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Deutsche Philosophie ohne Weltrang - bis auf Sloterdijk?

Von Berchtesgaden bis Westerland war es in vielen lokalen Tageszeitungen zu lesen: "Die Amerikaner laufen den Deutschen in der Philosophie den Rang ab." Grundlage dieser Texte war eine Meldung der Deutschen Depeschen-Agentur, die auf Nachfragen bei deutschen Philosophen beruhte. "Die Amerikaner sind heute führend; niemand in Deutschland hält da mit", konstatierte in Tübingen Manfred Frank, bevor er nach New York flog, um dort für ein Semester zu lehren. Bestimmt werde die zeitgenössische Philosophie von Namen wie Quine, Rorty, Davidson, Rawls, Putnam und Shoemaker. Nach Frank ist die gegenwärtige Situation eine Folge der NS-Zeit: "Wir haben uns nie wieder erholt von der damaligen Ausblutung. Die ins Ausland emigrierten rationalen Denker wurden nicht zurückgeholt." Die deutsche philosophische Forschung zehre noch immer vom Erbe der großen Denker Kant, Fichte, Schelling und Hegel. Doch selbst dieses "Herzstück" werde heute zunehmend verspielt: "Die gute Kant-Literatur wird heute in Amerika produziert", meint Frank, und sein Heidelberger Kollege Rüdiger Bubner sekundiert: "In den USA gibt es auch eine ganze Generation guter Hegel-Forscher, die der deutschen Hegel-Philologie das Wasser abgräbt." Zugleich beobachtet Bubner allerdings eine starke Annäherung der amerikanischen Philosophie an die Hermeneutik Hans-Georg Gadamers. "Wir sind an der Schwelle zur Internationalisierung der Philosophie" diagnostiziert Bubner. Für den dritten angefragten Philosophen, Thomas Leinkauf, Leiter der Leibniz-Forschungsstelle in Münster, hat die deutsche philosophiehistorische Forschung hingegen noch immer ein weltweit anerkanntes Niveau, wobei er explizit die Studien von Werner Beierwaltes zur Wirkungsgeschichte des Neuplatonismus und die Untersuchungen der Schriften von Leibniz nennt. Schlecht sehe es hingegen in der Mittelalter-Forschung aus. Dort hätten die Deutschen, "bis auf wenige Ausnahmen, längst den internationalen Anschluß verloren".

Die Bild-Zeitung wollte es ganz genau wissen und fragte den für sie wohl maßgebenden deutschen Philosophen, nämlich Peter Sloterdijk. Der hält sich jedoch bedeckt: "Dazu äußere ich mich nicht", sagte er am Telephon, "lesen Sie die 2000 Seiten, die ich zu diesem Thema veröffentlicht habe". Auch die Germanistin Gertrud Höhler hat hier einen ähnlichen Blickwinkel wie die Bild-Zeitung und sieht nur noch in Sloterdijk einen bedeutenden Philosophen: "Sonst haben wir keine großen Denker mehr".

(1999)