Warum muss unser Gehirn die Illusion eines Geistes kreieren?

Seltsamer Zufall, dass alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten? 
(Ludwig Wittgenstein)

Warum ist die Frage nach Gehirn versus Geist aktueller denn je zuvor? 

Die Frage nach der Natur von mentalen Zuständen, wie z.B. Bewusstsein, und ihrer Beziehung zu unserem Gehirn, ist eines der großen Rätsel unserer Zeit. Die meisten Neurowissenschaftler behaupten, dass das komplette Wissen von allen neuronalen Zuständen des Gehirns mentale Zustände ebenfalls erklären kann (Crick 2003, Edelman 2003, Kandel 2000, Northoff 2003). In diesem Fall wäre die Annahme eines vom Gehirn separaten Geistes überflüssig, weil nichts als ein Gehirn vorhanden ist. Im Unterschied dazu argumentieren einige, vor allem Philosophen, dass mentale Zustände von neuronalen Zuständen getrennt werden müssen; sie postulieren daher die Existenz von Gehirn und Geist (Nagel 1979, Chalmers 1996).Aufgrund des Fortschrittes der Neurowissenschaften in der letzten Zeit wird diese Debatte gegenwaertig noch intensiver und akuter geführt (Zimmer 2004, Searle 1997, Metzinger 2000, Damario 2003, Couney 2003, Churchland 2002, Northoff 2004). Daher ist die Frage nach Gehirn versus Geist eines der gegenwärtig aktuellsten interdisziplinären Themen in der wissenschaftlichen Diskussion. 

Warum ist dieses Problem, das Geist-Gehirn-Problem, seit über 300 in der wissenschaftlichen Diskussion und erweist sich offenbar als therapieresistent? Folgt man der neurowissenschaftlichen Perspektive und postuliert, dass nur ein Gehirn, aber kein Geist vorhanden ist, muss man annehmen, dass es das Gehirn selber ist, welches das Konzept der mentalen Zustände und ultimativ die Idee eines Geistes kreiert. 

Warum neigt unser Gehirn immer wieder dazu, das Konzept bzw. die Idee eines Geistes anzunehmen?

Trotz des fast exponentiellen Wissensfortschrittes in den Neurowissenschaften sind die empirischen Mechanismen unseres Gehirns, die der Annahme und Kreation der Idee eines Geistes zugrunde liegen, bisher noch nicht entdeckt worden. Das Design unseres Gehirns ist offenbar so, dass es nicht anders kann als die Idee eines Geistes anzunehmen. Eine solche Annahme eines Geistes ist allerdings nur notwendig, wenn eine Wissenslücke unseres Gehirns gefüllt werden muss.

Weist unser Gehirn eine Wissenslücke, eine „Knowledge Gap“ auf?In diesem Beitrag argumentiere ich, dass unser Gehirn tatsächlich eine Wissenslücke bzw. „Knowledge Gap“ aufweist und zwar in bezug auf sich selbst. Eine solche Wissenslücke unseres Gehirns wirft einige Fragen auf, die im nachfolgenden ausführlicher behandelt werden: Was kann unser Gehirn nicht wissen? Was sind die empirischen Mechanismen, die für die Wissenslücke bzw. „Knowledge Gap“ unseres Gehirns verantwortlich sind? Wie kann unser Gehirn seine eigene Limitation umgehen? 

Was kann unser Gehirn nicht wissen?

Wissenslücke und die Idee eines Geistes

Die Antwort auf die Frage ist verblüffend einfach. Unser Gehirn kann sich selber nicht als ein Gehirn erfahren bzw. wahrnehmen (s. Bild). Niemand hat jemals direkt seine neuronalen Zustände im eigenen Gehirn als neuronale Zustände wahrgenommen. Wir sind in der Lage direkt Dinge und Ereignisse außerhalb unseres Gehirns z. B. Ereignisse in der Umwelt wahrzunehmen. Im Gegensatz dazu bleiben uns unsere neuronalen Zustände und somit unser eigenes Gehirn als das zugrundeliegende Vehikel (unserer mentalen Zustände) versteckt. Meine neuronalen Zustände und mein Gehirn sind somit meiner direkten Wahrnehmung entzogen, sie sind mir direkt als solche nicht zugänglich. Wir haben daher keinen direkten Zugang zu unserem eigenen Gehirn als Gehirn in unserem Erleben in der Ersten-Person-Perspektive.  

Wissen von unserem Gehirn

Wie aber wissen wir, dass wir überhaupt ein Gehirn haben? Natürlich können wir ein Gehirn unserem Schädel mittels der Bildgebung sehen. So ist dies z. B. in der Kernspin- und Computertomographie möglich, allerdings nur beobachtend und nicht erlebend und somit nur in der Dritten-Person-Perspektive. Beobachtung von neuronalen Zuständen als neuronale Zustände in der Dritten Person-Perspektive ist aber eben nicht Erleben und Wahrnehmung in der Ersten- Person-Perspektive. Allerdings erlaubt die Erste-Person-Perspektive nur das Erleben von neuronalen Zuständen als mentale Zustände, neuronale Zustände als solche sind somit hier nicht direkt zugänglich. Wir können daher weder unsere neuronalen Zustände als solche noch unser Gehirn selbst in der Ersten-Person-Perspektive erleben bzw. direkt wahrnehmen.

Wir sind somit nicht in der Lage die von uns erlebten mentalen Zustände direkt mit unserem eigenen Gehirn zu verknüpfen. Dies wäre nur möglich, wenn wir unser eigenes Gehirn als ein Gehirn mit neuronalen Zuständen neben den mentalen Zuständen in der Ersten- Person-Perspektive wahrnehmen bzw. erleben könnten. Wir bzw. unser eigenes Gehirn weisen somit eine Wissenslücke in bezug auf uns selbst bzw. das Gehirn hinsichtlich sich selbst auf. 

Wie aber, wenn nicht durch unser eigenes Gehirn, können wir dann den Ursprung mentaler Zustände bestimmen? Aufgrund der Wissenslücke als einer sogenannten „Knowledge Gap“ in der Ersten-Person-Perspektive nehmen wir bzw. unser Gehirn das Konzept eines Geistes an, auf den wir bzw. unser Gehirn dann unsere mentalen Zustände zurückführen. Die Idee eines Geistes ist geboren. Unser Gehirn selbst nimmt einen Geist an, um die Wissenslücke in bezug auf sich selbst zu füllen. 

„Autoepistemische Limitation“ und Wissenslücke

Ich nenne diese prinzipielle Unfähigkeit der direkten Wahrnehmung unseres eigenen Gehirns als ein Gehirn in der Ersten-Person-Perspektive „autoepistemische Limitation“. Die „autoepistemische Limitation“ verursacht eine Wissenslücke bzw. „Knowledge Gap“ in unserem Gehirn in Hinsicht auf sich selber (Northoff 2004). Eine solche Wissenslücke unseres Gehirns wurde bereits von Schopenhauer beschrieben: „Aber sofern das Gehirn selbst erkennt, wird es selbst nicht erkannt; sondern ist das erkennende, das Subjekt aller Erkenntnis. ..... Was hingegen erkennt, was jene Vorstellung hat, ist das Gehirn, welches jedoch sich selbst nicht erkennt, sondern nur als Intellekt, d.h., als Erkennendes, also nur subjektiv sich seiner bewusst wird. Was von innen gesehn das Erkenntnisvermögen ist, das ist, von aussen gesehn, das Gehirn.“ (Schopenhauer 1977 II, 303) 

Was sind die empirischen Mechanismen, die der Wissenslücke unseres Gehirns zugrunde liegen? 

Fragen für den Neurowissenschaftler

Angesichts der „autoepistemischen Limitation“ unseres Gehirns taucht die folgende Frage für den Neurowissenschaftler auf: Welches sind die empirischen Mechanismen, die es unserem Gehirn unmöglich machen seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände direkt wahrzunehmen? Anstelle der Wahrnehmung der eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände erlebt unser Gehirn mentale Zustände. Was aber ist der Unterschied zwischen neuronalen und mentalen Zuständen? 

Neuronale und mentale Zustände

Neuronale Zustände beziehen sich in der Regel auf einfache Stimuli, welche letztendlich auf isolierte sensorische Stimuli zurückgeführt werden können. Im Unterschied dazu beziehen sich mentale Zustände auf komplexe Ereignisse, die aus der Verknüpfung und Integration von verschiedenen sensorischen (visuell, orditorisch etc.) und non-sensorischen (motorisch, emotional, kognitiv, etc.) Stimuli generiert werden bzw. resultieren (Northoff 2003, 2004). Wenn mentale Zustände in Wirklichkeit Gehirnzustände sind, muss diese Verknüpfung und Integration im Gehirn selbst erfolgen. Allerdings kann unser Gehirn weder die sensorischen Stimuli als solche noch die Prozesse ihrer Integration und Verknüpfung in ein komplexes Ereignis wahrnehmen bzw. erleben in der Ersten-Person-Perspektive. Infolge dessen erscheint es, als ob keinerlei Relation zwischen neuronalen und mentalen Zuständen vorhanden wäre. Unser Gehirn ist somit unfähig, die durch sich selbst generierten mentalen Zustände in Beziehung zu sich selber zu setzen. Der Ursprung der mentalen Zustände kann somit nicht im eigenen Gehirn lokalisiert werden. Aufgrund der „autoepistemischen Imitation“ nimmt unser Gehirn daher das Konzept eines Geistes an, wodurch der Ursprung mentaler Zustände geklärt werden kann. Das Geist-Gehirn-Problem ist geboren. 

Die Neurowissenschaften postulieren, dass nichts als das Gehirn vorhanden ist. Die in mentalen Zuständen erlebten Ereignisse müssen somit auf unser Gehirn zurückgeführt werden. Dieses erscheint jedoch zunächst unmöglich, da mentale Zustände nicht in neuronalen Zuständen ‚lokalisiert’ werden können: Wenn wir das Gehirn in der Dritten-Person-Perspektive beobachten, können wir keinerlei mentale Zustände entdecken, da diese nur in der Ersten-Person-Perspektive wahrgenommen werden können. Wie können wir also Gehirn und mentale Zustände in Beziehung zueinander setzen ohne das Konzept eines Geistes annehmen zu müssen? Anstelle sich auf die neuronalen Zustände selber zu beziehen, wird der empirische Fokus eher auf die funktionellen Mechanismen gelegt, vermittels derer unser Gehirn die einfachen sensorischen Stimuli in ein komplexes Ereignis transformiert. Dieses impliziert zwei Fragen: Wie muss das Design unseres Gehirns beschaffen sein, um solche transformationellen Prozesse ermöglichen? Sind diese Transformationsprozesse die selben, die es unserem Gehirn verunmöglichen, seine eigenen durch einfache sensorische Stimuli induzierten neuronalen Zustände als neuronale Zustände wahrzunehmen?

Top-Down-Modulation und Feedback-Loops

Top-Down-Modulation und Feedback-Loops werden gegenwärtig als zentrale Charakteristika des Design unseres Gehirns angenommen. Beide werden als mögliche empirische Mechanismen für die Transformation von einfachen sensorischen Stimuli in komplexe Ereignisse diskutiert (Crick 2003, Pessoa 2003, und Frith 2002). Generell kann Top-Down-Modulation als eine Modulation von subkortikalen oder sensorisch-kortikalen Regionen durch höhere kortikale Zentren beschrieben werden (Northoff 2002). So besteht z. B. eine starke Evidenz für Top-Down-Modulation vom präfrontalen Kortex auf den primären visuellen Kortex vermittels direkter und indirekter neuronaler Verbindungen (Crick 2003, Pessoa 2003, Frith 2002, Engel 2001). Diese Top-Down-Modulation ermöglicht eine Modulation der neuronalen Aktivität im primären-visuellen Kortex im Hinblick auf die allgemeinen Verhaltensziele, wie die im präfrontalen Kortex repräsentiert sind. Einfache visuelle Stimuli werden mit anderen visuellen und non-visuellen Stimuli verknüpft – das komplexe Ereignis, welches wir als einen mentalen Zustand in der Ersten-Personen-Perspektive wahrnehmen bzw. erleben, wird generiert (Northoff 2004). Diese Verknüpfung zwischen visuellen und non-visuellen Stimuli könnte es unserem Gehirn auch verunmöglichen, seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände direkt wahrzunehmen: Würde unser Gehirn die durch die einfachen visuellen Stimuli induzierten neuronalen Zustände als solche direkt wahrnehmen, wenn sie nicht mit anderen Stimuli mittels der Top-Down-Modulation verknüpft würden? 

Top-Down-Modulation setzt Feedback-Loops voraus, die den Informationstransfer zwischen verschiedenen kortikalen Regionen ermöglichen. So muss z. B. ein Feedback-Loop vom präfrontalen Kortex zum visuellen Kortex vorhanden sein, so dass der letztere durch ersteren moduliert werden kann. (Edelman und Tononi (2003, 2000). nehmen sogenannte „Reentry-Loops“ als spezielle und stark integrative Formen von Feedback-Loops (Edelman und Tononi 2000) an. Diese „Reentry-Loops“ ermöglichen die räumlich-zeitliche Koordination der neuronalen Aktivität zwischen verschiedenen kortikalen Regionen; dieses beschreiben Edelman und Tononi als „konstruktive und korrelative Funktion“: Die „konstruktive Funktion“ löst Konflikte zwischen neuronalen Zuständen in verschiedenen kortikalen Regionen auf und generiert neue und spezielle transkortikale Muster neuronaler Aktivität. Die „korrelative Funktion“ des „Reentry“ ermöglicht die zeitliche Korrelation der neuronalen Aktivitäten in verschiedenen neuronalen Gruppen, entweder innerhalb einer Region oder zwischen verschiedenen kortikalen Regionen. Dieses führt z. B. zu „Synchronisation“ und „Recurrent Processing“ neuronaler Aktivität (Edelman 2000, 2003, Singer 1999, Engel 2001).  

Empirische Mechanismen der „autoepistemischen Limitation“ unseres Gehirns

Aufgrund der räumlich-zeitlichen Koordination werden verschiedene Stimuli, so z. B. visuelle und non-visuelle miteinander verknüpft und ineinander integriert. Einfache unimodale visuelle Stimuli werden in ein komplexes multimodales Ereignis transformiert. Ist es diese räumlich-zeitliche Korrelation zwischen verschiedenen durch unimodale Stimuli induzierten neuronalen Zuständen, die verhindert, das unser Gehirn seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände in der Ersten-Person-Perspektive wahrzunehmen bzw. erleben kann? 

Dieses ist unklar. Falls meine Annahme wahr ist, müsste die Abwesenheit von Top-Down-Modulation und Feedback-Loops im Gehirn mit der Fähigkeit desselben zur direkten Wahrnehmung von sich selbst als Gehirn in der Ersten-Person-Perspektive und somit der eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände einhergehen. Solche Gehirne benötigten ein unterschiedliches Design: Einfache visuelle Stimuli würden dann in Isolation von anderen visuellen und non-visuellen Stimuli prozessiert. Die räumlich-zeitliche Koordination über verschiedene kortikale und subkortikale Regionen hinweg würde durch eine räumlich-zeitliche Isolation ersetzt werden. Einerseits würde ein solches Design die Generierung von komplexen Ereignissen und ultimativ das Erleben von mentalen Zuständen nicht ermöglichen. Andererseits würden solche Gehirne nicht mehr unter der „autoepistemischen Limitation“ und somit der Wissenslücke hinsichtlich sich selbst leiden. Solche Gehirne würden dementsprechend auch nicht auf die Idee kommen, die Konzept- bzw. Idee eines Geistes anzunehmen. Ein Geist-Gehirn-Problem würde in einer Welt mit solchen Gehirnen nicht existieren. Die zentrale Herausforderung für die Neurowissenschaften in der Zukunft kann somit folgendermaßen formuliert werden: Sind die empirischen Mechanismen unseres Gehirns, die die Transformation von einfachen sensorischen Stimuli in komplexe Ereignisse ermöglichen, die selben, welche es unserem Gehirn verunmöglichen, sich selbst und somit seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände direkt wahrzunehmen?

Wie kann unser Gehirn seine eigene Limitation umgehen?

Indirekte Wahrnehmung der eigenen neuronalen Zustände

Obwohl unser Gehirn unfähig ist seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände direkt wahrnehmen kann, ist eine indirekte Wahrnehmung derselben dennoch möglich. Neuere technische Geräte ermöglichen ein on-line Feedback mittels sogenannter Gehirn-Computer-Interfaces (Brain-Computer-Interfaces): Mittels der Verwendung eines solchen Gehirn-Computer-Interfaces war es Birbaumer möglich, zu demonstrieren, dass Probanden lernen können, die mittels der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) bei einer mentalen Aufgabe gemessenen Signale in ihrem eigenem Gehirn (und somit ihre eigenen neuronalen Zustände) zu modulieren. Möglicherweise können Patienten mit einer Lähmung, verursacht durch eine sog. Amyotophische-Lateral-Sklerose (ALS) oder einem Locked-In-Syndrom, lernen ihre eigenen neuronalen Zustände durch On-line-Präsentationen derselben in EEG und FMRT zu „lesen (bzw. wahrnehmen) und modulieren“. Hierdurch könnten bestimmte neurologische und/oder psychische Defizite zumindestens partiell beeinflusst werden: In der Zukunft könnten diese Gehirn-Computer-Interfaces z.B. die Kommunikation von solchen gelähmten Patienten ermöglichen (Neumann 2003) und/oder ihnen es erlauben eine neuroelektrische Prothese mittels ihrer eigenen Gedanken zu steuern und zu bewegen (Nicoleles 2003). „Lesen und Modulieren“ der eigenen Gehirnzustände setzt eine Wahrnehmung der eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände voraus. Dieses ist allerdings nur indirekt mittels der Verknüpfung mentaler Aufgaben und on-line Gehirn-Computer-Feedback-Geräte möglich. 

Gehirn-Computer Interfaces und „autoepistemische Limitation“Die prinzipielle Unfähigkeit unseres Gehirns, seine eigenen neuronalen Zustände als neuronale Zustände direkt wahrzunehmen und somit die „autoepistemische Limitation“ bleibt. Kein bildgebungs- oder technisches Gerät wird diese prinzipielle Unfähigkeit auflösen, da dieses ein anderes Design unseres Gehirns, möglicherweise eines ohne Feedback-Loops und Top-Down-Modulation (siehe oben), voraussetzen würde. Dennoch werden solche Gehirn-Computer-Interfaces wie oben beschrieben, eine on-line Visualisierung der neuronalen Zustände unseres eigenen Gehirns ermöglichen: Das Erleben von mentalen Zuständen in der Ersten- Person-Perspektive und die on-line Beobachtung der neuronalen Zustände des eigenen Gehirns in der Dritten-Person-Perspektive können simultan bzw. zur selben Zeit erfolgen. Diese Simultanität von mentalen und neuronalen Zuständen legt eine korrelative Beziehung zwischen beiden Zuständen nahe. Eine solche Visualisierung einer korrelativen Beziehung wird möglicherweise die Neigung bzw. Versuchung unseres Gehirns das Konzept eines Geistes als Ursache und Ursprung für die eigenen mentalen Zustände vermindern. Die Annahme des Konzept eines Geistes könnte sich dann als überflüssig und nicht mehr notwendig erweisen. 

Gehirn-Computer Interfaces und das Geist-Gehirn Problem

Kann unser Gehirn mittels der Gehirn-Computer Interfaces das Geist-Gehirn-Problem lösen? Nein. Aufgrund der „autoepistemischen Limitation“ mit der konsekutiven „Knowledge Gap“ ist unser Gehirn aufgrund eines eigenen Design unfähig etwas anderes als mentale Zustände direkt wahrzunehmen. Das Geist-Gehirn-Problem persistiert. Allerdings ist unser Gehirn in der Lage, die Ursache bzw. Fundierung dieses Problems in sich selber zu entdecken, nämlich in seinem eigenen Design. Die zukünftigen bildgebenden Geräte werden unserem Gehirn helfen, sein eigenes Design und die entsprechenden empirischen Mechanismen, die die es immer wieder dazu verleiten, das Konzept eines Geistes anzunehmen, besser zu verstehen. Unser Gehirn wird letztendlich verstehen, dass das Geist-Gehirn-Problem eigentlich (epistemisch betrachtet) nur ein Problem der Selbsterkenntnis unseres Gehirns und somit (empirisch betrachtet) ein Gehirn (-design)-Problem ist (Northoff 2004). Anders ausgedrückt: Obwohl unser Gehirn unfähig bleibt das Geist-Gehirn Problem prinzipiell aufzulösen, so werden die neuen bildgebenden Geräte es dem Gehirn doch immerhin erlauben das Geist-Gehirn Problem in ein Gehirn-Gehirn Problem zu transformieren.  

Schlussfolgerung

Wie wird unser Gehirn die Neurowissenschaften in der Zukunft gestalten?

Die Neurowissenschaften werden das Design unseres Gehirns, die empirischen Mechanismen, die der „autoepistemischen Limitationen“ und letztendlich der „Wissenslücke“ bzw. „Knowledge Gap“ unseres Gehirns in Hinsicht auf sich selber zugrunde liegen, enthüllen. Die Entdeckung dieser empirischen Mechanismen wird neue Türen für eine mögliche On-line-Modulation der eigenen neuronalen Zustände unseres Gehirns eröffnen. Dieses wird der Neurotechnologie ermöglichen neuartige Gehirn-Computer-Interfaces für Patienten mit gegenwärtig unbehandelbaren Gehirnerkrankungen zu entwickeln. 

Wie wird unser Gehirn die Philosophie in der Zukunft gestalten?

Die Beziehung zwischen Philosophie und Neurowissenschaften wird sich verändern. Philosophie wird in die Neurowissenschaften integriert werden: Die Erkenntnistheorie bzw. Epistemologie als die philosophische Disziplin, die mit den Möglichkeiten unserer Erkenntnis von uns selbst und der Welt beschäftigt ist, wird auf die empirischen Mechanismen unseres Gehirns zurückgeführt werden. Dementsprechend wird die Epistemologie „Neuroepistemologie“ werden. (Churchland 2002, Northoff 2001, 2004). Eine solche „Neuroepistemologie“ ist bereits von Schopenhauer Ende des 19.Jahrhunderts postuliert worden: „Dieser (Kant) weist nach, das die gesammelte materielle Welt, mit ihren Körpern im Raum, welche ausgedehnt sind und, mittels der Zeit, Kausalverhältnisse zueinander haben, und was dem anhängt,- das dies Alles nicht ein unabhängiges von unserem Kopfe Vorhandenes sei; sondern seine Grundvoraussetzungen habe in unseren Gehirnfunktionen, mittelst welcher und in welchen allein eine solche objektive Ordnung der Dinge möglich ist; weil Zeit, Raum, und Kausalität, auf welchen alle jene realen und objektiven Vorgänge beruhen, selbst nichts weiter, als Funktionen des Gehirnes sind; das also jene umwandelbare Ordnung der Dinge, welche das Kriterium und den Leitfaden ihrer empirischen Realität abgibt, selbst erst vom Gehirn ausgeht und von diesem allein ihre Kreditive hat: dies hat Kant ausführlich und gründlich dargetan; nur das er nicht das Gehirn nennt, sondern sagt ‚das Erkenntnisvermögen’.“ (Schopenhauer 1977 II, 15-6). Durch den Fortschritt der Neurowissenschaften kann somit Anfang des 21.Jahrhundert nun endlich Realität werden, was Kant und Schopenhauer bereits am Ende des 19.Jahrhundert postuliert haben – die Zurückführung der Epistemologie auf die „Neuroepistemologie“ als einer „Epistemologie auf einer neurologischen Basis“ Würde Wittgenstein immer noch überrascht sein (siehe Zitat als Motto meines Beitrages), wenn die „autoepistemische Limitation“ bzw. die Wissenslücke unseres Gehirns erkannt ist? Wird immer noch die Diskussion über die Beziehung zwischen Geist und Gehirn vorherrschen? Vielleicht ja, vielleicht nein! Aber Wittgenstein würde die Gründe für seine Überraschung sehr viel besser verstehen als vorher und könnte sie auf das Design seines eigenen Gehirns zurückführen. 

In ähnlicher Weise wird der ewig persistente Proponent für die Annahme eines Konzeptes bzw. Idee eines Geistes und somit des Geist-Gehirn-Problems eine ähnliche Einsicht haben: Die Proponenten werden realisieren, dass ihre Rigidität und Persistenz auf das Design ihres eigenen Gehirns zurückgeführt werden muss. Die Proponenten werden darüberhinaus erkennen, dass ihre Versuchung, das Konzept bzw. die Idee eines Geistes anzunehmen, ein Trick ihres eigenen Gehirns ist. Mittels der Annahme eines Konzeptes bzw. Idee eines Geistes versteckt ihr Gehirn seine eigene perzeptuelle Unfähigkeit in Hinsicht auf sich selber bzw. seine „autoepistemische Limitation“.  

Benötigen wir an der Stelle einer „Philosophie des Geistes“ eine „Philosophie des Gehirns“? Um es kurz zu fassen: Die Idee eines Geistes und letztendlich das Geist-Gehirn-Problem müssen als eine Illusion betrachtet werden. Unser Gehirn benötigt diese Illusion um seine eigene Wissenslücke bzw. „Knowledge Gap“ zu füllen. Ich postuliere daher, das, sobald das Konzept des Geistes als eine für unser Gehirn notwendige Illusion enthüllt ist, jegliche Philosophie des Geistes bzw. was gegenwärtig als „Philosophy of mind“ bezeichnet wird, überflüssig wird. Letztendlich muss die Möglichkeit einer “Philosophie des Geistes” bzw. „Philosophy of mind“ als eine Illusion unseres Gehirns betrachtet werden. Dies bedeutet allerdings nicht das Ende jeglicher Philosophie. Stattdessen wird an die Stelle der „Philosophie des Geistes“ bzw. „Philosophy of mind“ die Entwicklung einer „Philosophie des Gehirns“ bzw. „Philosophy of the brain“ notwendig werden (Northoff 2004).  

(2001)

Hirnforscher Roth kritisiert die Philosophen (2000)

zu Gerhard Roth (2000=

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qpfeil.gif (860 bytes) Diskussion: Ansgar Beckermann, Gerhard Roth und Wolfgang Prinz (2000)

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Literatur
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Autor [Stand der Information: 01/01/2005]

Prof. Dr. Dr. Georg Northoff ist habilitierter Mediziner und habilitierter Philosoph. Northoff ist Psychiater, Neurowissenschaftler und Philosoph und lehrt nach einem 3-jaehrigen Aufenthalt an der Harvard Universitaet in Boston/USA jetzt an der Universitaet Magdeburg. Er hat im Mentis-Verlag/Paderborn die Buecher „Neuropsychiatrie und Neurophilosophie“ (1997), „Das Gehirn. Eine neurophilosophische Bestandsaufnahme“ (2000) sowie „Personale Identität und Operative Eingriffe in das Gehirn“ (2001) veröffentlicht. Zur Entwicklung einer Philosophie des Gehirns erschien von ihm „Philosophy of the Brain. The Brain-Problem“, John Benjamins Publisher, Amsterdam/New York 2004 erschienen. 

Prof. Dr. med. habil. Dr. phil. habil. Georg Northoff 
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin
Universität Magdeburg
Leipziger Strasse 44
39120 Magdeburg
 
Tel.: 0391/6713479/-14234
Fax: 0391/6715223
E-mail: georg.northoff@medizin.uni-magdeburg.de