„Es ist
durchaus verzeihlich, nicht zu wissen, was das Wort performativ bedeutet“, schreibt John L. Austin in seinem Aufsatz
„Performative Äußerungen“. „Es ist ein neues Wort und ein garstiges Wort, und
vielleicht hat es auch keine sonderlich großartige Bedeutung“. Vielleicht hat
eben dieser Umstand zur akademischen Breitenwirkung des garstigen Wortes
beigetragen.
Performativität
ist zum Schlüsselbegriff für den cultural turn der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften geworden: von der Ethnographie über die
Theaterwissenschaften bis hin zu den Gender Studies. Zugleich ist das
Performative nach wie vor ein terminus technicus der Linguistik und der
pragmatischen Sprachphilosophie. Die Mehrdeutigkeit des angelsächsischen
Ausdrucks performance hat zu dazu geführt, dass sich die verschieden
Verwendungsweisen des Performanzbegriffs überlappen. Performativ kann
sich auf die Gelingensbedingungen von Sprechakten, auf die medialen
Verkörperungsbedingungen von Äußerungen oder aber auf die Inszenierungsbedingungen im Rahmen von
Theateraufführungen beziehen.
Maßgeblich
geprägt wurde der Begriff des Performativen durch Austin, der in How to do
things with Words den Begriff der performatives einführt, um eine
Klasse von Sprachverwendungen zu bezeichnen, bei denen durch das Äußern
bestimmter Worte conventional procedures vollzogen werden. So beim
„Jawort“ der Eheleute vor dem Standesbeamten oder dessen Vollzugsformel:
„Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau“. Die sprachphilosophische
Provokation performativer Äußerungen besteht darin, dass sie keine
Wahrheitsbedingungen haben - ihre Bedeutung lässt sich daher nicht durch ihren
Wahrheitswert, sondern nur durch ihren richtigen Gebrauch, d.h. durch ihre
Gelingensbedingungen feststellen. Im Gegensatz zur „konstativen Beschreibung“
von Zuständen, welche entweder wahr oder falsch sind, verändern „performative
Äußerungen“ durch die Tatsache, dass sie geäußert wurden, Zustände in der
sozialen Welt. Für die Gültigkeit performativer Akte ist entscheidend, dass die
Personen, die sie vollziehen, dazu autorisiert sind - und dass die Subjekte, an
denen die Sprechakte vollzogen werden, zum Verfahren zugelassen sind. Deshalb
müssen Heiratswillige ihre „Ehefähigkeit“ belegen und die Prozedur des
Heiratens kann nur von einer institutionell autorisierten Person vollzogen
werden. Mit dem kommissiven Jawort versprechen sich die Eheleute ewige Treue.
Der deklarative Sprechakt des Standesbeamten bewirkt Kraft seines Amtes, dass
sich die Eheleute nach dem Aussprechen der Trauformel im Zustand der Ehe
befinden.
Die
Gelingensbedingungen von performatives betreffen sowohl die intentionalen
als auch die institutionellen Rahmenbedingungen. Für das „glückliche“ (happy)
Vollziehen von performativen Äußerungen muß es nach Austin „ein übliches
konventionales Verfahren (accepted conventional procedures) mit einem
bestimmten konventionalen Ergebnis (a certain conventional effect)
geben“. Dabei ist nicht nur ausschlaggebend, dass die Form des Vollzuges
„richtig“ ist, sondern auch, „dass die Umstände, unter denen die Worte geäußert werden, in bestimmter
Hinsicht oder in mehreren Hinsichten passen“. Im Gegensatz zu dieser funktionalen Bestimmung, kann sich der
Performanzbegriff aber auch auf die phänomenale Tatsache beziehen, dass etwas als
Äußerung verkörpert wird. Chomsky führt zu Beginn seiner Aspekte der
Syntaxtheorie die Differenzierung zwischen competence und performance
ein, um die „Kenntnis“ eines Sprecher-Hörers vom „aktuellen Gebrauch“ der
Sprache in konkreten Situationen zu unterscheiden. Die Kompetenz als
allgemeines „Kenntnissystem“ bestimmt die Form der Sprache. Die Performanz ist
die sprachliche Verkörperung dieses Kenntnissystems in einem bestimmten
Anwendungsfall.
Während
für die generative Linguistik und die pragmatische Sprachphilosophie die
Untersuchung des Äußerungtyps im Zentrum steht, fokussieren die ritualtheoretischen
und theaterwissenschaftlichen Ansätze Performativität unter dem Gesichtspunkt
der Inszenierungs- und Verkörperungsbedingungen. In Grenzgänge und Tauschhandel schreibt
Erika Fischer-Lichte, Performativität sei der Sammelbegriff
für alle Vorgänge „einer Darstellung durch Körper und Stimme vor körperlich
anwesenden Zuschauern“, deren Einzelaspekte die Inszenierung als
spezifischer „Modus der Zeichenverwendung“, die Korporalität als „Faktor
der Darstellung bzw. des Materials“ und die Wahrnehmung durch den
Zuschauer sind. Betonen die kulturwissenschaftlichen Ansätze der Performanztheorie
- allen voran die Theatralitätsforschung, dass es gerade auf die korporalen
Aspekte der Verkörperungsbedingungen ankommt, so liegt die immer wieder beklagte
Schwäche der Sprechakttheorie darin, den „korporalen Aspekt“ von Sprechakten,
wenn überhaupt, nur als kontingentes Moment in Betracht zu ziehen. Im Rahmen
der Sprechakttheorie besitzt die Äußerungsqualität für das Verstehen der
Äußerungsbedeutung keine Relevanz, da jede Äußerung als abgeleitetes Token
eines Sprechakttyps interpretiert wird. Der Sprechakt gelingt, wenn das Token
als korrekte Ausführung eines durch seine Gelingensbedingungen bestimmten Types
identifiziert werden kann. Dies führt zu der bereits bei Austin angelegten und
von Searle noch radikalisierten Fokussierung der „illokutionären Kräfte“ von
Sprechakten und zur Vernachlässigung der rhetorisch-perlokutionären sowie der
semiotisch-materialen Aspekte von Äußerungen.
Während
der illokutionäre Akt eine Handlung konventional vollzieht, „indem man etwas sagt“, betrifft der
perlokutionäre Akt die „kürzere oder längere Kette von ‚Wirkungen’“, welche der
Sprechakt auf einen Rezipienten ausübt. Die Marginalisierung des Perlokutionären
wird von Seiten der Sprechakttheorie damit begründet, dass es sich dabei um unkontrollierbare Kräfte handelt, die
sich, anders als die kontrollierbaren illokutionären Kräfte, einer
systematischen Untersuchung entziehen. Für die Literaturtheorie dagegen - nicht
nur dekonstruktivistischer Couleur - ist das Ausklammern rhetorischer Effekte
undenkbar, denn die ästhetische Wirkung von Literatur ist in großem Maße gerade
den „perlokutionären Kräften“ geschuldet. Während Wolfgang Iser in Der Akt
des Lesens (1976) ein Gleichgewicht zwischen perlokutionärer Wirkung und
illokutionärem „Lenkungspotential“ herzustellen sucht, setzt Paul de Man in
„Semiologie und Rhetorik“ (1979) auf die perlokutionäre Kraft der Tropen.
Ein
anderes Problem betrifft das Außerkraftsetzen
von Sprechakten in fiktionalen, in „nicht-ernsthaften“ Kontexten. Wenn ein
Schauspieler auf der Bühne den Bräutigam spielt, so bewirkt dieser
„Szenenwechsel“, dass der Sprachgebrauch „parasitär“, bzw. „nichtig“ wird.
Gegen diese These Austins regte sich Widerspruch, nicht nur von
dekonstruktivistischer Seite. Erving Goffmans Rahmen-Analyse (1974) etwa
sieht den Szenenwechsel, durch den Äußerungen von der Lebenswelt in die
Theaterwelt versetzt werden, nicht als Entkräftung, sondern als „modulierende
Transformation“ von einer Bedeutungsebene auf eine andere. Damit eröffnet die
Rahmenanalyse die Möglichkeit, auch „So-Tun-Als-Ob-Verhalten“, „Spiele“,
„Zeremonien“, „Sonderausführung“ und andere Formen des „Szenenwechsels“ als
sinnvolle Transformationsprozesse zu interpretieren. Victor Turner geht in Vom Ritual zum Theater (1982) noch einen
Schritt weiter. Um spielerisch „in die Haut der Mitglieder einer anderen
Kultur“ schlüpfen zu können, propagiert er eine ethnologische Inszenierung
sozialer Dramen und Zeremonien. Dies soll sowohl das Verstehen der fremden als
auch das Neuverstehen der eigenen Kultur ermöglichen.
Die
„kulturwissenschaftliche Entdeckung des Performativen“ liegt darin, dass sich
alle Äußerungen immer auch als Inszenierungen, das heißt, als Performances betrachten lassen. Diese Sicht findet von
unerwarteter Seite Unterstützung, nämlich von John Searle, der in seinem
Aufsatz How Performatives Work (1989) schreibt, „dass alle Äußerungen performances sind, aber nur eine
begrenzte Klasse von ihnen performatives“.
Sieht man von der Funktion der Sprechakte, symbolische Handlungen auszuführen,
ab, so erscheinen auch die explizit performativen Verben, die bei einer
ernsthaften Trauung geäußert werden, als Teil einer Inszenierung, nämlich als
soziales Drama. Jede Zeremonie, jede Formel und jedes Ritual, verdankt seinen
Aufführungscharakter dabei dem Umstand, dass es sich nicht um einmalige
Ereignisse handelt, sondern um bestimmte Wendungen, die in bestimmten Kontexten
immer wieder gebraucht werden.
Diese
Wiederholbarkeit, die jedem Zeichen - gleichgültig, zu welchem Zweck es
verwendet wird – eignet, bezeichnet Derrida in seinem Aufsatz „Signatur Ereignis Kontext“ (1971) als
Iterierbarkeit und fordert eine
„Typologie von Iterationsformen“ zu konstruieren. Derrida wollte damit
erklärtermaßen nicht die Effekte des Performativen leugnen, sondern vielmehr
den - von Searle vertretenen - allumfassenden Geltungsanspruch der
sprechakttheoretischen Sprachanalyse in Zweifel ziehen. In der Tat ist für
Searle die Untersuchung der ernsthaften illokutionären Kräfte von Sprechakten
nichts anderes als eine Untersuchung der konstitutiven Regeln für das
Funktionieren von Sprache überhaupt. Aus heutiger Sicht interessiert an der
berühmt-berüchtigten Searle-Derrida-Debatte jedoch nicht mehr die Frage, ob man
sich für Illokution oder für Iteration zu entscheiden hat, sondern, dass es
offensichtlich zwei grundverschiedene Ansätze für die Analyse von Performanz
gibt.
Während
die „funktionalistischen Konzepte“ der pragmatischen Sprachphilosophie und der
Universalpragmatik von Apel und Habermas nach den idealen Bedingungen der
Möglichkeit des kommunikativen Gelingens fragen, problematisieren die
„phänomenologischen Konzepte“ die Wirklichkeit der Verkörperungsbedingung. Bei
der transzendentalen Begründung universalpragmatischer Geltungsansprüche geht
es darum, unabhängig von den kontingenten Aspekten der Materialität dem
Kommunikationsverweigerer die Unhaltbarkeit seiner Position durch den Nachweis
eines performativen Widerspruchs
nachzuweisen - ihm also den argumentativen double
bind von Äußerungen wie „Ich glaube, es hat keinen Sinn zu argumentieren,
weil...“ vorzuhalten. Die Verkörperungsbedingungen werden dagegen maßgeblich
von der Dynamik der Reproduzierbarkeit bestimmt, und das heißt – wie Sybille
Krämer in ihren „Thesen über Performativität als Medialität“ glaubhaft macht –
von ihrer Medialität.
Der
entscheidende Schritt bei der „kulturwissenschaftlichen Wende“ des
Performanzbegriffs besteht darin, die verschiedenen Aspekte zu thematisieren,
die beim medialen Akt der Verkörperung zusammenspielen. Dies betrifft die
„korporalen Aspekte“ von Inszenierungen – also alle Aspekte, die den
Zeichenkörper als semiotischen Problem betreffen. Solch eine Untersuchung der
Verkörperungsbedingungen findet sich bereits bei Peirce, auf dessen
Unterscheidung von Type und Token sich Searle in Literary theory and its discontents
(1994) erklärtermaßen stützt: Nach Peirce sind unsere Äußerungen „nur
Annäherungen an das, was wir übermitteln wollen. Ein Ton oder eine Geste sind
meist der bestimmteste Teil dessen, was gesagt wird“ (CP 5.568).
Der Akt
der Verkörperung wird aber auch durch jene „wiederholbare Materialität“
bestimmt, die Foucault in der Archäologie
des Wissens als „Monumentalität“ thematisiert. Historische Quellen sind
nicht nur Mitteilungen von Ereignissen, sondern sie sind auch Tatsachen, an
denen sich Informationen ablesen lassen, die nicht absichtlich mitgeteilt
wurden. Schließlich ist der Akt der Verkörperung, wie Judith Butler aufgezeigt
hat, für die Konstitution von Geschlechteridentität konstitutiv. Der weibliche
und der männliche
In der gegenwärtigen Performanz-Debatte interessiert nicht mehr die „protestantische Frage“ der Philosophie nach der Bedingung der Möglichkeit, sondern die „ökumenische Frage“ der Kulturwissenschaft nach den Übergangsmöglichkeiten zwischen der Ebene der performance und der Ebene der performatives. Man könnte diese beiden Ebenen im Rückgriff auf Chomskys Unterscheidung von Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur beschreiben. Die performance an der Oberfläche ist eine „verkörperte Erscheinungsweise“ jener performatives, welche auf der Tiefenstruktur arbeiten. Was die Kulturwissenschaft interessiert, ist nicht mehr die philosophische Frage, welche der beiden Ebenen dominant ist, sondern die Beschreibung der Schnittstellen, die ihr Zusammenwirken ermöglichen.
Literatur zum Thema: Austin,
John Langshaw: Zur Theorie der Sprechakte. Deutsche
Bearbeitung von Eike von Savigny, kt., RUB 9396, € 5.10, 2. Auflage, 1979, Reclam, Stuttgart.
Searle,
John: Ausdruck und Bedeutung. 240 S., kt., stw
349 € 11.50, 1982, Suhrkamp.
Wirth, Uwe (Hrsg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. 400 S., kt., € 14.—, stw 1575, 2002, Suhrkamp, Frankfurt.
AutorUwe Wirth ist promovierter Literaturwissenschaftler und wissenschaftlicher Assistent am Institut für deutsche Sprache und Literatur II an der Universität Frankfurt.