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INTERVIEW

Wenzel, Uwe Justus: Wieviel Philosophie verträgt das Feuilleton?

 

aus: Heft 4/2019, S. 48-52
 
 
Was für einen Platz hat die Philosophie im Feuilleton?
 
Welche Rolle Philosophie im Feuilleton spielt, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Rolle das Feuilleton in einer Zeitung spielt oder spielen will. Um das zu verdeutlichen, muss ich ein wenig ausholen: Mir hat sich in all den Jahren als Redaktor für Geisteswissenschaften und als philosophierender Feuilletonist bei der Neuen Zürcher Zeitung meine Arbeit mit einer – sagen wir – «klassischen» Idee von Feuilleton verbunden, mit einer Art Idealtypus: Das Feuilleton ist Medium einer räsonierenden Öffentlichkeit – wie die Zeitung, zu der es gehört (einer Zeitung mit einem gewissen intellektuellen Anspruch, versteht sich). Die Besonderheit des Feuilletons als Ressort wie auch der Textsorte, die das Wort bezeichnet, liegt für mich in dem, was ich «Geschmacksbildung» nennen möchte. So ungewöhnlich, wie das im ersten Moment klingen mag, ist es nicht. Ich meine Geschmacksbildung in einem weiten Sinne, der sich nicht nur auf Theater, Musik, Literatur, Kunst bezieht.
 
Man könnte ebenso sagen: Das Feuilleton dient der Kultivierung des Urteilsvermögens oder der Urteilskraft – der reflektierenden Urteilskraft im Sinne Kants, die «Besonderes» nicht unter ein vorgegebenes «Allgemeines» (ein Prinzip, ein Gesetz) subsumiert, sondern nach Gesichtspunkten und Maßstäben der Beurteilung erst und stets aufs Neue sucht. Solche Schärfung der Urteilskraft geht streckenweise – nur scheinbar paradox – auch mit skeptischer Urteilsenthaltung einher.
 
Beurteilen heißt eben nicht: vorab feststehende Positionen oder Meinungen vertreten. Derlei überlässt das Feuilleton anderen, den «meinungsfreudigen» Ressorts. Aber Vorsicht ist in jedem Fall geboten, denn wenn ein Vorurteil einem anderen Vorurteil widerspricht, so ist das noch keine Aufklärung.
 
Beurteilen bedeutet erst einmal, zu differenzieren, zu facettieren, zu unterscheiden – und das heißt im Wortsinne: zu kritisieren. Das Feuilleton ist «Organ» einer Kritik, die sich gegen das schematische Denken in vermeintlich erschöpfenden Alternativen – schwarz oder weiß, nein oder ja – wendet; nicht nur in der Sphäre des Ästhetischen, auch in der des Ethischen, Moralischen, Politischen, Sozialen ... Die feuilletonistische Devise lautet darum: «Tertium datur», es gibt ein Drittes – mindestens; besser noch: eine dritte, vierte, fünfte Perspektive, in der ein soziales Phänomen, ein moralisches Problem, ein Theaterstück, ein Buch wahrgenommen werden können. Das Feuilleton kultiviert den Möglichkeitssinn, auch und besonders sprachlich, sprachkritisch – und dies auch dann, wenn es «verspielt» zugeht.
 
Aber was heißt das nun für die Rolle der Philosophie im Feuilleton?
 
In den skizzierten Feuilletonbegriff sind ja ersichtlich philosophische Motive eingewoben. Aufklärung von Vorurteilen, Klärung von Begriffen, Verflüssigung erstarrter Denkformen, Infragestellung selbstverständlich erscheinender Meinungen (Doxai), Reflexion und Kritik – das alles gehört zum Kerngeschäft der Philosophie seit ihren Anfängen. Insofern weht im gesamten (idealtypischen) Feuilleton der aufklärerische Geist philosophischen Denkens. Aber es wird natürlich auch über Philosophie «selbst» und im engeren Sinne geschrieben, über philosophische Neuerscheinungen und Diskussionen. Wie fachintern das sein darf, wie zugänglich für Nichtfachleute es sein soll, ist eine naheliegende Frage; sie stellt sich freilich mit Blick auf alle möglichen Disziplinen der universitas litterarum. Beantwortet wird sie – wurde sie zumindest – auch durch die Auswahl der Themen und Bücher, die im Feuilleton Beachtung finden. Überwiegend an Fachkollegen Adressiertes kommt dabei nur dann zum Zuge, wenn die verhandelten Themen für die vielzitierte «breitere» oder «interessierte» Öffentlichkeit von Belang sein könnten.
 
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