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STICHWORT

Marc-Denis Weitze :
Synthetische Biologie

Biologen begnügen sich längst nicht mehr mit dem Beobachten und Beschreiben. Spätestens mit der Gentechnik wurde die Wissenschaft vom Leben auch eine Wissenschaft, die verändert. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Molekularbiologie hat sich in den letzten Jahren die Synthetische Biologie entwickelt. Sie basiert insbesondere auf der Entschlüsselung kompletter Genome, dem technischen Fortschritt bei der chemisch-enzymatischen Synthese von Nukleinsäuren und der Möglichkeit, Daten umfassend auf nahezu allen Ebenen der zellulären Informationsverarbeitung zu erfassen. Synthetische Biologie führt ein weites Spektrum an naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammen und verfolgt ingenieurwissenschaftliche Prinzipien, um natürliche Organismen gezielt in einem modularen Ansatz zu verändern oder – im Extremfall – neue, in der Natur nicht vorkommende Organismen aus Grundbausteinen aufzubauen. Biologische Systeme werden dabei auch mit chemisch synthetisierten (also „nicht natürlichen“) Komponenten zu neuen Einheiten kombiniert.

Methoden einer neuen Technikwissenschaft

„Synthetic Biology is A) the design and construction of new biological parts, devices, and systems, and B) the re-design of existing, natural biological systems for useful purposes.“ So definiert es eine Gruppe von Forschern auf dem Feld der Synthetischen Biologie (http://syntheticbiology.org/). Methoden der Gentechnik werden seit mehr als 30 Jahren zur gezielten Veränderung von Organismen eingesetzt, und damit lässt sich längst die Basenfolge in der Erbsubstanz von Organismen ändern. Die Synthetische Biologie geht weit darüber hinaus. Sie beschränkt sich nicht auf Veränderung und Austausch bestehender Gensequenzen, sondern konstruiert neue Genome, verwendet neue genetische Codes, arbeitet nach Designprinzipien und möchte standardisierte Elemente nutzen.

Ein Forschungsgebiet ist die Gensynthese. Einen vorläufigen Höhepunkt fand die chemische Synthese von Genen und ganzen Genomen in der Synthese des Mycoplasma-Genoms mit rund 583.000 Basenpaaren am J. Craig Venter Institute im Jahr 2008. Das Design maßgeschneiderter Stoffwechselwege („metabolic engineering“) ist ein anderes Forschungsfeld. Die gentechnische Konstruktion kompletter Biosynthesewege, die in der Natur nicht vorkommen, ist eine viel versprechende Perspektive zur Produktion neuer Biomoleküle, indem einzelne Stoffwechselfunktionen aus verschiedenen Spenderorganismen zusammengefasst werden. Auf diese Weise konnte bereits 2003 eine Vorstufe des Anti-Malariamittels Artemisinin synthetisiert werden.

Wenn es etwa gelänge, einen Organismus mit einem möglichst kleinen Genom zu schaffen, ließe sich die biologische Komplexität zähmen, die derzeit noch viele Anwendungsmöglichkeiten behindert. Ein solches vereinfachtes, aber funktionsfähiges Genom könnten die Bio-Techniker als das Gerüst nutzen, in das sie neue Funktionen nach Wunsch einbauen, ohne dass diese sich gegenseitig stören. „Bio Bricks“ ist das Schlagwort, welches den Einsatz standardisierter biologischer Komponenten in solch ein Chassis bezeichnet; wie die Teile eines Autos sollen dann also Teile der Zelle zusammengesetzt werden.

Künstliches Leben?

Seit über hundert Jahren beanspruchen Wissenschaftler, „in Kürze“ künstliches Leben im Reagenzglas herstellen zu können. So sorgten um 1900 Experimente und Publikationen des deutsch-amerikanischen Physiologen Jacques Loeb für Medienrummel, der die Ansicht vertrat, dass das Ziel der Biologie die Abiogenese sei: die Erzeugung von Leben aus unbelebter Materie. Im 20. Jahrhundert wurden verschiedene Grundlagen entwickelt, mit denen man jetzt diesem Ziel näher kommt: Molekularbiologie, Kybernetik und Rekombinante DNA heißen einige der Felder, die hier relevant sind.

In den 1990er Jahren blühte die Forschungsrichtung „Artificial Life“, die ebenfalls als Vorläufer der Synthetischen Biologie betrachtet werden kann. Christopher Langton, einer der Begründer dieses Feldes, definierte wie folgt: »Artificial life is the study of artificial systems that exhibit behavior characteristic of natural living systems. It is the quest to explain life in any of its possible manifestations, without restriction to the particular examples that have evolved on earth. This includes biological and chemical experiments, computer simulations, and purely theoretical endeavors« (C. G. Langton (Hg.): „Artificial Life", Addison-Wesley: Reading, MA, 1989, p. 1). Standen noch in den 1990er Jahren Computersimulationen im Vordergrund, lassen sich nun biochemische und biologische Experimente in diesem Ansatz durchführen.

Im Mai 2010 sorgte die Veröffentlichung einer Gruppe von Wissenschaftlern um Craig Venter im Magazin „Science“ für großes Aufsehen: Erstmals war es im Labor gelungen, ein synthetisches Chromosom in ein Bakterium einzupflanzen und darin zum Leben zu erwecken. Ein Mycoplasma-Bakterium wurde dazu mit einem synthetisch nachgebauten Genom ausgestattet. Liest man die Medienresonanz, die in weiten Teilen eine „Schöpfung im Labor“ erkannte, scheint der Traum von Jacques Loeb in Erfüllung gegangen zu sein. Dies ist freilich deutlich übertrieben, und man kann dies nicht wirklich als künstliches Leben bezeichnen: Es wurde nichts Neues geschaffen, sondern lediglich die Genomsequenz eines Bakteriums genutzt, die im Laufe der Evolution entstanden ist.

ELSI

Wo steht die Diskussion zur Synthetischen Biologie im Spannungsfeld von Verheißungen und Laborrealität? In der öffentlichen Diskussion spielt die Synthetische Biologie noch eine untergeordnete Rolle. In Deutschland und international wird jedoch bereits intensiv Begleitforschung betrieben und – im Sinne einer antizipativen Kommunikation – beziehen forschungsfördernde Institutionen und Wissenschaftseinrichtungen Stellung zum Thema (z. B. DFG / acatch / Leopoldina 2009). ELSI bezeichnet „Ethical, Legal and Social Implications“, also die (Begleit)Forschung zu ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen Neuer Technologien. Hier geht es um Fragen wie die Akzeptanz von Technologien und Missbrauchspotenzialen, um ethisch-moralische Einschätzungen und Fragen der zukünftigen Regulierung bis zur Technologievorausschau und Marktpotenzialanalysen.

Ein Begriff wie „Synthetische Biologie“ kann durchaus Assoziationen zu „Frankenstein“ hervorrufen. Und weil dieser Wissenschaftszweig weit über die Gentechnik (um die es selbst vielfältige Kontroversen gibt) hinausgeht, ist es verständlich, wenn Wissenschaftler und ihre Organisationen frühzeitig über Technikfolgenabschätzung und Risikokommunikation nachdenken. So wurden im Rahmen eines europäischen Forschungsprojektes („Synbiosafe“) die gesellschaftlichen Aspekte der Synthetischen Biologie untersucht und Denkanstöße geliefert: Welches sind im Rahmen der Synthetischen Biologie die spezifischen ethischen Fragen? Auf welche Weisen kann die breite Öffentlichkeit in eine Diskussion einbezogen werden? Welche Rolle spielen NGOs bei der Herausbildung dieser Neuen Technologie? Probleme der Patentierung und möglichen Monopolbildung erscheinen noch abstrakt gegenüber folgenden Punkten: Besteht die konkrete Gefahr, dass man pathogene Gensequenzen im Internet bei Firmen bestellen und daraus pathogene Organismen oder biologische Toxine konstruieren kann? Welches Gefahrenpotenzial bieten Mikroorganismen der Synthetischen Biologie, die absichtlich oder aus Versehen in die Welt gesetzt werden? (Schmidt et al. 2009)

„Aus ethischer und philosophischer Sicht ist bei den Forschungen der Synthetischen Biologie besonders die Verschiebung von der Manipulation in einzelnen Fällen hin zur Kreation bemerkenswert und relevant,“ konstatieren Joachim Boldt et al. (2009). Freilich ist es auf absehbare Zeit nicht möglich, dass Forscher aus dem Nichts Leben erzeugen – die damit verbundenen ethischen Fragen betreffen allenfalls Sciencefiction Szenarien. Allerdings lassen sich schon jetzt vor dem Hintergrund der Synthetischen Biologie Fragen grundlegende philosophische Fragen unter neuen Vorzeichen diskutieren: „Was heißt ‚Leben’, wenn biochemisch von der Synthetisierung von Leben die Rede ist? Inwiefern strebt die Synthetische Biologie an, ‚neues Leben’ zu schaffen? Welche Bedeutung kann man Ausdrücken wie ‚künstliche Zelle’ genau zuschreiben? Was heißt es für den Umgang mit Leben, wenn dieses Leben ‚künstliches Leben’ genannt wird?“ (Boldt et al. 2009).

Synthetische Biologie in der Diskussion

Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Außerhumanbereich EKAH konstatiert in ihrem Bericht „Synthetische Biologie – Ethische Überlegungen“ aus dem Jahr 2010, dass es vom jeweiligen Lebensverständnis abhängt, ob man überhaupt davon sprechen kann, Leben kontrolliert herstellen zu können. Vertreter einer vitalistischen Ontologie, der zufolge Leben aus mindestens einer prinzipiell unbekannten immateriellen Eigenschaft besteht, mögen Zweifel hegen, dass Leben überhaupt kontrolliert hergestellt werden kann. „Aber auch wer grundsätzlich verneint, dass das Lego-Modell [also der Ansatz der Synthetischen Biologie] erfolgreich sein kann […], hat noch keine Begründung für ein Verbot formuliert, den Versuch einer solchen Herstellung in Angriff zu nehmen“ (S. 14).

Ende 2010 hat die Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues auf eine Anfrage von US-Präsident Barack Obama aus Anlass der oben bereits angesprochenen Einpflanzung eines künstlichen Chromosoms in ein Bakterium eine Bewertung der Synthetischen Biologie abgegeben. Diese Kommission sieht – in Entsprechung zu der 2009 von DFG, acatech und Leopoldina herausgebrachten Stellungnahme – derzeit keine Notwendigkeit neuer, für die synthetische Biologie spezifischer Regulation. Freilich muss die Entwicklung des Feldes durchgängig beobachtet werden, insbesondere hinsichtlich einer Risikobewertung bzw. der Betrachtung von Sicherheitsaspekten. Schlagworte wie „Leben Erschaffen“ oder „Gott Spielen“ mögen Interesse für ein neues Forschungsfeld erregen, stehen jedoch einem Verständnis der relevanten wissenschaftlichen und ethischen Aspekte entgegen; solche Vokabeln mögen – so wünscht sich die Kommission, und so sehen es auch die meisten Wissenschaftler auf dem Gebiet - hier in Zukunft vermieden werden. Die Etablierung des Begriffs „Synthetische Biologie“ auch in Ablösung des Begriffs „Künstliches Leben“ mag in diesem Sinne hilfreich sein.

Literatur

Joachim Boldt et al.: Synthetische Biologie: Eine ethisch-philosophische Analyse. EKAH 2009 (im Internet)
Stellt ethische Herausforderungen der Synthetischen Biologie dar.

DFG, acatech, Leopoldina (Hg.): Synthetische Biologie – Stellungnahme. Wiley-VCH 2009. Gibt einen Überblick zur Synthetischen Biologie und stellt Chancen und Risiken heraus.

Markus Schmidt et al. (Hg.): Synthetic Biology: The technoscience and its societal consequences. Springer Netherlands 2009.
Ergebnisse eines EU-Projekts zu den gesellschaftlichen Aspekten der Synthetischen Biologie.

Pühler, Alfred; Müller-Röber, Bernd; Weitze, Marc-Denis (Hrsg.): Synthetische Biologie: Die Geburt einer neuen Technikwissenschaft Springer-Verlag, Berlin

Reihe: acatech DISKUSSION 1. Auflage, 2011, 180 S. 17 Abb. in Farbe.

UNSER AUTOR:

Marc-Denis Weitze ist Wissenschaftlicher Referent in der Geschäftsstelle der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech).