
Professor Putnam, die Filme „Matrix I“ und „Matrix II“ beruhen zum Teil auf Ihren Gedankenexperimenten. Wie ist das genau?
Das erste Kapitel in dem Buch , das ich vor etwa zwanzig Jahren veröffentlicht habe, hieß „Gehirne in einem Tank“. Es war im Grunde dasselbe Szenario wie in „Matrix“, wo alle Menschen, alle fühlenden Wesen sich in einem Tank befinden. Ihre Wahrnehmungen und Empfindungen werden vollständig von einem Computer kontrolliert. Ich wusste nicht, dass die Produzenten von „Matrix“ mein Buch gelesen hatten. Möglicherweise kamen sie von selbst auf diese Idee, aber tatsächlich kam man vor „Matrix II“ auf mich zu und fragte mich, ob ich damit einverstanden sei, dass das Kapitel meines Buches als Referenz auf der Matrix-Website angegeben würde. Ich erteilte die Genehmigung.
Das bringt uns zur zweiten Frage. In Ihrer Beweisführung arbeiten Sie oft mit Gedankenexperimenten, wie sie in den Naturwissenschaften üblich sind, nicht aber in der Philosophie. Was halten Sie von der Bedeutung von Gedankenexperimenten in der philosophischen Argumentation?
In den Naturwissenschaften benutzt man sie üblicherweise zur Klärung von Begriffen. Newton zum Beispiel gebrauchte ein berühmtes Gedankenexperiment für den Nachweis einer Schwierigkeit mit dem philosophischen Satz, dass Bewegung und Ruhe einfach relativ sind (Leibniz vertrat diese Ansicht) - die Schwierigkeit besteht darin, dass, wenn alle Bewegung einfach relativ ist, muss Beschleunigung auch relativ sein, jedoch (so Newton) gibt es physisch beobachtbare Unterschiede zwischen einem beschleunigten System und einem, das nicht in Beschleunigung ist. Diesem Einwand gegen die Relativität von Bewegung konnte die Physik des 17. Jahrhunderts nichts entgegnen. Man brauchte eine ganz andere Physik, die Allgemeine Relativitätstheorie, um auf Newtons Einwand gegen eine relativistische Beschreibung von Bewegung zu antworten. Man könnte die Klärung ohne Newtons dramatisches „Gedankenexperiment“ durchführen (Newton stellte sich eine Welt vor, die nur einen halb mit Wasser gefüllten Eimer enthält und fragte, ob es nicht einen Unterschied macht, ob der Eimer in Ruhe ist oder sich in Drehung befindet? Es gibt einen Unterschied – wenn der Eimer sich dreht, steigt das Wasser an der Innenseite nach oben!). Das Gedankenexperiment dramatisiert einen Sachverhalt. Man kann denselben Punkt ohne das Gedankenexperiment demonstrieren – auf vielen Seiten! – Ich glaube, in der Philosophie haben Gedankenexperimente eine ähnliche Funktion – sie sind entbehrlich, aber sie dienen der schnellen und deutlichen Begriffsklärung.
Es ist kritisiert worden, einige Ihrer Gedankenexperimente seien physikalisch unmöglich und deshalb nicht überzeugend, auch wenn sie logisch korrekt seien. Halten Sie in philosophischer Beweisführung und im philosophischen Denken logische Konsistenz für ausreichend, oder brauchen man auch physikalische Konsistenz?
Was die „Gehirne im Tank“ angeht, so ist der Einwand, so etwas sei physikalisch unmöglich, irrelevant, weil dieses Szenario lediglich eine Dramatisierung des Cartesianischen Argumentes ist. Natürlich kann man dem Cartesianischen Skeptiker entgegenhalten „Was Du Dir vorstellst, ist physikalisch unmöglich; Gehirne im Tank (oder böse Dämonen mit übernatürlichen Kräften) sind physikalisch unmöglich“. Aber er wird erwidern: „Woher weißt Du, dass es physikalisch unmöglich ist? Woher kennst Du die Naturgesetze? Vielleicht ist das, was Du Naturgesetze nennst, ein Teil der Illusion, die vom Computer (dem bösen Dämon) stammt.“ - Der Einwand ignoriert völlig den Kern des Cartesianischen Skeptizismus.
Warum braucht man mehrere Gehirne im Tank? Warum reicht ein Gehirn zum Zweck des skeptischen Arguments nicht aus?
Viele Philosophen glauben, zu Recht oder zu Unrecht, dass echtes Denken und Bezugnehmen eine Gemeinschaft von Sprechern erfordert. Um diese Philosophen zu überzeugen, habe ich in meinem Gedankenexperiment die gesamte Gemeinschaft von Sprechern in den Tank gesteckt.
Dies scheint mir eine gute Gelegenheit, etwas über die Voraussetzungen meines „Gehirne-im-Tank-Arguments“ zu sagen. Im wesentlichen läuft mein Argument darauf hinaus, dass unser bester Begriff von Referenz (unter der Voraussetzung unseres allgemein wissenschaftlichen Weltbildes) nahelegt, dass der Bezug auf Dinge direkt oder indirekt die Übertragung von „Information“ mit sich bringt, so wie dieser Begriff in der Informationstheorie gebraucht wird. Mit anderen Worten: Referenz beinhaltet kausale Interaktion. Nicht dass man kausale Interaktion mit allem hat, worauf man Bezug nimmt, denn man kann Beschreibungen benutzen. Man kann sagen: „Nun, mit einem Stuhl meine ich einen tragbaren Sitz mit einer Rückenlehne.“ Aber was meint man mit Sitz? Nun kann man nicht die Bedeutung aller verwendeten Wörter unter Rückgriff auf andere Wörter erklären. Einige Wörter müssen anders als mittels einer Definition verstanden werden. Die primitivsten Erklärungen der Referenz von Begriffen – darauf zeigen oder etwas anderes – beinhalten immer kausale Interaktion.
Ich behaupte nicht, über eine kausale Referenz-Theorie zu verfügen, denn ich behaupte nicht, dass man Referenz mittels Kausalität
definieren kann, aber ich beharre darauf, dass es kausale Vorbedingungen für die Referenz gibt, dass die Referenz auf empirische Dinge, in Zeit und Raum, immer – direkt oder indirekt – Kausalität beinhaltet. In meiner Beweisführung behaupte ich, dass Hirne-im-Tank nicht einmal auf Bäume, Häuser, Tanks, die räumliche Relation eines Dinges „in“ einem anderen Bezug nehmen können.Die Schlussfolgerung besagte: wenn wir Hirne-im-Tank wären, könnten wir über die Frage „Sind wir Gehirne in einem Tank?“ gar nicht nachdenken. Daher ist die skeptische Hypothese, wir seien alle Gehirne in einem Tank, entweder falsch oder unverständlich.
Gesetzt den Fall, es gäbe Wesen außerhalb des Tanks, die den Computer programmierten, könnte man erwidern, dass die Wesen innerhalb des Tanks mit Bäumen, Häusern etc. kausal verknüpft sind, wenn auch durch eine komplizierte Verkettung (sie sind kausal verknüpft mit dem Computer, welcher wiederum kausal verknüpft ist mit den Wesen außerhalb des Tanks, welche ihrerseits kausal verknüpft sind mit Bäumen, Häusern usw). Um diese Möglichkeit auszuschließen, erfand ich ein Szenario ohne Bäume, Häuser usw. außerhalb des Tanks. Der Tank existiert aufgrund eines kosmischen quantenmechanischen Zufalls. Das war der zweite Grund, warum ich die ganze Denker- und Sprecher-Gemeinschaft in den Tank gesteckt habe.
Im ersten Kapitel Ihres zuletzt erschienenen Buches „The Threefold Cord“ schreiben Sie, dass Sie weiterhin „nach einem Mittelweg zwischen reaktionärer Metaphysik und leichtfertigem Relativismus suchen“. Sie verteidigen einen direkten Realismus. Was meinen Sie damit, und warum ist dies jetzt wichtig?
Ja. Eigentlich verteidige ich den natürlichen Realismus oder common-sense-Realismus des Mannes auf der Straße. Ich glaube nicht, dass das eine philosophische Position ist, sondern vielmehr eine Lebensweise, aber da Philosophen sie oft kritisieren, ist die Verteidigung und Klärung des common-sense-Realismus zu einer philosophischen Aufgabe geworden. Es ist wichtig zu erkennen, dass philosophischer Skeptizismus von zentraler Bedeutung für zwei oder drei höchst einflussreiche philosophische Denkrichtungen des 20. Jahrhunderts war. Einmal ist das die Phänomenologie Husserls und Heideggers. Beide hatten wichtige Einsichten, aber in der letzten Zeit geringeren Einfluss. Die anderen Denkrichtungen waren der logische Positivismus und die verschiedenen Formen des „Poststrukturalismus“, einschließlich des Dekonstruktivismus. Diese späteren Positionen sind enorm skeptisch (sogar wenn sie den Skeptizismus zu bekämpfen meinen), und ich glaube, sie vertreten eine Radikalisierung des Skeptizismus bezüglich der äußeren Welt, von der wir gerade im Zusammenhang mit den Gehirnen im Tank sprachen, des Skeptizismus René Descartes’. Descartes glaubte, es gebe ein echtes Problem damit, wie ich sicher sein kann, dass es eine äußere Welt gibt und nicht nur Erscheinungen in meinem Geist, aber er sah kein Problem im Hinblick auf unsere Denken über oder unseren Bezug auf die äußere Welt, ob sie nun existiert oder nicht. Weil wir diese geheimnisvolle Fähigkeit besitzen, Dinge zu begreifen oder uns auf sie zu beziehen - ob sie existieren oder nicht, ob sie in einem Kausalzusammenhang mit uns stehen oder nicht - sind unsere Fähigkeiten zu begreifen oder Begriffe zu bilden unbegrenzt. Es war wohl unvermeidlich – obwohl es lange gedauert hat – , dass man dieses Vertrauen in unsere begrifflichen Fähigkeiten in Frage zu stellen begann. Dieses Hinterfragen begann bereits im klassischen Empirismus.
Wenn Philosophen einmal gesagt haben, dass wir nicht wirklich einen Tisch oder einen Stuhl wahrnehmen, sondern in Wirklichkeit Sinneseindrücke, dann ist es nur natürlich zu fragen (wie Berkeley es tat), ob wir uns überhaupt etwas anderes als Sinneseindrücke vorstellen können. Und als die Philosophie die berühmte linguistische Wende vollzog, unterstellten viele, dass unsere Gedanken selbst (wie Richard Rorty es gerne formuliert) lediglich „Markierungen und Geräusche“ sind (oder Empfindungen von Markierungen und Geräuschen). Das ist ein empiristischer oder ein nominalistischer Skeptizismus. Auch im Poststrukturalismus gibt es einen Skeptizismus hinsichtlich der Möglichkeit, etwas außerhalb von Sprache zu begreifen (bei Derrida sehen wir das Signifikatum verschwinden, es gibt nur noch das Spiel der „Signifikatoren“). Auf der positivistischen Seite wurde das „Begreifen“ einem Antizipieren von Sinneswahrnehmungen assimiliert (oder einer „Stimulation von Nervenenden“, wie Quine argumentierte). Sowohl der Positivismus wie auch der Dekonstruktivismus sehen uns vor einer Wand, entweder einer Wand aus Sinneswahrnehmungen oder einer Wand aus „Signifikatoren“. Wir sehen keine äußeren Dinge (sie sind auf der anderen Seite der Wand); bestenfalls sehen wir die Sinneswahrnehmungen in uns. Und wir denken nicht einmal an äußere Dinge. An diesem Punkt sind wir wirklich so radikale Skeptiker wie die Sophisten zu Platos Zeiten, in radikalem Skeptizismus verloren.
Und dieser Skeptizismus beeinflusst nicht nur die Theoretiker. Er hat enorme Auswirkungen in der realen Welt. Die tatsächliche Wirkung ist nicht die, dass Politiker diese skeptischen Theorie glauben. Die eigentliche Auswirkung besteht darin, dass diese Theorie ihnen freie Hand gibt; sie wissen, dass sie unsinnig ist. Die großen Männer, die die Welt regieren, wissen, dass etwas real ist; Geld ist real. Und wenn die Professoren ihren Studenten und der Öffentlichkeit erzählen, dass nichts real sei, alles nur ein „Spiel von Signifikatoren“, so ist ihnen das egal. Was das in uns bewirkt, ist Leichtfertigkeit.
Wenn Sie sagen, Ihre Position sei die des Mannes auf der Straße, heißt das auch, dass Sie es ablehnen, sich mit Fragen zu beschäftigen, die die gegenwärtige Philosophie umtreiben? Etwa, um mit McDowell zu sprechen, die Beziehung des Raumes der Vernunft und der kausalen Welt, von Logik und Kausalität?
Im Gegenteil. John McDowell und ich stimmen hier überein. Aber auf dem Gebiet der Philosophie der Wahrnehmung widerlegen McDowell und ich keine philosophischen Positionen, wir zeigen nicht, dass sie falsch sind. Wir tun dasselbe wie Wittgenstein: Wir zeigen, dass die sogenannten philosophischen Positionen inkohärent sind, keine Theorien in dem Sinn, dass sie ein zusammenhängendes Bild darstellen, das richtig sein könnte. Die destruktive Prüfung der Philosophie, so wie ich sie sehe, besteht darin zu zeigen, dass die berühmtesten Standpunkte Illusionen von Standpunkten sind, so inkonsistent (self-undermining), dass wir, wären sie wahr, ihre Wahrheit nicht einmal denken könnten.
Dazu ein Beispiel: Das größte Werk eines logischen Positivisten ist Carnaps Buch Der logische Aufbau der Welt. In diesem Buch stellte Carnap als primitive Konzeption, die zu definieren er nicht versuchte, die folgende vor: „Elementarerlebnis (Sinneserfahrung) x wird dem Elementarerlebnis y ähnlich erinnert.“ Aber wenn man die Vorstellung ernst nimmt, dass es so etwas gibt wie eine vergangene Erfahrung als einer gegenwärtigen Erfahrung ähnlich erinnern, sollte man anerkennen, dass es so etwas wie einen Geist (mind) gibt, der dieses Erinnern und Vergleichen vollzieht. Carnap tat das aber nicht. Also vertrat er einmal die Humesche Anschauung, dass mein Geist lediglich eine Abfolge von Sinneswahrnehmungen ist und dass die Frage, welcher „Klebstoff“ diese Wahrnehmungen zusammenhält, sinnlos ist – und setzte gleichzeitig das Sprechen über Geist von Anfang an voraus, setzte Intentionalität voraus. Auf der dekonstruktivistischen Seite würde Derrida niemals behaupten, dass er ein konsistentes Bild hat. Natürlich – wenn man nicht behauptet, ein konsistentes Bild zu haben, ist man frei, alles zu sagen.
Wie passt das Phänomen, dass es Theorieveränderungen gibt, sogenannte Entwicklung in der Wissenschaft; dass wir manchmal unsere begrifflichen Schemata ändern, zu Ihrer Vorstellung von direktem Realismus?
Mir gefällt der Ausdruck „direkter Realismus“ nicht recht. Ich stimme mit John Austin darin überein, dass wir nicht sagen sollten, unsere Wahrnehmung sei entweder „direkt“ oder „indirekt“. Ich möchte mich lieber als pragmatischen Realisten bezeichnen. Ich sage: Wir sehen Objekte, reale Objekte. Aber wir können sie nur sehen, weil wir Begriffe haben. Ich habe mich in The Threefold Cord: Mind, Body and World auf den „direkten Realismus“ bezogen, weil ich erkannte, dass die sogenannten „direkten Realisten“ oder „neuen Realisten“ im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts - William James und seine Schüler - meine Vorläufer waren. Gerade weil Wahrnehmung Begriffe voraussetzt, ist es kein Widerspruch zu sagen, dass wir Dinge wahrnehmen, nicht Sinnesdaten, und zu erkennen, dass begriffliche Veränderung oftmals notwendig ist.
Wie McDowell glaube ich, dass es in Kants Kritik der reinen Vernunft schon gute Argumente für die Schlussfolgerung gibt, dass Wahrnehmung Begriffsbildung voraussetzt. Sicher, Kant verwirft den direkten Realismus in seiner Transzendentalphilosophie. Es gibt so etwas wie eine verborgene Welt in Kants Metaphysik, aber wie McDowell ausführt, wann immer Kant über gewöhnliche Wahrnehmung redet, zum Beispiel übers Sehen, hält er sie nicht lediglich für die Betrachtung eines inneren Sinnesdatums. Wir reden hier von schwierigen Passagen der ersten Kritik. Philosophen ignorieren oft die harten Argumente Kants. Kant argumentiert, dass man eine Wahrnehmung, sogar eine Wahrnehmung der Gefühle, die man hat, nur einem Wesen zuschreiben kann, das Begriffe besitzt. Eine Sinneswahrnehmung gehört zu dem, was Kant das „Mannigfaltige“ nennt. Etwas als in Raum und Zeit oder auch nur in der Zeit befindlich wahrzunehmen, setzt schon begrifflich strukturiertes Denken voraus. Diese Vorstellung von einer Sinnesempfindung als eine Art kleines Blatt Papier im Inneren, mit einem Bild darauf, ist sehr schlecht. Sinneseindrücke, die einen Erkenntnisunterschied bewirken, hat man nur, wenn man das besitzt, was Kant „transzendentale Einheit der Apperzeption“ nannte. Heutzutage würde man sagen: Nur dann, wenn ein Wesen über Begriffe verfügt – etwas, was eine Reifungsgeschichte erfordert, eine Geschichte von Interaktionen mit der Umgebung - , können wir ihm so etwas wie die Erscheinung einer Welt zuschreiben. Darauf zielt meiner Meinung nach McDowells Rede vom „Raum der Vernunft“ (space of reason) und sein Bezug auf Kant wie auch meine eigener auf die Argumente in der ersten Kritik. Wir beide versuchen, jeder auf seine Weise, uns aus der Umklammerung des Humeschen Bildes zu lösen, das den Geist als eine Reihe von Bildern darstellt.
Richard Rorty hat gegen Ihren Realismus zu bedenken gegeben, dass wir alle unsere Theorien, all unser Denken sprachlich darstellen. Wie kann man in seiner Sprache, mittels seiner Sprache über die Welt reden, die keine Sprache hat, keine Sprache spricht, die keine sprachliche Struktur hat?
Zunächst werde ich mich verteidigen, dann hole ich zum Gegenangriff aus. Die Verteidigung lautet: Die Welt ist strukturiert. (Mir gefällt McDowells Terminus „begrifflich“ nicht, weil er zu sehr an einen absoluten Idealismus erinnert.) In der Beziehung hatte Aristoteles recht. Die Welt besteht nicht einfach aus Dingen, sondern aus Dingen mit Form. Ich glaube, „Nominalismus“ ist der Ausdruck, mit dem Michael Williams Rortys Sichtweise beschrieben hat. Übrigens begann Rorty als strenger Materialist, und sogar heute spricht er gerne davon, dass die Rede vom Wesen (essence) der Dinge in der Physik am Platz ist. Bei solchen Gelegenheiten erkennt man den alten strengen Materialisten Rorty.
Die Welt besitzt Form. Ich glaube nicht, dass alle Form in einen einzigen Sprachspiel beschrieben werden kann. Ich will damit sagen, dass die Welt auf vielen Ebenen strukturiert ist. Die Vorstellung, man könnte alle Sprachspiele auf das der Physik reduzieren, ist albern. Ich kann Sie beschreiben, indem ich sage: Sie haben eine bestimmte Masse, eine bestimmte Geschwindigkeit relativ zum Sonnensystem etc. Ich kann von all Ihren Eigenschaften abstrahieren außer denen, die Sie als physikalisches System aufweisen. Aber ich kann auch sagen, dass Sie leger gekleidet sind, passend für das warme Wetter, dass Sie ein wenig kurzsichtig sind und dass Sie eine Brille tragen, dass Sie der Autor dieses und jenes Artikels sind, dass Sie Studenten in kontinentaler und analytischer Gegenwartsphilosophie unterrichten. Das sind Aussagen in verschiedenen Sprachspielen, und keine einzige dieser Aussagen widerspricht den Wahrheiten über Sie im Sprachspiel der Physik. Jede dieser Aussagen beschreibt eine andere Form, die Sie haben. Sprache ist keine Mauer zwischen uns und der Welt. Sie eröffnet uns verschiedene Formen, die die Welt bereits hat. Das ist meine Verteidigung.
Mein Gegenangriff sieht so aus: In Rortys Darstellung müsste er ein völliger Solipsist sein. Weil Rorty leugnet, dass Wörter eine semantische Verbindung zu nichtsprachlichen Gegenständen haben, sagt er, sie seien „kausal verknüpft“ mit solchen Gegenständen, aber „nicht semantisch“. Das heißt soviel wie (ich beschreibe hier seine Sicht, nicht meine): Wir machen einen Fehler, wenn wir uns einbilden, ein Satz habe eine bestimmt Beziehung zu einem einzelnen Ding, so wie ein Tritt eine Beziehung zu einem einzelnen Stein hat. (Das ist ein Beispiel, das Rorty selbst vorbringt.) Und ich frage Rorty einfach: „Wie kannst Du den Satz ‘Ich habe gerade gegen diesen Stein getreten’ gebrauchen, um über den Tritt und den Stein zu reden, wenn das Wort ‘Stein’ keine semantische Verknüpfung mit dem Stein und das Wort ‘Tritt’ keine semantische Verknüpfung mit dem Tritt hat?“ Rorty behauptet, dass das Treten gegen einen Stein eine Beziehung zwischen meinem Fuß und dem Stein sei, und er nimmt an, dass er einen bestimmten einzelnen Satz benutzen kann, um über diesen Tritt und diesen Stein zu sprechen. Dann sagt Rorty: „Nein, das ist das falsche Bild.“ Ich halte das für völlig selbstwidersprüchlich.
Sie reden oft von der Bedeutung der Philosophie für die Politik. Kann die Philosophie etwas tun, um die Gesellschaft besser, gerechter zu machen?
Ich werde öfters gefragt, ob Dewey in dieser Hinsicht zu optimistisch gewesen sei. Diese Frage verwirrt mich immer, weil wir natürlich Winston Churchills defensive Strategie wieder aufnehmen können, die lautete: „Ja, die Demokratie ist das schlechteste aller möglichen Systeme, abgesehen von all den anderen, die wir tatsächlich ausprobiert haben.“ Ich denke, Churchills Verteidigung ist natürlich unsere Ausweichstrategie, aber sie ist unzureichend. Wir müssen optimistisch sein, nicht weil wir beweisen können, dass der Optimismus gerechtfertigt ist, sondern weil wir so handeln müssen, als sei die optimistische Sichtweise die richtige. Die Dinge optimistisch zu sehen, in dem Sinne, dass man aufgrund der Annahme handelt, Armut, Hunger, Bildungsnotstand und andere unheilvolle gesellschaftliche Probleme könnten gemildert werden, dies macht zum Teil aus, was es bedeutet, ein moralisches Lebewesen zu sein.
Übrigens stimmen Rorty und ich hier überein, auch in unserer Kritik an einigen kulturellen Posen der „poststrukturalistischen“ Linken, die so sehr zur Esoterik neigt, dass diese konkreten Probleme in Vergessenheit geraten. Ein Punkt, mit dem die alte Linke sich verdienstvollerweise befasste, war das Fehlen eines sozialen Sicherheitsnetzes in meinem Land; Europa hat ein viel stärkeres soziales Netz als die Vereinigten Staaten. Heute leben in den USA vierzig Millionen Menschen ohne Krankenversicherung. Die USA haben kein nationales Gesundheitssystem. In jeder amerikanischen Stadt wird das Bildungsbudget gekürzt. Die ersten Programme, die gekürzt werden, sind solche für entwicklungsverzögerte oder behinderte Kinder. Der Gemeinschaftssinn geht verloren. Ich bin kein Kommunitarist, aber die Kommunitaristen haben insoweit recht, dass funktionierende Gesellschaften nicht lediglich auf Theorien und Prinzipien aufgebaut werden können, auf einer Übereinstimmung hinsichtlich abstrakter Ideen. Zuerst muss es einen Gemeinschaftssinn geben. Mann muss das Gefühl haben, dass die Gesellschaft so etwas wie eine Familie ist. Wenn man sich als Familie fühlt, ist die Bereitschaft da, über Dinge wie Kindererziehung gemeinsam nachzudenken. Ja, die medizinische Versorgung wird viel zu teuer, aber wie gehen wir sicher, dass die Kosten nicht zum Nachteil derer gesenkt werden, die medizinische Betreuung am dringendsten brauchen? Amartya Sen hat eine Zahl genannt: die Lebenserwartung eines schwarzen US-Amerikaners ist geringer als die in einem der ärmsten Bundesstaaten in Indien, in Kerala. Der Kommunismus hat die alte Linke in Verruf gebracht, aber wir müssen uns daran erinnern, dass der Kommunismus nicht das einzige Gesicht der alten Linken war. Bernsteins Sozialdemokratie, die auch die großen sozialdemokratischen Parteien in Europa hervorbrachte, ist eine weitere Ausprägung der alten Linken, eine, die – auch während meines Lebens – viel damit zu tun hatte, das Leben für Millionen ganz gewöhnlicher Menschen besser zu machen.
Glauben Sie, dass der Philosoph in einer demokratischen Gesellschaft eine moralische und soziale Verpflichtung hat, bei der Verbesserung von Lebensumständen zu helfen?
Ich glaube, dass Philosophen - auch ich, als ich noch jünger war - einen Fehler machen, wenn sie Aktivisten sein wollen, in dem Sinne, dass sie direkt in laufende Streitfragen und Probleme eingreifen, es sei denn, diese Streitfragen sind moralisch sehr klar. Den Vietnamkrieg hielt ich für ein moralisch sehr klares Problem, und ich war ein Gegner dieses Krieges. Ich bin der Meinung, man hätte dagegen opponieren sollen. Im allgemeinen denke ich jedoch, die Aufgabe des Philosophen ist es, breite Prinzipien darzulegen, so dass jeder, nicht nur Intellektuelle und Politiker, über diese Prinzipien nachdenken, sie diskutieren, sie in Rechnung stellen können. Ich zum Beispiel lehnte den Irak-Krieg ab. Ich werde jetzt nicht darüber diskutieren, ob ich recht hatte. Das Prinzip allerdings, auf dem meine Ablehnung gründete, ist eines, dessen Anerkennung überaus wichtig ist. Ich argumentierte wie folgt: Da jeder Krieg Tod und Leid verursacht, welches moralische Übel sind, ist es eine unzureichende Rechtfertigung des Krieges, wenn man sagt, es sei wahrscheinlich, dass der Krieg die Dinge letztlich besser macht. Im Gegenteil, man braucht eine sehr starke Rechtfertigung für die Behauptung, der Krieg mache die Dinge besser. Mit anderen Worten: Wir müssen eine stärkere Gewissheit als für alle anderen Fälle haben, bevor wir Töten als ein Mittel der Politik anwenden. Es beunruhigt mich zutiefst, dass Landsleute von mir dies vergessen und mehr und mehr so reden, als sei Töten einfach ein weiteres Mittel der Außenpolitik.
Halten Sie die Philosophie für wichtig im gegenwärtigen intellektuellen Leben?
Ich halte sie für immens wichtig. Aber um dies zu begründen, muss ich zunächst etwas zur globalpolitischen Situation am Beginn dieses neuen Jahrtausends sagen. Ich glaube, dass der Nationalstaat im Schwinden begriffen ist. Die Vereinigten Staaten handeln so, als seien wir noch im Zeitalter der Imperien, aber ich halte das für falsch. Ich glaube, die Weltwirtschaft hat die Kontrollmöglichkeiten einzelner Regierungen, seien sie auch so stark wie meine, durchbrochen. In gewisser Hinsicht ähnelt unsere Situation der der Vereinigten Staaten um 1899. Damals wie heute war die Wirtschaft allmächtig und die Regierung zu schwach, sie zu kontrollieren. Historiker nennen die 1890er Jahre „die Epoche der Räuberbarone“. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo wir etwas neues brauchen und doch noch nicht genau wissen, was wir brauchen. Kant war der einzige Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts, der über den Nationalstaat hinaus blickte (in seiner Schrift Zum Ewigen Frieden). Er sagte, es werde drei- bis vierhundert Jahre dauern, etwas zu entwickeln, das weder ein Nationalstaat wäre – die Vorstellung der Welt als ganzer in Form eines Nationalstaates ist unrealistisch – noch auch irgendeine bisher bekannte Form, das aber den Frieden auf internationaler Ebene sichern kann. Ich denke, wir stehen vor einem bisher nicht gekannten Problem: was die Regierungen dieser Weltwirtschaft darstellen könnten. Die Regierungen der alten Nationalstaaten scheinen der gefährlichen Illusion anzuhängen, nichts habe sich geändert. Politiker denken notwendigerweise – weil es um Wahlen geht – in kurzen Zeiträumen; sie starren auf die Meinungsumfragen. Geschäftsleute denken notwendigerweise in kurzen Zeiträumen: gehen die Aktien hinauf oder hinunter? Wenn es niemanden gibt – es ist mir egal, ob man so jemanden Philosoph nennt oder nicht, aber jeder, der über diese Dinge nachdenkt, ist notwendigerweise ein Philosoph – der sich über Fragen der globalen Gerechtigkeit und globalen Regierung langfristig Gedanken macht, steuern wir auf eine Katastrophe zu. Ob die Philosophie nur eine akademische Disziplin sein sollte, ist eine andere Frage. Ich glaube das nicht.
Rezension von
Autor [Stand der Information: 01/11/2004]
Hilary Putnam ist Cogan University Pressor emeritus an der Harvard University.
Janos Boros ist Professor für Philosophie an der Universität Pécs, Ungarn. Das Gespräch wurde am 7. Mai 2003 in Pecs geführt.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Claudia Moser.