PhilosophiePhilosophie

02 2017

Was leistet die Begriffsanalyse?

aus: Heft 2/2017, S. 36-44
 
 
Stellungnahmen von Gottfried Gabriel, Joachim Horvath, Christoph Schamberger und Frieder Vogelmann
 
Was leistet die philosophische Begriffsanalyse?
 
Christoph Schamberger: Die meisten Menschen haben zahlreiche spontane Überzeugungen, sogenannte Intuitionen, zu verschiedenen philosophischen Problemen. Sie haben zum Beispiel ein Verständnis davon, was eine Handlung ist oder was es heißt, etwas zu wissen (freilich verstehen darunter nicht alle das Gleiche). Philosophische Begriffsanalyse besteht darin, diese intuitiven Überzeugungen über philosophische Probleme bewusst zu machen und sie sprachlich zu artikulieren. Man geht meist von typischen Fällen aus, auf die ein philosophischer Begriff wie jener der Handlung angewendet wird und achtet darauf, was sie alle gemeinsam haben. Wenn wir einen Begriff auf verschiedene Fälle anwenden, unterstellen wir nämlich, dass sie eine gemeinsame Eigenschaft haben. Mit dem Begriff bzw. mit dem sprachlichen Ausdruck des Begriffs, einem Prädikat, beziehen wir uns auf diese gemeinsame Eigenschaft. Diese Eigenschaft tritt wiederum unter bestimmten Bedingungen auf, sie ist mit anderen Eigenschaften verknüpft. So beruhen etwa alle Fälle von Handlungen auf Überlegungen und Entscheidungen, und sie entspringen dem Willen einer Person.
 
In der Begriffsanalyse achten Philosophen auf die gemeinsamen Bedingungen, die in allen untersuchten Fällen vorliegen. Dadurch gelangen sie zu einer ersten Beschreibung der Eigenschaft, auf die sich der Begriff bzw. sein Prädikat bezieht. Anschießend ist die Beschreibung zu präzisieren und ggf. zu korrigieren, indem man prüft, ob sie auch auf andere Fälle zutrifft, auf die man den Begriff anwenden möchte. Umgekehrt sollte sie keine Fälle erfassen, auf die man den Begriff ungern anwenden möchte. Auch hypothetische Fälle aus Gedankenexperimenten müssen diesen Test bestehen. Wenn alles gut geht, erhält man eine möglichst detaillierte Beschreibung der Eigenschaft, auf die sich der Begriff bzw. sein Prädikat bezieht. Man kennt dann alle Bedingungen, unter denen die Eigenschaft auftritt. Hierzu möchte ich allerdings vier verbreitete Missverständnisse ausräumen:
 
1. Der Sache nach findet sich das Verfahren der Begriffsanalyse spätestens seit Platon in großen Teilen der westlichen Philosophie, ist also keine Erfindung der analytischen Philosophie. Außerhalb der analytischen Philosophie firmiert es oft unter anderen Etiketten wie „Begriffsbestimmung“ oder „Begriffsklärung“.
 
2. Begriffsanalyse ist nicht gleichzusetzen mit Bedeutungsanalyse oder Klärung von Wortbedeutungen. Das wäre Aufgabe der Linguistik. Wortbedeutungen findet man in Wörterbüchern, nicht in philosophischen Texten.
 
3. Nichts an der Begriffsanalyse legt uns auf die Annahme fest, wir formulierten darin analytische oder apriorische Urteile. Für die Legitimität der Begriffsanalyse ist es unerheblich, ob es analytische oder apriorische Urteile gibt und ob man sie von anderen Urteilen abgrenzen kann. Vermutlich sind die meisten begriffsanalytischen Beschreibungen, zumindest die interessanteren, nicht analytisch, d. h. sie sind nicht allein aufgrund der Bedeutung der darin vorkommenden Ausdrücke wahr.
 
4. Nichts an der Begriffsanalyse legt uns auf irgendeine Ontologie der Begriffe fest. Wir müssen keineswegs unterstellen, wir würden darin Begriffe in einfachere oder grundlegendere Begriffe zerlegen. Dieses Modell mag in früheren begriffsanalytischen Projekten wie dem der Wissensanalyse Pate gestanden haben. Für andere Projekte wäre es jedoch ungeeignet. So wäre völlig unklar, welcher der Begriffe „Handlung“, „Überlegung“, „Entscheidung“ und „Wille“ einfacher oder grundlegender ist als die anderen. Besser stellt man sich Begriffsanalyse als ein Projekt vor, in dem untersucht wird, wie Begriffe und die damit bezeichneten Eigenschaften miteinander zusammenhängen.
 
Gottfried Gabriel: Theoretisches Wissen – im Unterschied zu praktischem Wissen im Sinne eines Könnens – äußert sich vornehmlich in Form von Behauptungen. Daher scheint es nahe zu liegen, den Begriff der Erkenntnis mit dem Begriff des Wissens im Sinne eines begründeten wahren Glaubens (justified true belief) gleichzusetzen und dementsprechend den Begriff der Erkenntnis an den Begriff der Wahrheit zu binden. Nach dieser Auffassung wäre jede Erkenntnis propositional (aussageartig). Gegen eine solche Engführung ist auf nicht-propositionale Erkenntnisformen zu verweisen, wie sie zum Beispiel in Literatur und Kunst vorliegen. In der Philosophie werden nicht-propositionale Erkenntnisse insbesondere durch Begriffsanalysen vermittelt, indem diese durch Unterscheidungen einen grundlegenden Beitrag zu unserem Selbst- und Weltverstehen leisten. Die Einführung von Unterscheidungen durch Definitionen stellt die vorpropositionalen Weichen für propositionale Geltungsansprüche, für ein Sich-behaupten durch Behauptungen. Vorgeführt wird dies bereits in den Dialogen Platons, die vorwiegend aus Unterscheidungsdiskursen nach dem Verfahren der begriffsanalytischen Einteilung (Dihairesis) bestehen.
 
Joachim Horvath: Sinnvollerweise lassen sich zumindest zwei methodische Leistungen der philosophischen Begriffsanalyse unterscheiden. Zum einen eine eher klärende oder propädeutische Leistung, die in der Auf deckung von begrifflicher Mehrdeutigkeit, Vagheit oder Unklarheit bzw. Inkohärenz besteht. Ein (allerdings umstrittenes) Beispiel für Mehrdeutigkeit wären die verschiedenen Sinne von Wissen, wie propositionales Wissen oder Wissen-wie. Ein Beispiel für Inkohärenz könnte der Wahrheitsbegriff sein, der aufgrund der Lügner-Paradoxie nach Ansicht mancher Philosophen widersprüchlich ist. Zum anderen wird die Begriffsanalyse häufig als zentrale Methode der Philosophie verstanden, mit der sich a priori oder „aus dem Lehnstuhl heraus“ substanzielle philosophische Fragen beantworten lassen wie beispielsweise „Was ist Wissen?“, „Was ist Wahrheit?“ oder „Ist Wissen immer wahr?“. Keine der beiden Leistungen der philosophischen Begriffsanalyse ist allerdings unkontrovers. Selbst die Aufdeckung von begrifflicher Mehrdeutigkeit oder Unklarheit ist nach Ansicht mancher Philosophen, wie zum Beispiel Herman Cappelen oder Edouard Machery, besser bei der Linguistik oder der kognitiven Psychologie aufgehoben.
 
Philosophen mit einem eher naturalistischen Hintergrund bestreiten zudem oft das Potenzial der Begriffsanalyse zur Beantwortung substanzieller philosophischer Fragen. Hilary Kornblith vertritt beispielsweise die Ansicht, dass die Natur von Wissen ebenso mit empirisch-naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden sollte wie die Natur von Wasser oder Gold. Ganz konkret schlägt er hierzu vor, das die kognitive Verhaltensforschung – ein Teilgebiet der Biologie – entscheidende Hinweise auf die Natur von Wissen liefert.
 
Frieder Vogelmann: Zunächst möchte ich die in der Frage im Singular genannte Begriffsanalyse pluralisieren, denn es gibt ja sehr unterschiedliche Formen des Philosophierens, die sich berechtigterweise Begriffsanalyse nennen lassen. So könnte man Platons Sokrates als einen Begriffsanalytiker verstehen, der versucht, Begriffe wie „Tugend“ oder „Wissen“ zu bestimmen. Obgleich anders vorgehend und andere Ziele anstrebend, ist auch Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen – neben allem anderen, das sie auch ist – eine Form der Begriffsanalyse, die uns eine Übersicht über den Gebrauch unserer Wörter geben will, damit wir unsere Grammatik verstehen (PU, §122). Sie unterscheidet sich wiederum stark von jener „conceptual analysis“, die derzeit in der analytischen Philosophie jüngst wieder verstärkt diskutiert wird (sehr aufschlussreich dazu: Christian Nimtz: „Begriffsanalyse heute“, Zeitschrift für philosophische Forschung 66.2 [2012]). Und noch eine vierte Tradition der Begriffsanalyse möchte ich nennen: Auch die Untersuchungen von Michel Foucault kann man (z.B. mit Arnold I. Davidson oder Ian Hacking) als Analyse verstehen, um den Gebrauch, dessen Entwicklung und seine Folgen von Begriffen wie „Sexualität“, „Wahnsinn“ oder „Kriminalität“ zu durchleuchten.
 
Ich betone diese Vielfalt zu Beginn deswegen, weil ich meinen Antworten vorausschicken möchte, dass sie keineswegs für alle Formen der Begriffsanalyse gelten. Zumal ich mich vor allem für jene Form interessiere, die man grob gesagt aus der Verbindung von Wittgenstein und Foucault erhält: eine kritisch-historische Begriffsanalyse, die sowohl nach den Praktiken fragt, in denen unsere Begriffe durch Gebrauch ihre Bedeutung erhalten, als auch nach der Geschichte dieser Praktiken und den Kämpfen, die um sie geführt wurden. In dieser Variante leistet Begriffsanalyse dreierlei: Sie klärt uns erstens über verschiedene Verwendungsweisen und damit die Bedeutungen von Begriffen auf und gibt uns damit tatsächlich einen Überblick über das, was wir mit dem Begriff alles tun. Sie bleibt jedoch zweitens nicht bei diesem gegenwärtigen Gebrauch stehen, sondern schreibt zudem seine Genealogie. Insofern klärt sie uns über die nicht-notwendige Geschichte auf, die dazu führte, dass wir einen Begriff heute derart gebrauchen. Drittens schließlich klärt sie uns über die politische Signifikanz des Begriffs und der in ihm eingeschlossenen Geschichte auf, die in den Verwendungsweisen aufgerufen wird. Denn obschon die Bedeutung der Begriffe von ihrem Gebrauch durch uns abhängt, also davon, was wir mit ihnen tun, tun diese Begriffe auch etwas mit uns: Sie führen uns auf neue Wege, zu unvorhergesehenen Schlüssen, und oft genug lassen sie uns anderes sagen, als wir auszudrücken meinten. Angesichts dieser drei Leistungen einer Begriffsanalyse mit Foucault und Wittgenstein bin ich versucht, diese Form der kritischen Begriffsanalyse insgesamt als aufklärerisch zu bezeichnen.
 
Inwiefern ist dies ein Beitrag zur Erkenntnis der Welt?
 
Frieder Vogelmann: Die von mir präferierte kritisch-historische Begriffsanalyse zeigt uns etwas über die Praktiken, in denen unsere Begriffe Bedeutung erhalten und in denen wir durch unsere Begriffe zu bestimmten Erkenntnissen, Handlungsweisen und Selbstverständnissen geleitet werden. Einen Beitrag zur Erkenntnis leistet sie einerseits, wenn wir mit Wittgensteins dank der Begriffsanalyse den Gebrauch unserer Wörter übersichtlich darstellen. Andererseits darf das nicht so ahistorisch geschehen, wie Wittgenstein es vorgemacht hat. Deshalb ist es erforderlich, Foucaults Überlegungen einzubeziehen und die Begriffsanalyse auszudehnen auf die Geschichte der Kämpfe um jene Praktiken, in denen sich der heutige Gebrauch entwickelte. Das ist sowohl für die Philosophiegeschichte als auch für eine systematisch-konstruktive Argumentation wichtig. Im Falle des Verantwortungsbegriffs zeigt sich beispielsweise, dass die im heutigen Gebrauch selbstverständliche Unterstellung, nur wer handlungsfähig (nicht unbedingt: frei) sei, könne auch verantwortlich sein, noch im 19. Jahrhundert keineswegs angenommen wurde. Entsprechend anders stellt sich der Gebrauch von „Verantwortung“ etwa in den frühen Diskussionen um Willensfreiheit dar – und entsprechend problematisch wäre es, einfach von unserem Gebrauch des Verantwortungsbegriffs auszugehen, wenn man über diese Diskussionen spricht.
 
Die wichtigste Erkenntnis, die diese Form der Begriffsanalyse für ein systematisch-konstruktives Vorgehen liefert, ist der Hinweis auf die politische Signifikanz philosophischer Begriffsprägungen. Wenn Begriffe ihre Bedeutung durch ihren Gebrauch erhalten, und wenn nicht nur wir etwas mit Begriffen tun, sondern auch diese mit uns, wie ich oben formuliert habe, dann machen auch die Erklärungen und Modifikationen von Begriffen durch die Philosophie etwas mit uns. Eindrucksvolle Beispiele liefern Ian Hackings Untersuchungen, die zugleich vorführen, dass nicht nur die Explikation „handlungsnaher“ Begriffe wie „Verantwortung“ politische Signifikanz hat, sondern auch die scheinbar rein technischer Begriffe wie der der „Wahrscheinlichkeit“. Potenziert schließlich tritt diese politische Dimension philosophischer Begriffsarbeit dort zu Tage, wo es um zur Selbstbeschreibung von Menschen genutzte Begriffe geht: Am Beispiel des Begriffs „multipler Persönlichkeit“ legt Hacking dar, wie sich Menschen an Begriffe anpassen und diese dabei wiederum verändern – was er als „looping effect of human kinds“ in seinem gleichnamigen Aufsatz beschreibt. Damit sollte deutlich sein: Begriffsanalyse in ihrer kritisch-historischen Form liefert wichtige Beiträge zur Erkenntnis der Welt, macht aber zudem darauf aufmerksam, dass Begriffsanalysen selbst in die Welt eingreifen.
 
Gottfried Gabriel: Begriffsanalysen liefern nicht nur einen Beitrag zur Erkenntnis der Welt, sondern auch einen Beitrag zur Erkenntnis der Situation des Menschen in dieser Welt. Die kognitive Bedeutung von Unterscheidungen wird weitgehend unterschätzt. Dies zeigt sich insbesondere an der Behandlung von Definitionen. Wird diesen doch meist lediglich die Funktion zugewiesen, den Gebrauch der in Aussagen verwendeten Termini zu erläutern oder festzulegen. Richtig ist, dass Definitionen selbst nichts behaupten. Als sprachliche Gebilde sind sie nur grammatisch, nicht aber logisch-semantisch als Aussagen zu behandeln. Demgemäß haben Definitionen keinen Wahrheitswert. Häufig wird diese Auffassung zu der These verschärft, dass Definitionen lediglich willkürliche Festsetzungen des Gebrauchs von Zeichen sind oder doch sein sollten. Übersehen wird dabei, dass sprachliche Festsetzungen unsere Begriffe prägen. Die Willkürlichkeitsthese wird insbesondere in der an axiomatischen formalen Systemen orientierten Wissenschaftstheorie vertreten. Genauer betrachtet erweist sie sich als verfehlt. Sie gilt nicht einmal für formale Sprachen, geschweige denn außerhalb formaler Sprachen.
 
Betrachten wir als Beispiel den Kalkül der klassischen Aussagenlogik. Die Möglichkeit, Junktoren mit Hilfe des Negators durch andere Junktoren definieren zu können, stellt eine tiefe logische Einsicht dar, die im Falle der Darstellung des ‚wenn p, so q‘ mit Hilfe des Konjunktors und Negators als ‚nicht (p und nicht q)‘ zudem umstritten ist. Die entsprechenden Definitionen sind allenfalls insofern willkürliche Festsetzungen, als die Wahl der Symbole willkürlich, nämlich konventionell ist. Sobald wir diesen Symbolen aber eine Bedeutung zuordnen (und ohne eine solche Zuordnung sind die formalen Sprachen ohne Relevanz), kann von einer Willkürlichkeit der Definitionen nicht mehr die Rede sein. Tatsächlich ist es ja auch keineswegs so, dass formale Sprachen willkürlich aufgebaut werden, vielmehr wird bei deren Darstellung immer schon nach möglichen Interpretationen ‚geschielt‘.
 
Joachim Horvath: Für die Beantwortung dieser Frage ist vor allem die Leistung der Begriffsanalyse als Methode zur Untersuchung substanzieller philosophischer Fragen einschlägig. Nach meiner Auffassung gibt es hier ein Primat der materialen, „weltorientierten“ Anwendung der Begriffsanalyse. Eine Frage wie „Was ist Wissen?“, die in der Regel auf begriffsanalytische Weise untersucht wird, zielt ganz klar auf eine substanzielle Sachfrage ab, die nicht primär Begriffe oder die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zum Gegenstand hat. Antworten auf diese Frage werden daher typischerweise in der Form eines Bikonditionals formuliert, das in der Regel auch als notwendig verstanden wird, wie zum Beispiel: „Etwas ist Wissen genau dann, wenn es eine gerechtfertigte wahre Meinung ist“.
 
Ein bloßes notwendiges Bikonditional dieser Art ist allerdings für erfolgreiche philosophische Analysen nicht hinreichend, weil letztere zum Beispiel asymmetrisch sind und keinen trivialen oder irrelevanten Inhalt haben dürfen. Es gibt jedoch eine Vielzahl von notwendig wahren Bikonditionalen, welche die genannten Bedingungen verletzen, wie zum Beispiel: „Etwas ist Wissen genau dann, wenn es Wissen ist und so, dass 2 + 2 = 4“.
 
Für eine erfolgreiche philosophische Analyse ist meiner Ansicht nach daher die Zusatzbedingung erforderlich, dass der Begriff für das Analysandum auf geeignete Weise in den Begriffen für das Analysans fundiert oder „gegründet“ ist (von engl. „grounding“). Etwas vereinfacht gesagt bedeutet das, dass die Begriffe für das Analysans grundlegender sein müssen als der Begriff für das Analysandum und dass der letztere zudem auf geeignete Weise von den analysierenden Begriffen abhängig sein muss. Diese asymmetrische Fundierungsbeziehung ist unter anderem sensitiv gegenüber den irrelevanten Inhalten einer philosophischen Analyse und kann die angedeuteten Problemfälle daher auf systematische Weise ausschließen.
 
Welche Antwort ergibt sich daraus für die Frage, ob die Begriffsanalyse einen Beitrag zur Erkenntnis der Welt liefert? Aus meiner Sicht ein klares „sowohl als auch“: Begriffsanalyse zielt zum einen auf substanzielle Wahrheiten über die nicht-begriffliche Welt ab, betrachtet diese jedoch stets „durch die Brille“ von begrifflichen Zusammenhängen bzw. Abhängigkeiten. Es gibt allerdings den Grenzfall von leeren Begriffen, die durch eine erfolgreiche Analyse beispielsweise als inkohärent erwiesen werden. In diesem Fall, der insbesondere für philosophische „Irrtumstheorien“ wichtig ist, lernen wir durch die Analyse primär etwas über den jeweiligen Begriff – allerdings nur auf indirekte Weise, nämlich „durch die Brille“ einer materialen Aussage über die Welt.
 
Den „doppelgesichtigen“ Charakter der Begriffsanalyse zwischen Aussagen über die Welt und begrifflichen Abhängigkeiten halte ich für eine wichtige Einsicht in die Natur dieser Methode.
 
Christoph Schamberger: Da eine Begriffsanalyse die Bedingungen aufzählt, unter denen eine Eigenschaft auftritt, formuliert sie gehaltvolle und informative Aussagen darüber, wie die Eigenschaft mit anderen Eigenschaften zusammenhängt. Insofern machen Begriffsanalysen nicht etwa nur Aussagen über die Bedeutung von Begriffen, sondern stets auch und vor allem sachbezogene Aussagen über das, was in der Welt der Fall ist (oder der Fall sein könnte oder sollte).
 
Indem Philosophen über die Fälle nachdenken, auf die ein bestimmter Begriff angewendet wird, denken sie zugleich darüber nach, wie sie die Wirklichkeit erfahren – einschließlich der Menschen und deren Werke und Taten. Dadurch bemerken sie, wie sie ihre Erfahrung mit Hilfe dieser Begriffe organisieren. Diese Tätigkeit erfordert zwar eine große Menge an Lebenserfahrung, lässt sich jedoch bequem vom Lehnstuhl aus verrichten. Darin lernt man nicht viel über die Welt. Insofern leistet die Begriffsanalyse weniger einen Beitrag zur Erkenntnis der Welt, sondern sie deckt vor allem den begrifflichen Hintergrund der Erfahrung auf.
 
Ist diese Begriffsanalyse das zentrale Werkzeug der Philosophie oder eine unter anderen?
 
Christoph Schamberger: Begriffsanalyse ist der Ausgangspunkt, der erste Schritt im Philosophieren. Ohne Begriffsanalyse gäbe es kein Material, über das man philosophieren könnte. Insofern ist sie schon zentral, aber sie ist beileibe nicht das einzige Werkzeug. Ebenso wichtig ist es, die durch Begriffsanalyse gewonnenen Beschreibungen zu begründen, wobei die Prämissen oft selbst wieder durch Begriffsanalyse gewonnen werden, zum Teil aber aus anderen Quellen stammen, z. B. aus der Erfahrung; so fließen in Argumente der Wissenschaftstheorie und der Politischen Philosophie zahlreiche empirische Prämissen ein. Dabei ist natürlich auch zu prüfen, ob die begriffsanalytischen Beschreibungen und ihre Implikationen miteinander vereinbar (konsistent) sind. Treten Widersprüche auf, ist von den Ergebnissen der Begriffsanalyse durchaus abzuweichen, denn für Philosophen ist es eine vorrangigere Aufgabe, möglichst kohärente, d. h. konsistente und zugleich begründete, Theorien zu entwickeln.
 
Schließlich sind die eigenen begriffsanalytischen Beschreibungen und ihre Begründungen mit alternativen Entwürfen anderer Philosophen zu vergleichen und, wenn diese nicht kohärent sind, zu kritisieren; umgekehrt muss man sich gegenüber Kritik verteidigen. Diese zuletzt genannten Schritte sind es, die den Großteil der philosophischen Arbeit ausmachen. Würden sich die Philosophen hingegen auf Begriffsanalyse beschränken, wäre die (westliche) Philosophie eine ganz andere.
 
Joachim Horvath: Die Begriffsanalyse ist nach wie vor eine zentrale philosophische Methode. Allerdings hat sich das methodische Spektrum der Philosophie in den letzten Jahrzehnten insgesamt erheblich erweitert.
 
Zum einen gibt es vor allem in der Analytischen Philosophie eine stark naturalistische, wissenschaftsorientierte Strömung, die der Begriffsanalyse im Allgemeinen eher ablehnend gegenübersteht.
Zum anderen ist in den letzten Jahren mit der Experimentellen Philosophie ein neuer methodischer Ansatz entstanden, der in manchen Spielarten auch als Fortsetzung der Begriffsanalyse mit den Mitteln der kognitiven Psychologie verstanden werden kann. Im Zentrum steht dabei die experimentelle Untersuchung von begrifflichen Intuitionen, beispielsweise anhand von klassischen philosophischen Gedankenexperimenten.
 
In der neueren Debatte haben zudem pragmatisch-normative Methoden wie die Carnapsche Explikation oder das Projekt der ameliorativen Analyse von Sally Haslanger stark an Bedeutung gewonnen. Diese Ansätze, die man auch unter dem Schlagwort „conceptual engineering“ zusammenfassen kann (siehe z. B. die neueren Arbeiten von Herman Cappelen), verschieben den Fokus von primär deskriptiven Fragen wie „Was ist Wissen?“ zu primär normativen Fragen wie „Was sollte Wissen sein bzw. wie sollte man Wissen am besten verstehen (im Hinblick auf ein bestimmtes praktisches oder theoretisches Ziel)?“.
 
Schließlich ist in den letzten Jahrzehnten auch eine recht traditionelle Form des philosophischen Rationalismus wiederbelebt worden, der zufolge wir einen direkten, intuitiven Zugang zur Natur bestimmter Eigenschaften oder zu notwendigen Wahrheiten haben (siehe z. B. die Arbeiten von George Bealer oder Laurence BonJour). Die gegenwärtige (Analytische) Philosophie ist also viel stärker durch einen methodischen Pluralismus geprägt, als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Unbestritten scheint mir allerdings, dass die Begriffsanalyse de facto in vielen Debatten immer noch eine zentrale Rolle spielt.
 
Gottfried Gabriel: Der Erkenntniswert von Begriffsanalysen wird vielfach nicht erkannt, weil man die Bedeutung des Unterscheidungswissens verkennt. Nun vollziehen sich Unterscheidungen nicht nur in expliziten Definitionen, sondern gerade auch ‚schleichend‘ in stillschweigenden Neuverständnissen. Definitionen sind lediglich der Ort, an dem der Wille zur begrifflichen Neustrukturierung am erkennbarsten dingfest gemacht werden kann. Ein angemessenes Verständnis des Erkenntniswertes von Begriffsanalysen und deren Unterscheidungen bleibt verstellt, wenn man diesen lediglich eine vorbereitende Funktion für die ‚eigentliche‘, nämlich behauptende (apophantische) Wissensbildung zuweist. Genauer betrachtet ist das Verhältnis zwischen Behauptungen und Definitionen häufig gerade umgekehrt zu sehen. Behauptungen sind wahr oder falsch in Abhängigkeit von zuvor getroffenen definitorischen Festlegungen und Unterscheidungen. Unterscheidungen geben allererst den kategorialen Rahmen ab, innerhalb dessen propositionale Erkenntnisansprüche erhoben werden. So geht es in klassischen Texten der analytischen Philosophie wie Freges Funktion und Begriff, Über Sinn und Bedeutung und Über Begriff und Gegenstand im Wesentlichen darum, wie die Titel bereits anzeigen, kategoriale Unterscheidungen plausibel zu machen.
 
Wie wir die Welt und das Leben sehen, ist durch unsere Begriffsbildungen bestimmt. Philosophische Einsichten laufen fast immer darauf hinaus, die Dinge ‚im Lichte‘ neuer kategorialer Unterscheidungen neu zu sehen, also eine neue grundlegende Sichtweise zu gewinnen. Daher besteht der philosophische Diskurs weniger in der Begründung und Kritik von Behauptungen als vielmehr in der Begründung und Kritik von kategorialen Unterscheidungen. In diesem Sinne ist die Begriffsanalyse in Verbindung mit der Sprachanalyse das zentrale Werkzeug der Philosophie.
 
Zu achten ist allerdings darauf, dass Begriffsbildungen historisch-hermeneutisch verlässlich unterfüttert werden, um zu verhindern, dass man hinter den Stand des bereits vorhandenen Unterscheidungswissens zurückfällt. Gerade für das philosophische Wissen ist es besonders wichtig, die in der historischen Entwicklung ausgebildeten Unterscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, kritisch zu würdigen und systematisch zu nutzen. Diese Rolle kommt einer problemgeschichtlich verfahrenden Begriffsgeschichte zu, wie sie etwa das Historische Wörterbuch der Philosophie bietet.
 
Frieder Vogelmann: Angesichts der angedeuteten Vielfalt von Vorgehensweisen, die sich zu Recht Begriffsanalysen nennen, kann man diese tatsächlich als ein zentrales Werkzeug der Philosophie bezeichnen. Das bedeutet jedoch, dass man vermutlich eher über die einzelnen Formen von Begriffsanalyse diskutieren sollte – und dass es klarerweise weitere philosophische Instrumente gibt, die nicht weniger wichtig sind.
 
Wo sehen Sie die Grenzen der Begriffsanalyse?
 
Joachim Horvath: Zunächst einmal lassen sich die Grenzen einer philosophischen Methode nicht a priori oder „aus dem Lehnstuhl heraus“ bestimmen (im Gegensatz beispielsweise zu Kant, der in diesem Punkt übertrieben optimistisch war). Bei vielen philosophischen Fragestellungen wird man daher einfach ausprobieren müssen, wie weit man mit der Begriffsanalyse tatsächlich kommt – oder ob diese Methode in eine Sackgasse führt.
 
Ich halte aber ebenfalls nicht viel von der pessimistischen Sichtweise, dass der Mangel an erfolgreichen Begriffsanalysen – beispielsweise in der Erkenntnistheorie – automatisch gegen diese Methode spricht, wofür manche Philosophen argumentiert haben (z.B. Timothy Williamson in Knowledge and Its Limits). Nach diesem Standard gäbe es in der Philosophie streng genommen überhaupt keine brauchbaren Methoden, denn auch andere methodische Ansätze haben nicht mehr Konsens hervorgebracht als die Begriffsanalyse. Diese Argumentation führt somit in einen skeptischen Irrweg.
 
Des Weiteren erscheint mir fraglich, ob reine Begriffsanalysen „ohne jede empirische Beimengung“ in der realen philosophischen Praxis oft erreichbar sind (auch wenn dies im Prinzip – für ideale Denker – mitunter möglich scheint). Zur Aufstellung oder Widerlegung einer philosophischen Analyse werden wir zum Beispiel fast immer auch unser empirisches Wissen über die paradigmatischen Instanzen eines Begriffs heranziehen. Im Endergebnis führt dies dazu, dass die meisten philosophischen Analysen teils a priori, teils empirisch gerechtfertigt sind – wenngleich die empirischen Anteile immer noch als Teil der Begriffskompetenz in einem weiten Sinn verstanden werden können.
 
Eine echte Grenze für die Methode der Begriffsanalyse sehe ich allerdings dort, wo die reale Natur einer Kategorie nur empirisch entdeckt werden kann – also genau in jenen Fällen, die Kripke und Putnam zur Idee von a posteriori Notwendigkeiten geführt hat, wie zum Beispiel „Wasser = H2O“. Unplausibel erscheint mir allerdings, dass zentrale philosophische Kategorien wie Wissen oder Wahrheit wirklich nach dem Modell von Wasser und H2O verstanden werden können.
 
Gottfried Gabriel: Eine entscheidende Voraussetzung für die philosophische Überzeugungsarbeit ist, dass die grundlegenden Unterscheidungen, welche die Sicht der Dinge festlegen, Zustimmung erfahren. Grenzen der Begriffsanalyse tun sich zwar nicht in der Sache auf, aber mit Blick auf deren Akzeptanz, wenn die Zustimmung verweigert wird. Unterscheidungen können nämlich nicht zwingend andemonstriert, sondern lediglich ansinnend plausibel gemacht werden. Daher hat deren Begründung oder Zurückweisung – der Nachweis ihrer Adäquatheit oder Inadäquatheit – keinen beweisenden, sondern einzig einen aufweisenden, nämlich appellativ verdeutlichenden Charakter. Letztlich bewegen wir uns hier nicht im Bereich logischer, sondern rhetorischer Argumentation. Kritisch zu achten ist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr persuasiver Definitionen. Immerhin wird man über die Form des diskursiven Arguments hinausgehen und auch auf andere Darstellungsformen zurückgreifen dürfen oder gar müssen – bis hin zu literarischen Ausdrucksformen wie Vergleichen, Bildern und Metaphern.
 
Frieder Vogelmann: Ich würde lieber von den Gefahren als von den Grenzen von Begriffsanalysen sprechen, denn wichtiger als was wir prinzipiell nicht mit Begriffsanalysen erkennen können scheinen mir die Fälle zu sein, in denen uns Begriffsanalysen in die Irre führen. Meine Präferenz für eine kritisch-historische Begriffsanalyse zeigt schon, dass ich die am verbreitetsten Gefahren von Begriffsanalysen aus einem ungeklärten Verhältnis zur Geschichte hervorgehen sehe. Dazu zwei Beispiele: Eine erste Gefahr ergibt sich daraus, dass es nicht trivial ist, wie wir den Textkorpus für unsere Begriffsanalysen auswählen, ohne bereits ein bestimmtes Verständnis von dem zu untersuchenden Begriff voraussetzen. Hier bedarf es sorgfältiger Rechtfertigungen des Vorverständnisses, ohne dabei präsentistisch nur den heutigen Gebrauch zugrunde zu legen. Denn dann erliegen wir, vor allem wenn wir Begriffe durch verschiedene Epochen verfolgen, leicht einer zweiten Gefahr und lesen den Begriff überall dort, wo nach unserem heutigen Verständnis davon die Rede ist. Damit begeben wir uns der Chance, Brüche und Wandel im Begriffsgebrauch zu identifizieren, oder tun diese a priori als philosophisch unwichtig ab – eine philosophische These, die sorgfältige Rechtfertigung verdiente, falls wir sie wirklich behaupten möchten. Beide Beispiele zeigen, wie schnell Begriffsanalysen zu schwer begründbaren Positionen verführen, wenn sie die Geschichte des analysierten Begriffs nicht mitreflektieren, ohne seine Kontinuität schon vorauszusetzen.
 
Christoph Schamberger: Ein methodisches Problem sehe ich darin, dass manche Philosophen der Begriffsanalyse und den darin artikulierten Intuitionen zu viel zutrauen. Manchmal werden in philosophischen Texten wilde Gedankenexperimente konstruiert, um dann zu behaupten, „wir“ hätten dazu diese oder jene Intuition, die einer bestimmten philosophischen Theorie widerspreche. Mit dem Ausdruck „wir“ sollten wir aber vorsichtig sein, wenn es um Intuitionen geht. Wie die Experimentelle Philosophie zeigt, variieren die Intuitionen je nach kulturellen und sozioökonomischen Faktoren und je nach Bildungshintergrund. Theorien lassen sich daher nicht einfach mit dem Hinweis auf abweichende Intuitionen widerlegen. Soll der Hinweis auf eine Intuition mehr sein als ein autobiographischer Bericht, muss diese begründet und gegen mögliche Kritik verteidigt werden. Dafür benötigt man wieder die anderen Werkzeuge der Philosophie.
 
UNSERE AUTOREN:
 
Gottfried Gabriel ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Jena, Joachim Horvath ist promovierter Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln, Christoph Schamberger ist promovierter Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin, Frieder Vogelmann ist promovierter Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für interkulturelle und internationale Studien an der Universität Bremen.