Herbert Marcuses Sohn Peter,
Professor an der Columbia University in New York, brachte die Urne mit Marcuses
Asche als Handgepäck mit nach Berlin-Tegel. Dort wurde sie mit dem inzwischen
museumsreifen schwarzen Cadillac der Firma Grieneisen, mit dem auch schon
Marlene Dietrich und Benno Ohnesorg transportiert worden waren, auf den
Dorotheenstädtischen Friedhof gebracht, wo Marcuse in der Nähe der Gräber von
Johann Gottlieb Fichte und Georg Friedrich Wilhelm Hegel beigesetzt wurde.
Marcuse war 1979 in Starnberg
gestorben, wo er sich auf Einladung von Habermas aufgehalten hat. Das
Beerdigungsinstitut Zirngibl hatte den Leichnam damals zur Einäscherung über
die Grenze nach Salzburg geschickt. Eine Begründung dafür lautete: damals gab
es in Starnberg noch kein Krematorium; eine andere: Marcuse Witwe sei der
Ansicht gewesen, in Deutschland seien schon „genug Juden zu Asche verarbeitet“
worden. Von Salzburg wurde die Asche in die USA in die jüdische Reformgemeinde
nach New Haven/Connecticut geflogen, zu der Marcuse seit den sechziger Jahren
Kontakt unterhalten hatte. Zwar gab es in Starnberg eine kleine Gedenkfeier und
in San Diego eine Beerdigungsfeierlichkeit, zu der Leo Löwenthal eingeladen
war, beigesetzt wurde aber Marcuse nie. Vielmehr stand die Urne mit seiner
Asche etwa 22 Jahre lang in einer Kammer in San Diego. Erst als sich ein
Student aus Antwerpen im Jahre 2001 bei der Familie Marcuse erkundigte, wo denn
das Grab von Marcuse sei, stellte diese Nachforschungen über den Verbleib der
Urne an.
Man wollte nun, so die
Familie, „Deutschland einen ihrer feinsten Intellektuellen“ zurückgeben und man
wollte hierfür die Gelegenheit nutzen, dass die PDS in Berlin an der Regierung
beteiligt war. Der Kultursenator Thomas Flier (PDS) zeigte sich dem Wunsch gegenüber
aufgeschlossen, und ein entsprechender Beschluss des Berliner Senats machte es
möglich, die Urne auf der Ehrengrabstätte auf dem historischen Friedhof beizusetzen.
Zunächst war eine Beerdigung
im kleinen Kreis geplant, aber dann kamen doch an die hundert Freunde und
Neugierige zur Bestattungszeremonie, darunter Wissenschaftssenator Thomas
Flier, Angela Davies und die PDS-Abgeordnete Petra Dau.
Gleichzeitig nahm die Freie Universität die Beisetzung zum Anlass, um zwei Tage vor Marcuses 105. Geburtstag unter dem Titel „Die Praxis folgt der Wahrheit. Zur Aktualität der Philosophie Herbert Marcuses“ unter Leitung von Gunter Gebauer ein Kolloquium mit etwa 250 Teilnehmern, darunter Axel Honneth und Angela Davis, zu veranstalten, eine Art „linker Kameradschaftsabend“, wie Die Welt spottete. Harold Marcuse, Herberts Enkel, eröffnete die Veranstaltung mit der Geschichte von Marcuses Asche. Die ehemaligen Berliner Asta-Vorsitzenden Helmut Häußermann und Wolfgang Lefèvre berichteten mit leuchtenden Augen über den Juli 1967, als Marcuse zu einem viertägigen Teach-in an die Freie Universität gekommen war und ihnen mit seiner leidenschaftlichen Kapitalismuskritik „das Herz wärmte“. Zur Aktualität von Marcuse konnte Lefèvre allerdings nichts sagen: „Nach dem Untergang des Sozialismus ist mir die Phantasie ausgegangen“. Eberhard Lämmert erzählte, Marcuses Wirkung sei damals der des „zündenden Funken auf einem Pulverfass“ gewesen. Manche seiner prophetischen Denkfiguren seien nur allzu gern in „kurzfristige Verheissungen“ umgemünzt worden. Allerdings sei Marcuse damals nicht der Guru, sondern nur der Stichwortgeber gewesen. Umgekehrt berichtete Marcuse damals, er sei von den Studenten wie ein Heiland empfangen worden. Für Axel Honneth war Marcuse wesentlich mehr als Adorno „auf exoterische Wirkung bedacht gewesen“ und habe deshalb eine gewisse „habituelle Naivität“ kultiviert. Aber Marcuse stimme mit Horkheimer und Adorno in den Grundvoraussetzungen überein, so dass man mit Recht von einer Schule sprechen könne. Marcuse sei aber stets ein Aussenseiter der Frankfurter Schule gewesen, und Sex als Mittel der Befreiung wäre für Adorno undenkbar gewesen. Angela Davis, Marcuses berühmte Schülerin und heute Geschichtsprofessorin im kalifornischen Santa Cruz, gestand, dass sie von Marcuses Präsenz immer noch eingenommen sei und dass sie nur zu gerne wüsste, was er zur heutigen amerikanischen Außenpolitik sagen würde.