PhilosophiePhilosophie

EDITIONEN

Anders, Günther: Auseinandersetzung mit Heidegger

Günther Anders' Auseinandersetzung mit Heidegger

Er habe zwar, so berichtet Günther Anders, bei Heidegger studiert, persönlich habe er ihn aber kaum gekannt. Einmal habe er in Marburg bei Heideggers übernachtet. Nach einem einfachen Nudel-Nachtessen ließ sich die Unterhaltung zu Beginn gut an. Anders zitierte, ohne den Autor zu nennen, Voltaire: „Es genügt nicht zu schreien, man muss auch Unrecht haben“, ein Zitat, das sogar Heidegger, den Humorlosen, amüsierte. Als Anders nun erklärte, das Zitat stamme von Voltaire, machte er allerdings ein schiefes Gesicht. Der Abend war aber dann vollends verdorben, als Anders fortfuhr, natürlich gelte ganz symmetrisch auch das Wort: „Es genügt nicht zu murmeln, man muss auch recht haben“. Während Frau Heidegger nichts verstand, blickte Martin Heidegger Anders einen Moment lang hasserfüllt an. War es doch seine Taktik, durch nahezu unhörbares Murmeln eine totale Stille im Saal zu erzwingen und dadurch den Hörern einzureden, dass alles, was sie mindestens akustisch mitkriegten, auch „unverborgen“, d. h. die Wahrheit sein müsste.

Günther Anders, der Hannah Arendt nach dem Ende ihrer Affäre mit Heidegger geheiratet hatte (sie schrieb an Heidegger: „ich ... habe dann später geheiratet, irgendwie ganz gleich wen, ohne zu lieben“), hat sich immer wieder mit Heidegger auseinandergesetzt. Gerhard Oberschlick hat die entsprechenden Texte (sowohl die publizierten Texte wie auch die Nachlassschriften) herausgegeben:

Günther Anders: Über Heidegger. Herausgegeben von Gerhard Oberschlick in Verbindung mit Werner Reimann als Übersetzer. Mit einem Nachwort von Dieter Thomä. 488 S., Ln., 2001, € 34.90, C.H. Beck, München.



Nihilismus und Existenz (1946)

Was nicht in Heideggers Philosophie einging, war die Tatsache der Industrialisierung, der Demokratie, der Weite der heutigen Welt, der Arbeiterbewegung - denn Heidegger ist provinzieller Mittelständler. Was dagegen zusätzlich dem Ganzen seine eigentümliche Düsterkeit und Feierlichkeit verleiht, ist Heideggers Herkunft aus der katholischen Theologie, die seiner atheistischen Lehre die Farbe einer Religion gibt.

Heideggers Ontologie ist verbrämte Askesetechnik. Es ist ein Weg der Rechtfertigung und Erlösung, aber der Erlösung ohne Gott, in der Erlöser und Erlöster identisch sind: beide sind „Dasein“, denn Heidegger hat keinen Gott neben ihm. Es ist ein furchtbarer Weg ins Nichts: denn was den „Eigentlichen“ ganz eigentlich und ganz vereinzelt macht, ist das schlechthin Unvertretbare: der Tod, oder richtiger: das Sterben. Das Sterben wird der Leitstern des Lebens, und das Dasein ein „Sein zum Tode“.

Der Heideggersche Nihilismus entsteht in der Situation des vollkommenen Verfalls des deutschen Kleinbürgertums nach dem Ersten Weltkrieg. Aus dem Nichts angekommen, findet sich der kleine Mann in dem anonymen, mit Meinung, Geschwätz, Unfreiheit und unrealisierbaren Maximen erfüllten Brei des „man“ und will heraus. Woher freilich die als „man“ bezeichnete Masse kommt. welche Produktionsweisen die Masse mitproduziert haben, welche Eigentumsverhältnisse es mit verursacht haben - das alles fragt Heidegger nicht. Der kleine Mann befreit sich, indem er in das Gefängnis seiner eigenen Existenz hineinrennt. Das also ist aus den großen Idealen der Freiheit und der Autonomie am Vorabend der Zerstörung der bürgerlichen Freiheiten durch Hitler geworden. Was früher handelndes Subjekt gewesen war, verzichtet nun auf Aktion, auf Gleichheit und Rechte der Personen, wirft stattdessen seine ganze Energie leidenschaftlich in die Innerlichkeit.

Gibt es eine Gleichschaltung auch zwischen der Philosophie des Nationalsozialismus und der Philosophie Heideggers? Anders glaubt wohl. Beide treffen sich im anti-demokratischen Affekt, der in beiden Fällen nicht der aus der Geschichte bekannte Aristokraten-Affekt ist, sondern der Emporkömmlings-Affekt. Seine theoretische Untermauerung für diesen Affekt holte sich Heidegger bei Platon: seine Unterscheidung zwischen dem verachteten „man“ und dem „Selbst“ ist die über das Theoretische hinaus erweiterte platonische Unterscheidung zwischen Doxa und Episteme. Jene platonischen Dialoge, die Heidegger am meisten liebt, der „Sophist“ und der „Staatsmann“, sind voll von den politisch anti-demokratischen Konsequenzen dieser Unterscheidung. Da für Plato im „Staatsmann“ das Gesetz nur das kleinste Übel, der „Führer“ aber das Ideal ist, konnte Heidegger seine Gleichschaltung mit dem Führer gewissermaßen altphilologisch besiegeln.

Weiter sind beide, die Philosophie des Nationalsozialismus und die Philosophie Heideggers, Okkupations-Doktrinen: beide machen die Welt, in der sie leben, zum Attribut der eigenen Existenz - die eine mit Tanks und Bomben, die andere mit spekulativen Mitteln. Beide sind des weiteren skrupellos und in beiden wird der Tod zugleich verherrlicht und bagatellisiert. Beide sind Anti-Zivilisationstheorien. Und beide sind gegen jede Art von Universalien (wie Menschheit, Internationalität, Katholizität), da es beiden eben nur auf das entschlossene, d.h. aber verschlossene Selbst ankommt.


Die Schein-Konkretheit von Heideggers Philosophie

Heidegger empfand zu Recht, dass die ausschließliche Beschäftigung mit theoretischen Akten eine unerträgliche Beengung der philosophischen Aufgabe darstellt. Er wurde nicht von akademischen Problemen, sondern von sehr elementaren philosophischen Schrecken in das Philosophieren hineingezogen; außerdem war er seit seiner Studentenzeit genährt mit den breiten Problemen der klassischen Philosophie und Theologie. Als er die Husserlsche „Intentionalität“ erkannte, musste er sie als universal anwendbare Struktur verstehen, er musste sie aus der Dimension herausheben, die Husserl noch traditionell als Bewusstsein etikettiert hatte. Heidegger sah die Struktur der „Intentionalität“ in der Gesamtheit des „vortheoretischen Lebens“, in der gesamten „Praxis“. Damit fand er sich plötzlich ausgesetzt auf terra incognita: Was er beschrieb, war, „wie man in der Welt da ist“ - in allen Akten des alltäglichen Lebens, die gewöhnlich philosophisch nicht salonfähig waren. Heidegger befand sich nun in jener Provinz, die er „Dasein“ nannte.

Wesen und Eigentlichkeit, namentlich bei Heidegger (1936)

Eines der Hauptkriterien der Pseudorevolution ist, dass sie Vokabeln verwendet, deren unausgesprochener Gehalt den satzmäßig ausgedrückten Lehrgehalt dementiert. Charakteristisch in diesem Sinne ist Heideggers Beibehaltung der Vokabel „Wesen“. Dieses Wort impliziert so viel, dass alles, was ein einzelner Philosoph an nominaldefinitorischen Dekreten dazufügt, im Vergleich dazu belanglos bleibt.

Der mit dem Terminus „Wesen“ angezeigte Sachverhalt ist der einer Zerfällung: Die Welt ist nicht nur; außerdem hat sie ein „Wesen“. Dieses Wissen spielt, wo es auftritt, stets die Rolle des „Wichtigeren“. Mit ihm verglichen ist die Welt nur Welt. Es erfordert eine nicht geringe Anstrengung gegen den Begriff, sich die Absonderlichkeit dieser Zerfällung in ihrer ganzen Krassheit zum Bewusstsein zu bringen.

Die Geschichte liefert uns zwei Denkmotive: die Frage nach dem Woher und die Frage nach dem Guten. Ihre Verbindung ergab den höchst befremdlichen Wesensbegriff. Und gerade diese beiden Motive sind in der Heideggerschen Philosophie abgeschnitten worden. Deshalb ist es zumindest problematisch, ob Heidegger diesen Begriff noch verwenden darf.

Die Was-ist-das?-Frage hat keine andere Absicht als die, durch die Einordnung eines Gegenstandes die Welt wieder vertraut zu machen. Im Vergleich dazu ist die auf Bekanntes abzielende Was-Frage geradezu unverständlich. „Was ist ein Mensch?“ ist eine unverständliche Frage, weil sie nicht erkennen lässt, auf welche Art von Antwort sie überhaupt aus ist. Und weil sie gewissermaßen die Antwort „Mensch“ bereits enthält.

Die zweite Wurzel der Wesensfrage liegt noch tiefer: Der Frage nach dem Wesen liegt die Frage nach dem Ursprung zugrunde. Sie ist wohl verständlich: woher das alles komme. Die Zerfällung der Welt in „Wesen“ und „Wirklichkeit“ ist eine Folge dieser Ursprungsfrage: Die Frage: „Woher kommen die Erzeugnisse?“ setzt eine Dimension voraus, die mehr ist als ihr Erzeugnis. In der abendländischen Kultur wurden von vornherein Ursprung und Entsprungenes zusammen gesehen - wie die Erde und ihre Früchte. Das zu befragende Seiende zerfällt nun in das, was es ursprünglich ist, und einen philosophisch aufgeklärten Rest. Heideggers Philosophie ist voll von derartigen Ursprungsvokabeln. Leben ist zum Beispiel „von Haus aus“ so oder anders. Was bei einem Leben, das angeblich „geworfen“, das sozusagen „aus dem Haus geworfen“ und herkunftslos ist, ein „von Haus aus“ bedeuten kann, ist unerfindlich.