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STICHWORT

Thomas Bartelborth :
Nomische Muster

aus Heft 5/2010


Das Konzept der nomischen Muster ist gedacht als eine Abschwächung bzw. als Ersatz für das Konzept von Naturgesetzen. Dabei soll es zum einen die philosophischen Aufgaben übernehmen, die wir Naturgesetzen zugedacht haben, und zugleich einige der schwierigsten Probleme lösen, die wir mit dem Begriff der Naturgesetze verbinden. An zahlreichen Stellen stützen sich Philosophen auf eine bestimmte Konzeption von Naturgesetzen und versuchen mit ihrer Hilfe philosophische Probleme zu klären. Dabei sind vor allem zwei Probleme für Naturgesetze aufgetreten, für die das Konzept der nomischen Muster eine Lösung anbieten soll. Das erste notorische Problem ist die Auszeichnung von Naturgesetzen und ihre Abgrenzung gegenüber anderen Aussagen insbesondere Allaussagen wie: (1) Zu allen Zeiten fließt in allen Flüssen insgesamt mehr Wasser als Coca-Cola. Diese Aussage ist sicher kein Naturgesetz, besitzt aber den logischen Charakter einer typischen Allaussage ähnlich wie bestimmte naturwissenschaftliche Behauptungen wie z.B. das Newtonsche Gravitationsgesetz.

Das zweite Problem betrifft die Anwendungen unseres Konzepts der Naturgesetze. Typischerweise wird als ein wesentliches Merkmal der Wissenschaften (etwa in der Abgrenzungsdebatte mit dem Kreationismus) genannt, dass die Wissenschaften Naturgesetze ermitteln und dass sie mit deren Hilfe bestimmte Phänomene erklären und vorhersagen. Doch in vielen Wissenschaften wie etwa den Sozialwissenschaften und der Biologie lassen sich nur schwer strikte Gesetze ausmachen. Oft stoßen wir vielmehr auf einfache Generalisierungen, die wir trotzdem zum Erklären einsetzen: (2) Je mehr Wasser und Dünger eine bestimmte Pflanze erhält, umso stärker wächst sie. Oder: (3) Je höher die Intelligenz einer Person ist, umso erfolgreicher ist sie im Beruf. Derartige Allaussagen stellen (selbst wenn sie wahr sind) keine strikten Naturgesetze dar, denn von denen erwarten wir, dass sie ausnahmslos gelten und nicht auf bestimmte Anwendungsbereiche eingeschränkt sind. Eine Hilfskonstruktion war immer zu sagen, dass es sich um Ceteris-paribus-Gesetze handelt. Doch es bleibt meist unklar, was ein CP-Gesetz CP(G) genau besagt. CP(G) sollte jedenfalls mehr besagen als: G gilt, außer es handelt sich um einen Ausnahmefall. Hier droht die völlige Inhaltslosigkeit von CP(G).

Kritiker haben zusätzlich eingewandt, dass CP-Gesetze überhaupt keine Gesetze mehr sind und wir durch die Namensgebung eigentlich eine Irreführung begehen. Insbesondere bleibt weiterhin die Frage zu klären, was CP-Gesetze von akzidentellen Aussagen vom Typ (1) unterscheidet. Nomische Muster sollen hier Abhilfe schaffen und zugleich die Debatte vermeiden, ob es sich noch um echte Gesetze handelt, die von unterschiedlichen Autoren unterschiedlich beantwortet wird. Man gibt nun zu, dass es sich um etwas anderes handelt, wobei allerdings als Grenzfall weiter die Naturgesetze enthalten sind.

Um die Aufgaben für Gesetze oder nomische Muster vor Augen zu haben und somit unsere Zielvorstellungen für sie zu klären, soll zunächst kurz (und ohne Vollständigkeit zu behaupten) daran erinnert werden, an welchen Stellen die Naturgesetze in philosophischen Debatten eine wichtige Rolle spielen. Genannt hatte ich schon die wissenschaftlichen Erklärungen und Vorhersagen. Insbesondere dürfen wir die Ermittlung von Naturgesetzen als ein auszeichnendes Merkmal der empirischen Wissenschaften betrachten (mit den oben genannten Einschränkungen). Ein Ansatz zur Kausalität (etwa bei Carnap) besagt, dass a genau dann Ursache von b ist, wenn aus a und den Naturgesetzen b deduktiv abzuleiten ist. Außerdem wird auch physikalische oder metaphysische Notwendigkeit gern so gefasst, dass sie durch die Gebote der Naturgesetze bestimmt wird. Ähnliches gilt für kontrafaktische Konditionalsätze wie: (*) „Würde ich den Stein loslassen, würde er zu Boden fallen.“ Ihre Wahrheitsbedingungen werden anhand von Naturgesetzen beschrieben. Sie sind die Wahrmacher für solche Aussagen. Auch in der Mögliche-Welten-Analyse dieses Satzes spielen sie eine tragende Rolle. Danach ist (*) genau dann wahr, wenn in den nächstgelegenen möglichen Welten, in denen der Stein losgelassen wird, er auch zu Boden fällt. Doch die Nähe von möglichen Welten wird typischerweise durch das Gelten möglichst vieler unserer Naturgesetze in den betreffenden Welten bestimmt.

Weitere Anwendungen des Gesetzesbegriffs finden sich in anderen Bereichen: Das „grue“-Paradox hat u.a. gezeigt, dass wir nicht in jedem Fall induktiv schließen bzw. extrapolieren dürfen. Manche Wissenschaftstheoretiker behaupten sogar, dass nur gesetzesartige Aussagen induktiv zu stützen sind. Auch natürliche Arten werden durch Naturgesetze als das gekennzeichnet, auf das wir in Naturgesetzen Bezug nehmen. Selbst in der Leib-Seele Debatte geht es immer wieder um Naturgesetze und ihre Reduzierbarkeit. Davidsons anomaler Monismus besagt etwa, dass wir im Bereich der intentionalen Einstellungen keine echten Naturgesetze finden können und sie daher immer minderwertig gegenüber den physikalischen Erklärungen bleiben werden. Eine mögliche Antwort auf Davidson ist, dass wir vielleicht keine strikten Naturgesetze im psychologischen Bereich finden, aber durchaus nomische Muster, die viele Leistungen der Naturgesetze übernehmen können. Die können dann als Grundlage für genuine intentionale Erklärungen dienen.

Nomische Muster sind Generalisierungen, die typischerweise kausale Abhängigkeiten beschreiben und dabei eine gewisse Invarianz bzw. Stabilität aufweisen. So behaupten wir in (2), wenn wir es als ein nomisches Muster betrachten, dass wir bestimmte gezielte Manipulationen (oder Interventionen) an dem jeweiligen System durchführen können, unter denen die Behauptung (2) weiterhin gilt bzw. invariant ist. Den Begriff der Intervention finden wir genauer (semiformal) erläutert in den Kausaldebatten (etwa bei Woodward 2003), werden ihn aber gleich intuitiv erklären. Um deutlicher zu machen, welche Invarianzen hier entscheidend sind, werden die Abhängigkeiten typischerweise durch eine einfache Gleichung für ein System s dargestellt, wie etwa in: (2*) Pflanzenwachstum(s) = a∙Wassermenge(s) + b∙Dünger(s) + c. Hierbei sind a, b und c einfach reelle Zahlen und es wird ein linearer Zusammenhang von Wassermenge und Dünger zum Pflanzenwachstum angenommen. Entscheidend ist nun, dass ein derartiger funktionaler Zusammenhang zumindest für einige Interventionen stabil bleibt, damit (2*) ein nomisches Muster beschreibt. Es muss zumindest einen nichttrivialen Bereich für die Wassermenge und einen für die Düngermenge geben, in dem wir durch gezielte Veränderung nur dieses einen Parameters die entsprechenden Veränderungen im Pflanzenwachstum herbeiführen können, die von (2*) vorhergesagt werden. Also muss es zum Beispiel Situationen geben, in denen die gezielte Vergrößerung der zugeführten Wassermenge bei einem Konstanthalten aller anderen Einflussgrößen zu einem vermehrten Pflanzenwachstum führen würde. Das entspricht auch den typischen Fragestellungen in idealen Experimenten: Was würde passieren, wenn wir ganz bestimmte Größen gezielt (als Intervention) verändern würden? Auf einige dieser kontrafaktischen Fragen muss ein nomisches Muster eine Antwort geben. Je mehr dieser Fragen es korrekt beantwortet, umso stärker ist das Muster.

Was hier verlangt wird, kann durch einen Vergleich mit einem nicht-nomischen Muster verdeutlicht werden. Nehmen wir einmal an, es würde gelten: (4) Je gelber die Finger einer Person sind, umso höher ist ihr Lungenkrebsrisiko. Dieser Zusammenhang wird durch das Rauchen vermittelt, das zum einen die Finger gelb einfärbt und zum anderen unser Krebsrisiko erhöht, und könnte sogar zu einer entsprechenden Gleichung führen, die für einen bestimmten Bereich Gültigkeit besitzt. Doch weder der einfach beschriebene Zusammenhang noch die entsprechende Gleichung wären stabil unter Interventionen. Würden wir die Gelbfärbung der Finger verhindern oder sie säubern, würde daraus keine Änderung des Lungenkrebsrisikos resultieren, jedenfalls dann nicht, wenn wir alle anderen Parameter (insbesondere das Rauchverhalten der Person) konstant halten. Das ließe sich sogar in einem kontrollierten Experiment überprüfen. Mit der vermutlich wahren Generalisierung (4) erhalten wir also kein nomisches Muster. Sie ist daher nicht für Erklärungen und auch nur bedingt für Vorhersagen geeignet. Sie erlaubt bestimmte Vorhersagen, solange wir nicht in das System gezielt eingreifen, aber gerade das interessiert uns normalerweise. Wir möchten wissen, mit welchen Eingriffen wir bestimmte Veränderungen eines Systems herbeiführen können. Das beantworten nomische Muster, aber nicht solche bloßen Korrelationen wie die in (4) genannte. Mit nomischen Mustern können wir daher auch erklären, warum ein bestimmtes Pflanzenwachstum auftritt, während die gelben Finger keineswegs das Lungenkrebsrisiko erklären.

Nomische Muster sind damit die Beschreibungen bestimmter grundlegender Dispositionen in unserer Welt, oder wir können mit „nomische Muster“ auch diese Zusammenhänge selbst meinen, also in unserem Fall die entsprechenden Dispositionen. Ähnlich mehrdeutige Verwendungsweisen finden sich ebenso im Fall des Gesetzesbegriffs und der Kontext sollte jeweils deutlich machen, welche Lesart intendiert ist. Insbesondere grundlegende Dispositionen erzeugen relativ stabile kausale Zusammenhänge mit den geforderten kontrafaktischen Abhängigkeiten. Wenn etwas zerbrechlich ist, dürfen wir normalerweise folgern, dass es zerbrechen würde, wenn wir es unter geeigneten Randbedingungen fallenlassen würden. Das sind die kontrafaktischen Zusammenhänge, die für die Invarianzbedingung erforderlich sind. Die Disposition der Zerbrechlichkeit kann aber natürlich auf grundlegendere Muster zurückgeführt werden. Überhaupt zeigt sich hier (wie schon in den Überlegungen zur Invarianz), dass es sich beim Konzept der nomischen Muster um einen graduellen Begriff handelt. Es gibt grundlegendere Muster mit einem größeren Invarianzbereich und solche mit einem kleineren. Damit variiert auch ihre Erklärungskraft. Außerdem gibt es relativ strikte Dispositionen, bei denen sich eine Manifestation bei Vorliegen der Auslösebedingung und gewissen Randbedingungen praktisch immer einstellt und daneben probabilistische Dispositionen (manchmal Propensitäten genannt), die sich nur in einer Erhöhung von bestimmten Wahrscheinlichkeiten manifestieren.

Statt des Satzes (4) hätten wir also den Satz (5) „Je mehr eine Person raucht, umso höher ist ihr Lungenkrebsrisiko“, zu Erklärungszwecken wählen sollen, der die geforderte Invarianz aufweist, denn nach allem, was wir darüber wissen, verändert eine Veränderung unseres Rauchverhaltens tatsächlich unser Lungenkrebsrisiko in der entsprechenden Richtung. In (5) beschreiben wir eine probabilistische Disposition von Menschen, auf die Zufuhr von Zigarettenrauch mit einem Lungenkrebs zu reagieren. Doch auch hier kann die zukünftige Forschung vielleicht präzisere Muster liefern, die die Manifestationsbedingungen dieser Disposition genauer beschreiben. Das wären stärkere Muster mit einer höheren Erklärungsleistung.

Diese unterschiedlich guten Erklärungen kennen wir aus der Praxis unseres Erklärens im Alltag und in der Wissenschaft. Das wird durch eine graduelle Konzeption von nomischen Mustern recht gut nachgezeichnet. Der klassische Ansatz kannte dagegen nur eine strikte Abgrenzung von Gesetzen und Nicht-Gesetzen, und damit war es oft nur ein kleiner Schritt, der dazu führen konnte, dass einer Disziplin wie der Biologie oder den Sozialwissenschaften ganz abgesprochen wurde, dass sie echte Gesetze formulieren können. Dann verloren sie zugleich jegliche Erklärungskraft. Doch das scheint uns in vielen Fällen weit übertrieben zu sein und die tatsächliche Erklärungskraft dieser Disziplinen zu unterschätzen. Auch wenn diese Erklärungen häufig nicht die gleiche Gestalt und Stärke wie physikalische Erklärungen aufweisen, erkennen wir doch zumindest an, dass auch hier kausale Zusammenhänge aufgedeckt werden, die im Einzelfall durchaus einige Eigenschaften von bestimmten Objekten oder Systemen erklären können. Man denke z.B. an die Evolutionstheorie oder einfache Zusammenhänge von Angebot und Nachfrage, die sicher eine gewisse Erklärungskraft besitzen. Mit dem Konzept der nomischen Muster kann man diese Übergänge angemessen beschreiben und kann weiterhin zeigen, welche Rolle solche gesetzesähnlichen Zusammenhänge in Erklärungen spielen.

Über die Frage, was die Stärke der Muster ausmacht und damit ihre Erklärungskraft bestimmt, gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Woodward (2003) und andere beziehen sich explizit nur auf die funktionale Invarianz der Muster für ein konkretes einzelnes System. Damit ist gemeint, dass für ein einzelnes Objekt möglichst große Invarianzbereiche für den beschriebenen Zusammenhang gelten sollten. Bartelborth (2007, 2008) hält dagegen ebenso die Bereichsinvarianz für ein erklärungsrelevantes Merkmal der Muster. Dabei geht es (im Sinne der klassischen Vereinheitlichungskonzeption von Erklärung) darum, dass für ein solches Muster ebenfalls zählt, auf welche und vor allem wie viele Typen von Objekten sie zutreffen. Je weiter verbreitet ein Muster in unserer Welt ist, umso basaler ist es und umso besser ist es geeignet, bestimmte Phänomene zu vereinheitlichen und so zu erklären. Die beiden Formen der Invarianz stehen typischerweise in einem Spannungsverhältnis zueinander (vgl. Bartelborth 2008). Für die Erklärungskraft der Muster sind sogar noch weitere Eigenschaften zu berücksichtigen, die aber auch damit zusammenhängen, wie strikt die jeweiligen nomischen Muster sind.

Die Idee, sich genauer mit diesen Formen von Invarianz zu beschäftigen, stammt ursprünglich aus der Kausalitätsdebatte. Startpunkt waren die sogenannten Manipulationstheorien der Kausalität, nach denen für uns ein kausales Eingreifen dort am deutlichsten wird, wo wir aktiv etwas verändern können. Kausalität sollte natürlich nicht nur auf menschliches Manipulieren unserer Umwelt beschränkt bleiben, und deshalb entwickelte sich der sogenannte interventionalistische Ansatz, nach dem A dann als Ursache von B gelten darf, wenn ich durch eine gezielte Intervention an A eine Veränderung an B herbeiführen kann. Diese Grundidee bedurfte einer genaueren Explikation, was mit einer gezielten Intervention gemeint ist. Das Konzept scheint uns zwar intuitiv verständlich zu sein, seine Präzisierung führt aber doch zu etlichen Schwierigkeiten (vgl. Woodward 2003). Aufdecken können wir derartige Kausalbeziehungen aber vor allem, wenn diese nicht nur im Einzelfall bestehen, sondern ein allgemeineres Muster darstellen, das sich in kontrollierten Experimenten überprüfen lässt. Für Erklärungen sind normalerweise singuläre Kausalbeziehungen unzureichend (wenn es sie den gäbe und wir sie ermitteln könnten). Erst der Einblick in allgemeinere Zusammenhänge – nämlich die nomischen Muster – kann uns verständlich machen, warum bestimmte Ereignisse aufgetreten sind. Doch diese allgemeinen Zusammenhänge müssen nicht gleich den Charakter von strikten Naturgesetzen haben, sondern oft finden wir nur gesetzesähnliche Muster, die aber durchaus Erklärungskraft besitzen.


Literatur zum Stichwort:

- Bartelborth, Thomas, 2008, Dimensionen der Erklärungsstärke in modernen Erklärungstheorien, in: Philosophia Naturalis Bd. 45, Heft 2, 139-166. (Bestimmt die Kriterien dafür, wie stark die Invarianz und damit Erklärungskraft nomischer Muster ist.)
- Bartelborth, Thomas, Erklären, Walter de Gruyter Verlag 2007. (Zeigt, welch zentrale Rolle nomischen Mustern in wissenschaftlichen Erklärungen zukommt.)
- Woodward, James (2003): Making Things Happen. A Theory of Causal Explanation, Oxford: Oxford University Press. (Expliziert die Konzepte der Invarianz und der gezielten Interventionen.)