PhilosophiePhilosophie

04 2017

Hübner, Johannes: Was spricht dagegen, Verstehen als Wissen aufzufassen?

aus: Heft 4/2017, S. 8-21
 
 
Die Epistemologie ist die Lehre von der epistêmê – ein Wort, das heute üblicherweise mit ‚Wissen’ übersetzt wird. Platon und Aristoteles hätten sich über diese Übersetzung vermutlich gewundert. Sie schreiben epistêmê nur dem zu, der weiß, warum etwas so und so ist. Wäre epistêmê schlicht Wissen, würde man nach ihrer Ansicht nur dann etwas wissen, wenn man wüsste, warum es so ist. Das wäre wenig einleuchtend. Man kann sehr wohl etwas wissen, d. h. eine belastbare, wahre Überzeugung haben, ohne zu wissen, warum es so ist. Dagegen leuchtet es ein, dass man etwas eben dann versteht, wenn man weiß, warum es so ist. Platon und Aristoteles hätten epistêmê wohl mit ‚Verstehen’ übersetzt und Verstehen als besondere Art von Wissen betrachtet, nämlich als Warum-Wissen.
 
In den letzten 15 Jahren hat sich das Interesse in der Epistemologie am Begriff des Verstehens verstärkt. Dabei knüpft man explizit an die Antike an. Verschiedene Philosophen plädieren für eine Umorientierung, weg vom Wissen hin zum Verstehen. Man diskutiert unter anderem, ob Verstehen im Vergleich zum Wissen einen besonderen Wert hat. Eine Entscheidung darüber setzt eine Verhältnisbestimmung voraus. Wenn Verstehen eine besondere Art von Wissen ist, hieße Verstehen und Wissen zu vergleichen Äpfel mit Obst zu vergleichen.
 
Internalistisches und externalistisches Verständnis von Wissen
 
Wissen, so sagt die Standardanalyse, ist wahre, gerechtfertigte Überzeugung. Die Tradition versteht Rechtfertigung internalistisch, sie bindet Rechtfertigung an die Fähigkeit, zu begründen, warum man eine bestimmte Annahme trifft. Das tut man typischerweise, indem man angibt, woher man die Überzeugung hat, also was die Wissensquelle ist. Man beruft sich etwa auf die Wahrnehmung, das Zeugnis anderer, eine Schlussfolgerung oder die Erinnerung, und darauf, dass unter den gegebenen Umständen nichts gegen die Glaubwürdigkeit der Quellen spricht. Dadurch zeigt man, dass es kein Zufall ist, dass die so gebildete Überzeugung einen wahren Inhalt hat.
 
In neueren externalistischen Ansätzen (seit den späten 1960er Jahren) geht es nicht darum, ob ein Subjekt eine Überzeugung begründen könnte, sondern darum, ob die Überzeugung de facto in einer Weise gebildet ist, die für ihre Wahrheit spricht.
 
Die beiden Ansätze stimmen darin überein, dass Wissen wahre Überzeugung ist, die nicht bloß zufällig die Wahrheit trifft; die Rechtfertigung ist das, was dafür sorgen soll, dass die Wahrheit nicht zufällig getroffen wird. Ferner ist der Rechtfertigungsbegriff in beiden Konzeptionen einstellungszentriert, denn er betrifft die Einstellung einer Person zu einer Proposition (also zu einem möglichen Inhalt einer Überzeugung), nämlich die Einstellung des Führwahrhaltens. Es geht – im traditionellen Verständnis – darum, ob eine Person berechtigt ist, einer gegebenen Information zu trauen und eine Proposition für wahr zu halten, oder – im neueren Verständnis – darum, ob der Prozess, durch den die Überzeugung gebildet wird, unter den gegebenen Umständen so ist, dass er für die Wahrheit des Inhalts spricht.
 
Verstehen
 
Es sind vor allem zwei grammatikalische Konstruktionen, die man im Deutschen verwendet, um Verstehen auszudrücken oder zuzuschreiben: Zu einen ‚verstehen’ plus direktes Objekt, zum anderen ‚verstehen’ plus indirekter Fragesatz. So versteht man (oder versteht nicht) zum Beispiel
 
- andere Personen, ihre Gefühle, Einstellungen, Pläne oder Handlungen; ganze Gesellschaften, kulturelle Entwicklungen, kollektive Meinungsumschwünge;
 
- Repräsentationen und ganze Repräsentationssysteme: Sprachen, einzelne sprachliche Sätze, Äußerungen und Worte; Landkarten, Modelle und Theorien;
 
- Funktionszusammenhänge: Spiele, Schließanlagen, Maschinen und Regierungssysteme.
 
Beispiele für die Konstruktion mit indirekten Fragesätzen sind: Man versteht,
 
- warum etwas der Fall ist, warum z. B. Bienen für die Landwirtschaft notwendig sind;
 
- warum sich jemand so und so verhält, etwa vorzeitig aufbricht;
 
- wie etwas funktioniert, z. B. ein Optionsschein;
 
- was etwas bedeutet, z. B. eine Äußerung.
 
 
Bei Beispielen aus der zweiten Liste lässt sich das, was verstanden wird, typischerweise propositional ausdrücken. Deshalb wird häufig ein Unterschied zwischen zwei Typen von Verstehen gemacht, dem Verstehen von Objekten einerseits und dem propositionalen Verstehen andererseits.
 
Die syntaktischen Konstruktionen sind aber keine sicheren Kennzeichen, um Typen des Verstehens abzugrenzen. Eine Handlung zu verstehen heißt z. B. nichts anderes als zu verstehen, warum jemand die Handlung vollzieht; hier liegen nicht zwei Arten des Verstehens vor, sondern zwei Arten, Verstehen auszudrücken. Bei komplexen Fällen von Objektverstehen ist eine 1:1 Übersetzung von der einen zur anderen Konstruktion nicht möglich, aber es gibt Zusammenhänge. Wer z. B. den Nahost-Konflikt versteht, muss von einer Reihe von Sachverhalten verstehen, warum sie bestehen. Unabhängig davon, ob es verzichtbar ist, Objektverstehen als einen eigenen Typ von Verstehen anzusetzen, konzentriere ich mich im Folgenden auf das Verstehen, warum etwas der Fall ist, kurz auf das Warum-Verstehen. Warum-Verstehen ist das Verstehen, auf das man im Alltag und in den Wissenschaften aus ist; es ist ein zentraler Bestandteil des Objektverstehens; es ist traditionell der paradigmatische Fall von Verstehen; und es ist für den Vergleich mit dem Wissen einschlägig.
 
Warum-Verstehen
 
Warum-Verstehen teilt sich wiederum in Unterarten:
 
- Kausales Verstehen, z. B. Verstehen, warum der Reifen platt ist (nämlich weil sich eine Scherbe in den Schlauch gebohrt hat);
 
- Intentionales Verstehen, z. B. Verstehen, warum der Kollege hastig die Sitzung verlässt (nämlich weil dessen Lehrveranstaltung in zwei Minuten beginnt);
 
- Moralisches Verstehen, z. B. Verstehen, warum eine Lüge moralisch schlecht ist (nämlich weil sie anderen schadet);
 
- Logisches Verstehen, z. B. Verstehen, warum ‚Der Himmel ist grün’ aus ‚Gras ist blau, und wenn Gras blau ist, ist der Himmel grün’ folgt.
 
Wer versteht, führt (typischerweise) einen gegebenen Sachverhalt auf erklärende Sachverhalte zurück und stellt damit einen Erklärungszusammenhang her. Das tut man, indem man eine Folgerung zieht, d. h. eine Wahrheit als Basis einer anderen ansieht. Wer schon verstanden hat, warum etwas so und so ist, und es nun im dispositionalen Sinn versteht, hat die Folgerung in seinem Repertoire, d. h. er kann die Folgerung ziehen. Erklärungszusammenhänge zeigt man durch den Junktor ‚weil’ sowie durch die Folgerungspartikel ‚deshalb’ oder ‚also’ an. Ob man nun sagt ‚Der Kollege geht, weil er eine Lehrveranstaltung hat’ oder ‚Der Kollege hat eine Lehrveranstaltung, deshalb geht er’ läuft auf das Gleiche hinaus. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht jede Folgerung ist konstitutiv für Verstehen; nicht jeder Folgerungszusammenhang, der mit ‚p, also q’ oder mit ‚q, weil p’ ausgedrückt wird, erklärt, warum q der Fall ist. Aber: wo immer Erklärung und Verstehen, da besteht ein Folgerungszusammenhang. Die Aussonderung der relevanten Folgerungszusammenhänge ist Aufgabe einer Theorie des Verstehens.
 
Dabei gehe ich von einem weiten Begriff von Folgerung aus; nicht nur deduktiv gültige Folgerungsbeziehungen kommen in Betracht, sondern auch induktive. Je nach Fall sind die Zusammenhänge anders beschaffen und können beispielsweise durch Spielregeln, mechanische Gesetze, semantische Regeln oder durch die Angabe von Charakterzügen spezifiziert werden. Die Zusammenhänge sind typischerweise allgemein, in dem Sinn, dass sich das Muster der Ableitung, die man in einem Fall vornimmt, auf ähnliche Fälle übertragen ließe. Wer das unwirsche Verhalten einer Person in einem Fall versteht, indem er als Reaktion auf eine Beleidigung auffasst, kann in gleicher Weise auch ähnliches Verhalten dieser Person oder einer anderen Person mit ähnlichem Charakter unter ähnlichen Bedingungen verstehen. Entsprechend ist Verstehen mit der Fähigkeit verbunden, kontrafaktische Szenarien einzuschätzen. Es erlaubt anzugeben, was der Fall gewesen wäre, wenn die Umstände ein wenig anders gewesen wären, oder wenn etwas anderes sich in diesen Umständen befunden hätte.
 
Dieses allgemeine Verständnis wird angewendet, wenn man versteht, warum etwas Bestimmtes der Fall ist. Etwas zu verstehen heißt, es in gewisse Zusammenhänge einzuordnen. Beinahe unvermeidlich scheint dabei die platonische Metapher des Sehens und des Erfassens zu sein: Wenn man versteht, sieht oder erfasst man bestimmte Zusammenhänge, man sieht einen einzelnen Sachverhalt im Licht von allgemeinen Zusammenhängen, oder man sieht in einer Menge von Sachverhalten einen allgemeinen Zusammenhang instanziiert. Die Metapher des Sehens eignet sich, um auszudrücken, dass Informationen zwar eine Voraussetzung für Warum-Verstehen bilden, sich aber nicht zwangsläufig zum Verstehen akkumulieren. Verstehen ist etwas, was man selbst vollziehen muss. Wenn man versteht, kann man Zusammenhänge herstellen und das heißt in diesem Kontext, (relevante, korrekte und gültige) Folgerungen ziehen zu können.
 
Merkmale des Warum-Verstehens
 
Warum-Verstehen ist nicht transparent: Verstehen mag mit dem Gefühl des Verstehens verbunden sein, aber das Gefühl des Verstehens garantiert nicht Verstehen. Man kann sich irren in dem Glauben zu verstehen, warum etwas so ist.
 
Verstehen ist faktiv. Die Faktizität des Verstehens betrifft erstens die verstandene Proposition. Wenn jemand versteht, warum p der Fall ist, ist p der Fall. Zweitens gilt es für den explanatorischen Zusammenhang. Der allgemeine Zusammenhang muss tatsächlich und darf nicht einfach nur in der Einbildung des Verstehenden bestehen, und er muss außerdem in dem bestimmten Fall exemplifiziert sein. Drittens betrifft es die erklärenden Propositionen. Wenn man aus einer falschen Prämisse ableitet, dass p der Fall ist, dann versteht man p noch lange nicht, auch wenn p wirklich der Fall sein sollte, und auch wenn p so verstanden werden könnte, wenn die Prämisse nur wahr wäre.
 
Verstehen ist sachbezogen: Wenn eine Person nachweist, dass sie einen Sachverhalt p versteht, dann erklärt sie, warum der Sachverhalt besteht. Das kontrastiert mit dem einstellungszentrierten Begriff der Rechtfertigung. In der Erklärung geht es nicht darum, wie man dazu gekommen ist, eine bestimmte Überzeugung zu bilden, sondern es geht darum, in welchem Zusammenhang gewisse Sachverhalte stehen.
 
Verstehen hat Grade. Das gilt für das Verstehen eines Sachverhalts, und es gilt erst recht für das Verstehen eines ganzen Sachgebiets. Man kann einen Sachverhalt mehr oder weniger gut verstehen, ansatzweise oder umfassend, oberflächlich oder tief. Verstehen ist tendenziell holistisch: Da man versteht, warum p der Fall ist, indem man p in einen größeren Zusammenhang einordnet, kann man einen Sachverhalt nicht verstehen, der nach der eigenen Kenntnis isoliert dasteht. Dagegen kann man Wissen von einem einzelnen Sachverhalt haben, ohne ihn in Zusammenhang mit etwas anderem zu sehen.
 
Die ersten beiden Merkmale stimmen mit Eigenschaften des Wissens überein, während die letzten drei Merkmale einen Kontrast bilden zwischen dem Verstehen, warum etwas der Fall ist, und dem Wissen, dass etwas der Fall ist: Das Interesse am Verstehen geht über das Interesse am dass-Wissen hinaus; die Frage ‚verstehst du, warum?’ zielt auf etwas anderes als die Frage ‚weißt du, ob?’. Deshalb klingt es nicht seltsam zu sagen ‚ich weiß, dass er einfach gegangen ist, aber ich verstehe nicht, warum’.
 
Das zeigt, dass nicht jeder Fall von Wissen Warum-Verstehen ist. Deshalb hätten Platon und Aristoteles es für irreführend halten müssen, epistêmê mit Wissen gleichzusetzen.
 
Warum-Wissen und Warum-Verstehen
 
Aber – das ist ein wichtiges ‚aber’ – man kann nicht nur wissen, dass etwas der Fall ist, sondern auch wissen, warum etwas der Fall ist. Um einen angemessenen Vergleich zwischen Warum-Verstehen und Wissen anzustellen, sollte man nicht das dass-Wissen heranziehen, sondern das Warum-Wissen. Andernfalls läuft man Gefahr, Äpfel mit Apfelkernen zu vergleichen.
 
Die drei Merkmale des Warum-Verstehens (es ist sachbezogen, hat Grade und ist tendenziell holistisch), die einen Kontrast zum dass-Wissen bilden, gelten auch für das Warum-Wissen. Warum-Wissen
 
- ist sachbezogen, denn um nachzuweisen, dass man weiß, warum p der Fall ist, muss man p in einen erklärenden Zusammenhang einordnen;
 
- hat Grade (man kann mehr oder weniger gut wissen, warum etwas der Fall ist);
 
- ist tendenziell holistisch; denn um zu wissen, warum p, muss man Wissen von weiteren Sachverhalten haben.
 
Es scheint also nichts dagegen zu sprechen, Warum-Verstehen und Warum-Wissen gleichzusetzen. Außerdem legt das wissenschaftliche Wissen die Identität von Warum-Verstehen und Warum-Wissen nahe: Wissenschaftliches Wissen ist die paradigmatische Form von Wissen; wissenschaftliches Wissen ist typischerweise Warum-Wissen, und wissenschaftliches Warum-Wissen ist (oder ermöglicht) Verstehen, warum die Dinge so und so sind. Eine weitere Überlegung betrifft den Sprachgebrauch. Sätze der Form ‚Person S versteht, warum p, aber S weiß nicht, warum p’ klingen genauso widersprüchlich wie Sätze der Form ‚S weiß, warum p, aber S versteht nicht, warum p’. Es ist schwer, sich Umstände auszumalen, in denen man solche Sätze angemessen behaupten könnte. Wenn die Sätze tatsächlich widersprüchlich sind, dann impliziert das Warum-Verstehen das Warum-Wissen und umgekehrt.
 
Die Identitätsannahme wird u. a. von John Greco (2014), Stephen Grimm (2014) und Paulina Sliwa (2015) vertreten. Angriffe auf diese Position betreffen zwei Hinsichten:
 
(a) Ist Warum-Wissen hinreichend für Warum-Verstehen? Versteht man automatisch etwas, wenn man Warum-Wissen davon hat?
 
(b) Ist Warum-Wissen notwendig für Warum-Verstehen? Könnte man auch verstehen, ohne Warum-Wissen zu haben?
 
Gegen die Behauptung des Hinreichendseins führen verschiedene Autoren an, man könne wissen, dass ein gewisser Sachverhalt q eine Erklärung für einen Sachverhalt p biete, ohne p zu verstehen; das könne man wissen, weil ein Experte eine entsprechende Mitteilung machen könnte. Man wisse dann, dass p der Fall ist, weil q der Fall ist, ohne (so wird gesagt) zu verstehen, warum p der Fall ist. Im Alltag verlassen wir uns häufig auf Experten und sind ohne nachzufragen mit Erklärungsbruchstücken der Form ‚p, weil q’ zufrieden. In der Literatur wird dazu gerne das folgende Beispiel angeführt und diskutiert (z. B. Pritchard 2009, 38): Kurt weiß, dass das Haus gebrannt hat, weil ein Kurzschluss passiert ist, denn das hat ihm ein sachkundiger Feuerwehrmann mitgeteilt. Aber er versteht nicht, wie ein Kurzschluss zu einem Brand führen kann und versteht deshalb nicht, warum das Haus gebrannt hat.
 
Aber diese Art von Beispiel ist angreifbar (vgl. Grimm 2014, 332, 337f.). Denn um das genannte Wissen zu haben, muss Kurt die gewusste Proposition verstehen. Dafür ist das Verständnis des Begriffs eines Kurzschlusses erforderlich; er muss näherungsweise wissen, was ein Kurzschluss ist. Wer dieses Verständnis hat, sieht auch ab, warum ein Kurzschluss zu einem Brand führen kann. Wer dieses Verständnis nicht hat, kann allenfalls eine Erklärung zitieren.
 
Zu wissen, dass p der Fall ist, weil q der Fall ist, ist etwas anderes, als zu wissen, dass ein Satz der Form ‚p, weil q’ wahr ist. Um letzteres zu wissen, genügt es, dass eine zuverlässige Autorität die Wahrheit des Satzes bescheinigt. Um ersteres zu wissen, muss man verstehen, dass p der Fall ist, weil q der Fall ist, und um das zu tun, muss man einen Erklärungszusammenhang zwischen p und q herstellen können.
 
Warum-Verstehen ohne Warum-Wissen?
 
Die Debatte darüber, ob man verstehen kann, warum p, ohne zu wissen, warum p, dreht sich um die Frage, ob Verstehen auch dann gegeben wäre, wenn es durch die Art von Glück zustande kommen würde, die in den sogenannten Gettier-Szenarien auftritt. Das sind die berühmten Beispiele sowie ihre Nachfolger, die Edmund Gettier 1963 entwickelt hat, um zu zeigen, dass die Bedingungen der Standardanalyse für Wissen nicht hinreichend sind. Mit Bezug auf sie ergibt sich ein einfaches Argument dafür, dass Verstehen nicht Wissen impliziert:
 
(1) Warum-Verstehen toleriert Gettier-Glück, d. h. ist zufallskompatibel.
 
(2) Warum-Wissen ist nicht zufallskompatibel.
 
(3) Warum-Verstehen impliziert nicht Warum-Wissen.
 
Wissen ist nicht zufallskompatibel
 
Man kann das Gettier-Problem so formulieren: Selbst wenn eine wahre Überzeugung gerechtfertigt ist, ist es möglich, dass sie nur zufällig die Wahrheit trifft. Deshalb ist Wissen nicht identisch mit wahrer, gerechtfertigter Überzeugung.
 
Das Muster, nach dem die Beispiele gebildet sind, lässt sich mit dem Schuss eines Bogenschützen vergleichen, der in ungewöhnlicher Weise zustande kommt. Der Bogenschütze wird geschubst, so dass der Pfeil von der vorgesehenen Bahn abkommt. Außerdem erfasst ein Windstoß den Pfeil und korrigiert die erste Bahnabweichung. Im Ergebnis landet der Pfeil im Schwarzen – aber nicht dank der Könnerschaft des Schützen, sondern dank des Zufalls. Analog sind die Beispiele von Gettier aufgebaut. Eine Vielzahl von Varianten ist entwickelt worden.
 
Das Scheunenbeispiel (es stammt nicht von Gettier selbst) verschafft einen Eindruck: Anna fährt übers Land. Sie kommt an einer Scheune vorbei und urteilt ‚Das ist eine Scheune’. Das Urteil ist richtig; es handelt sich tatsächlich um eine Scheune. Überdies handelt es sich um eine Scheune mit dem typischen Scheunen-Aussehen, Anna hat gute Sicht und ausreichend Zeit zur Betrachtung der Scheune. Eine weitere Tatsache ist Anna allerdings nicht bewusst: Sie fährt durch eine Landschaft voller Scheunenattrappen. Es handelt sich um Fassaden, die vom örtlichen Tourismusverband aufgestellt wurden. Sie sehen von der Straße aus täuschend echt aus, haben aber keine Mauern und Innenräume. Anna ist, ohne das ahnen zu können, im Land der Scheunenattrappen unterwegs und an der einzigen echten Scheune weit und breit vorbeigefahren.
 
Die Gettier-Beispiele sind nach dem Muster ‚Glück im Unglück’ gebaut. Anna hat Pech, weil sie (ohne es ahnen zu können) unter lauter Attrappen unterwegs ist; sie hat Glück, weil sie zufällig an der einzigen echten Scheune weit und breit vorbeikommt. Pech und Glück beruhen in ihrem Fall auf den Umständen, und nicht auf der Wissensquelle.
 
Anna ist zwar gerechtfertigt in ihrem wahren Scheunenurteil. Man kann ihr keinen Fehler vorwerfen; sie hat ihre Überzeugung in einer grundsätzlich empfehlenswerten Weise gebildet, indem sie sich auf den Augenschein unter scheinbar guten Bedingungen verlassen hat. Aber Anna hat (so die Mehrheitsmeinung der Erkenntnistheoretiker) kein Wissen. Das kann man in verschiedenen Weisen begründen:
 
• Aufgrund der Umstände ist es ein glücklicher Zufall, dass Anna eine wahre Überzeugung gebildet hat. Sie hätte leicht auf einer ähnlichen Basis eine sehr ähnliche, aber falsche Überzeugung bilden können.
 
• Die Überzeugung ist leicht anfechtbar. Wenn man Anna auf die einschlägigen Fakten aufmerksam machen würde, würde ihre Rechtfertigung zunichte, und sie müsste die Überzeugung fallen lassen.
 
• Anna kann auf Basis ihrer Wissensquelle die tatsächliche Situation nicht von leicht möglichen anderen Situationen unterscheiden, in denen ihre Überzeugung falsch wäre. Anna kann ihre Wahrnehmung nicht anführen, um auszuschließen, dass sie eine Scheunenfassade gesehen hat.
 
Deshalb hat Anna kein Wissen, und deshalb verträgt sich Wissen nach allgemeiner Meinung nicht mit Gettier-Glück. Die Rechtfertigung einer Überzeugung muss in der richtigen Weise zur Wahrheit führen.
 
Ist Verstehen zufallskompatibel?
 
Wird auch Verstehen durch die Bedingungen von Gettier-Szenarien ausgeschlossen? Die vorgelegten Versuche, Gettier-Fälle für das Verstehen zu entwickeln, betreffen Szenarien, in denen eine Person eine komplette Erklärung der Form ‚p, weil q’ erhält. Ein Beispiel: Fritz sieht, dass in seiner Straße ein Haus brennt. Ein Feuerwehrmann erklärt ihm, das Haus brenne deshalb, weil es einen Kurzschluss gegeben habe. Die Auskunft ist korrekt und wird von Fritz verstanden und geglaubt. Allerdings stehen um den Feuerwehrmann mehrere andere Leute, die sich als Feuerwehrleute verkleidet haben und Fritz eine falsche, aber glaubhafte Geschichte erzählt hätten, wenn er sich an sie gewendet hätte, was leicht hätte passieren können. Fritz hat zufällig den einzigen kompetenten Gewährsmann erwischt.
 
Betrachten wir die kognitive Situation von Fritz im Einzelnen. Seine explanatorische Prämisse ist wahr, aber es ist Zufall, dass er über eine wahre explanatorische Prämisse verfügt. Fritz (so sei unterstellt) weiß, was ein Kurzschluss ist, er ist mit dem allgemeinen explanatorischen Zusammenhang zwischen Kurzschlüssen und Feuer vertraut. Er bringt das allgemeine Verständnis schon mit, das verdankt er nicht dem Zufall. Von dem Sachverhalt, um dessen Erklärung es geht, nämlich dem Brand, hat er Wissen aus erster Hand, er sieht den Brand ja. Schließlich wendet Fritz das allgemeine Verständnis an, indem er annimmt, dass der Zusammenhang zwischen Kurzschluss und Feuer in dieser Situation besteht. Dass er den richtigen Zusammenhang trifft, ist wiederum Zufall, denn Fritz hätte leicht an einen Informanten geraten können, der ihm zwar den Kurzschluss bestätigt, zugleich aber glaubhaft gemacht hätte, dass gar nicht der Kurzschluss, sondern eine Zigarettenkippe die Ursache des Feuers war.
 
Wie steht es um sein Warum-Wissen? Fritz weiß nicht, dass es einen Kurzschluss gegeben hat, er weiß auch nicht, dass ein Kurzschluss die Ursache des Feuers war. Weil er das nicht weiß, weiß er nicht, dass das Haus brennt, weil es einen Kurzschluss gegeben hat; und deshalb weiß er nicht, warum das Haus brennt. Soweit sind sich alle einig. Versteht Fritz dennoch, warum das Haus brennt? Ist Warum-Verstehen im Gegensatz zum Warum-Wissen zufallskompatibel? In der Debatte werden kontradiktorische Antworten gegeben:
 
- Kvanvig (2003), Pritchard (2009), Morris (2012), Rohwer (2014), Hills (2016) sagen:
Ja, Fritz hat Verständnis. Verstehen ist zufallskompatibel. So meint Kvanvig (2003, 199), es komme nur auf die Wahrheit der (potentiell) erklärenden Annahmen sowie die Korrektheit der explanatorischen Zusammenhänge an. Die Herkunft der wahren Annahmen sei nicht entscheidend, sondern ihre Verarbeitung.
- Grimm (2006), Greco (2014) und Sliwa (2015) sagen: Nein, es liegt kein Verstehen vor. Verstehen ist nicht zufallskompatibel. Wenn man versteht, dass p der Fall ist, weil
q der Fall ist, dürfen die Überzeugungen p und q nicht allzu leicht falsch sein (Grimm 2006, 521f.). Die Antworten beruhen auf intuitiven Bewertungen von Fallbeispielen. Die einen sagen, dass hier „sicher“ kein Verstehen vorliege, und die anderen widersprechen.
 
Ich schließe mich der Minderheit unter den Erkenntnistheoretikern an, die durch Grimm und Greco vertreten wird: Fritz besaß kein Verständnis; ich meine, dass Warum-Verstehen Warum-Wissen impliziert und nicht zufallskompatibel ist. In dieser Situation reicht es nicht, sich zu der eigenen intuitiven Einschätzung zu bekennen. Eine befriedigende Antwort sollte sich auf ein Argument stützen; und außerdem erklären, wie es zu den unterschiedlichen Intuitionen kommt.
 
Das möchte ich nun versuchen, indem ich auf Stabilitätstests für Wissen und Verstehen eingehe; dieser Punkt ist in der Forschungsdebatte bisher nicht gemacht worden.
 
Stabilitätstests für Wissen und Verstehen
 
Verstehen ist ein stabiler oder belastbarer kognitiver Zustand. Wer etwas versteht, lässt sich nicht ohne weiteres davon abbringen, sondern bleibt dabei. Mit Platon: Epistêmê ist beständig (monimos). Dabei geht es nicht um Sturheit. Wenn man versteht, hält man aus vernünftigen Gründen an einer Position fest, weil man Herausforderungen begegnen kann. Das Gleiche gilt für dass-Wissen; ich meine mit ‚dass-Wissen’ jetzt Wissen von einzelnen Sachverhalten, das vergleichsweise isoliert sein kann. Auch Wissen von einzelnen Sachverhalten ist stabil oder belastbar. Wer weiß, gerät durch Anfechtungen nicht ins Schwimmen. Der springende Punkt ist, dass die Stabilitätstests für Verstehen nicht identisch mit denen für Wissen von einzelnen Sachverhalten sind, sondern über sie hinausgehen.
 
Dass-Wissen prüft man, indem man ein Subjekt mit einschlägigen Zweifelsgründen konfrontiert. Man erkennt einem Subjekt nur dann Wissen zu, wenn es in der Lage ist, Anfechtungen auszuräumen. Wenn Max sagt, der ICE fahre heute pünktlich um 18 Uhr, und wenn ein Streik eine reale Möglichkeit ist, wird man Max nur dann Wissen zusprechen, wenn er über Informationen verfügt, die es ihm erlauben auszuschließen, dass der Zug wegen Streiks ausfällt. Max könnte die Information haben, dass der Streik abgesagt ist oder nicht den Fernverkehr betrifft, und dadurch die Möglichkeit ausschließen, dass der Zug ausfällt.
 
Stabilitätstest für dass-Wissen: Kann S ausschließen, dass ...?
 
Der Test beruht auf einem typischen Interesse, aus dem heraus man prüfen kann, ob jemand Wissen über p hat: Man ist an einem zuverlässigen Informanten interessiert. Man möchte herausfinden, ob man sich auf die Annahme p für das eigene Handeln und Denken verlassen kann. Der mögliche Informant besteht den Test nur dann, wenn er ausschließen kann, dass das Anfechtungsszenario besteht oder unverträglich mit p ist.
 
Fritz im Feuerbeispiel kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass er einen Witzbold befragt hat; deshalb weiß er nicht, dass es einen Kurzschluss gegeben hat; und dass ein Kurzschluss die Ursache war.
 
Wenn man dagegen prüfen möchte, ob jemand versteht, warum p der Fall ist, kommt eine zusätzliche Anforderung ins Spiel. Dann geht es nicht lediglich darum, ob jemand als zuverlässiger Informant über p taugt. Vielmehr hat man das Interesse an jemandem, der einen Sachverhalt erklären und ein allgemeines Deutungsmuster geben kann. Sokratisch gesprochen: Man hat Interesse an einem Lehrer; „kannst du mich belehren“, fragt Sokrates, wenn er den Anspruch auf epistêmê prüft. In praktischen Zusammenhängen hat man Interesse an einem Ratgeber, der nicht bloß einen Tipp parat hat, etwa dass man gerade diese Waschmaschine kaufen sollte, sondern der auch erklären kann, warum gerade diese Waschmaschine zu bevorzugen ist.
 
Das Interesse an einem Lehrer oder Ratgeber, der in der Lage ist, verständlich zu machen, warum das und das so und so ist, diktiert die Bedingungen, die man an verstehende Personen stellt. Um zu unterscheiden, ob jemand ein guter Lehrer oder Ratgeber ist oder nicht, sind Merkmale nötig, die man überprüfen kann, ohne selbst in der fraglichen Angelegenheit kompetent zu sein. Deshalb konfrontiert man das Subjekt hier mit der Frage ‚was wäre wenn’.
 
Wer versteht, sollte den Zusammenhang, der p verständlich macht, auf andere Fälle übertragen können (vgl. Elgin 2009, 323). Man sollte einschätzen können, was an der Situation, in der p der Fall ist, relevant ist und was nicht; und in welchen anderen Szenarien der Zusammenhang ebenfalls realisiert wäre, und in welchen nicht. Kurz: Man muss das allgemeine Verständnis besitzen und anwenden können. Das allgemeine Verständnis und seine Anwendung wird durch ‚was wäre wenn’ getestet.
 
Zusätzlicher Stabilitätstest für Warum-Verstehen: Kann S die Frage ‚was wäre wenn...?’ beantworten?
 
Hier muss das Subjekt nicht ausschließen, dass das mögliche Szenario besteht, sondern einschätzen, wie die Verhältnisse in kontrafaktischen Szenarien wären; je nachdem, wie gut man etwas versteht, kann man mehr oder weniger viele und mehr oder weniger komplexe abweichende Szenarien bewerten. Um zu zeigen, dass man versteht, muss man solche Szenarien einschätzen, und genau dadurch vermittelt man das Verständnis auch an andere. Es geht beim Warum-Verstehen also nicht einfach um das Gleiche wie beim dass-Wissen.
 
Erklärung der konträren intuitiven Einschätzungen: Damit möchte ich auf Fritz zurückkommen, der zufällig richtige Informationen hat. Fritz versteht den allgemeinen Zusammenhang zwischen Kurzschlüssen und Hausbränden, unabhängig davon, ob er Wissen davon hat, dass genau hier ein Kurzschluss passiert ist, und dass der Kurzschluss das Feuer verursacht hat. Er besitzt das allgemeine Verständnis und besteht den kontrafaktischen Test. Außerdem hat er zufällig die korrekte Information über den Einzelfall, worauf er sein allgemeines Verständnis anwenden kann. Das allgemeine Verständnis ist die besondere Komponente des Warum-Verstehens, die es vom bloß faktischen Wissen unterscheidet. Weil er den Test für das besteht, was das Spezifikum des Warum-Verstehens ausmacht, neigt man dazu, ihm das Warum-Verstehen zuzusprechen. Die Einschätzung, dass Fritz Verstehen ohne Wissen hat, scheint meines Erachtens deshalb plausibel, weil der Witz vom Verstehen doch im allgemeinen Verständnis liegt. Deshalb erscheint exklusiv der kontrafaktische Test einschlägig. Man fokussiert beim Warum-Verstehen den kontrafaktischen Test. Man kann diesen Test bestehen, ohne den anderen zu bestehen; man kann das allgemeine Verständnis haben, ohne es korrekt auf den konkreten Fall anwenden zu können. Deshalb neigt man zu der intuitiven Einschätzung, Verstehen könnte getrennt vom Wissen auftreten.
 
Außerdem wird verständlich, dass der kontrafaktische Test ein Zusatz ist, der den anderen nicht überflüssig macht. Wenn man prüfen möchte, ob jemand einen bestimmen Sachverhalt versteht, testet man auch die Belastbarkeit seiner explanatorischen Annahmen. Fritz muss eventuell zeigen, dass er berechtigt ist zu glauben, ein Kurzschluss sei passiert und habe das Feuer verursacht. Wenn man sich von Fritz erklären lassen wollte, warum das Haus brennt, und Hinweise darauf hat, dass verkleidete Spaßvögel fiktive Geschichten über das Feuer erzählen, wird man ihn mit dieser Möglichkeit konfrontieren. Sofern Fritz sich dadurch verunsichern lässt und die Möglichkeit nicht ausschließen kann, muss man ihm absprechen zu verstehen, warum das Haus brennt. Er taugt dann nicht als Lehrer, der erklären kann, warum dieses Haus hier brennt.
 
Das Interesse, das man am Verstehen hat, bestimmt die Kriterien, die man an Verstehen anlegt. Die Kriterien schließen die Kriterien für dass-Wissen ein; wer jemanden sucht, der etwas versteht, richtet an die verstehende Person auch die Herausforderung, alternative Möglichkeiten auszuräumen. Deshalb gilt der Stabilitätstest für Wissen auch für das Warum-Verstehen. Der kontrafaktische Test für das Warum-Verstehen betrifft zwar das Besondere des Warum-Verstehens im Unterschied zum bloßen Wissen, aber der Test für Wissen wird nicht überflüssig. Deshalb schließt das Verstehen, warum p, das Wissen ein, warum p.
 
Mit Bezug auf die Stabilitätstests ist es einerseits einleuchtend zu sagen, Warum-Verstehen sei ohne Wissen möglich. Allein der kontrafaktische Test scheint einschlägig, weil er für das Spezifikum des Warum-Verstehens charakteristisch ist. Andererseits kann man begründen, dass der Wissenstest ebenfalls einschlägig ist, denn ein Interesse am Warum-Verstehen wird nur dann befriedigt, wenn auch der Wissenstest bestanden wird. Deshalb ist der kontrafaktische Test kein Ersatz, sondern ein Zusatz. Es gibt eine zusätzliche Dimension der Stabilität beim Verstehen, und nicht einfach eine andere. Es gilt also: wer versteht, warum p der Fall ist, weiß auch, dass p der Fall ist, weil q der Fall ist. Verstehen ist ebenso wenig zufallskompatibel wie Wissen, sondern impliziert Wissen.
 
Fazit
 
Verstehen, warum ein Sachverhalt besteht, unterscheidet sich von dem faktischen Wissen, dass ein einzelner Sachverhalt besteht. Wenn man aber Warum-Verstehen und Warum-Wissen vergleicht, verschwinden die Unterschiede. Das Argument, wonach man Warum-Wissen ohne Verständnis haben kann, ist nicht stichhaltig. Auch das Argument, wonach man Verständnis ohne Warum-Wissen haben kann, weil Verstehen im Unterschied zum Wissen zufallskompatibel sei, überzeugt nicht. Verstehen ist nicht zufallskompatibel. Das Interesse am Verstehen macht verständlich, warum das so ist: Um sich als Lehrer oder Ratgeber zu zeigen, der Warum-Verstehen hat, muss man auch den kontrafaktischen Stabilitätstest bestehen und zeigen, dass man nicht leicht von falschen explanatorischen Annahmen ausgehen würde. Warum-Verstehen erweist sich als eine Art von Wissen, nämlich als Wissen, dass p, weil q.
 
Man kann den gegenwärtig erhobenen Aufruf unterstützen, die Erkenntnistheoretiker sollten sich um das Verstehen kümmern. Das wäre dann aber keine Erweiterung der Agenda, sondern eine Konzentration auf eine bestimmte Art von Wissen – so, wie das Platon und Aristoteles gesehen haben.
 
Von der Redaktion gekürzte Fassung eines Vortrages vom 25. 5. 2017 an der Universität Magdeburg
Ausführliche Literaturangaben zum Thema finden Sie auf unserer Seite www.information-philosophie.de
(unter Vorträge)
 
UNSER AUTOR:
 
Johannes Hübner ist Professor für theoretische Philosophie an der Universität Halle-Wittenberg.
 
Literatur zum Thema:
 
Elgin, Catherine: „Is Understanding Factive?“ In: Epistemic Value. Eds. Adrian Haddock/
 
Alan Millar/Duncan Pritchard. Oxford 2009, 322-330.
 
Greco, John: „Episteme: Knowledge and Understanding“. In: Virtues and their Vices. Ed. Kevin Timpe/Craig Boyd. Oxford 2014, 285-301.
 
Grimm, Stephen: „Is Understanding a Species of Knowledge?“ In: British Journal for the Philosophy of Science 57 (2006), 515-535.
 
Grimm, Stephen: „Understanding as Know-ledge of Causes“. In: Virtue Scientia. Ed. Abrol Fairweather. Dordrecht 2014, 329-345.
 
Hills, Alison: „Understanding Why“. In: Noûs 50 (2016), 661-668.
 
Kvanvig, Jonathan L.: The Value of Knowledge and the Pursuit of Understanding. Cambridge 2003.
 
Morris, Kevin: „A Defense of Lucky Understanding“. In: British Journal for the Philosophy of Science 63 (2012), 357-371.
 
Pritchard, Duncan: „Knowledge, Understanding and Epistemic Value“. In: Royal Institute of Philosophy Supplement 64 (2009), 19-43.
 
Sliwa, Paulina: „Understanding and Knowing“. In: Proceedings of the Aristotelian Society, 115 (2015), 57-74.