PhilosophiePhilosophie

03 2017

Dieter Thomäs Philosophie des Störenfrieds

aus: Heft 3/2017. S. 52-57

Der puer robustus - der kräftige Knabe, der starke Kerl – ist ein Störenfried. Er stört den Frieden und ist also nicht gerne gesehen, auch nicht in der Philosophie. Geschaffen hat die Figur Thomas Hobbes in De cive. Dort schreibt er über sie: „Ein böser Mann gleicht so ziemlich einem kräftigen Knaben oder einem Mann mit kindischem Sinn". Bei Hobbes steht der puer robustus für die ultimative Bedrohung der staatlichen Ordnung. Hobbes hielt ihn für den bösen Störenfried schlechthin. Heute ist er vergessen. Leider, meint Dieter Thomä und widmet ihm, um Abhilfe zu schaffen, ein Buch, das zugleich eine philosophische Abhandlung und eine Abenteuergeschichte sein will ein und sich schließlich als Interpretation der Frage nach Ordnung und Störung in der politischen Philosophie entpuppt:

Thomä, Dieter: Puer robustus – Eine Philosophie des Störenfrieds. 714 S., Ln., € 35.—, 2016, Suhrkamp, Berlin.

Der Streit, der sich am puer robustus entzündet hat, betrifft nicht irgendein, sondern das Problem der politischen Philosophie: die Frage, wie sich eine Ordnung etabliert und legitimiert, wie sie kritisiert, transformiert oder attackiert wird. Zum Thema der Ordnung gehört notwendig das der Störung, also auch die Rolle von Außenseitern und Randfiguren, Querulanten und Quertreibern. Die politischen Aufbrüche und Umbrüche der Moderne stehen für Krisen, die nicht vom Zentrum der Macht, sondern vom Rand her zu verstehen sind. Thomä unterscheidet vier Typen von (philosophischen) Störenfrieden:

● Der egozentrische Störenfried sträubt sich gegen die staatliche Ordnung und lebt seinen Eigenwillen aus. Mit dem Siegeszug des Kapitalismus bewegt er sich in den Mainstream der Gesellschaft hinein.

● Der exzentrische Störenfried pfeift zwar auf die Regeln, kann dabei aber nicht auf seinen Eigenwillen bauen, weil er noch auf der Suche nach sich selbst ist. Heute wird er normalisiert, indem er dem Egozentriker angenähert wird und er avanciert zum Mitglied der „creative class"

● Der nomozentrische Störenfried führt seinen Kampf gegen die Ordnung im Vorgriff auf Regeln, die dereinst an deren Stelle treten sollen. Heute wird ihm in der demokratischen Gesellschaft die Eingemeindung angeboten, ihm steht die Kooperation offen und die Subversion wird ihm erspart.

● Der massive Störenfried alles Individuelle von sich ab. Damit bleibt nur noch seine Bestimmung als Massenwesen. Heute darf er gerne in der Masse mitschwimmen, auf die Love Parade gehen und Spaß haben. Ansonsten läuft die Individualisierung wie geschmiert.

Hobbes

Der puer robustus des Thomas Hobbes ist böse. Er ist zwar erwachsen, behält aber einen kindlichen Geist. Er fügt sich nicht, wie von Hobbes gefordert, dem Leviathan. Auch wenn seine Abweichung im unscheinbaren Rahmen des Erwachsenwerdens verhandelt wird, steckt in ihr eine unheimliche, unbescheidene Drohung: die Fremdheit oder Feindseligkeit gegenüber der Ordnung. Damit bezieht sich Hobbes auf eine im Inneren der Gesellschaft fortlaufend generierte Fremdheit, die Ralph Waldo Emerson in dem Satz „The man ist ... a misfit from the start" herausgestellt hat. Hobbes sieht die politische Ordnung durch den puer robustus nicht zur Selbstprüfung, sondern zur Selbstverteidigung herausgefordert. Für die Ordnung wächst sich der Streit mit ihm zum Kampf zum Überleben aus.

 Wenn sich am Rand der Gesellschaft ein ungeheures Außerhalb auftut, das von allen möglichen Naturwesen bevölkert ist, dann ist eine genaue Beschreibung der Übeltäter gefragt. Nicht alle, die sich dort draußen herumtreiben, sind böse. Hobbes muss den Personenkreis der Übeltäter einkreisen, weil im Hintergrund eine unbequeme Frage lauert: ob der Mensch von Natur aus böse sei. Der puer robustus stellt sich quer zu einer Ordnung, in der nach Hobbes der Schulterschluss von Moral und Macht gelingt. Er bleibt dick- und hohlköpfig und meint, sich mit schierer Stärke durchsetzen zu können. Die eigene, einzelne Macht, die er beansprucht, fällt auf die Seite des Bösen. Für Hobbes ist dieser Kerl, dieser alt und stark gewordene, aber dumm gebliebene Kind-Mensch eine Gefahr auf dem Weg zu einem friedlichen Zustand der Gesellschaft. Was macht der puer robustus Hobbes zufolge falsch? Er verfolgt das Ziel der Selbsterhaltung, schlägt aber einen Weg ein, der gar nicht zu diesem Ziel führt. Er schlägt Unterordnung und Staatstreue in den Wind, vertraut auf seine Stärke und versucht, sich auf eine Faust und auf Kosten anderer durchzuschlagen. Das heißt: Wenn ich den puer robustus in mir überwinde und mich in eine Ordnung einfüge, die gut genannt wird, dann brauche ich dafür gar keinen moralischen Rückhalt. Ich werde moralisch, ohne von Moral auch nur die leiseste Ahnung zu haben. Und das heißt für Thomä: Hobbes' Moraltheorie ist amoralisch.

Als Quertreiber nennt Hobbes die Narren, Tollwütigen und Epileptiker, aber er findet auch welche unter den Reichen und den Armen. Die Staatsfeindschaft der Reichen höhlt den Staat auf alltägliche, unauffällige Weise aus. Die Regeln werden nicht offen gebrochen, sondern unauffällig unterlaufen: den Reichen ist es am liebsten, wenn sich alle an die Regeln halten – außer ihnen selbst.

Thomä selbst geht auf Distanz zu Hobbes' Theorie der Störenfriede. Dessen Schwäche sieht er im Individualismus, den er seinen Störenfrieden zuschreibt und in der Unterstellung, dass die Menschen ohne Befehl von oben nur für sich sprechen. Auch wer sich am Rand der Gesellschaft befindet, bewegt sich in einem – wie auch immer löchrigen – Netz von Bezügen. Aber auch dem egozentrischen Störenfried kann Thomä nichts abgewinnen und noch weniger dem Staat, der ihm den Kampf ansagt.

Jean-Jacques Rousseau

„Es ist noch die Frage, ob der wilde Mensch ein kräftiges Kind ist". Thomä sieht in diesem Satz Rousseaus nichts weniger als einen Versuch, Hobbes' Gegenüberstellung zwischen dem bösen puer robustus und dem guten Untertan zu unterlaufen. Zugleich sieht er diesen Nebeneingang direkt ins Zentrum von Rousseaus politischer Philosophie führen. Rousseau lenkt Hobbes' Befund, dass das kräftige Kind böse sei, auf den wilden Menschen um und nimmt ihn gegen diesen Vorwurf in Schutz. Rousseau hat hinsichtlich des Wilden drei allerdings nicht kompatible Thesen. Der Wilde ist weder gut noch böse. Der Wilde ist gut, weil er niemandem schadet. Der wilde Mensch ist gut, weil er anderen hilft.

Auf diese Weise will Rousseau vom Rand her, im Ausgang vom Naturzustand, den Weg zur sozialen und politischen Ordnung ebnen. Man findet also bei Rousseau einen puer robustus, der in sich ruht, niemandem etwas antut und anderen nur Gutes tut. Er zeigt damit den puer robustus als einen Menschen, der im Vollgefühl dieser Güte eigentlich aufhören will, ein Störenfried zu sein. Aber als Botschafter des Friedens ist er zum Kampf gezwungen. Er wagt den Vorgriff auf eine andere Ordnung, in die er sich hineindenkt und für die er kämpft – eine Ordnung jenseits von Unterdrückung und Quertreiberei. Wenn dieser Sieg erreicht ist, dann ist auch die Aufgabe des puer robustus erledigt. Doch dem ist nicht so: Wenn sich Rousseaus puer robustus in einen Staatsbürger verwandelt, dann legt er die Eigenschaften des Störenfrieds nicht ab. In der Antizipation der Ordnung von morgen bleibt er ein Störer der Ordnung von heute. Der politische Umbruch wird gewissermaßen eingemeindet. Die Krise wird zum Gütesiegel der Demokratie. Rousseau beschleicht nun das Gefühl, dass der puer robustus mit dem Mitleid als Waffe für diesen Kampf schlecht ausgerüstet ist und macht deshalb einen Schritt über das Mitleid hinaus, nämlich zur Gerechtigkeit. Sie stellt das formale Prinzip der Gleichheit dar, das im Mitleid verborgen ist.

Denis Diderot

Diderots Position fällt zwischen diejenige von Hobbes und Rousseau. Sie beinhaltet eine Absage an den Versuch, die Spannung zwischen Ordnung und Störung einseitig aufzulösen und das Heil auf der einen oder anderen Seite zu suchen. In einem ersten Schritt geht Diderot von Hobbes' Definition des puer robustus als Inbegriff des Bösen aus, wirft dann aber mit Rousseau einen neuen Blick auf die Quellen dieses Bösen, die nicht nur in der Unvernunft, sondern auch in der Vernunft selbst verortet werden. In einem zweiten Schritt schildert er ihn als eine Figur, die ihre Selbsterhaltung im Rollenspiel sichern will, und im dritten Schritt belässt er es nicht dabei, ihm eine Gleichstellung gegenüber Gut und Böse zuzuschreiben, sondern macht ihn zur positiven Figur der Transgression. Damit bringt Diderots Störenfried die Welt in Bewegung. Dank Diderot wird der puer robustus (bei ihm verkörpert Rameaus Neffe diese Figur) zum Paten der Entfremdungstheorie, die von Hegel bis zur Gegenwart reicht.

Friedrich Schiller

Bei Hobbes, Rousseau und Diderot tritt der puer robustus im Streit um die politische und soziale Ordnung auf. Zugleich geht seine Karriere mit einer wachsenden Kritik am Patriarchat einher. Schiller zeigt dies literarisch, indem er Wilhelm Tell als Störenfried schildert, der den Schlüssel zu einer neuen politischen Ordnung in der Tasche trägt. Tell entlastet sich von dem Vorgriff auf eine unzuverlässige Zukunft und lässt sich von etwas Gegebenem leiten, auf das Verlass sein soll: die natürliche Güte. Die Güte des einzelnen Helden aber ist es, die Schiller auf die ganze Gesellschaft übergreifen sieht, und so folgt er Rousseau darin, einen Übergang von Sympathie zu Synergie zu inszenieren. Am Ende stiftet Tell den Bund und verwandelt sich vom Außenseiter in einen Bruder. In den Räubern steht Franz Moor für den puer robustus, mit der kleinen Abweichung, dass bei ihm die Gewalt aufkommt, weil die Liebenswürdigkeit zu schwach ist. Eine notwendige Bedingung dafür, dass so jemand wie der puer robustus die Szene betreten kann, besteht darin, dass es so etwas wie eine geschichtliche Entwicklung gibt.

Bei Victor Hugo wird der puer robustus zum Opfer. Das Böse taucht auf als Antwort auf Verletzungen und Demütigungen. Der Hass entspringt der Enttäuschung, die Gewalt der Trauer. Es geht bei Hugo um die Frage, ob und wie ein Entrechteter und Ausgegrenzter die Bosheit, die ihm zugeschrieben wird oder die von ihm ausgeht, überwindet. Bei Richard Wagner ist es die Dummheit, die seinen Helden als Qualitätsmerkmal mit natürlicher Notwendigkeit und erlösender Kraft ausstattet. Wagner verweigert sich der von Hobbes gesetzten Alternative, wonach der puer robustus entweder böser Abweichler oder guter Vertragspartner sein müsse.

Alexis Tocqueville

Bei Alexis Tocqueville drängt sich ein neuer Typus des puer robustus auf die Bühne, der egozentrische Störenfried, der in der Ausbreitung von Demokratie und Kapitalismus seinen Nährboden findet. Er ist, wie bei Hobbes, ein Typ, der unfähig oder unwillig ist, Regeln zu setzen oder einzuhalten. Er hat für die politische Ordnung nichts übrig und lässt seinen „gierigen, blinden und rohen Leidenschaften" freien Lauf. Anders als Rousseau feiert Tocqueville nicht die innere Ruhe des guten puer robustus. Anders als Diderot liebäugelt er nicht mit dem Störenfried, der die Welt als Hefe in Bewegung bringt. Anders als Schiller empfindet er keine Sympathie für den Störenfried, der das Recht bricht. Und anders als Wagner sieht er nicht den Erlöser, der die Welt aus den Angeln hebt. Auch schneidet Tocqueville die Geschichte nicht, wie Hobbes, in Naturzustand und gesellschaftlichen Zustand auseinander, sondern interessiert sich für die Übergänge zwischen den gesellschaftlichen Ordnungen. Aber er argumentiert hobbistisch, indem er den puer robustus als bornierten, asozialen Kerl darstellt. Der Knabe erscheint zudem als in seinen Leidenschaften gefangen, als Symptom eines gesellschaftlichen Zustandes. Auch bei Tocqueville bleibt der Störenfried ein Feindbild. Er gibt ihm keine Chance, anders als böse zu sein.

Von Hobbes übernimmt Tocqueville die Beschreibung des puer robustus, die auf dessen blinde, leidenschaftliche Natur abstellt, ergänzt sie aber durch eine neue Erklärung, die dieses Verhalten als Folge des Despotismus kenntlich macht. Tocqueville gelangt zur Einsicht von der Geburt des puer robustus aus dem Geist des Kapitalismus. Er begrüsst ihn zwar als Nonkonformisten oder Exzentriker, doch er gibt ihm keine Chance, anders als böse zu sein.

Auch Karl Marx nennt den puer robustus, auch er sieht ihn als „robusten und bösartigen Knabe", identifiziert ihn jedoch als „Proletarier". Damit ist die Katze aus dem Sack: Der puer robustus ist das revolutionäre Subjekt. Mit seiner Hilfe kann Marx ins Herz seiner Theorie vorstoßen. Dazu wird der puer robustus in ein Kollektiv verwandelt, zugleich wird er zum Protagonisten einer Geschichtsphilosophie, in der die Bosheit ins Gute umschlägt. Die erste Neuerung von Marx sieht Thomä darin, dass der puer robustus als Klasse auftritt, die Ordnung schaffen will. Dazu stellt er dem bösen Lumpenproletarier einen guten puer robustus, den Proletarier, gegenüber. Allerdings hat er damit keinen Erfolg, was aber nicht an der Übermacht des Kapitals liegt, sondern auch damit, dass das Proletariat nicht so agiert, wie Marx sich dies vorstellt. Die im 19. Jahrhundert und auch heute geführte Debatte um Depolitisierung und Politisierung lässt sich so als Streit um die Rolle des puer robustus rekonstruieren, der mal als Feindbild, mal als Vorbild auftaucht.

Sigmund Freud, Carlo Schmitt, Leo Strauss, Helmut Schelsky und Max Horkheimer

Auch Sigmund Freud bezieht sich auf den puer robustus, allerdings ohne es zu merken und zwar an einer Schlüsselstelle seiner Theorie. Diderot hatte unverblümt von einem Verhältnis des „kleinen Wilden" mit seiner eigenen Mutter gesprochen und kommt so bei Freud als Ödipus auf die Bühne. Interessanterweise verläuft Freuds Argumentation weitgehend parallel mit der derjenigen von Hobbes. Doch gemäß Thomä erfasst Freuds Analyse nicht das gesamte Spektrum der sozialen Dynamik, in der das Generationenspiel und die Einrichtung einer politischen Ordnung aufeinander bezogen sind. Freuds Modell ist nicht nur der Zeit entsprungen, in der die Herrschaft des privaten und politischen Patriarchats an ihre Grenze kommt, sie bleibt auf die Logik von Herrschaft und Unterwerfung und auf den Mann als Machthaber fixiert. Für Freud bleibt grundlegend, dass der Ödipus-Komplex die Sozialbeziehungen monopolisiert. Größe und Grenzen seines Werkes liegen darin, an dieser Vorgabe mit aller Kraft festgehalten zu haben.

Dieter Thomä fühlt sich im Durchgang der Geschichte des puer robustus als eine Art Patenonkel, der besorgt beobachtet, wie sein Schützling immer tiefer ins Getümmel der Geschichte gerät. In den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts gerät Hobbes ins Zentrum der politischen Debatte. Viele Theoretiker waren von Hobbes' Individualisierung abgestoßen und zugleich von seiner Verabsolutierung des Staates angezogen. Doch auch als dessen Gegner wird Hobbes angerufen, denn sowohl sein Individualismus wie auch sein dem Frieden verpflichteter Staat wirken als Bollwerk gegen kollektive Kriegstreiberei. Zu den damaligen Autoren gehörten etwas Max Horkheimer, Leo Strauss, Carl Schmitt und Helmut Schelsky. Für Carl Schmitt hat der Weg aus den „Sackgassen des liberal-demokratischen Systems" am Ende zur Identifikation mit dem „totalen Führerstaat" geführt. Da Schmitt Macht und Moral im Staat vermählt, kann er in den Störenfrieden nur Feinde sehen, die ihm als böse gelten, wie gut sie auch sein wollen. So kämpft er gegen Anarchisten (der eine Bedrohung darstellt, da er die Berechtigung des Staates rundweg in Frage stellt), Egoisten (sie fügen sich nicht in ein soziales Gemeinwesen ein), Juden (er sieht in ihnen „Artfremde") und Partisanen (die den Staat angreifen). Bei Leo Strauss erscheint der puer robustus als Figur, die die Politik auf den Hund kommen lässt, und, mit Hobbes gesagt, „raublustiger und grausamer als Wölfe, Bären und Schlangen" agiert. Die Verteidigung des Staates läuft bei Strauss darauf hinaus, dass er sich am Guten zu orientieren hat und dass nur er diesem Guten Geltung verschaffen kann. Der Kampf gegen das Böse, das Strauss am puer robustus festmacht, rechtfertigt die Machtfülle des Staates. Strauss' Deutung des puer robustus bleibt auf dessen ursprüngliche Bosheit fixiert und schiebt fahrlässig all das beiseite, was zu dessen Ehrenrettung von Rousseau, Diderot, Hugo und anderen aufgeboten worden ist.

Helmut Schelsky ordnet den Staat dem Volk unter, wobei dem puer robustus die Rolle des Volksschädlings aufgezwungen wird. Der späte Schelsky erweist sich als bornierter Verfechter des Erwachsenseins.

Den Störenfried, den Horkheimer im Auge hat, ist etwas Neues. Sein Antrieb ist nicht „Selbstbestimmung", sondern „Selbsterniedrigung" und „Selbstverachtung". Er schüttelt alles Individuelle von sich ab. Damit bleibt nur noch seine Bestimmung als Massenwesen. Indem sich dieses Massenwesen in den Kampf gegen die bestehende Gesellschaft begibt, tritt es als massiver Störenfried auf. Man kann zuschlagen und zerstören, aber man tut dies gar nicht selbst, nicht im eigenen Namen, sondern als Mitglied einer Masse mit höherem Auftrag. So heißt es in einem nationalsozialistischen Pamphlet: „Wir sind und wirken? Nein! Es ist und wirkt in uns." Die Bejahung des totalitären Kollektiv ist nur dann gesichert, wenn alle von einem Schlag, von einer Art sind. Die Nazi-Parole, die dies bereitwillig bestätigt, lautet: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!". Anders als die anderen Hobbes-Interpreten seiner Zeit lässt Horkheimer nicht die staatliche Ordnung gegen die Rebellen oder Abenteurer antreten, sondern er beschreibt, wie sich diese Ordnung selbst faschistisch abwandelt und den Störenfried zu ihrer Kampfmaschine macht. Thomä beschreibt die kleinen Wilden Horkheimers als hybride Figuren, als eine Mischung von egozentrischem und massivem Störenfried. Er sieht die jüngste Geschichte durchzogen von solchen hybriden Störenfrieden, bei denen egozentrische und massive Elemente in wechselnden Mischungen auftreten, die sich toll fühlen und in der Gruppe hochschaukeln.

Der puer robustus heute

Die gegenwärtige Lage sieht Thomä bestimmt durch einen Kampf, denn der puer robustus mit sich selber führt. Die Störenfriede befinden sich an der Schwelle zur Gesellschaft, von der sie ausgegrenzt werden, gegen die sie sich wenden oder von der sie sich abwenden. Dabei finden sie sich in einem passiven und/oder aktiven Modus: Neben das Leiden an der Ausgrenzung tritt das eigene Handeln der Abgrenzung. Manchen wird die Einladung mitzuspielen, verweigert, andere schlagen diese Einladung aus. Der egozentrische Störenfried löst sein Identitätsproblem, in dem er sich rein auf sein Eigeninteresse stützt und es darauf anlegt, die Ordnung auszutricksen. Der exzentrische Störenfried überschreitet die Ordnung und sich selbst, pfeift also auf seine Identität, bleibt aber ebenso kritisch auf die bestehende Ordnung bezogen wie der nomozentrische Störenfried, der ihr eine andere Ordnung entgegenhält und sich mit ihr im waghalsigen Vorgriff identifiziert. Der massive Störenfried versucht sein Identitätsproblem zu lösen, indem er das Relative an seiner Identität durchstreicht und für sich in Anspruch nimmt, voll und ganz einem geschlossenen Kollektiv anzugehören. Er tritt nicht nur als Faschist, sondern allgemein als Fundamentalist und heute als Islamist auf.