip hinzutritt, ein „allem und jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip“ – einen „Sprung“. Der Geist ist der Inbegriff der Fähigkeit zu denken, zugleich aber auch „einer bestimmten Klasse volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung“ und umfasst dabei zugleich die freie Entscheidung. Die genannten geistigen Leistungen entbinden den Menschen von seiner gleichwohl bestehenden organischen Verfassung wie auch von seiner Umwelt, sie lassen ihn darüber erhaben sein; sie machen ihn zu einem weltoffenen Wesen. „Ein solches Wesen hat Welt“, sagt Scheler – während die anderen Lebewesen in ihre Umwelt eingebunden sind – und auch diese Entgegensetzung von Umwelt und Welt soll sich als eines der terminologisch einheitlichen Motive der Philosophischen Anthropologie durchhalten.
 
Was den Menschen derart auszeichnet, fasst Scheler im Begriff der Person zusammen. „Der Mensch allein – sofern er Person ist – vermag sich über sich – als Lebewesen – emporzuschwingen […] Das Zentrum aber, von dem aus der Mensch die Akte vollzieht, durch welche er seinen Leib und seine Psyche vergegenständlicht […] kann nur im obersten Seinsgrunde selbst gelegen sein.“ Wir sehen hier: Die behauptete Sonderstellung des Menschen im Kosmos wird in letzter Instanz nur verständlich durch seine Partizipation am Göttlichen. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen liegt zuletzt im Begriff des obersten Seinsgrundes unter Behauptung einer Transzendenz, die nur noch theologisch zu fassen ist. Als Person ist der Mensch ein Ebenbild Gottes. Anthropologie konvergiert mit Theologie.
 
Wie wird eine solche objektiv metaphysische Anthropologie, für die der Mensch der kommende Gott ist, die Technik einschätzen? Interessiert sich ein Denker, für den die praktische Intelligenz den Menschen noch gar nicht vom Tier unterscheidet, überhaupt für so etwas Pragmatisches wie Technik? Eigentlich müsste Technik hier – so könnte man spekulieren – in ihrer Zuordnung zum Homo faber noch gänzlich in dessen nicht-wesensrelevante, nicht-geistige Vorstufen fallen. Doch diese Vermutung findet sich nicht bestätigt. Zwar sieht Scheler, der sich als aufmerksamer Leser der Primatenforschung seiner Zeit zu erkennen gibt, der etwa die Erkenntnisse des Verhaltensforschers Wolfgang Köhler bereits ebenso umsichtig aufnimmt, wie dies später Ernst Cassirer und Arnold Gehlen tun werden, dass Werkzeuggebrauch schon bei Tieren vorkommt. Er findet „bei höheren Affenarten, beim Elefanten usw., daß sinnvolle und zweckmäßige Handhabung und Bewegung von Gegenständen zwischen Ziel und Tätigkeit auf mannigfaltigste Weise eingeschaltet werden.“ Scheler legt jedoch den metaphysischen „Sprung“, durch den sich der Mensch als geistiges Wesen allen Formen des Lebens entgegensetzt, zugunsten eines genuin humanen Begriffs der Technik aus und macht geltend, dass Werkzeuggebrauch beim Menschen etwas ganz anderes sei als beim Tier. Beim Werkzeug handle es sich um ein tendenziell autonomes „Sinngebilde“. Für diese These sucht der Autor Plausibilität herzustellen mit Blick auf die künstlerische Gestaltung archaischer Werkzeuge: Diese besäßen „das zweckfreie Wesen eines kleinen Kunstwerkes oder Schmuckgegenstandes“. Das so verstandene Produkt menschlicher Kultur geht über den Dienst an den Lebensbedürfnissen hinaus, es verdankt sich „prinzipiell [derselben] geistigen Kraft, die auch im Aufbau der eigentlich zweckfreien geistigen Kultur wirksam ist“.
 
Scheler ordnet die Technik als eine genuine Leistung dem Geist zu, der den Menschen in seiner Sonderstellung in der Natur auszeichnet. Seine methodische Anregung besteht darin, dass wir an den technischen Artefakten, den Werkzeugen, die Sorgfalt ihrer Gestaltung als Indiz für ihren geistigen Ursprung ernstnehmen und daraus über die bloße Funktionsanalyse hinausgehende Schlüsse ziehen.
 
Helmuth Plessner
 
Wenn Helmuth Plessner von der „Sonderstellung des Menschen“ spricht, wenn er den Menschen als Apostaten der Natur anspricht, dann scheint damit derselbe Gedanke pointiert zu sein, der bei Scheler zu der Formulierung führt, der Mensch sei als der Neinsagenkönner wesentlich der Asket des Lebens (Scheler, 51). Doch das scheint nur so. Die Sonderstellung des Menschen schließt nach Plessners Verständnis integral das ein, was der Mensch mit anderen Lebewesen gemeinsam hat. Plessner will in seinem Buch Die Stufen des Organischen und der Mensch, das im selben Jahr 1928 erschienen ist wie Schelers Stellung des Menschen im Kosmos, den Menschen als die höchstentwickelte Form des Lebens verstehen, gleichermaßen in der Kontinuität mit den anderen Formen organischen Lebens und in der spezifischen Differenz zu ihnen. Der Mensch wird hier nicht schlechthin durch Geist ausgezeichnet, sondern durch das Verhältnis, das er zu seinem Leib hat, und das nur möglich ist als ein auch geistiges Verhältnis. Das Leibverhältnis enthält die elementare Lebendigkeit in sich, wie sie sich darstellt in der sinngetragenen Vollzugsform eines Körpers, mit dem die Fähigkeit einhergeht, sich zu sich zu verhalten und darin mehr als bloßer Körper zu sein. Der Mensch hat einen Körper, und er ist Leib, sagt Plessner. Er konzipiert seine Anthropologie als biologisch informierte Lehre vom Menschen und versucht auf diese Weise zu zeigen, dass der Geist ein Element des Lebens ist. Kaum nötig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass er mit dem Ansatz seines großen Systementwurfs zu den Denkern gehört, die explizit den Cartesischen Dualismus überwinden wollen.
 
Der Mensch ist, so Plessner, durch allseitige Mobilität und durchgängige Reflexivität ausgezeichnet. Er ruht in keinem Sinne in sich selbst, vielmehr hat er die beständige Möglichkeit des Abstandnehmens, die zu realisieren nicht einmal in seinem Belieben steht: Er kann nicht anders, als sich im Modus des Abstandnehmens zu sich selber, im Modus der Reflexivität zu verhalten. Der Mensch „lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben.“ Dieses Lebewesen „hat sich selbst, es weiß um sich, es ist sich selber bemerkbar und darin ist es Ich“.
 
Die drei anthropologischen Grundgesetze, in denen Plessner diese „exzentrische Positionalität“ auslegt, hat man ebenso als Elemente des Begriffs vom menschlichen Wesen wie als Reflexionsmomente des Kulturbegriffs zu lesen:
 
(1) das Gesetz der natürlichen Künstlichkeit: Es gehört zur Natur des Menschen, sich seine Lebensform selbst zu schaffen;
 
(2) das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit: Das Bedürfnis nach Ausdruck in Mitteilung und Gestaltung realisiert sich in Relationen des Objektbezuges und der Sozialität, die niemand anders herstellt als der Mensch selbst in der „indirekten Direktheit des Bewußtseins“;
 
3) das Gesetz des utopischen Standorts: In der Kultivierung seiner Bedürfnisse ist der Mensch immer schon über sich selbst hinaus, und er bleibt es auch. Er ist damit konstitutiv auf Mobilität in Raum und Zeit, auf Zukunft und in einem ganz formalen Sinne auf Transzendenz verwiesen – auf das permanente Hinausgehen über den jeweils erreichten Ort. Die „exzentrische Positionalität“, die in diesen drei Grundgesetzen ausgelegt wird, bezeichnet die menschliche Freiheit: „Ein Wesen, das in einer ihm unbekannten Welt lebt, kann nicht anders als durch Wahl und Entschluß seinen Weg finden.“
 
Dass der Mensch in dem damit beschriebenen Sinne „von Natur, aus Gründen seiner Existenzform künstlich“ ist, soll bedeuten: Es gehört zu seiner Natur, sein Leben mithilfe von lauter artifiziellen Leistungen zu führen. Diese Einsicht markiert den Punkt, an dem Kultur als ein Grundbegriff der Anthropologie erkennbar wird: Werkzeug als Element und Kultur als Generalmedium bilden das notwendige Komplement der exzentrischen Existenz: „das Werkzeug und dasjenige, dem es dient: die Kultur“.
 
Dass Plessner die Technik als ein integrales, ja mehr noch: als das elementare Moment der Kultur begreift, kann nicht überraschen: Die exzentrische Positionalität schließt die Notwendigkeit der selbsttätigen und selbstbestimmten Lebensführung ein. Die Notwendigkeit, seine Lebensform selbst zu bestimmen, verweist den Menschen auf das produktive Handeln und macht dessen effiziente Organisation zu einer existentiellen Bedingung humanen Lebens. Dass Plessner derart die Technik, die instrumentelle Organisation des Handelns, als anthropologisches Radikal begreift, bestätigt sich im Rückblick auf einige kleine Schriften zur Technik. Es ist der Aufsatz „Die Utopie in der Maschine“ (1924), in dem sich der Satz findet, der als indirekte Antwort auf meine Frage an die Philosophischen Anthropologien des 20. Jahrhunderts zu lesen ist: „Von den Maschinen weglaufen und auf den Acker zurückkehren, ist unmöglich. Sie geben uns nicht frei und wir geben sie nicht frei. Mit rätselhafter Gewalt sind sie in uns, wir in ihnen. Wir müssen weiter nach ihrem Gesetz, bis sie uns selbst auf höherer Stufe die Grenzen aller äußeren […] Naturbeherrschung zeigen.“
 
Was heißt es, dass sie [die Maschinen] mit rätselhafter Gewalt in uns sind? Hier besteht Auslegungsbedarf. Mein Vorschlag: Plessners Formel propagiert so etwas wie die interne Technizität des Menschen. Es ist etwas in uns, das zur Technik drängt.
 
Ernst Cassirer
 
In derselben Zeit, in der die anthropologischen Entwürfe Schelers und Plessners entstanden sind, entwickelt Ernst Cassirer mit seiner Philosophie der symbolischen Formen (1923; 1925; 1929) eine Theorie der Kultur, in der das Wesen des Menschen in seiner vielfältigen produktiven Fähigkeit gesehen wird, Bedeutung zu schaffen. Die Kultur ist das Universum menschlicher Werke, eine Welt der Bedeutungen. Als symbolische Formen begreift Cassirer geistige Energien, durch die es regelmäßig zu typischen kulturellen Leistungen kommt.
 
 Er benennt als symbolische Formen (und das heißt: als konstitutive Elementarbereiche der Kultur) explizit: Sprache, Mythos und Religion, Kunst, Wissenschaft, Geschichte, Technik. Die Technik, deren Begriff als Genus proximum aller Art von instrumentellem Mitteleinsatz verstanden ist, die somit ihren Anfang im archaischen Werkzeug hat und sich mit dem Fortschritt des Geistes bis zu den technologischen Systemen der Moderne entwickelt, wird hier (explizit in dem Masteressay „Form und Technik“ von 1930) ernst genommen als eine dieser „Grundmächte des Geistes, und sie wird auf der Grundlage von Cassirers leitendem Gedanken, dass die symbolische Formung stets ein Akt der Befreiung sei, als Form der Freiheit begriffen: „Im Werkzeug und seinem Gebrauch […] wird gewissermaßen zum ersten Male das erstrebte Ziel in die Ferne gerückt. Statt wie gebannt auf dieses Ziel hinzusehen, lernt der Mensch von ihm `abzusehen´ - und ebendieses Absehen wird zum Mittel und zur Bedingung seiner Erreichung.“
 
Die Technik ist damit nach Cassirer für den Status des Menschen als eines kulturellen Wesens ebenso grundlegend wie die Sprache – das ist die starke These, die neben manchem anderen Cassirers Reflexion auf die Technik von 1930 zu entnehmen ist. „Alles Denken ist seiner rein logischen Form nach mittelbar – ist auf die Entdeckung und Gewinnung von Mittelgliedern angewiesen, die den Anfang und das Ende, den Obersatz und den Schlusssatz einer Schlusskette miteinander verknüpfen. Das Werkzeug erfüllt die gleiche Funktion, die sich hier in der Sphäre des Logischen darstellt, in der gegenständlichen Sphäre: Es ist gleichsam der in gegenständlicher Anschauung, nicht im bloßen Denken erfaßte `terminus medius´. Es stellt sich zwischen den ersten Ansatz des Willens und das Ziel.“
 
Schon hier vertritt Cassirer zur Bekräftigung der elementaren Funktion der Technik eine Analogie zwischen Sprachbegriffen und technischem Werkzeug. Wenn es später in einem der Aufsätze aus der Sammlung Zur Logik der Kulturwissenschaften 1942 heißt, dass „auch alle unsere theoretischen Begriffe den Charakter des `Instrumentalen´ an sich tragen“ und „letztlich nichts anderes“ sind „als die Werkzeuge, die wir uns für die Lösung bestimmter Aufgaben geschaffen haben und immer aufs neue schaffen müssen“, dann ist damit bestätigt, wie weit und elementar der Begriff von Technik ist, an dem Cassirer durchweg festhält. Im Grunde, so darf man die systematische Tendenz seiner Gedanken zusammenfassen, führt seine Auseinandersetzung mit der Technik, bei der er von Anfang an betont, es ginge ihm nicht um die Frage nach Nutzen und Nachteil, sondern um das Prinzip der Technik, von der selbstverständlichen Bestandsaufnahme dessen, was wir auch vor aller philosophischen Auseinandersetzung immer schon als Technik erkennen: Werkzeuge, Maschinen, technische Systeme, zu einem Begriff von Technik als jeglicher Form des instrumentellen Einsatzes von Mitteln zum Zweck der Problemlösung. Cassirers Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Technik führt zu einem elementaren und radikalen, radikal erweiterten Begriff der Technik, durch den erkennbar werden soll, wie alle Kulturleistung – von der Schaffung dauerhafter dinglicher Artefakte bis zu den ätherischen Leistungen – auf Technik beruht.
 
Arnold Gehlen
 
Für Arnold Gehlen (Der Mensch, 1940) ist der Mensch das handelnde Wesen. Er fasst dabei den Handlungsbegriff denkbar weit und setzt das Prinzip Handlung auf allen Ebenen der intelligenten Organisation des Wesens Mensch in Geltung: Angefangen bei den mentalen Funktionen in Wahrnehmung und Körperbewegung, durch die sich dieses Wesen erste Orientierungen verschafft, bis hin zum bewussten Denken und den Akten begrifflicher Erkenntnis macht er in allen intelligenten Leistungen des Menschen bereits Formen des Handelns kenntlich. Gehlen betreibt die Entgrenzung des Handlungsbegriffs mit dem Effekt, die grundsätzliche Praktizität der Verfassung des Menschen herauszustellen. Umfassend wendet Gehlen den Begriff der Handlung auf den Komplex der kognitiven Orientierung an, bis hin zu den vorbewussten mentalen Leistungen; und er betont dabei das Ineinandergreifen dieser mentalen „Handlungen“ und des praktischen Handelns. Natürlich hat das seinen Preis.
 
Der Mensch ist das handelnde Wesen, diese These besagt bei Gehlen: Der Mensch ist von Grund auf und in allem, schon in seinen mentalen und epistemischen Funktionen, auf die erfolgsorientierte Eigentätigkeit angewiesen.
Der Mensch ist nämlich, so kann Gehlen an eine Bestimmung Friedrich Nietzsches anknüpfen, das nicht festgestellte Wesen. Er ist nicht durch Instinkte festgelegt. Diese mangelnde Instinktsicherheit bedeutet, dass der Mensch anders als die Tiere nicht in eine Umwelt eingepasst ist, die sich nach dem Schema des Biologen Jakob Johann von Uexküll durch die stabile Entsprechung von Merkwelt und Wirkwelt auszeichnet. Er ist stattdessen einer Überschwemmung von unspezifischen und übermächtigen Reizen ausgesetzt, für die es kein Reaktionsschema gibt; und so darauf angewiesen, diese Reize durch selbsttätige Auseinandersetzung zu bewältigen. Instinktarmut und Reizüberflutung bilden – gleichsam als die beiden Seiten derselben Medaille – die Ausgangssituation; Lebensführung durch Entlastung ist die existentielle Aufgabe, vor die sich der Mensch dadurch gestellt sieht.
 
Dieser Ansatz enthält auch schon Gehlens Auffassung von der Sonderstellung des Menschen: Diese lässt sich nicht in irgendeiner Art von Stufenschema erfassen, so dass nach einer Entwicklungsstrecke, die der Mensch mit den Tieren gemeinsam zurückgelegt hätte, an einem bestimmten Punkt sich die Wege gabelten und der Mensch die letzte Wegstrecke solitär zurücklegte. Die Vorstellung von einem „Sprung“, wie sie Scheler vertreten hat, ist also auch nach Gehlens Einsicht völlig verfehlt. Die spezifisch die Situation des Menschen charakterisierende Aufgabe der Lebensführung muss schon auf der elementaren Ebene der organismischen Koordination, der Motorik und der Wahrnehmung selbsttätig bewältigt werden. Mit Blick auf die von vornherein mit der Aufgabe selbständiger Lebensführung gestellte Herausforderung aller Kräfte konzipiert Gehlen die Sonderstellung des Menschen also so, dass dieser von Grund auf anders verfasst ist als andere Lebewesen, die in der Sicherheit der Einpassung in ihre Umwelt stehen. Selbsttätiges Ordnen, Strukturieren, Ausprägung von wiederholbaren Konstanten, Ausprägung von Gewohnheiten, Entwicklung von Fähigkeiten, Habitualisierung von Verfahren der Variation und der Innovation (Erfindung), bis hin zur Formung einer menschlichen Kultur: Im Spektrum dieser Leistungen ist Handeln hier als Prinzip begriffen. Dass Gehlen gleichwohl Wert darauf legt, seinen Ansatz „biologisch“ zu nennen, ist leicht erklärt: Er meint damit, dass er methodisch umfassend die Lebensbedingungen eines so schwachen, gefährdeten Lebewesens rekonstruiert.
 
Wie vor ihm Scheler und Plessner nennt auch Gehlen die Disposition des Menschen Weltoffenheit – und begreift sie als eine Situation extremer Belastung, da die Welt, von der hier die Rede ist, ein durch prinzipiell unendliche Möglichkeiten und Risiken charakterisiertes Überraschungsfeld ist. Der Mensch muss nicht nur permanent Überraschungen parieren, er muss sich dabei auch grundsätzlich in den Zustand flexibler Überraschungsfestigkeit bringen. Er muss sich seine Welt und gleichursprünglich damit belastbare Strukturen seiner eigenen Innenwelt erst schaffen. Der Mensch ist auf das Handeln angewiesen, durch das er sich, durch die Komplementärdisposition von Weltoffenheit und Reizüberflutung dazu genötigt, in lauter intelligenten Strategien, seine Welt zurechtmacht. Entlastung nennt Gehlen den Effekt dieser ubiquitären Selbsttätigkeit – Entlastung vom Druck der Reizüberflutung.
 
Auch Gehlen nennt die menschliche Welt, die dadurch entsteht, Kultur. „[D]ie Kulturwelt ist die menschliche Welt.[…] es gibt keinen `Naturmenschen´ im strengen Sinne: d.h. keine menschliche Gesellschaft ohne Waffen, ohne Feuer, ohne präparierte und künstliche Nahrung, ohne Obdach und ohne Formen der hergestellten Kooperation.“ – „Keine menschliche Bevölkerung lebt in der Wildnis von der Wildnis, jede hat Jagdtechniken, Waffen, Feuer, Geräte. […] Kultur soll uns sein: der Inbegriff der vom Menschen tätig, arbeitend bewältigten, veränderten und verwerteten Naturbedingungen“.
 
Die Erwähnung von Jagdtechniken, Waffen, Feuer und Geräten ist einschlägig. Die Technik ist für Gehlen das „erstaunlichste Gebiet menschlicher Geisteskraft“. Sie gehört in seinen Augen explizit „zum Wesen des Menschen“. „Die Welt der Technik ist […] sozusagen der `große Mensch´ […].“ Mit dem Ausdruck „der große Mensch“ stellt sich Gehlen bewusst in die methodische Nachfolge Platons, der in der Politeia den Staat als den in Großbuchstaben geschriebenen Menschen bezeichnet hat: Der Blick auf den gerechten Staat belehrt uns über die Kriterien, die auch der gerechte Mensch erfüllen muss. Ähnlich also müsste man sich nach Gehlens Vorgabe die Technik ansehen, wenn man wissen will, was der Mensch ist.
 
Unter Technik versteht Gehlen „die Fähigkeiten und Mittel“, „mit denen der Mensch sich die Natur dienstbar macht, indem er ihre Eigenschaften und Gesetze erkennt, ausnützt und gegeneinander ausspielt“. Sieht man auf diese Definition, dann ist auch schon klar, dass er grundsätzlich den gesamten Komplex der technischen Entwicklung vom Faustkeil über die Dampfmaschine über die industrielle Fertigungsstraße bis zur Atomenergie in den Blick nehmen will. Und die so umfänglich verstandene Technik subsumiert er unter den Begriff der Entlastung, unter den nach seinem anthropologischen Ansatz jegliche menschliche Leistung zur Strukturierung der Welt einzuordnen ist. Bemerkenswert ist es, dass Gehlen in Die Seele im technischen Zeitalter mit Blick auf die konkreten Differenzierungen dann noch einmal unterscheidet zwischen Ergänzungstechniken, Verstärkertechniken und Entlastungstechniken: Ergänzungstechniken ersetzen „organisch versagte Leistungen“; Verstärkertechniken überbieten unsere Organleistungen: „der Hammer, das Mikroskop, das Telefon potenzieren natürliche Fähigkeiten“; und Entlastungstechniken sind auf „Organentlastung, Organausschaltung und schließlich auf Arbeitsersparnis überhaupt“ ausgerichtet, „so wie der Wagen mit Rädern das physische Schleppen von Lasten überflüssig macht.“ „Wer im Flugzeug reist, kann alle drei Prinzipien in einem haben: es ersetzt die uns nicht gewachsenen Flügel [Ergänzungstechnik, B.R.], überbietet weit alle organischen Flugleistungen überhaupt [Verstärkertechnik, B.R.] und erspart unsere[r] Fortbewegung über ungeheuere Entfernungen jegl-che Eigenbemühung [Entlastungstechnik, B.R.].“ Das Beispiel ist hilfreich zum Verständnis des Status, der dieser kategorialen Unterscheidung zukommen soll: Die Kategorien Ergänzungstechnik, Verstärkertechnik, Entlastungstechnik sollen offenbar nicht säuberliche Demarkationslinien zwischen verschiedenen Gattungen von Objekten und Methoden bezeichnen, sondern analytische Unterscheidung verschiedener Aspekte an ihren Leistungen möglich machen. Es geht also nicht darum, dass eindeutig immer nur eine dieser Kategorien einer technischen Errungenschaft zugeordnet wird, deren Leistungsaspekte können sich vielmehr auch überschneiden.
 
Hans Blumenberg
 
Mit der 2006 posthum herausgegebenen Beschreibung des Menschen liegt Blumenbergs Philosophische Anthropologie in monographischer Form vor. Es gibt sie aber auch vorher schon – im Ansatz, und dabei im Modus teils von systematischer Absichtserklärung, teils von exemplarischer philosophiehistorischer Untersuchung, in lauter kleineren und größeren Texten: in einer Reihe von Theoremen zur Selbstbehauptung des Menschen gegen die Absolutismen der Wirklichkeit. Auf den Punkt bringen lässt sie sich durch den Satz aus Arbeit am Mythos (1979), der das Problem des aufrechten Ganges und der damit eingehandelten Visibilität des Menschen, seiner Sichtbarkeit in einem Horizont der unabsehbaren Bedrohungen, auf die prägnante Formel bringt: Der Mensch ist das Wesen, das sehr viel Rücken hat. Als ausgesetztes Wesen mit „sehr viel Rücken“ muss sich der Mensch in der ubiquitär riskanten Sichtbarkeit wappnen – durch alle möglichen Maßnahmen, die sich zusammenfassen lassen in den Begriffen Distanz, Prävention und Delegation. Darin ist indirekt auch schon die Deduktion der Technik als eines Grundmodus der actio per distans enthalten, deren zwangsläufigem Auftritt Blumenberg dann aber eine überraschende narrative Performance widmet. Im Topos der actio per distans fasst Blumenberg in seiner Beschreibung des Menschen mit Paul Alsberg (Das Menschheitsrätsel, 1922) den Menschen als wesentlich ausgezeichnet durch einen Distanzbedarf, dessen Komplement – von der Nutzung instrumenteller Hilfsmittel über die Fähigkeit zu Begriff und Theorie bis zur Ausbildung von entlastenden Institutionen – die Angewiesenheit auf Medialität ist, und die in der Kultur ihren Terminus ad quem hat: „Eine Antwort auf die Frage, wie der Mensch möglich sei, könnte daher lauten: durch Distanz. Um in dieser Antwort die systematisch-funktionale Einheit in der Leistungsvielfalt der Menschen zu begreifen – und nichts anderes kann die Arbeit einer Philosophischen Anthropologie sein – wird es unumgänglich, die genetische Ausgangssituation des Menschen in einer radikalisierten Schematik deutlicher vorzustellen.“
 
Nach der Einsicht, die Blumenberg in den Begriff der „Kryptogenese des Menschen“ fasst, ist mit der „radikalisierten Schematik“ eine prägnante Erzählung gemeint, in der sich die Elemente der Menschwerdung anschaulich versammeln lassen. „Kryptogenese des Menschen“: Die Menschwerdung ist nicht an morphologischen Merkmalen wie etwa petrifizierten Fußspuren oder Knochenfunden abzulesen. Es muss stattdessen ein intelligibler, ein rekonstruierbarer Akt gewesen sein, durch den sich der Mensch als das herausgemacht hat, was ihn ausmacht. Diesen Akt soll eben jene „radikalisierte Schematik“ erfassen, durch die es gelingen kann, die Menschwerdung zu begreifen. Blumenberg vermutet nun diese konstitutive Handlung (mit Alsberg) in dem Steinwurf, zu dem sich der Mensch auf der Flucht vor einem Verfolger genötigt sah. Im unvordenklichen Akt der – wohlgemerkt: werkzeugbewehrten – Selbstverteidigung macht dieses Lebewesen den entscheidenden Entwicklungssprung.
 
Das Aufheben und Gebrauchen eines Wurfgeschosses darf mit Blumenberg deshalb als die Urszene der Menschwerdung gelten, weil in seiner Funktion und Bedeutung alle Momente der dem Menschen spezifischen Situation signifikant zusammentreten: die Nötigung zur Selbstaufrichtung, der prekäre Gewinn von Sichtbarkeit, die Dramatisierung von Selbsterhaltung als Selbstbehauptung, die Notwendigkeit, Prävention als Leitmotiv eines fortan konstitutiven Krisenbewussteins zu kultivieren, und die actio per distans, die im offensiven Einsatz eines instrumentellen Hilfsmittels vollzogen wird. Der Steinwurf wird dadurch zum Pars pro toto in der Rekonstruktion der Menschwerdung: eine Aktionsmetapher. Der Mensch ist mit einem Schlage, oder genauer: mit einem Wurfe entstanden, heißt es denn auch in Beschreibung des Menschen.
Diese Nutzung des Steines als Waffe versteht Blumenberg als Präparat für die Bestimmung des Menschen als Homo faber, da hier offenbar die erste denkbare Form von Werkzeug-einsatz vorgestellt ist. „Der Mensch ist ein werkzeuggeschaffenes Wesen“ (588). Fragt man aber nach Blumenbergs Begriff von Technik, so findet man in dem Aufsatz „Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie“ (1963) auch bei ihm einen ähnlich generalisierten, rein strukturellen Begriff wie schon 1942 bei Cassirer, für den er sich allerdings nicht auf Cassirer, sondern auf Edmund Husserl stützt, genauer auf die Analyse der Technisierung in Husserls Krisis-Abhandlung von 1937: Technik ist Habitualisierung von Kompetenz oder ausführlicher: verselbständigte Methode der Effektivierung von Leistungen.
 
Befunde und Konsequenzen
 
Was verstehen die hier vorgestellten Autoren unter Technik, und wie schätzen sie die Technik im Kontext der Bestimmung des Menschen ein? Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Technik prima facie verstanden ist als die Technik, die wir alle kennen. Bemerkenswert ist dabei sicher, dass der Begriff von Technik bei allen Autoren extensional vom einfachen Werkzeuggebrauch über die Maschine bis zur Hochtechnologie reicht. Doch eine weitere Einsicht ist entscheidend, die sich am prägnantesten bei Hans Blumenberg artikuliert findet: „Die Technik ist primär nicht ein Reich bestimmter, aus menschlicher Aktivität hervorgegangener Gegenstände; sie ist in ihrer Ursprünglichkeit ein Zustand des menschlichen Weltverhältnisses selbst“ Die Bestimmung des Begriffs führt für ihn und ähnlich für alle hier vorgestellten Protagonisten auf die methodisch formalisierten und organisierten Verfahren der Problembewältigung durch instrumentelle Arrangements aller Art. Bei Cassirer und bei Blumenberg finden sich explizite Überlegungen, die darauf hinauslaufen, die damit erfassten Leistungen des Menschen in einer als selber technisch, zumindest als instrumentell rekonstruierbaren Verfassung des menschlichen Bewusstseins zu begründen. Cassirer und Blumenberg wären denn auch an vorderster Stelle anzuführen, wenn es um das Projekt einer Rehabilitierung der instrumentellen Vernunft geht. Bei Gehlen liegen einschlägige phänomenologische Analysen nicht vor, aber sie liegen nahe.
 
 Auch Schelers Geistmetaphysik hindert ihn nicht daran, die Technik wichtig zu nehmen und spezifisch dem Wesen des Menschen zuzuschreiben. Doch ist der Befund bei den anderen Protagonisten einer Philosophischen Anthropologie deutlich spezifischer und systematisch ergiebiger. Bei Plessner folgt die Notwendigkeit von Technik geradezu aus dem Begriff des Menschen, insofern dieser in seiner exzentrischen Positionalität so konzipiert ist, dass die Instrumentierung seines Agierens mit artifiziellen Mitteln alternativlos ist. Der Mensch ist das Wesen, das sich immer wieder neu erfinden muss (hier ist der Ausdruck ausnahmsweise einmal angebracht); nichts geht aus dem Begriff seiner natürlichen Künstlichkeit so zwangsläufig hervor, wie dass es sich uno actu mit den Werken, ohne die zu vollbringen es sein Leben nicht führen kann, auch die Mittel dazu verschafft: die Werkzeuge und Techniken. Plessners Explikation der menschlichen Verfassung läuft auf den Begriff der Freiheit hinaus, und die Technik muss dem entsprechend als Modus und als Medium der menschlichen Freiheit begriffen werden.
 
Diese Auffassung ist mit dem Ansatz und den Analysen Cassirers völlig kompatibel. Plessner und Cassirer sind nicht nur in ihren anthropologischen Konzeptionen, sondern auch in ihren Theorien über Technik untereinander anschlussfähig und kongenial. Bei Cassirer ist es in letzter Instanz die systematische Konsequenz aus dem symboltheoretischen Ansatz, die ihn für die Einsicht sensibilisiert, dass das animal symbolicum immer schon Homo faber sein muss: die Einsicht in die von Grund auf technische Verfassung des Menschen liegt mit Blick auf die hier betonte unhintergehbare Medialität des Welt- und Selbstbezuges schon denkbar nahe. Wo die Artikulation von Bedeutung unabdingbar an die Konkretisierung in einem sinnlichen Medium gebunden ist, wo dieses Medium dadurch als Zeichen(komplex) verfügbar wird, und wo es diese Artikulation ist, durch die der Mensch sich die Verfügungsdistanz verschafft, die er als Nukleus eines Aktionsraumes bedarf, da liegt es nahe, an dieser von Anfang an instrumentellen Verfügung über Symbole auch den Aspekt des Technischen wahrzunehmen, wie Cassirer dies in seiner Kontextualisierung des Technikbegriffes tut.
 
Auch für Gehlen ist explizit die Technik ein Element des menschlichen Wesens, und auch bei ihm ist es ein ähnlicher Grundlegungsgedanke, der die Einschätzung der Technik als anthropologisches Radikal begünstigt: Seine Entgrenzung des Handlungsbegriffs, mit anderen Worten die Konzeption von grundsätzlicher Praktizität des Menschen enthält bereits die Tendenz auch zu einer Implementierung der Technik in das Wesen des Menschen: Wo ich den Menschen in der Grundsätzlichkeit, wie Gehlen dies tut, als das handelnde Wesen begreife, da nehme ich auch die Zweck-Mittel-Relation des Handelns als das heuristische Prinzip zum Verständnis aller menschlichen Leistungen in Anspruch, mit der Konsequenz, dass die Theorie tatsächlich eine Ebene zur Verfügung stellt, auf der die Technik (als die instrumentelle Organisation und Effektivierung der Zweck-Mittel-Relation des Handelns) notwendig aus dem Begriff des Menschen folgt.
 
 Es macht für das menschliche Selbstverständnis einen Unterschied, ob die Technik als etwas begriffen wird, das uns nach irgendeiner Art von Sündenfall zustößt und gegen das wir uns bei wohlverstandenem Eigeninteresse nur – so effektiv wie möglich – wehren und verwahren können; oder ob sie als menschliches Proprium zu betrachten ist.
Die Philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts birgt in ihren großen Protagonisten das Potential, uns Menschen zu unserer Technik – und das heißt in letzter Instanz: zu einem selbstbestimmten Umgang mit ihr – zu ermutigen.
 
Literatur zum Thema
 
(1)             Joachim Ritter: „Über den Sinn und die Grenze der Lehre vom Menschen“, in: Ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974, 36-61.
 
(2)             Joachim Fischer: Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts. Freiburg, 2008.
 
(3)             Hans Peter Krüger: Zwischen Lachen und Weinen. Bd. I: Das Spektrum menschlicher Phänomene, Berlin 1999; Bd. II
 
(4)             Detlev Ganten u.a.: Was ist der Mensch? Berlin 2008.
 
(5)             Eike Bohlken/Christian Thies(Hg.): Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik. Stuttgart 2009.
 
(6)             Birgit Recki: „Technik als Kultur. Plessner, Husserl, Blumenberg, Cassirer“, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie, hg. von Ralf Konersmann und Dirk Westerkamp, Band 7, Jg. 2013 Heft 2, 287-303.
 
UNSERE AUTORIN:
 
Birgit Recki ist Professorin für Philosophie an der Universität Hamburg
 
Von der Redaktion gekürzter Text eines Vortrages an der Universität Potsdam am 7. Juni 2016.