In einem dreibändig angelegten Projekt will der umstrittene Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk den Nachweis führen, dass Menschsein in Sphärenform stattfindet, dass ein "Sein-in-Sphären" für den Menschen das Grundverhältnis schlechthin bildet. Es sei dies ein Verhältnis, das sich ständig gegen eine Provokation von außen behaupten müsse. "Sphären" sind für Sloterdijk das "innenhafte, erschlossene, geteilte Runde, das Menschen bewohnen, sofern es ihnen gelingt, Menschen zu werden". In Sphären leben heißt "die Dimension erzeugen, in der Menschen enthalten sein können".
Noch nie, so die These, haben Menschen in der unmittelbaren Natur gelebt, sondern sie haben ihr Dasein immer im "gehauchten, geteilten, aufgerissenen, wiederhergestellten Raum" verbracht. Was Heidegger das In-der-Welt-Sein genannt habe, bedeutet für die Menschen: In-Sphären-Sein.
Sloterdijk behauptet, damit etwas ganz Neues entdeckt zu haben ("hiervon hat keine Arbeitstheorie je Notiz genommen"). Diese Sphären sind als atmosphärisch-symbolische Orte gedacht und von ihrer fortwährenden Erneuerung abhängig. Sphären sind ständig von ihrer unvermeidlichen Instabiliät beunruhigt; sie teilen mit Glück und Glas die Risiken, die zu allem gehören, was leicht zersplittert. Wo eine solche Implosion erfolge, wird der gemeinsame Raum als solcher aufgehoben. Und was Heidegger das Sein-zum-Tode-genannt hat, bedeutet in Sloterdijks Neuformulierung den Umstand, dass alle Einzelnen irgendwann den Raum verlassen werden, in dem sie mit anderen in aktueller starker Beziehung alliiert waren - weshalb der Tod letztlich die Überlebenden mehr angeht als die Hingeschiedenen. Der menschliche Tod hat deshalb zwei Gesichter, in Sloterdijks Formulierung eines, das einen starren Körper zurücklässt, und eines, das Sphären-Reste zeigt - solche, die in höhere Räume aufgehoben und neu belebt werden, und solche, die als dinglicher Müll, aus ehemaligen Beseelungsräumen herausgefallen, liegenbleiben. Dass unversehrte Sphären ihre Zerstörung in sich tragen, lehrt bereits die jüdische Paradies-Erzählung. Was die Vertreibung aus dem Paradies genannt wurde, ist für Sloterdijk ein mythischer Titel für die sphärologische Urkatastrophe, für das Platzen einer Blase.
Der Sache nach beginnt die Sphärentheorie als Psychologie der inneren Raumbildung aus zwei-einigen Entsprechungen, aber sie bildet sich mit Notwendigkeit weiter zu einer allgemeinen Theorie der autogenen Gefäße.
Der erste Band der Trilogie,
behandelt mikrosphärische Einheiten, Blasen genannt. Diese Blasen sollen die Intimformen des gerundeten In-Form-Seins und die Basismoleküle der starken Beziehung bilden. Sloterdijk will hier das Epos der für erwachsene Intelligenzen immer schon verlorenen und doch nie spurlos getilgten Zweieinigkeiten erzählen. So erzählt er die Geschichte vom Aufblühen und Versinken des intimen Atlantis, fabuliert von einem Kontinent im matriarchalen Meer, den wir zu vorgeschichtlicher Zeit bewohnt haben sollen. Bei solchen Randgängen zu den Quellgebieten von Seele, Selbstgespür und Ineinandersein soll zum Vorschein kommen, in welchem Maß die Urgeschichte des Intimen auch immer schon als eine psychische Katastrophengeschichte prozessiert.
Der zweite Band
tritt in die geschichtlich-politische Welt, die unter den morphologischen Leitbildern der geometrisch exakt konstruierten Kugel und des Globus steht. Es handelt sich um eine Expedition in heute fast ganz verschollene Welten, in denen die Idee der notwendigen Rundheit des Ganzen an der Macht war, eine Erinnerung an altehrwürdige Lehren vom kugelförmigen Sein, in dem sich die philosophischen Ursprünge eines Prozesses enthüllen, der heute unter dem Titel Globalisierung in aller Munde ist.
Sloterdijk erzählt die Geschichte von der Geometrisierung des Himmels bei Platon und Aristoteles bis zur Umrundung der letzten Kugel, der Erde, durch Schiffe, Kapital und Signale. Er will zeigen, wie die uranische Globalisierung der antiken Physik sich in ihrem neuzeitlichen Scheitern zur terrestrischen Globalisierung wandeln musste. Sloterdijk will aber auch dem Globus als der wahren Ikone von Himmel und Erde die Bedeutung zurückgeben, die ihm in den üblichen Reden von Globalisierung nur nominell, aber nie mit begrifflichem Ernst zugesprochen wird. Sloterdijk legt zudem dar, wie das christliche Weltalter nur in einem historischen Kompromiss der Immunsysteme, dem personalistisch-religiösen und dem imperial-konstruktivistischen, seine Erfolgsformel finden konnte, und warum deren Zerfall zu jener Technisierung vom Immunität führen musste, die das Merkmal der Moderne ist.
Das dritte, abschließende Buch dieser geschichtsphilosophische Erzählung soll schließlich die neuzeitliche Katastrophe der runden Welt behandeln und das Heraufkommen einer Welt schildern, in dem die Form des Ganzen nicht länger in imperialen Rundblicken und kreisförmigen Panoptiken vorgestellt werden kann. Sein sphärologischer Ansatz, so Sloterdijk, soll die Mittel bereitstellen, die Weltformkatastrophe der Moderne - die Globalisierung - in Ausdrücken unrunder Sphärenbildungen zu charakterisieren.
Sein Rechenschaftsbericht vom Aufgang und Gestaltwandel der Sphären, so charakterisiert Sloterdijk sein Werk, sei nach dem Scheitern von Oswalds Spenglers Morphologie der Weltgeschichte der erste Versuch, wieder einem Formbegriff eine höchstrangige Stellung in einer anthropologischen und kulturtheoretischen Untersuchung zuzuweisen.
Dieser Band, so stellte Klaus Laermann in seiner Besprechung treffend fest, bestätige alle Vorbehalte der sprachlich armen, begrifflich aber um so reicheren Wissenschaft gegen Rhetorik. Zwar habe Sloterdijk "ein Ohr für sprachlichen Klang, doch überzieht er rasch in dröhnendes Großsprechertum". Sein Sphären-Unternehmen sei symptomatisch für "intellektuelle Verfahren, die mit einer unglaubwürdig wirkenden Verführung brillieren, die sich letztlich als pure Selbstverführung erweist." Allerdings: "Wer glaubt, der schwere Schwachsinn und die gelehrte Dummheit dieses Buches, seine Aufgesteiltheit und seine verblasenen Sphärenklänge seien nur verrückt, der irrt. Was uns hier zugemutet wird, liegt voll im Trend", schreibt Laermann.
Vielleicht sieht das Thorsten Jantschek schärfer, der, nachdem er sich in der Basler Zeitung große Mühe gemacht hat, den ersten Band zusammenzufassen, rückblickend verunsichert fragt, ob Sloterdijk "nicht einfach einen Jux mit dem Leser" mache? Denn was ist von einem Leser zu halten, der einen Satz wie "Die Aufhebung des Mit ins nicht-anatomische Erhabene wäre erreicht, sobald die bildliche Darstellung der ursprünglich raumbildenden Polarisierungsenergie der Mit-Auch-Sphäre gerecht wurde" für voll nimmt? Vielmehr gibt Sloterdijk mit seinem Untertitel klammheimlich an, wie solche Sätze zu lesen sind: als Wortblasen, die bei näherem Hinsehen zerplatzen.
Hat man dies einmal erkannt, liest man Sloterdijk in einem anderen Licht: man sieht nicht mehr eine leerlaufende Rabulistik, sondern man erfreut sich an seiner ebenso einzigartigen wie unnachahmlichen literarischen Ausdrucksweise, man sieht nicht mehr ein Meer von Unvernunft, sondern eine kaum versiegende Phantasie und hinter seiner anmaßenden Wortwahl denjenigen, der sich über die vielen beschränkten Rezensenten, die das wörtlich nehmen, lustig macht.
AutorPeter Moser, Redakteur "Information Philosophie", Mitherausgeber "Information Philosophie im Internet"