Sloterdijk im Philosophieunterricht

Erfahrungen von Jürgen Langlet

Nach der ersten Doppelstunde im jahrgangsübergreifenden (12/13) Philosophiekurs zum Thema "Ontologie" kommt Anna zum Lehrer: "Müssen wir immer die alten 'Knacker' wie Aristoteles lesen?" Sie habe von einem aktuellen Philosophen gehört, könne den Namen aber nicht aussprechen, nur aufschreiben: S-L-O-T ... Der Lehrer unterbricht: "Du meinst Peter Sloterdijk und seine Rede ... ich überleg's mir."

Durch die mehr als peinlichen offenen Briefe von Sloterdijk in der Zeit war ich eher abgestoßen. Die Rede, die ich nun lesen "musste", fand ich ermüdend - spannend aber, damit einen Kurs zu gestalten. Immerhin werden bezüglich des Kurs-Themas "Ontologie" Bezüge zu Heidegger, Nietzsche und Platon hergestellt. Wie können sich Schülerinnen und Schüler ein so umfassendes "literarisches Werk" aneignen? Es gibt keine Alternative zur Lektüre. Also lesen wir in der ersten Doppelstunde, nehmen interessiert den Gedanken auf, Bücher seien Briefe an Freunde, lernen etwas Kulturhistorisches über den Humanismus und dessen Weg via Rom nach Mitteleuropa und über dessen angebliches Ziel der Menschenzähmung... und lesen und lesen und lesen - Überdruss breitet sich im Publikum aus: Wann kommt Sloterdijk endlich zum Thema? So nehmen wir uns die restliche Lektüre und einen Gliederungsversuch für die häusliche Arbeit vor.

Das Zusammentragen der Gliederungen bietet in der nächsten Doppelstunde anregenden Gesprächsstoff. Seien es nun drei Gliederungspunkte (vgl. Tugendhat) oder unsere neun - ernüchternd ist die Quintessenz der zwölfseitigen Sloterdijk-Rede: Der Humanismus ist bei der (angeblich notwendigen) Zivilisierung der Menschen gescheitert; jetzt sollte der Mensch mit Hilfe der Gentechnik gezähmt werden!

"Das hätte er auch kürzer ausführen können!" Der Ärger im Kurs führt zu einer redlichen Suche nach rhetorischen Begründungen für Sloterdijks Abweichen von der immanenten Erwartung der Schüler: Philosophie soll analytisch klar und präzise argumentieren! Hat Sloterdijk überhaupt argumentiert? Zur Prüfung müssen wir sein Bemühen um Heidegger, Nietzsche und Platon nachvollziehen. Dazu gibt der Lehrer eine Einführung in Heideggersches Denken vor und nach der Kehre, das auf den Text von Sloterdijk rückbezogen wird - ebenso mit Nietzsche. Kann der Deutung und Instrumentalisierung von Heidegger durch Sloterdijk zugestimmt werden, so ruft dagegen die klassisch deut-sche Nietzscheanisierung Kritik hervor. Sloterdijk scheint jedenfalls nicht das wohlwollende "Lesen" Nietzsches durch Mazzino Montinari rezipiert zu haben.

Die naiven biologistischen Phantasien des Autors können die Schüler leicht zurückweisen. Im Gegensatz zu Sloterdijk besitzen sie aus dem Biologieunterricht grundlegende Kenntnisse und Beurteilungskompetenzen zur Gentechnik. Philosophisch interessant ist die Untersuchung der argumentativen Konsistenz, die Sloterdijk allerdings bezüglich seines zentralen Arguments auch nicht besteht. Eine genetische Züchtung als Zähmung urwüchsiger Triebe ist momentan undenkbar, nicht zuletzt auch widersprüchlich: Denn er meint, das rationale, nicht- genetisch bestimmte Verhalten heranzüchten zu müssen und zu können, um das eher genetisch bestimmte Wilde des Menschen zu zähmen.

Sicherlich kann man Sloterdijk argumentativen Ernst nicht absprechen. Nur scheinen ihn die allgemein anerkannten Ansprüche an gedankliche Klarheit und Widerspruchsfreiheit sowie an naturwissenschaftliche Grundkenntnisse wenig zu kümmern. Diesen Vorwurf belegt der zum Abschluss der Unterrichtssequenz vorgeführte Mitschnitt der Fernsehdiskussion im Nachtstudio des ZDF vom 26.09.09:

Sloterdijk: "Man hat ... dem Schöpfergott vorgeworfen, daß er zwar wollte, aber nicht konnte. Das ist die wichtigste Matrix für die jetzt laufende Diskussion..."

Panzer (Moderator): "Im Klartext heißt das doch, wir dürfen Gott spielen?"

Sloterdijk: "Nein. Wir dürfen Reklamationen gegenüber misslungener erster Natur im Rahmen einer sinnvollen und ihrer eigenen Grenzen bewussten, humanen Verständigung andiskutieren."

"Reklamationen" - "sinnvollen Verständigung" - "Andiskutieren" ... so reden Schülerinnen und Schüler, wenn man sie lässt. Sie erwarten aber mehr als dieses "raunende Geschwätz und Geschwafel" von einem Philosophen. Weiterhin fällt ihnen Sloterdijks schulmeisterliche Attitüde auf: Sich selbst am liebsten reden zu hören und laufend Häppchen seines breiten Wissens zu verabreichen. Es ist nicht so, dass man von Sloterdijk nichts lernen könnte. Schülerinnen und Schüler schärfen am schlechten Vorbild ihre analytischen Fähigkeiten. So steckt in Sloterdijks Leere ein Stück Lehre (Mittelstraß zum Troste), besonders für einen kritischen und aufklärischen Unterricht im Philosophieren!

 

UNSER AUTOR:

Jürgen Langlet ist Lehrer am Gymnasium Herderschule in Lüneburg.