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EDITIONEN

Giordano Bruno

Giordano Bruno-Gesamtausgabe

 

In Planung ist eine zweisprachige Gesamtausgabe im italienischen bzw. lateinischen Original mit deutscher Übersetzung und wissenschaftlichen Kommentaren. Der Forschergruppe gehören Philosophen und Literaturwissenschaftler der Universitäten Berlin, Kaiserslautern, München und Münster an, die Hauptherausgeberschaft mit der Koordination der Ausgabe liegt beim Institut für Philosophie in Münster, dort sind auch die beiden von der Thyssen-Stiftung finanzierten Editoren-Stellen angesiedelt. Ein wichtiger  Kooperationspartner ist das Philosophische Institut der Universität Neapel. Die Thyssen-Stiftung finanziert derzeit zwei halbe Stellen, in erster Linie für die Übersetzungsarbeit. Verlegt wird die Ausgabe bei Meiner, Hamburg. Zuerst werden die geschlossen überlieferten italienischen Schrif­ten erscheinen. Und dies sollte, so Thomas Leinkauf, in der zeitlich durch die Fördermittel begrenzten Vorgabe von zuerst zwei, dann in einer Verlängerung vier bis fünf Jahren geschehen. Einen erheblich größerer Aufwand wird die Erstellung eines lateinischen, philologisch und textgeschichtlich gesicherten Basistextes für die geplante zweite Abteilung des Corpus erfordern. Einen Großteil der lateinischen Texte gibt es zwar auf Mikrofilm an der Universität Neapel, allerdings fehlen zuverlässige Transskripte. Ein unbestimmter Rest ist auf zahllose Bibliotheken Europas verteilt, „philologisch und editorisch eine äußerst knifflige Aufgabe“, so Schmidt-Biggemann gegenüber der Berliner Zeitung.

 

GIORDANO BRUNO

 

Brunos Komödie Der Kerzenzieher“ (Il candelaio) ist zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen:

 

Bruno, Giordano: Der Kerzenzieher. Übersetzt, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen herausgegeben von Sergius Kodera. LVI, 208 S., Ln., € 38.—, 2003, Philosophi- sche Bibliothek 544, Meiner, Hamburg.

 

Diese Komödie macht es schwer, Bruno als Vorläufer des deutschen Idealismus zu interpretieren, wie es der erste Herausgeber von Brunos Werken in deutscher Sprache, Ludwig Kuhlenbeck, und nach ihm verschiedene andere Autoren versucht haben. Denn die Geschichte, die Bruno in Der Kerzenzieher erzählt, ist durchaus amoralisch: Angetrieben wird die Handlung von dem Maler Gioan Bernardo, der die schöne, junge Ehefrau des (eigentlich homosexuellen) „Kerzenziehers“ begehrt. Dazu inszeniert G. B. eine geschickte Intrige, in deren Verlauf die Ersehnte erkennen muss, dass ihr Ehemann sie mit einer Prostituierten betrügen und diese wiederum um ihren Lohn betrügen will. G. B. bedient sich einer Reihe von Kleinkriminellen sowie eines betrügerischen Magiers, um den Kerzenzieher in eine peinliche, entlarvende Si­tuation zu bringen und um dessen Frau zu überzeugen, dass sie ihrem untreuen Ehemann nicht länger treu sein müsse, und schließlich mit G. B. schläft.

Nebenbei wird auch noch ein Geldgieriger durch einen betrügerischen Alchimisten be­trogen, und ein pädophiler Humanist erhält eine Prügelstrafe durch falsche Polizisten. Drei ehrenwerte Bürger ereilt eine peinliche Strafe, vollzogen durch Kriminelle und jeweils für ein Delikt, das sie nicht begangen haben, die sie aber trotzdem zu Recht trifft angesichts ihrer verabscheuenswerten Charaktere: Der eine ist ein „läppischer Liebhaber“, der zweite ein „garstiger Geizhals“, der dritte ein „tölpelhafter Pedant“.

Unmoralisch erscheint schon, dass es Kriminelle sind, die hier für Gerechtigkeit sorgen; Polizei und Justiz traut Bruno den Vollzug der Gerechtigkeit nicht zu. Moralischer wird es auch nicht dadurch, dass der geplante Ehe­bruch durch G.B. die treibende Kraft und das Ziel der Handlungen ist. Auch Brunos Plädoyer für die Straffreiheit des Ehebruchs sowie gegen die Kriminalisierung der Prostitution erscheinen kaum als Ausdruck einer moralischen Gesinnung.

 

Doch diese scheinbare Unmoral kein Ausdruck von Unmoral, sondern von einer anderen Moral: Bruno verachtet als Untugenden Geiz, Geldgier, Pedanterie, Aufgeblasenheit, Dummheit und Päderastie; er schätzt Intelligenz, Liebesfähigkeit und Engagement.

Er verurteilt weder die Prostituierte noch den Magier, sondern den Freier, der sich von jenem einen Woodoo-Zauber verkaufen lässt, um von jener unentgeltlich Liebesdienste zu erschleichen. Er verachtet nicht den des Lateinischen Unkundigen, sondern den Pedanten, der lieber aufgeblasen und unverständlich daherredet, statt sein Anliegen verständlich zu äußern. Und schließlich verurteilt er nicht den betrügerischen Alchimisten, sondern den Geldgierigen, der auf das Rezept zum Goldmachen hereinfällt. All diese Verabscheuungswürdigen ereilt in Brunos Komödie die gerechte Strafe.

 

Und die Gerechtigkeit in der Welt ist Bruno ein echtes Anliegen: Für ihn stellt sich das Theodizee-Problem schärfer als für seine christlichen Zeitgenossen, da er keinen Ausgleich im Jenseits versprechen kann. Entweder gibt es Gerechtigkeit in dieser Welt oder in keiner. Und, da die Natur (nach Bruno) vernünftig und gut ist, muss es allem Anschein zum Trotz irdische Gerechtigkeit geben. Bruno argumentiert so: Das Schicksal teile Güter und Übel blind aus; dafür könne man niemand einen Vorwurf machen. Wenn die Güter meist bei Schwachsinnigen und Betrügern ankämen, sei das kein Wunder, da die ganze Welt voll von diesen sei. Außerdem seien gerade den Verdienstvollen die Güter verwehrt, ebenso wie den Besitzenden der Verdienst. Denn die Verdienste, Talente und Güter seien ungleich und ungerecht verteilt, da nur so einer den anderen liebe und brauche. Nichtsdestotrotz wollten die Götter, dass das Gute das Übel verjagt, und daher sollten die Verdienstvollen alles daran setzen, um die begehrten Güter in ihren Besitz zu bringen. Wie das geht, hat Bruno in seiner Komödie exemplarisch gezeigt: Dem verdienstvollen G. B. ist der „Besitz“ der schönen Vittoria versagt, während der homosexuelle, betrügerische und geizige Kerzenmacher sie unverdienterweise zur Ehefrau hat. Aber durch seine Intelligenz, Geschicklichkeit und Ausdauer hat G. B. Vittoria doch für sich gewonnen; er hat also das Gut erreicht, das ihm von Fortuna verwehrt wurde, aber von den Göttern und von der Natur zugestanden worden wäre.

 

Somit erweist sich Brunos Komödie doch nicht als amoralisch, sondern als Beispiel für Brunos Ethik, die liberal und gerechtigkeitsorientiert ist und bestehende soziale Normen ebenso wie das egalitäre Menschenbild des Christentums in Frage stellt.

Es ist erfreulich, dass die sorgfältige Edition, Kommentierung und Einleitung durch Sergius Kodera diese Komödie den zeitgenössischen Lesern zugänglicher macht.

Dr. Sabine Müller, Aachen