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FORSCHUNG

Philosophie des Bildes: Von der Bildwissenschaft zur Philosophie des Bildes

PHILOSOPHIE DES BILDES

Von der Bildwissenschaft zur Philosophie des Bildes

Das Thema „Bildwissenschaft“ hat gegenwärtig Konjunktur. Doch wie oft bei neuen Wissenschaften ist keineswegs unstrittig, welche spezifischen Aufgaben, Inhalte oder Methoden mit ihr verbunden sein sollen. Dabei gibt es drei Möglichkeiten, wie Lambert Wiesing, Professor für Vergleichende Bildtheorie an der Universität Jena, in seinem Buch

Wiesing, Lambert: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. 164 S., € 9.—, stw 1737, 2005, Suhrkamp, Frankfurt

darstellt. Die kleinste denkbare thematische Extension einer bildwissenschaftlichen Arbeit ist das einzelne Bild. In diesem Fall hat man es mit Theorien und Beschreibungen zu tun, die sich einem konkreten Objekt zuwenden. Ein bestimmtes Bild wird immer dann zum Thema einer speziellen wissenschaftlichen Untersuchung, wenn die Bedeutung dies zu rechtfertigen scheint. Dabei ist der Begriff der Bedeutung hier doppeldeutig: Mit Bedeutung kann sowohl der Inhalt oder der Sinn von etwas (Was bedeutet dieses Schild?) wie aber auch die Relevanz von etwas (Mein Vater bedeutet mir viel) gemeint sein. Nach Wiesing fungieren beide Bedeutungen von „Bedeutung“ in einer unauflösbaren Mischung als Grund von konkreten Bilduntersuchungen, was zur Folge hat, dass jede
bildwissenschaftliche Untersuchung eines einzelnen Werkes stets mit einer Würdigung verbunden ist.

In den meisten Fällen wird jedoch nicht ein einzelnes Bild, sondern eine mehr oder weniger genau bestimmte Gruppe von Bildern untersucht. Dabei hat sich ein Kanon üblicher bildwissenschaftlicher Themenkon struktionskriterien herausgebildet. Dass ein
solches Kriterium kanonischen Rang erreicht hat, sieht man daran, dass in den Studien über die Verwendung des Kriteriums keine Rechenschaft abgelegt wird. Zugleich haben sich auch die Kombinationsmöglichkeiten dieser Kriterien bildwissenschaftlich etabliert. So ist es beispielsweise üblich, eine Herstellungstechnik mit einem Herstellungs-ort zu kombinieren, um einen geradezu typischen bildwissenschaftlichen Gegenstand zu definieren. Prinzipien dieser Art lassen sich grenzenlos fortsetzen, dabei können nicht nur zwei, sondern mehrere Kriterien kombiniert werden. Typische Titel sind dann etwa Malerei in Florenz und Siena nach der großen Pest oder Gauguin und die Druckgraphik der Schule von Pont-Aven.

Eine Gefahr sieht Wiesing dabei in der ungewollten Emphase und im unberechtigten Pathos. Man kennt dieses Phänomen auch aus der Literaturwissenschaft im Falle der Gesamtausgaben. Da findet sich das flüchtige Gelegenheitsgedicht gleichwertig neben dem poetischen Meisterwerk. Das Beiläufige erhält dadurch eine Gewichtung, die durch den ursprünglichen Entstehungskontext nicht gerechtfertigt ist. Allerdings sieht Wiesing auch eine Chance: Sobald eine Gruppe von Bildern thematisiert wird, werden auch Bilder zum Gegenstand der Wissenschaft aus Gründen, die nicht in ihrer besonderen Bedeutung liegen – und am Ende dieser Entwicklung sieht Wiesing die Philosophie des Bildes. Denn sobald sich Kunstwissenschaft mit Werkgruppen befasst, kann sie sich nicht mehr ausschließlich auf Kunstwerke konzentrieren. Bilder werden dann thematisiert, einzig und allein, weil sie ein Element in einer Gruppe von Bildern sind. Deshalb ist in der Kunstwissenschaft die Tendenz zur allgemeinen Bildwissenschaft immer schon angelegt. Man kann gar nicht das Bild der Kunst erforschen, ohne sich für alle anderen Bilder als mögliche komparatistische Bezugspunkte zu interessieren. Doch es lässt sich andererseits nichts mehr sinnvoll behaupten, dass noch Kunstgeschichte betrieben wird, wenn man sich mit der Frage befasst, was denn ein Bild ist. Die Frage führt vielmehr in die Philosophie, die Philosophie des Bildes.

Der Schritt von der Werkgruppe hin zum Bildbegriff ist keine bloß quantitative Erweiterung, sondern ein Schritt ins Kategoriale, der notwendigerweise einen Wechsel der Methoden verlangt. Wenn man die Frage „Was soll als Bild bezeichnet werden?“ ernst nimmt, dann ist mit dem Vollzug dieser Fragestellung fraglich geworden, welche Gegenstände überhaupt als Bilder anzusprechen sind. Dies führt zu der weiteren Frage, ob für den Bildstatus einer Sache ein bestimmter Kontext entscheidend ist. Kann derselbe Gegenstand an dem einen Ort ein Bild sein, an dem anderen nicht?

Innerhalb der gegenwärtigen Philosophie des Bildes lassen sich drei Ansätze unterscheiden:

Der anthropologische Ansatz. Er findet sich grundlegend in dem Aufsatz Die Freiheit des Bildens: Homo pictor und die differentia des Menschen von Hans Jonas aus dem Jahr 1962. Jonas baut seine Argumentation auf dem Gedanken auf, dass das Bild ein Artefakt ist, welches ausschließlich Menschen herzustellen in der Lage sind. Er spricht damit den subjektiven Voraussetzungen zur Ermöglichung von Bildproduktion eine anthropologische Bedeutung zu – und genau in dieser Hinsicht ist er bis heute prototypisch für den anthropologischen Ansatz innerhalb der Bildwissenschaft: Die Bedingungen der Möglichkeit von Bildproduktion sind identisch mit den Bedingungen der Möglichkeit des bewussten menschlichen Daseins. Jonas sieht die Bedingungen der Möglichkeit zur Bildproduktion jeglicher Art in der Fähigkeit des Menschen zur Vorstellungsbildung. Nur ein Subjekt mit Vorstellungen kann auch Darstellungen erzeugen; zum Herstellen eines Bildes bedarf es der Fähigkeit zur mentalen Bildlichkeit: der Einbildungskraft. In dieser Grundannahme ist sich Jonas einig mit Vilém Flusser und Jean-Paul Sartre. Flusser baut ähnlich wie Jonas seine Bildtheorie auf der Überzeugung auf, dass die spezifisch menschliche Tätigkeit nicht das Sprechen, sondern die Fähigkeit zur Bildproduktion ist. Vor Jonas und Flusser hat bereits Sartre in seiner großen Studie Das Imaginäre 1940 die Bedeutung der Einbildungskraft herausgearbeitet: Damit kommt ihm eine Vorreiterrolle für den anthropologischen Ansatz zu. Alle drei stehen für den zentralen Grundgedanken einer jeden anthropologischen Bildtheorie: In der Fähigkeit zur Bildproduktion gilt es eine Bedingung der Möglichkeit von Bewusstsein und menschlichem Dasein zu sehen. Gegenwärtig wird dieser Ansatz von Hans Belting in dessen Bild-Anthropologie von 2001 vertreten: „Der Bildbegriff, wenn man ihn an seiner Wurzel packt, rechtfertigt sich letztlich nur als ein anthropologischer Begriff.“ Belting zeigt auch, dass sich der anthropologische Ansatz gegen eine Unterscheidung der Gruppe von Bildern in „die mentalen und physischen“ Bilder wenden muss. Das Bild wird weder erforscht, weil es ein Kunstwerk ist, noch weil es ein Bild ist, sondern weil es hilft, Fragen zu beantworten, die eigentlich in eine ganz andere Wissenschaft, in die Anthropologie, gehören.“

Der zeichentheoretische Ansatz. Ihn kann man an keinem anderen Ort besser kennen lernen als in Nelson Goodmans Sprachen der Kunst von 1969. In aller Klarheit ist hier der Schlüsselgedanke einer dezidiert semiotischen Bildtheorie entworfen: Das Bildmedium bedarf keiner eigenständigen Theorie des Bildes, eine ausgearbeitete Sprachtheorie ist hinreichend. Deshalb bezeichnet Goodman seine Languages of Art nicht als Bildtheorie, sondern als eine „allgemeine Symboltheorie“. Die Besonderheit des Bildes ist aus-schließlich innersemiotischer Art – ein Gedanke, der sich schon bei Peirce findet. Der semiotische Ansatz sieht in der Dreiteilung „Darstellendes – Darstellung – Dargestelltes“ nichts anderes als die für Bilder spezifische Erscheinungsweise der Differenzierung von „Zeichenträger – Intension – Extension“.

Der wahrnehmungstheoretische Ansatz geht auf Husserl zurück. Hier wird das darstellende Material „Bildträger“, das reale Objekt, auf welches sich ein Bild bezieht, „Bildsujet“ und die im Bild sichtbar erscheinende Darstellung „Bildobjekt“ genannt. Dabei gibt Husserl der Darstellung in einem Bild einen besonderen ontologischen Status: Er beschreibt die Darstellung als einen im Bild sichtbar werdenden, besonderen Gegenstand (womit aber nicht gesagt wird, dass das Sichtbarwerdende ein realer Gegenstand ist). Das Bildobjekt ist immer ein Objekt für jemanden und man kann sagen: Es ist ein Phänomen im Bild. Das Bildobjekt kann man sehen; so erscheint es jedenfalls dem Bildbetrachter: als Objekt einer Wahrnehmung. Hingegen einen Sinn oder einen Inhalt kann man nicht sehen. Denn der Sinn eines Zeichens ist eine Regel, wie man sich mit dem Zeichen auf etwas beziehen kann. Regeln können aber nicht wahrnehmbar sein. Deshalb ist für Husserl eine bildliche Darstellung nicht eine Form von symbolisiertem Sinn, sondern eine Form artifizieller Präsenz. Diese Idee der durch Bilder erzeugten artifiziellen Präsenz zieht sich wie ein roter Faden durch die phänomenologische Bildwissenschaft.