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ESSAY

Welsch, Wolfgang: Hegel und die analytische Philosophie

Wolfgang Welsch:

Hegel und die analytische Philosophie

 

In der Philosophie gibt es seit längerem zwei Lager: das der analytischen und das der kontinentalen Philosophie. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich die Trennung vorbereitet, seit Mitte des Jahr­hunderts ist sie etabliert. Die analytische Philosophie, die in den anglo‑amerikani­schen Ländern dominiert, ist nach vorne gewandt, sie will ‑ auf dem Weg logischer oder sprachlicher Analyse ‑ Probleme lösen. Die kontinentale Philosophie, die auf dem europäischen Festland vorherrscht, setzt die philosophische Arbeit traditionellen Stils fort; nicht Klarheit und Lösung, sondern Tiefe und Originalität gelten ihr als Nobel­prädikate. Von diesem Gegensatz ‑ und vom Verdikt der analytischen Philosophie über die konti­nentale ‑ war kein Denker stärker betroffen als Hegel. "Hegel und die analyti­sche Philo­sophie", das ist wie Feuer und Wasser. Lange Zeit galt Hegel den analyti­schen Philosophen als Inbegriff kontinen­tal‑spekulativer Geistesverwirrung.

 Moores und Russells Angriff auf den Neo-Hegelianismus

 Das Verdikt über Hegel gehört zum Grün­dungsakt der analytischen Philosophie. Ende 1898 bliesen die 25‑ bzw. 26jährigen Cam­bridge‑Studenten George Edward Moore und Bertrand Russell zum Angriff auf den da­mals in der briti­schen Philosophie do­minie­renden Neo‑Hege­lianismus.

Moore mein­te, Hegels Beitrag zur Philoso­phie habe vor allem darin bestanden, der Auf­fassung, man könne sowohl eine Sache wie ihr Gegenteil vertreten, einen wohlklin­gen­den Namen zu verleihen ‑ "Dialektik" ‑ und diese irrige Anschauung zum philoso­phi­schen Prinzip zu erheben. Die analyti­sche Philosophie ist von An­fang an ‑ und bis in ihren Leitterminus "analytisch" hinein ‑ gegen Hegel gerichtet. Profilbildend ist dabei der Gegensatz zu dem "holistischen" Vor­gehen, wie es Francis Herbert Bradley im Anschluß an Hegel vertreten hatte.

 Schon in seiner Dissertation von 1898 wandte sich Moore gegen Bradleys Monis­mus, demzufolge unsere Erfah­rung als ein­heitliches Ganzes zu be­greifen sei. 1903, in den Principia Ethica, setzte er derlei "orga­nischem" Denken das Sezier­messer der Analyse entgegen. Er wollte dadurch dem Einfluss Hegels, den er als Quelle dieser Ganzheitsphantasien ansah, ein Ende ma­chen. Die Hegelianische Lehre "dass ein Teil 'keinen Sinn oder keine Be­deutung unab­hän­gig von seinem Ganzen' haben kann, muss entschieden zurück­gewiesen wer­den".

 Russells Angriffspunkt war der gleiche. Er wandte sich gegen Hegels ­These vom inter­nen Charakter der Relatio­nen ‑ eine Sache ist nicht aus sich, sondern durch ihre Be­ziehungen bestimmt ‑, und setzte dem die These vom externen Charak­ter der Relatio­nen entgegen. Sofern nun Relatio­nen den Relationsgliedern bloß äußer­lich sind, kön­nen sie zurückgestellt werden und gilt es,

"alles, was auf irgend­eine Weise komplex ist", durch Analyse auf die "einfachen Din­ge" zurückzufüh­ren, aus denen es besteht. Analytisches Vorgehen ist genau insofern geboten, als Hegelianisch ganzheitliches Vorgehen falsch ist. Vor ihrer analytischen Rebellion waren Russell und Moore allerdings begeisterte Hegelianer gewesen. Russell hat später be­kannt: "Ich war damals ein ausgewachsener Hegelianer... Wo im­mer Kant und Hegel in Konflikt waren, ergriff ich die Partei He­gels."

Die Wiederkehr Hegels in der neueren analytischen Philosophie

­Seit einigen Jahren ist eine emphatische Wieder­kehr des Verdrängten zu beobachten. Hegel steht plötzlich wieder auf der Agenda der analytischen Philosophie ‑ und zwar als neuer Inspir­ator. Es begann mit Quine, der 1951 in Two Dogmas of Empiricism die Un-umgänglich­keit einer holisti­schen Wis­sen­schaftsbetrach­tung darlegte. Er vermied die namentliche Erwähnung Heg­els noch, aber in den anschli­eßenden Dis­kus­sionen tauchte Hegels Name bald auf, und später hat Quine selbst auf idealistische Entsprechun­gen zu seinem Ansatz hin­gewiesen und seiner Zu-versicht Ausdruck gegeben, Hegels Bot­schaft erfasst und ge­würdigt zu haben. 1956 hat sich Wilfrid Sellars in Empiricism and the Philoso­phy of Mind Hegels Kritik an Unmittel­barkeit zu eigen gemacht und seine Über­legungen ausdrück­lich als "Mé­dita­tions Hegeliènnes" ge­kennzeichnet.

Gegenwärtig kehrt Hegel bei zwei führen­den Köpfen der analytischen Philosophie wieder, bei Bob Brandom und John Mc­Dowell, deren 1994 erschienene Bücher Making It Explicit und Mind and World derzeit welt­weit zu den meistdiskutierten Werken zäh­len. Brandom bekennt, dass er die entschei­denden Ansatzpunkte sowohl seiner Prag­matik wie seiner Semantik (den Aner­ken­nungs‑ wie den Inferenzgedanken) der Lektüre Hegels verdankt. Ähnlich sagt McDowell, seine Hauptthese von der Un­begrenztheit des Begrifflichen sei Hegel geschuldet. Er beklagt, daß die analyti­sche Tradition von Hegel zu wenig Notiz genom­men habe und möchte sein Buch gera­dezu als "Prole­gomenon" zu einer Lek­türe von Hegels Phänomenologie des Geistes ver­stan­den wissen.

Hegels Wiederkehr als Ergebnis der analytischen Philosophie

Wichtig ist festzuhalten, dass die Wiederan­näherung der analytischen Philosophie an Hegel sich nicht etwa aufgrund von Hegel- Lektüre vollzog - wie sollte sie auch, war Hegel doch eben der verfemte Philosoph par excellence -, sondern die analytische Philosophie ist von sich aus, durch sukzes­sive selbstkritische Reflexion ihrer Grundla­gen zu Einsichten gelangt, die denen glei­chen, wie sie zweihundert Jahre zuvor He-gel (in freilich ganz anderer Sprache und Refle­xionsart) entwickelt hatte.

Von Anfang an hatte sich die analytische Philosophie durch eine in der akademischen Philosophie ganz ungewöhnliche Bereit­schaft und Fähigkeit zur Selbstkritik aus­gezeichnet. Darin ‑ nicht in einzelnen The­sen, die sich bald als Dogmen erweisen mochten ‑ ist sie bewundernswert und vor­bildlich geblieben. Die fortgesetzte selbst­kri­tische Prüfung und Weiterentwicklung führte dazu, daß die analytische Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr ist, was sie in der ersten gewe­sen war. Tragende Grundvorstellungen er-wiesen sich spätestens seit Quines Two Dogmas als unhaltbar ‑ beispiels­weise die starre Tren­nung zwischen logi­schen und empiri­schen Wahrheiten, die Ausnahmestel­lung der Logik, das empiristi­sche Sinn­kriterium oder die Vorstellung einer alle Wissenschaf­ten umfassenden Einheitswis­senschaft auf physi­kalistischer Basis. Im Gefolge solcher Entwicklungen kommt es nun zu einer Wiederannäherung an Hegel, dem Antipoden von einst. Man könnte versucht sein, darin eine Ironie der Philo­so­phiege­schichte zu sehen. Ich will dieser überraschenden Kongruenz - die im übrigen ein starken Zutreffendheitsindiz darstellen könnte - im Folgenden jedoch in systemati­scher Perspektive nachgehen.

Drei Kongruenzgesichtspunkte in der theoretischen Philosophie

Der erste Punkt betrifft die Kritik an Unmit­telbarkeit und, darauf fußend, den Zusam­menbruch diverser Hoffnungen, unser Wis­sen auf isoliert fassbare atomare Sätze (Rus­sell), auf Gewissheiten des common sense (Moore) oder auf empirisch verifizierbare Basissätze (Carnap) gründen zu können.

Der zweite Punkt gilt, nach dem Scheitern solcher Elementarismen, dem Übergang zu einem wissenschaftlichen Holismus.

Drittens soll es um Realität gehen. Was ist Wirklichkeit, und welchen Anteil hat unser Denken und Sprechen an ihr? Warum ist der Idealismus im Recht ‑ aber so, dass auch der common sense ein Recht behält?

1. Unmittelbarkeit

Eine von Hegels zentralen Thesen besagt, dass jede Unmittelbarkeit in Wahrheit auf Vermittlungen beruht. Paradigmatisch hat er dies im 1. Kapitel der Phänomenologie des Geistes anhand der sinnlichen Gewissheit dargelegt. Die sinnliche Gewißheit hält sich für das "wahrhafteste" und "reichste" Wis­sen. Nun will uns Hegel die sinnlichen Gewiss­heiten nicht einfach nehmen, aber er hält uns dazu an, sie anders zu verstehen, als wir das gemeinhin tun. Er zeigt, dass sie keines­wegs unmittelbar sind, sondern auf mannig­fachen Vermittlun­gen beruhen. Zur sinnli­chen Ge­wissheit gehören vier Deter­minan­ten: die zeitliche des Jetzt, die räum­liche des Hier, die inhaltliche von Sachbe­stim­mungen und die personale eines Ich, dem diese sinnli­chen Sachverhalte jeweils erschlossen sind. Diese Determinanten sind aber ihrer­seits nicht von einfacher, sondern kom­plexer Natur; zudem sind sie nicht von singu­lärem, sondern von generellem Ge­brauch. Von komplexer Natur sind sie, sofern jede dieser Bestim­mungen auf andere bezogen ist: "hier" heißt zugleich nicht "dort"; "jetzt" be­deutet "nicht vorhin" oder "nicht gestern" oder "morgen"; "dieses" impliziert "nicht je­nes"; "hell" bedeu­tet: der Skala der Hellig­keitsprädikate (im Unter­schied etwa zu Geschmacks‑ oder Geruchs­prädikaten) zugehö­rend und dabei im Kon­trast zu "dun­kel", "zwielichtig" etc. stehend; und "für mich" bedeutet "nicht für einen anderen" oder möglicherweise auch für "je­dermann an meiner Stelle". Zudem sind diese Deter­minanten von gene­rellem Ge­brauch, denn sie können offenbar auf belie­bige Gegen­stände ‑ keineswegs nur auf den einen jetzt gerade präsenten ‑ an­gewandt werden.

Somit erfordert die Verwendung dieser Determinanten einiges: erstens ein Ver-ständ­nis ihres jeweiligen Prädikatenprofils (Orts‑, Zeit‑, Sach‑, Personbestimmungen) und zweitens der Weise, wie sich mit Hilfe dieser Determinanten Singularisierungen vornehmen lassen ‑ wie sich durch sie ein Einzelnes auszeichnen lässt. Denn nur mit-tels solch allgemeiner Strukturen können wir uns überhaupt auf Einzelnes beziehen. Unsere Zielausdrücke (wie "dieses"), durch welche wir ein Einzelnes direkt herauszu­picken scheinen, besitzen diese Auszeich­nungsfunktion nur innerhalb eines Bestim­mungs­netzes, das eine Reihe weiterer Ter­mini sowie eine Reihe von Verwendungsre­geln umfasst.

Insofern ist die Be­stimmung von Einzelnem selbst schon von begrifflicher Natur und erfordert begriffliche Prozesse. Daher ist die Selbstauffassung der sinnlichen Gewissheit ‑ die auf Unmittelbarkeit ihres Wissens pocht ‑ im Irrtum. Sie igno­riert die begriff­liche Vermitteltheit eines jeden Zugriffs auf Einzelnes. Unmittel­barkeit ist in Wahrheit nur ein Vor­dergrundseffekt vor dem Hinter­grund allge­meiner, begrifflicher Strukturen. Jede Beru­fung auf unmittelbares Wissen ist episte­mologisch naiv.

Hegels Kritik der Unmittelbarkeit hat eine besondere und sehr moderne Pointe darin, daß er als Zeugen für seine Auffassung die Sprache ins Feld führt. Er sagt: "wir spre­chen schlechthin nicht, wie wir es in dieser sinnlichen Gewissheit meinen." Sondern in der Sprache (die Hegel "das Wahrhaftere" nennt) "widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung". In der Tat sprechen wir ja vom Einzelnen auf eine allgemeine Wei­se, indem wir Ausdrücke wie "dieses", "jetzt". oder "hier" zu seiner Bezeichnung verwen­den; deren indexikalische Funktion beruht ja auf ihrem allgemeinen, keineswegs nur auf diesen zufälligen Gegenstand hier und jetzt zutreffenden, sondern auf beliebige Gegen­stände dieser Art anwendbaren Cha­rakter. Insofern hat der Blick auf die Spra­che auf­klärende Funktion: Die Sprache verrät uns, dass wir für die Bezugnahme auf Ein­zelnes des Allgemeinen bedürfen, dass das schein­bar Unmittelbare begrifflich ver­mittelt ist.

Nun sah sich die analytische Philosophie in ihren diversen Rekursen auf Unmittelbarkeit sukzessiv gezwungen, Argumen­ten der von Hegel vorgebrachten Art Rech­nung zu tragen und die eigene Position dement­spre­chend zu modifi­zieren oder schließlich ganz aufzuge­ben.

Russell suchte ‑ ob seiner Rebellion gegen Hegel nicht verwunderlich ‑ auf die ver­meintliche Unmittelbarkeitsstruktur sinn­licher Gewissheit zurückzugreifen. Seine erste Phase - von ihm später selbst bespöt­telt - war die des "naiven Rea­listen", der sich an dem Gedanken erfreut, "dass das Gras in Wirk­lichkeit eben doch grün ist".

In einer zweiten Phase, ab 1912, waren für Russell nicht mehr Gegenstände wie das grüne Gras, sondern "Sinnesdaten" das unmittelbar Gegebene. Sein Paradigma dafür lautete "roter Flecken (patch) hier jetzt". Von solchen Sinnesdaten, meinte Russell, haben wir direktes "Wissen durch Bekanntschaft" ("knowledge by acquaint­ance"), "ohne Ver­mittlung durch irgend­einen Vorgang des Schließens oder irgend­ein Wissen von Wahrheiten". Sinnesdaten sind "Dinge, ... die mir genau so, wie sie sind, unmittel­bar bekannt sind". Damit re-kurrierte Russell auf die Reinform der von Hegel kritisierten sinn­lichen Gewissheit. Aber damit war seine Position auch den von Hegel vor­gebrachten Einwänden ausgesetzt. Wenn Russell sagt, die Bezugnahme auf Sinnes­daten erfolge gänzlich isoliert und voraus­setzungslos und verleihe ein vollkom­menes Wissen dieser Sinnesdaten, so hat er dabei erstens die für derlei Bezugnahmen erfor­der­lichen Sin­gularisierungs‑ und Iden­tifi­zie­rungsleistun­gen ausgeblendet und zwei­tens vorschnell Be­kanntschaft mit Wis­sen gleich­gesetzt. Kurz­um: Er hat die be­griffli­chen Vermitt­lungen der Bezugnahme auf Einzel­nes ignoriert.

Russell will die Dinge eben auch anders­herum sehen als Hegel: er möchte das Wis­sen allgemeiner Strukturen auf Elementar­gewissheiten aufbauen ‑ während laut Hegel die vorgeblichen Elementargewissheiten be­reits einen Apparat allgemeiner Wissens­strukturen voraussetzen.

Parallel zu Russell hat auch Moore seit 1910 eine Theorie der Sinnesdaten ver-treten. Bei Moore hatte sie den Sinn, der in seiner Widerlegung des Idealismus von 1903 erho­benen Forderung Rechnung zu tragen, dass man zwischen der Wahrneh­mung und den von dieser unabhängig exi­stierenden Gegen­ständen (allgemein: zwi­schen dem Erkennen und den Gegenständen der Er­kenntnis) unterscheiden müsse. Da haben Sinnes­daten nun eben den Vorteil, zwar Wahrge­nom­menes zu sein, die Frage des Gegen­standes aber offenzulassen. Wie Russell schreibt auch Moore den Sin­nesda­ten eine privile­gierte epistemische Rolle zu. Ihm zufolge soll unser gesamtes Wissen von materiellen Gegenständen auf Sinnesda­ten basieren, und diese sollen wir direkt und unmittelbar erfassen.

Moores Theorie ist den gleichen Schwierig­keiten ausgesetzt wie die Russells. Nicht nur der Wissenscharakter der Sinnesdaten­kenntnis ist fraglich, sondern zuvor und vor allem schon ihre behauptete Direktheit bzw. Unmittelbarkeit. Die spätere analyti­sche Philo­sophie hat die Sinnesdatentheorie denn auch rundweg hart kritisiert ‑ vorerst sei dafür nur auf den Oxforder Philosophen John Austin hingewiesen, der die Theorie der Sinnes­daten seit den vierziger Jahren  einer scharfen Kritik unter­zog.

Ab 1918 hat Russell seine Theorie der Sinnesdaten mit einem anderen berühmten Konzept verbunden, mit dem des "logischen Atomismus". Russell will eine "logisch perfekte Sprache" entwickeln, in der jeder einfache Gegen­stand durch ein einziges Wort ausgedrückt werden soll. Die denkbar einfachsten Tat­sachen haben Russell zufolge die Form "dieses ist weiß" ‑ wiederum also sollen Sinnesdaten als elementare Tat­sachen fun­gieren. Russell bezeichnet diese ein­fachen Tatsachen als "atomare Tat­sachen" bzw. "Einzeldinge" ("particulars"). Sie sol­len ihm zufolge "gänzlich alleine stehen und sich völlig genügen", ohne auf irgendeine Weise von anderen Einzeldingen logisch abhängig zu sein. Aus diesen isolierten Elementartat­sachen soll dann die ganze Welt aufgebaut werden ‑ daher die Bezeich­nung "Atomis­mus".

Wie stellt man es nun an, sich sprachlich auf eine Elementargegebenheit, auf ein Einzelding im logischen Sinn zu beziehen? Das ist nur durch Ausdrücke möglich, die tatsächlich exklusiv auf das jeweilige Ein­zelding referieren, also wie Eigennamen fungieren ‑ als Eigennamen nicht, wie ge­wöhnlich, für Personen, sondern für Ele­mentargegebenheiten. Welche Ausdrücke sind dazu imstande? Russell zufolge nur ein einziger: "dieses". Er erklärt: Wenn man "dieses ist weiß" sagt, so gebraucht man 'dieses' dabei als logischen Eigennamen; er identifiziert ein Einzelding, von dem man im Moment Kenntnis hat. Russell macht al-so von dem Ausdruck 'dieses' (dessen nai-ves Verständnis Hegel in der Phänome­nolo­gie des Geistes so ironisch behandelt hatte) emphatischen Gebrauch.

Allerdings räumt Russell auch ein, dass der Aus­druck 'die­ses' eine Eigenart besitzt, die für die Eigen­namensfunktion miss­lich ist. Der Ausdruck "be­zeichnet selten zwei Mo­mente später noch dasselbe, und für den Sprecher und den Hörer bezeichnet er gar nicht das­selbe". Daher gibt Russell zu, daß 'dieses' "ein mehrdeutiger Eigen­name" ist ("an ambi­guous proper name"). Nur: Ist das für einen logischen Eigen­namen nicht gera-dezu ruinös ‑ wo er doch ganz allein aus eigener Kraft eine atomare Tatsache be­zeichnen soll? Russell aber bleibt stand­haft und er­klärt, 'dieses' sei trotz seiner Mehr­deutig­keit ein Eigenname ‑ es sei geradezu der einzige Ausdruck, den er sich als kor­rekten und logischen Eigen­namen denken könne. Rus­sell blendet den Umstand aus, dass die iden­tifizierende Funktion des 'die­ses' von der jeweiligen Verwen­dungs-situa­tion abhän­gig ist. Eben weil die Situa­tion sich ändern kann, be­zeichnet 'die­ses' oft­mals "zwei Momente später" schon etwas ande­res. Zudem ist nicht leicht sicherzustel­len, dass es in der gleichen Verwendungssi­tuation für Sprecher und Hörer dasselbe bezeichnet. Wenn ich "dieser dort" sage und in Rich­tung eines Schuhs zeige, ist dadurch allein noch lange nicht klar, ob ich mich auf den Schuh, den Schnürsenkel, den Käfer auf der Schuhspit­ze oder den Polierlappen hin­ter dem Schuh beziehe. Zudem gibt es keine Bezugnahme auf Einzelnes ohne ein Ver­fü-gen über All­gemeinbegriffe, keine Ver­wen­dung von Eigennamen ohne den Hori­zont von Univer­salien. Dass Russell all diese Bedingungen ausblen­det, verurteilt seinen Ansatz zum Scheitern. Wie die zuvor disku­tierten Ver­sionen der Sinnesdaten‑Theorie, so erweist sich auch der logische Atomis­mus gerade dort als unhaltbar, wo er sich der von Hegel auf­gewiesenen konstituiven Vermitteltheit des scheinbar Unmittelbaren zu entziehen sucht. - Hegels Argumente scheinen reichlich stark und auf Dauer unausweichlich zu sein.

Die schärfste Kritik der Sinnesdatentheorie und des logischen Atomismus im Bereich der analytischen Philosophie wurde 1956 von Wilfrid Sellars in Empiricism and the Philosophy of Mind vorgetragen. Seine At-tacke auf den "Mythos des Gegebenen" ist berühmt geworden; in ihr hat er einige Argumente Hegels ‑ den er dort als "den großen Widersacher der Unmittelbarkeit" bezeichnete - analytisch reformuliert.

Sellars' Kritik scheint mir durchschlagend.

Nicht einmal Sinnesdaten, so zeigt er, las­sen sich ohne die Verwendung begriffli­cher Raster identifizieren. Er schreibt: "... man könnte kein Beobachtungswissen von ir­gendeiner Tatsache haben, ohne gleich­zeitig viele andere Dinge zu wissen". Das be­nennt die Crux aller Sensualismen, die begriffsfrei durchzukommen suchen. Zugleich markiert es die Misere eines auf Sinnesdaten auf­bauen wollenden logischen Atomis­mus. Dadurch aber wird ‑ und das ist schließlich Sellars' knock‑down‑Argument ‑ die empiri­stische Begründungsidee insge­samt aus den Angeln gehoben. Sie beruht ja auf der Vor­stellung, daß wir zuerst Wissen von einer Reihe von Einzeltatsachen erlan­gen könn­ten, um von da aus erst zu allge­meinem Wissen zu gelangen. In Wahrheit aber ver­hält es sich genau umgekehrt: Ein­zelwissen setzt (wie Hegel gezeigt hatte) Allge­mein­wissen bereits voraus. Damit bricht die empiristische Begrün­dungsidee und jeder Versuch einer Begrün­dung auf vorgebliche Unmittelbarkeit zu­sammen.

Das Programm des zwei­ten, des in Wien er-blühten Zweiges der analy­tischen Philoso­phie, des Logi­schen Empirismus und insbe- sondere Rudolf Car­naps war es, durch "Protokoll­sätze" zu gesichertem Wis­sen zu gelangen. Protokollsätze sind schriftliche Protokolle beispielsweise von physikali­schen Versuchs­anordnungen oder von Wahrneh­mungen, die nichts anderes als "unmittelbar beobachtbare Sachverhalte" enthalten. Car­nap betrachtete solche Proto­kollsätze als "Sätze, die selbst nicht einer Bewährung bedürfen, sondern als Grundlage für alle übrigen Sätze der Wis­senschaft dienen." Die von ihm vormals (im Logi­schen Aufbau der Welt den "Ele­mentarerleb­nissen" zuge­schriebene Aufgabe kommt jetzt also den Proto­kollsätzen zu. Sie haben die Funk­tion von Basissätzen. Sie sind in physi­kali­scher Spra­che for­muliert oder in diese über­setzbar, und die physikali­sche Sprache gilt als "uni­versale Sprache" ‑ als "die Spra­che der Wissen­schaft".

Aber schon bald wies Otto Neurath ‑ der interessanteste Kopf unter den Kreis­mitgliedern ‑ auf schwerwiegende Probleme hin: Erstens kann es keine ganz sauberen Protokollsätze geben, weil wir uns "selbst auf dem Boden strengster Wissenschaftlich­keit" nicht einer Sprache bedienen können, die von den unpräzisen Termini der All­tags­sprache völlig gereinigt wäre. Die Vor­stel­lung "einer aus sauberen Atomsätzen auf­gebauten idea­len Sprache" ist eine meta­physische Fiktion. "Man kann nicht von endgültig gesicherten, sauberen Protokoll­sätzen ausgehen."

Zweitens können Sätze überhaupt nicht mit Tatsachen, sondern nur mit Sätzen vergli­chen werden, weshalb die Idee einer Über­einstimmung mit Tatsachen sinnlos ist. Die Protokollsätze bieten daher keine Wirklich­keitsgarantie, sie stellen keine an der Wirk­lichkeit verankerten Basissätze dar, sondern haben in erster Linie, wie alle anderen Sätze der Wissenschaft auch, Forderungen der Kohärenz zu genügen.

Dies nötigt drittens, die gesamte Ausrich­tung der Wissenschaft von Korrespon­denz‑ Hoffnungen auf Koh­ärenz‑Gewährlei­stung umzustellen. Nicht eine vermeintliche Eichung an der Wirklich­keit, sondern die Widerspruchsfreiheit des Gesamtsystems der Sätze bildet das Wahr­heitskriterium der Wissenschaft. Und dabei ist im Prinzip jeder Satz, auch jeder Basissatz, revidierbar.

Zudem brachte Karl Popper drei schlagen­de Argumente vor: erstens kann, da man die möglichen Prüfungen von Basissätzen nicht zu erschöpfen vermag, kein Basissatz je als schlechthin gesichert gelten; zweitens ver­mag kein Basissatz wirklich ele­mentar (oder, wie Russell gesagt hatte, "atomar") zu sein, denn ein jeder enthält Be­züge auf zumindest einige andere Sätze und Sach­verhalte; und drittens gibt es schließlich auch keine reinen Beobachtungen oder Beschreibungen, son­dern eine jede ist "von Theorien durch­setzt".

Der Rekurs auf vorgeblich elementare Ba­sis­sätze ("Protokollsätze") scheitert also an einer ganzen Reihe von Einwänden. ‑ He­gels Kritik elementaristischer Unmittel­barkeitsvorstellungen ‑ sein Hinweis auf deren unumgängliche begriffliche Vermit­teltheit ‑ mag lange brauchen, bis sie sich durchsetzt, aber sie scheint auch einen lan­gen Atem zu haben.

Atomisti­sche Singularisierungsver­suche und empiri­stische Elemen­tarisierungsversuche erleiden gleichermaßen Schiffbruch am Ver-mitt­lungscharakter des­sen, was sie als un­mittel­bar oder elementar wähnen. Zu­gleich aber hat sich ein möglicher Aus­weg ab­ge­zeichnet. Neurath und Popper hatten die Achse der Wahrheit von der externen Kor­respondenz mit Wirklichkeit zur inter­nen Kohärenz der Theorie hin verschoben. So mündet die Kritik an Logi­schem Ato­mismus und Empirismus in die Entwicklung einer holistischen Wissenskon­zeption. Damit scheint die analytische Philo­sophie ‑ nach­dem sie auf dem Wege einer Jahrzehnte währenden Selbstkritik Hegels Einspruch gegen Unmittelbarkeit und Ele­mentarismus wiederholt hat ‑ nun ein posi­tives Pendant zu Hegel zu schaffen.

2. Holismus

Quines Aufsatz Two Dogmas of Em­piri-cism von 1951 setzte dem ursprünglich anti­holistischen Pathos und der atomistisch‑     ­elementaristischen Ausrichtung der analyti­schen Philosophie definitiv ein Ende. Quine zeigte, dass empirische Bedeutung sich nur auf der Ebene der Wissenschaft als ganzer bestimmen lässt.

Die alte "Annahme, dass jede Aussage un-ab­hängig und isoliert von anderen Aussa­gen bestätigt bzw. geschwächt" werden könne, ist deshalb verfehlt, weil "unsere Aussagen über die Außenwelt nicht als einzelne In­dividuen, sondern als ein Kollek­tiv vor das Tribunal der sinnlichen Erfah­rung treten". Diese Einsicht erzwingt den Übergang von Atomismus und Elementaris­mus zu Holis­mus. Es gibt keine Eins‑zu‑­eins‑Zuordnung zwischen empirischen Be­funden und Sätzen der Theorie. Empirische Tests sagen uns nur, ob überhaupt etwas in der Theorie zu ändern ist, nicht aber, was genau zu ändern ist. Wir haben stets "eine breite Auswahl, welche Aussagen wir angesichts einer belie­bigen individuellen dem System zuwi­derlau­fenden Erfahrung neu bewerten wol­len­." "Jede beliebige Aus­sage kann als wahr aufrechterhalten werden ... Um­gekehrt ist ebenso keine Aussage unrevidier­bar."

Sogar die logischen Gesetze sind davon nicht ausgenommen. Quines Beispiel: "Die Revision selbst des logischen Gesetzes des ausgeschlossenen Dritten wurde vorgeschla­gen, um damit eine Ver­einfachung der Quantenmechanik zu er­reichen".

Unsere Theorien und Deutungssysteme blei-ben also prinzipiell empirisch unterbe­stimmt.  Die Wissenschaft als ganze schwebt gleich­sam über ihrer Erfah­rungs-grundlage. Sie kann nicht durch em­pirische Verankerung, son­dern nur durch Gewährlei­stung ihrer inneren Kohärenz stark und stabil gemacht werden. Die Undurchführ­barkeit des Eins‑­zu‑eins‑­Verifika­tionismus nötigt, die Kohä­renz der Gesamt­theorie zum Wahrheitskrite­rium zu erheben.

Während Quines Holismus sich gegen Car­nap und die Russell‑Tradition wandte, rich­tete sich Wittgensteins Holismus in erster Linie gegen Moore. Moore hatte alltägliche Gewissheiten des common sense ver­teidigt. Sätze wie "Hier ist eine Hand" oder "Die Erde bestand lange Zeit vor mei­ner Geburt" hielt er für uner­schütterlich ge­wiss. Der­glei­chen wisse man einfach mit Sicherheit.

Wittgenstein jedoch widerspricht ‑ zwar nicht diesen Gewissheiten, aber Moores Verständnis derselben. Derlei Gewisshei­ten, sagt Wittgenstein, sind nicht kognitive Er­rungenschaften, sie stellen kein Wissen dar, sondern sie gehören zur Struktur un­seres Weltbildes. Und dieses haben wir nicht durch einzelne Wissensschritte aufgebaut, sondern es ist als fragloser und tragender Hintergrund aller einzelnen Wissensschritte wirksam: "... mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit über­zeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide."

"Das System ist das Lebenselement der Argumente".

Von da aus ist Wittgensteins Antwort auf Moore klar. Wenn dieser von "unerschüt­terlichen Überzeugungen" spricht, so bedeu­tet das nicht, daß er "bewusst durch be­stimmte Gedankengänge" zu diesen Über­zeugungen gelangt wäre, sondern dass die betreffenden Überzeugungen so sehr in all seinen "Fragen und Antworten verankert" sind, dass er gar "nicht an sie rühren kann­". Kurzum: Moores unerschütterliche Gewiss­heiten sind nicht Wissenssätze, son­dern Glaubensbestände.

Hegels Holismus

Hegels Hauptargument für den Holismus habe ich schon angeführt. Was wir ein 'Einzelnes', ein 'Einfaches' oder einen 'Teil' nennen, beruht auf komplexeren Bedingun­gen, als wir gemeinhin annehmen. Indem wir etwas als 'Einzelnes' oder 'Ein­faches' bezeichnen, suggerieren wir (auch uns selbst), dass es für sich stehe und allein aus sich begriffen werden könne. Damit un-ter­schlagen wir die Vermittlungsleistun­gen, die für seine Kon­turierung in Wahrheit un-er­lässlich und in seine Bestimmung als 'Einzelnes' oder 'Ein­faches' schon einge­gan­gen sind. Es gibt, sagt Hegel, weder in der Wirklich­keit noch im Denken ein Ein­faches, wie man es sich gewöhnlich vor­stellt.

'Einfachheit' ist ebenso wie 'Einzelheit' eine Kon­trast­bestimmung; mit ihr sind zugleich andere Bestimmungen wie 'Kom­plexität', 'Abgegrenztheit', 'Anzahl' und dergleichen im Spiel. Nur im Verbund solcher Bestim­mungen ‑ also gerade nicht einfach, nicht einzeln ‑ kann etwas überhaupt als 'Ein­faches' oder 'Einzelnes' bestimmt werden. Zweitens sind Einfachheit und Einzelheit allgemeine Bestimmungen ‑ sie treffen offenbar auf vielerlei zu. Mithin kann ein Einfaches oder Einzelnes diese Bestimmun­gen allenfalls erfüllen, nicht aber erzeugen oder ausschöpfen. Somit bedarf es, um von diesem Einfachen oder Einzelnen sprechen zu können, zusätzlicher Begriffs­raster, um dieses von anderem Einfachem oder Einzel­nem abheben zu können. Etwas als 'ein­fach' zu bestimmen, ist ein reichlich komplexer Akt. Das anscheinend Einfache kann nur in einem vielmaschigen Bestim­mungsnetz als solches vorkommen.

Auf ähnliche Weise problematisiert Hegel die Form des Aussagesatzes. Ein Subjekt soll durch ein Prädikat bestimmt werden ‑ aber es wird immer nur in einer gewissen Hinsicht, also einseitig, nicht umfassend bestimmt. In dieser einen Bestimmung geht das Subjekt also nicht auf, es weist über sie hinaus. Also, so meint man, muss man zu seiner vollständigen Bestimmung wohl noch weitere Sätze herbeiziehen. Aber lässt sich ein Gegenstand überhaupt durch eine ‑ sei's auch noch so große ‑ Anzahl von Sätzen vollständig bestimmen? Schwerlich. Denn was vom Gegenstand gilt, wiederholt sich auf der Ebene der Prädikate noch einmal.

Die Bestimmungsleistung eines Prädikats hängt von dessen Stellung zu anderen Prädi­katen ab und erfolgt im Ver­bund mit diesen. Ein Prädikat zu verwenden, heißt zugleich einen ganzen Schwarm an­derer Prädikate ins Spiel zu bringen. Lässt sich eine Grenze dieser Komplexifizierungsdynamik errei­chen?

Pragmatiker versuchen das. Sie raten, die Kette der Klärungen abzubrechen, wenn in der Verständigung keine Probleme mehr auftreten. Hegel aber steht solch pragmati­scher Bequemlichkeit fern. Er ist ein emi­nent theoretischer Philosoph, der das Be­grei­fen so weit treiben will wie nur irgend möglich; unter dem Maß der vollen Wahr­heit mag er sich nicht zufrieden ge­ben (und vielleicht ist es erlaubt, heutige Philo­so­phen daran zu erinnern).

Wenn nun aber jede Bestimmung konstitu­tiv mit einer Serie weiterer Bestimmungen verknüpft ist, dann ist die volle Wahrheit nur durch eine Klärung des Ganzen zu er-reichen. Das ist der nüchterne Sinn von Hegels Diktum "Das Wahre ist das Gan­ze".

Aber lässt sich eine vollständige Bestim­mung des Ganzen überhaupt erreichen? Das scheint schon deshalb unmöglich, weil die Mannigfaltigkeit der Gegenstände andau­ernd in Entwicklung und Bewegung begrif­fen ist. Wie sollte sich da ein komplettes System ihrer Beziehungen aufstellen lassen? ‑ Aber so ist Hegels Holismus auch gar nicht ge­meint. Hegel hat nicht eine umfas­sende Ausbuchstabierung des Beziehungsge­flechts weltlicher Gegenstände im Sinn. Und damit komme ich erst zum entschei­denden Punkt in Hegels Verständnis der Totalität, oder zu Hegels "Dreh".

Was war es denn eigentlich, was zum Hin­ausgang ins Ganze nötigte? Es war nicht die Mannigfaltigkeit der weltlichen Gegenstän­de als solche, sondern die komplexe Archi­tek­tur ihrer begrifflichen Bestimmung. Einen Gegenstand zu bestimmen, verlangte nicht nur, auch andere Gegenstände zu be-rück­sichtigen, sondern vor allem, auf die be­griff­lichen Strukturen solchen Bestim­mens zu achten und sich auf ihre Komplexität einzulassen. Nur die vollstän­dige Reihe der Gegenstände ins Auge zu fassen, wäre also doppelt ungenü­gend. Erstens vermöchte man so gar nicht zum wirklichen Begreifen dieser Gegenstände zu gelangen, und zwei­tens hätte man, indem man sich bloß auf die Gegenstände kapri­zieren wollte, noch gar nicht den ganzen Bereich des Bewusstseins, des Verstehens und Begreifens berücksich­tigt, man würde also allenfalls die halbe, die objek­tiv‑gegenständliche Totalität anzielen, darü­ber aber die andere Seite, die des Be­wusst­seins, vergessen haben und so den An­spruch auf Totalität eklatant verfehlen.

Wirkliche Totalität muss beides, muss Ob­jek­tives und Subjektives umfassen. Nur dann hat sie nichts mehr außer sich, kann sie wirkliche Totalität sein.

Nun ist letztlich eine Trennung von Gegen­standserkenntnis und Bewusstseinsthemati­sierung ohnehin nicht möglich. Bewusst­seinsleistungen sind den Gegenständen schon einge­schrieben. Diese Einsicht er­möglicht es Hegel, das zu tun, was man tun muss, um wirkliche Tota­lität zu erreichen: das Insge­samt der Korre­lationen von Ge­genstandswei­sen und Be­wusstseinsformen in den Blick zu nehmen, die Rekonstruktion des Systems der Gegen­stände ineins mit der Rekonstruk­tion der entsprechenden Be­wusstseinsformen vorzu­nehmen. Insofern dreht Hegel die Achse der Betrach­tung weg von der horizontalen Voll­ständig­keit nur der Gegenstandsmannigfal­tigkeit hin zur umfas­senden Thematisie­rung der Kor­relationen von Bewusstsein und Gegenstand. Genau dadurch wird ein Be­greifen des Ganzen möglich.

Im einzelnen sind zur Durchführung dieses Vorhabens drei Elemente erfordert. Hegels Ausgangspunkt ist die strikte Korrelation von Bewusstsein und Gegenstand: zwi­schen Bewusstseins- und Gegen­stands­typik besteht stets eine Entspre­chung. Ge­gen­stände einer bestimmten Art gibt es nur für ein Bewusst­sein der korrespon­dierenden Art.

Zweitens stehen die Bewusstseinsformen so-wohl in einer generativ‑sukzessiven Be­zie­hung wie in einem bewahrenden Ver­hältnis zueinander. Die nachfolgende Stufe stellt jeweils die Lösung eines auf der vor­ange­gangenen Stufe unlösbar gebliebenen inne­ren Widerspruchs dar. Hier hat Hegels be-rühmte Rede von "Aufhebung" ihren Ort: frühere Stufen sind in den nachfolgenden "aufgehoben".

Drittens muss eine Vollendungsform der Erkenntnis‑Gegenstands‑Korrelation denkbar und realisierbar sein. Hegel zufolge ist dies der Fall. Die höchste Form wird dort er­reicht, wo die zuvor nur latente Entspre­chung von Bewusstseins‑ und Gegenstands­form vollkommen transparent wird. Dies geschieht, indem das Bewusstsein erkennt, dass es in all seiner Befassung mit Fremd­artigem in Wahrheit mit sich selbst befasst war und ist, wo es sich also als Selbstbe­wusstsein begreift. Damit, sagt Hegel, ist das eigentlich "begreifende Wissen" er­reicht, das alles umfasst und darum weiß. Über dieses Wissen hinaus ist kein höheres mehr denk­bar, denn in ihm ist die wechsel­weise Ent­sprechung von Gegenstand und Begriff vollständig realisiert und die Reihe aller vorherigen Stufen aufbewahrt. Dieses Wis­sen repräsentiert die vollendete Tota­lität.

Hegels Holismus im Verhältnis zu dem Quines und Wittgensteins

Quine hat herausgestellt, dass Bedeutung nur im Zusammenhang der Sätze der Ge­samt­theorie festzumachen ist. Dem würde Hegel zustimmen. Wissenschaft hängt auch für ihn an der Interdependenz und integra­len Schlüssigkeit der Sätze und damit an der Systemform. Wittgenstein hatte eben­falls betont, dass sich im System "Folgen und Prämissen gegen­seitig stützen". Wenn er sagte, dass "das Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen", "nur in diesem System hat",  so hatte Hegel ganz analog erklärt, dass jeder Teil "Sinn und Bedeutung ... nur durch seinen Zu­sammenhang mit dem Gan­zen" besitzt.

Gleichwohl geht Hegels Totalitätsgedanke über diese analytischen Versionen hinaus. Hegels Pointe war, dass Totalität nur er­reich­bar ist, indem die Kongruenz von Er­kenntnis und Gegenstand vollkommen trans­parent wird. Von daher ist erstens die Beto­nung nur der Interdependenz von Sät­zen und eines ge­samt­heitlichen Charakters der Theo­rie bei weitem zu wenig. Die Ein­sicht in die tiefere Entsprechungsstruktur von Wissen und Gegenständlichkeit fehlt. Zwei­tens würde Hegel Quines Dualismus kriti­sieren. Quine hatte gemeint, die Theorie sei eines, das "Sperrfeuer sinnlicher Rei­ze" ein an­deres; ein Holismus der Theorie sei gera­de deshalb geboten, weil die Kluft zwischen Theorie und Sinnesreizen nicht geschlossen werden könne. Aber ist diese Rede von einer Welt, die uns nichts anderes als Sin­nesreizungen liefert, nicht selber ein Stück Theorie ‑ während Quine sie wie eine theo­rie‑exempte Voraussetzung aller Theorie hinstellen möchte? Kann man einen solchen Dualis­mus, der Holismus nur für die eine Seite behauptet, als einen veritablen Holis­mus ansehen? Gerade in diesem Punkt ha-ben analytische Nachfolger Quines ‑ ins- beson­dere Davidson und McDowell - die­sen scharf kritisiert. Drittens würde Hegel auch Wittgensteins Rede von einem "Sy­stem" ‑ auch wenn sie sich auf Lebensfor­men be­zieht und auf Praktiken als das "Le­bens­element" der Theorie abhebt ‑ als noch immer zu einseitig überzeugungs‑ bzw. satzbezogen kritisieren. Von Hegel aus ge-sehen, fehlt auch bei Wittgenstein die Durchführung der Kon­gruenz von Überzeu­gungs‑ und Gegen­standsstruktur. Zudem würde Hegel Witt­gensteins These der Un­hintergehbarkeit des Systemrahmens als objektivistisch bearg­wöhnen und aufzubre­chen suchen.

3. Erkennen und Wirklichkeit

Ich komme zum dritten Kongruenzpunkt, zum Verhältnis von Erkennen und Wirklich­keit. Seit dem linguistic turn sagt man in der analytischen Philosophie: Was immer es ist, worauf wir uns beziehen, es muss in irgendeiner Weise sprachlich verfasst sein. Wie gelangt man zu dieser Auf­fas­sung? Oft kann man eine Begründung fol­gender Art hören: Worüber wir auch spre­chen mögen ‑ Häuser, Stim­mungen, Bom­benopfer ‑, es muss sprachlich deshalb verfasst sein, weil wir sonst ja gar nicht darüber re­den könn­ten. Aber diese Begründung ist (wenn sie über­haupt mehr als eine Tauto­logie sein soll) allzu trivial und un­zureichend. Selbst­ver­ständlich kön­nen wir nur mittels der Spra­che über etwas spre­chen. Aber daraus folgt keines­wegs, dass das Worüber dieses Spre­chens selber etwas Sprachliches sein müss­te. Ein Floh, dessen ich nur mittels einer Pin­zette habhaft wer­den kann, ist deswegen auch noch nicht eine Pinzette.

Zudem nimmt das Argument offenbar seine eigene Behauptung nicht ernst. Indem es unser Reden als ein 'Sprechen über Gegen­stände' auffasst, tut es ja so, als existierten diese Gegenstände zunächst einmal unab­hängig von unserem Sprechen. Immerhin soll unser Sprechen diese Gegenstände ja nicht erzeugen. Die Trivialform des Ar-guments operiert also selbst noch mit einer Dualität von Sprache einerseits und Gegen­stand andererseits.

Hegel hätte demgegenüber darauf hingewie­sen, dass man nicht einerseits einen konsti­tutiven Sprach­charakter der Gegen­stände behaupten und andererseits den Gegenstän­den zugleich eine gewisse Sprach­unabhän­gigkeit reservieren kann. Hegel dachte auf eine vollständige Entsprechung von Begriff und Gegenstand hinaus ‑ und wenn er mit diesem für seine Philosophie zentralen Gedanken recht hat, dann kann es letztlich eine Sprachunabhän­gigkeit der Gegenstände nicht geben.

Gewiss kennt auch Hegel Verhältnisse, wo eine Deckung von Begriff und Gegenstand noch nicht vorliegt. Das natürliche Be­wusst­sein gilt ihm als Paradebeispiel dafür. Aber Hegel glaubt, dass derlei Verhältnisse eben wegen dieser Nichtentsprechung von Begriff und Gegenstand über sich hinausge­trieben werden, bis eine Bewusstseinsform entsteht, die durch die volle Äquivalenz von Begriff und Gegenstand gekennzeichnet ist. Die Frage ist nur, von welcher Art ein Begriff sein muss, damit eine solche Ent­sprechung tatsächlich besteht, Begriff und Gegenstand koextensiv und kointensiv sind.

Unsere gewöhnlichen Begriffe sind nicht von dieser Art. Sprechen wir von einem Baum, so meinen wir diesen gerade als unab­hängig von unseren Vorstellungen und Be-griffen existierend; selbst wenn wir Men­schen gar nicht von Bäumen sprächen, gäbe es die Bäume doch. So denkt das natürliche Bewusstsein. Und daran ist nichts Falsches ‑ aber etwas Wahres, woran dieses Bewusst­sein nicht denkt. Dass natürliche Gegen­stände unabhängig von unseren Vor­stellun­gen und Begriffen exi­stieren, gehört offen­bar zu unserem Ver­ständnis natürlicher Ge-genstän­de. Also, so Hegels einfache Schluss­folgerung, steht die Unabhängigkeit der Gegenstände in Wahrheit nicht im Kon­trast zum Begriff, sondern ist unserem Begriff natürlicher Gegenstände inhärent. Die Unterscheidung zwischen Begriff und Gegenstand fällt in den Begriff selbst. Somit stellt die Unabhängigkeit der natürli­chen Gegenstände gerade kein Argument gegen eine Entsprechung von Begriff und Gegen­stand dar. Der volle Begriff des na­türlichen Gegenstandes schließt diese Unab­hängigkeit ein.

Was ist damit gezeigt? Dass Hegels Ent­spre­chungsthese sich selbst an dem Fall als zutreffend herausstellt, der ihr zunächst am hartnäckigsten zu widerstreiten schien. Das natürliche Bewusstsein freilich ist sich dieser Kongruenz nicht bewusst. Es muss über die ihm latent innewohnende Entspre­chung erst aufgeklärt werden ‑ oder (das ist Hegels Version) es wird über kurz oder lang in den Widerspruch zwischen seinem be­schränkten Begriffsverständnis und sei­nem vollen Begriff geraten und dadurch über sich hinausgetrieben werden.

Lässt sich Hegels Einsicht analytisch nach­buchstabieren? Zunächst anscheinend nicht. Ri­chard Rorty bei­spielsweise hat den be­ griffs­unabhängigen Rest, der in der Stan­dardver­sion des lingui­stic turn verbleibt, gerade auf die umgekehrte Weise wie Hegel loszuwer­den versucht: durch Austreibung jeglicher Rede von Entsprechung. Rorty hat

daraus, "dass sprachliche Bestände niemals irgendwelche nichtsprachlichen Bestände repräsentieren" können, die Empfehlung ab-geleitet, wir sollten es ein­fach aufgeben, uns über eine korrekte Erfas­sung der Wirk­lich­keit Gedanken zu machen. Ironischerweise kehrt allerdings die Entspre­chung, die Rorty auf diese Weise als episte­mologische ele-gant verabschiedet, sogleich als pragmati­sche wieder, denn offenbar müssen unsere­Hand­lungsgewohnheiten, um ein Zurecht-kommen mit der Wirklichkeit zu erlauben, ja ir­gendwie auf diese passen. ‑ 'Entspre­chung' scheint ein Stehaufmännchen zu sein, das man nicht so leicht los wird.

Die Idee einer Wirklich­keit außer­halb und unabhängig von unseren Bezug­nahmen und Deutungen ist letztlich die treibende Kraft hinter jeder Form von Realismus. ­Man mag zwar meinen, eine solche Idee zu haben ‑ man kann es aber gar nicht. Weshalb? Weil die Idee einer solchen Wirklichkeit vor, außer­halb und unabhängig von jeglicher Deutung ihrerseits schon hochgradig deu­tungsbeladen ist. Man schreibt ja der Wirk­lichkeit dabei den denkbar primärsten Status zu, versteht sie als tragend für all unsere nachfolgenden Deutungen und glaubt von ihr gar zu wis­sen, daß sie jegliche Deutung von sich wei-se. Damit aber ist diese Idee in sich eklatant widersprüchlich: die vor­gebliche Deutungs­unabhängigkeit, die ihren Kern ausmacht, stellt selber schon eine bestimmte Deutung dar. Und anders denn als Deutung kann die Idee einer solchen Wirklichkeit gar nicht auftreten. Dad­urch löst sich die Idee einer schlechthin deu­tungsexe­mpten Wirk­lichkeit in nichts auf.

Warum ist alles, worauf wir uns beziehen, sprachlich verfasst? Weil selbst die Kon­turen von etwas, das sprach­transzendent ist, sprach­lich bzw. begrifflich be­stimmt sein müssen. Anders gesagt: Wohl gibt es Sprach­transzen­dentes. Natürliche Gegen­stände beispiels­weise bezeichnen wir (im Unter­schied zu ihren Beschreibungen) mit gutem Recht als sprachtranszendent. Aber wir können das nur tun, weil wir sie so verste­hen, dass sie in den Rahmen der sprachli­chen Kategorie 'sprachtranszendent' gehören; und indem wir sie sprachtranszen­dent nen­nen, geben wir dieser Kategorie Bedeutung und den Gegen­ständen Sinn; an-ders als in einem solchen begrifflichem Rahmen aber kann von natür­lichen Gegen­ständen gar nicht die Rede sein, können sie nicht vor­kommen.

Also sind derlei Gegenstände in einem Sin-ne sprachtranszendent und in einem anderen nicht sprachtranszendent. Sie sind sprach­transzendent im Sinn ihrer Positionie­rung: als außerhalb der Sprache befindlich, nicht einen Teil der Sprache darstellend; aber sie sind nicht sprachtranszendent im Sinn just dieser ihrer Bestimmung. Und nur im Kon­text einer derartigen sprachlichen Bestim­mung lässt sich von ihnen überhaupt sagen, dass sie sprachtranszendent positio­niert seien. In diesem Sinn übergreift die (lin- guistische) Sprachimmanenz des Prädikats 'sprachtrenszendent' die (objektive) Sprach- transzendenz der so qualifizierten Gegen­stände. So gesehen, ist die Sprache also inklusiv. Aber das ist etwas anderes als zu sagen, wir könnten aus der Sprache nicht herauskommen. Wir können vielmehr just innerhalb der Sprache über sie hinaus.

Ich will diese Auffassung verdeutlichen, indem ich sie mit einer Aussage von Put­nam kontrastiere. Putnam hält es für richtig zu sagen, "dass wir keinen Zugang zu einer nicht­konzeptualisierten Wirklichkeit' ha­ben". Das ist in meinen Augen eine halbher­zige und zumindest halb falsche Redeweise. Die Rede von "Zugang" suggeriert, es gebe eine Wirklichkeit jenseits unserer Begriffe, nur sei diese uns unzugänglich, wir könnten uns ihr nicht nähern und nichts von ihr wissen. Das bleibt unter dem Niveau des linguistic turn. Dessen Pointe liegt eben darin, dass die Vorstellung einer Wirk­lich­keit entweder sprachlich haltbar ‑ dann aber der Zugang zu dieser Wirklichkeit elemen­tar schon vollzogen ist; oder dass sie un­haltbar ist ‑ dann aber ist nicht etwa ein Zugang ver­wehrt, sondern die Zielvorstel­lung nichtig und daher Zugang gar keine Frage.

Meine These lautet daher: Ein Dualismus von Sprache und Wirklichkeit ist prinzipiell verfehlt. Vielmehr besteht zwischen Sprache und Wirklichkeit ein Verhältnis der Inklu­sion. Diese Auffassung stellt in einem ge­wissen Sinn eine sprachbezogene Reformu­mulierung von Hegels These einer grund­sätzlichen Kongruenz von Begriff und Ge­genstand dar. Allerdings kommt sie ohne die Annahme einer notwendigen Stufenreihe des Bewusstseins und deren Vollendung in einem "absoluten Wissen" aus.

Einen Dualismus von Sprache und Wirk­lichkeit hatte auch Donald Davidson ab­gelehnt: die Rede von einem uninterpre­tierten Inhalt außerhalb von Sprache und Begrif­flichkeit ist ihm zufolge sinnlos ‑  allenfalls ein Spiel mit Worten. Die Konse­quenz, die sich daraus ergibt, lautet bei Davidson: "Indem wir den Dualis­mus von Sche­ma und Welt fallen­lassen, geben wir nicht die Welt preis, sondern stellen die direkte Ver­bin­dung mit den vertrauten Ge­genstän­den wieder her."

Das mag überraschend klingen. Schließlich wird damit nicht weniger behauptet, als dass wir die Dinge so erkennen würden, wie sie an sich sind. Das scheint jedoch allem zu widersprechen, woran das philosophische Standardbewusstsein seit zweihundert Jah­ren glaubt ‑ es klingt wie ein Rückfall hin­ter Kants Widerlegung der Möglichkeit einer Erkenntnis der Dinge an ihnen selbst.

Aber wenn dieser Eindruck richtig wäre, dann hätte schon Hegel ein Vorkantianer sein müssen. Seine These einer prinzipiellen Kongruenz von Begriff und Gegenstand lief ja auf die Möglichkeit einer An‑sich‑Er- kenntnis hinaus. Nun hat Hegel diese Auf­fassung aber just auf dem Weg einer Kritik Kantischer Dualismen entwickelt. Ganz analog verlief auch der Weg der analyti­schen Philosophie. Daher ist es vielleicht nich ver­wunderlich, wenn analytische Phi­loso­phen heute Erkläru­ngen dafür an­zubieten suchen, dass wir die Dinge durch­aus so erkennen, wie sie an sich sind.

 

In Mind and World von 1994 knüpft John McDowell an Davidsons Ausblick an, wo­nach die Über­windung des "Dualismus von Schema und Welt ... die direkte Verbindung mit den vertrauten Gegenständen" wieder herzustellen erlaube. McDowells eigener Vorschlag dürfte nach dem Vorangegan­genen nicht überraschen. Er sagt: Unsere Erfahrung bewegt sich von den Sin­nes-eindrücken an bereits im Bereich von Be­griffen. Das im­pli­ziert zweierlei: erstens ist die Sphäre des Begrifflichen ohne Gren­zen ‑ nichts steht außerhalb ihrer (eben schon nicht, wie man in der Tradition oft annahm, die Sinnesein­drücke oder die An­schauung); zweitens verbindet sich un­sere Erfahrung als begriffs­geprägte bruchlos mit der logi­schen Sphäre des Denkens, Begrün­dens und Rechtferti­gens.

Rückblick und Ausblick

Ich bin drei Kongruenzen zwischen Hegels Denken und der neueren analytischen Philo- sophie nachgegangen: der Kritik an Unmit- telbarkeit und Elementarismus, der Zuwen­dung zu Holismus und der grundlegenden Korrelation von Sprache und Wirklichkeit. Neben Übereinstimmungen waren dabei auch Unterschiede zu verzeichnen. Horror hätte ich vor der Schlussfolgerung "also hat Hegel alles schon gesagt." Nein, ohne die Mittel analytischer Kritik und Reformulie- rung wüßten wir kaum, was Hegel Sinnvol­les gesagt hat.

 

Mein Interesse gilt - das dürfte deutlich geworden sein - ausschließlich systemati- schen Fragen. Und ich sehe die Kongruen­zen zwischen idealistischer und analyti- scher Philosophie als Anzeichen dafür, daß es an der Zeit sein könnte, sich generell nicht mehr um Etiketten, sondern nur noch um Einsichten zu kümmern. Vielleicht wird die Philosophie des nächsten Jahrhunderts dann ein anderes Gesicht haben als die des letzten Jahrhunderts. An Klärungsbedarf in Grundfragen ist ja kein Mangel.

 

Von der Redaktion gekürzte Fassung der Antrittsvorlesung an der Friedrich-Schiller- Universität Jena vom 8. Juni 1999. Der gesamte Text (mit Zitatnachweisen) wird demnächst in Buchform erscheinen.

 

UNSER AUTOR:

 

Wolfgang Welsch ist Professor für Philoso­phie an der Universität Jena.