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Sloterdijk neuer Programmberater bei Suhrkamp

Vor ziemlich genau 25 Jahren trat Friedhelm Herborth in den Suhrkamp Verlag ein und übernahm die Programmleitung des Wissenschaftsverlages. Herborth hatte noch bei Adorno und Horkheimer studiert. Damals war noch ungewiß, wohin das Wissenschaftsprogramm führen sollte. Der Verleger, Unseld, plante eine wissenschaftliche Zeitschrift mit Habermas und Henrich als Herausgeber, diese aber zogen eine Buchreihe vor, und so entstand die legendär gewordene Reihe "Theorie", die später von "Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft", unter dem Kürzel stw Markenzeichen und Begriff zugleich, abgelöst wurde.

Es ist und bleibt Herborths Verdienst, daß der wissenschaftliche Diskurs - nicht nur in der Philosophie - unter dem Label Suhrkamp läuft. "Veröffentlicht wird das, was wichtig ist", so lautet seine Devise. Herborth ist damit einer der einflußreichsten Männer in der deutschsprachigen Philosophie: er bestimmt maßgebend, welche Bücher rezipiert werden. Und dabei ist er immer bescheiden im Hintergrund geblieben. In der breiten philosophischen Öffentlichkeit kennt man ihn nicht, er taucht bei keinem der vielen Tagungen und Kongresse auf (was er auch nicht nötig hat, denn die Philosophen kommen zu ihm). Leider hat man auch im Hause Suhrkamp die Bedeutung Herborths nicht erkannt.

Schon seit längerer Zeit ist von den Suhrkamp-Autoren Negatives über den Verlag zu hören, "von erdrutschartigen Veränderungen im Wissenschaftsprogramm" ist in einem e-Mail an die "Information Philosophie" die Rede, und auch der unvoreingenommene Beobachter kann feststellen, daß immer weniger Bücher in gebundener Ausgabe, dafür immer mehr Originalpublikationen gleich als Taschenbuchausgabe und wichtige Übersetzungen vor allem aus dem Amerikanischen zudem in anderen Verlagen erscheinen. Noch vor einem Jahr hatte Herborth in einem Gespräch mit der "Information Philosophie" Schwierigkeiten dementiert und gesagt, er sei von seiner Arbeit noch immer so fasziniert wie am ersten Tag.

Nun hat Herborth überraschend gekündigt (und mit ihm auch der Lektor Horst Brühmann). Die Verlagsleitung habe ihm "immer mehr Schwierigkeiten" gemacht, begründet er diesen Entschluß gegenüber dem Zürcher Tages-Anzeiger. Und der Verleger, Siegfried Unseld, spricht von einem "Vertrauensverlust", der in den letzten Jahren entstanden sei. Dabei ist der Umsatz des Wissen- schaftsprogramms in all den Jahren gestiegen, und auch wirtschaftlich steht es auf gesunden Füßen. Stutzig macht die Aussage darüber, wie es nun mit dem Wissenschaftsprogramm des Verlages weitergehen soll: In Richtung "Essay als zentrale Form in der zeitgenössischen Theorienkultur", sowie Ergebnisse, die "über den Kreis der Experten hinauswirken, weil sie Lebensprobleme berühren". Nicht nur ist der "Essay" keineswegs die zentrale Form der akademischen Philosophie; die Art der Formulierung läßt an einen bestimmten Autor denken, nämlich Peter Sloterdijk.

Und, man traut seinen Augen kam, dieser Sloterdijk wurde - neben Ulrich Beck und dem 70jährigen, sich langsam zurückziehenden Jürgen Habermas - zum Programmberater ernannt, der auch mithelfen soll, Nachfolger für Herborth zu suchen. Weiter ist zu hören, daß Unseld Sloterdijk für den bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen halte. Die Fachphilosophen sind in dieser Frage allerdings anderer Meinung, für sie sind Sloterdijks Arbeiten schlicht unseriös, um noch eine der harmloseren Formulie-rungen zu verwenden. Und die Abneigung ist wohl gegenseitig; jedenfalls hält Sloterdijk von dem jetzigen Wissenschaftsprogramm wenig. Die Vermutung liegt nahe, daß der Kurswechsel auf seinen Einfluß zurückgeht.

Die Botschaft sei deutlich, schreibt Rudolf Walther im Zürcher Tages-Anzeiger, und die Pressenotiz Unselds läßt keine Zweifel offen: Suhrkamp will auf eine "Philosophie light" einschwenken und dabei wohl auch vom gegenwärtigen Boom in der Populärphilosophie profitieren. Für die Qualität des künftigen Suhrkamp-Programms Wissenschaft allerdings ist Schlimmes zu befürchten,es sei denn, Unseld fände einen zweiten Herborth.