Wie viele andere haben sich auch Philosophen zum Anschlag vom 11. September und dem darauffolgenden Afghanistan-Krieg zu Wort gemeldet. Sie sind dabei zu völlig unterschiedlichen Interpretationen gelangt. Bei der Zusammenstellung von Äußerungen ist zu beachten, dass diese auf unterschiedlichen Texten beruhen, zum einen auf Kurzinterviews, die wohl telephonisch stattfanden, zum anderen auf ausformulierten Beiträgen für Zeitungen. Dennoch zeigt die große inhaltliche Spannweite, dass dieser Anschlag unerklärlich bleibt. Das liegt wohl auch daran, dass wir uns im Westen hauptsächlich mit uns selbst beschäftigen und die Entwicklungen in der islamischen Welt nur oberflächlich zur Kenntnis genommen haben.
Nicht überrascht zeigte sich einzig der französische Philosoph André Glucksmann (Die Welt vom 17.9.): "Mich überrascht nur, dass man überrascht wurde". Denn die zerstörerischen Gewalten globalisieren sich schneller als die Kräfte des Aufbaus. Glucksmann plädierte auch als einer der wenigen für ein hartes Zuschlagen gegen den "grünen Faschismus, der mit dem Islam nichts gemein hat": "Entweder führt unsere Zivilisation einen langwierigen Kampf gegen solche Massaker, oder sie lässt sich massakrieren". Alle Autoren unterscheiden zwischen dem Islam an sich und terroristischen islamischen Gruppen. Hans-Georg Gadamer sieht jedoch fundamentale Schwierigkeiten mit dem Islam in einer globalisierten Welt. Er habe sich schon lange überlegt, führt er in einem Interview mit der Welt aus, wie man eine vernünftige Zukunft bauen könne und sei zu dem Schluss gekommen, "dass es mit allem geht, nur nicht mit der arabischen Religion". Einen Grund sieht er darin, dass dort die Grundlage dessen, was der Tod bedeute, anders interpretiert werde als bei uns. Es gebe dort etwas, "das gar nicht oder nur mit Mühe mit uns vergleichbar ist". Und so lange sei es gar nicht her, dass diese Art von "Macht" vor den Toren Wiens gestanden habe. Und obwohl es ihm angesichts der Anschläge "unheimlich" geworden sei, sieht Gadamer nur eine Möglichkeit: Immer wieder neu - im Kleinen - anfangen, brauche es doch eine Zuversicht, ohne die das Leben schwer sei.
Diskutiert wurde auch Huntingtons These vom Clash der Zivilisationen, der These einer zivilisatorischen Hegemonie des Westens, die die Selbstachtung anderer Kulturen verletze und demütige. Otfried Höffe setzte sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 14. Oktober damit auseinander und setzte ihr drei Beobachtungen entgegen. Erstens bildeten sich keine großräumigen Blöcke entlang religiös oder kulturell definierter Bruchlinien. Zweitens lasse der Westen anderen Religionen durchaus Platz. Und drittens würden sich Kulturen nach transkulturellen Faktoren ausdifferenzieren. So gebe es auch in islamischen Ländern lange zurückreichende Konflikte zwischen städtischer Lebensart und derjenigen von Stämmen im Hinterland. Wissenschaft und Ökonomie seien kulturell neutral und würden sich zu einem multireligiös und multikulturell verbindlichen Dienst anbieten. Höffe sieht den Westen lediglich als Wortführer einer Entwicklung, die ein allgemein- menschliches Potential zugunsten allgemeinmenschlicher Interessen zur Blüte führt. Auch Wilhelm Vossenkuhl ist der Ansicht, dass die Huntington-These nicht richtig ist: "Die islamische und die christliche Zivilisation liegen nicht miteinander in einem Konflikt" äußerte er sich gegenüber der in München erscheinenden Abendzeitung. In dem Anschlag sieht Vossenkuhl einen Terror, der sich religiöser Inhalte bedient, aber nicht aus der Religion stammt: "Keine Weltreligion fordert ihre Mitglieder auf, andere zu ermorden. Es wäre absurd, dem Islam terroristische Ideen zu unterstellen". Aber fast alle Religionen, das Christentum eingeschlossen, hätten das Potential zum Fanatismus. Vossenkuhl warnte auch vor einem Angriff auf Afghanistan: "Dadurch entstünde eine Kettenreaktion, deren Ende noch gar nicht absehbar ist. Das ist wahrscheinlich ganz im Sinne der Urheber dieses Konflikts. Sie wollen Eskalation und Unübersichtlichkeit, es gibt ja offensichtlich keine rationale Zielsetzung".
Vor allem eher linke Intellektuelle orteten die Ursachen der Anschläge im Nord-Süd-Potential und im ungelösten Palästina-Problem und forderten ein radikales Umdenken. Harald Lemke, Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Lüneburg, stellte in einem kurz nach dem Anschlag verfassten Kommentar in der in Lüneburg erscheinenden Landeszeitung die Frage: "In welcher Welt wollen wir leben?" in den Vordergrund. Es häuften sich die Zeichen, so schreibt er, dass sich die Menschheit einen "epochalen Neuanfang abzuverlangen hat" und fährt dann fort: "Warum müssen erst die Ikonen der bestehenden Weltordnung - Militärmacht und Welthandel - auf eine gemeintückisch symbolträchtige Art und Weise vernichtet werden, dass sich die Politik, allen voran die US-amerikanische Politik nicht länger der Notwendigkeit eines globalen Umdenkens entziehen darf?" Mit Umdenken meint Lemke verantwortungsbewusste Schritte hin zu einer Welt, in der statt Krieg und Tod Vernunft und Frieden herrschen. Auch Jacques Derrida - in Algerien geboren - forderte eine neue Politik. Im Südwestrundfunk führte er aus: "Wir brauchen eine Veränderung der Politik, insbesondere in Israel und Palästina. Nur eine politischer Wandel kann für die Zukunft eine solche barbarische und unmenschliche Attacke unmöglich machen". Die Terroranschläge - so Derrida in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom 24. September - zwingen uns, die Globalisierung neu zu denken, den Kapitalismus und den Krieg. Neben den Attentätern und ihren Hintermännern hält Derrida aber auch "eine bestimmte, seit langem betriebene amerikanische und europäische Politik" gegenüber dem arabischen Teil der Welt für mit verantwortlich. Eine militärische Aktion reiche nicht aus; es gelte mit einer veränderten Politik dem Terror den Boden zu entziehen: "Sonst kann man sicher sein, dass bald wieder alles von vorne beginnt". Und dazu muss sich nach Derrida die amerikanische und europäische Politik gegenüber den arabischen Ländern ändern. Ein Krieg allein könne nicht die Antwort sein.
Einer der wenigen, die auf das religiöse Fundament des Anschlags aufmerksam machten, ist der an der Hochschule der Jesuiten, der Hochschule für Philosophie in München lehrende Albert Keller. Wem etwas wirklich heilig ist, so erinnert er in der in München erscheinenden Abendzeitung (6. Oktober), der ist auch bereit, sein Leben dafür zu opfern. Auch das Christentum kenne Beispiele dafür, dass Menschen bereit sind, für ihren Glauben ihr Leben zu geben. Und von Fichte stamme der Satz: "Wer sterben kann, wer kann den zwingen?". Keller mahnt: mit Krieg "kann man die Ideen nicht beseitigen, die das Handeln der Terroristen bestimmen". Keller fordert vielmehr eine geistige Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus und sieht als Ansatzpunkt ein Gespräch über ein auch von Fundamentalisten unbestrittenes Ideal für das Zusammenleben der Menschen, nämlich den Frieden.
Einige stellten kritisch die amerikanische Reaktion auf die Anschläge in den Vordergrund der Betrachtung. Fatal sei es, die Fassungslosigkeit angesichts der tragischen Ereignisse damit zu überwinden, dass der Feind dingfest gemacht werde, mahnte Ludger Lütkehaus in der Badischen Zeitung (17. September). Wut und Hass verlangten nach schnellstmöglicher Rache und George W. Bush, der "kaum ein Zeichen von Trauer, umso mehr aber den entschlossenen Willen zur Rache" zeige, gehorche dieser zwanghaften Logik. Die Rache aber gehorche im Unterschied zu den Prinzipien der Gerechtigkeit dem Diktat der Wiederkehr des schlechten Gleichen, das keine Ausstiegsmöglichkeiten kenne. Diese Rachsucht gebe der Fassungslosigkeit zwar ein Gesicht, "aber kein menschliches". "Keine Nation kann den Schlag, den wir erlitten haben, hinnehmen, ohne Vergeltungsmassnahmen zu ergreifen", führte Richard Rorty in der Zeit vom 17. September aus; gleichzeitig befürchtete er jedoch, der "John-Wayne-Machismo" könne wieder einmal überhandnehmen und in der Folge die Rechte des einzelnen Bürgers gegen den Staat eingeschränkt werden. Sicher sei auch, dass Amerika noch stärker militarisiert werde, als dies jetzt schon der Fall sei.
Der in St. Gallen lehrende Dieter Thomä, der ein Buch mit dem Titel Unter Amerikanern. Eine Lebensart wird besichtigt veröffentlicht hat, stellte in einem Artikel im Tagesspiegel (22.9.) die Befindlichkeit Amerikas in den Vordergrund. Für die Identität Amerikas spielten Symbole wie die Flagge, die Freiheitsstatue oder eben das World Trade Center eine wichtige Rolle, sie seien Bindemittel einer kollektiven Identität. Und genau diese kollektiven Symbole seien bei den Anschlägen zerstört worden. Hinzu komme, dass das amerikanische Leben von einer Logik individueller Verantwortung getragen sei und diejenigen, die im strikten Sinne als Täter anzusehen seien, haben sich bei ihren Taten selbst zerstört: "Damit genau ist das Ritual von Schuld, Verantwortung und Vergeltung erschwert, das in Amerika bei solchen Gelegenheiten ausgeführt wird.". Deshalb sei auch der Zugriff auf die direkt Verantwortlichen besonders dringend und die dabei wieder einmal vorgenommene Vereinfachung, indem das Reich des Bösen individualisiert werde, sei in Amerika begeistert begrüßt worden.
Von einem Krieg gegen Amerika könne man nicht reden, analysierte Friedrich Balke in der Frankfurter Rundschau, denn ein Krieg, selbst ein Guerillakrieg, verlange ein Minimum der Sichtbarkeit der Kombattanten, hier handle es sich eher um Netzwerke, ein religiöses und ein "globalisierendes". Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Ereignisse vom 11. September sieht Balke bei Nietzsche: Menschen des Ressentiments können sich - so Nietzsche - nur "durch eine imaginäre Rache schadlos" halten. Und es ist der Vornehme, der Reiche, der den Hass des ressentimentalen Menschen auf sich zieht. Der Vornehme kennt zwar das Schlechte, aber der gezielte Wille, Böses zuzufügen ist ihm fremd. Er ist zwar zu einem verachtenden "Herabblicken" in der Lage, aber in seiner Verachtung ist zuviel "Nachlässigkeit". Mit dieser Beschreibung, so Balke, treffe Nietzsche Züge der Selbst- und Fremdwahrnehmung der westlichen Welt. Diese habe es nicht nötig, die sogenannten Armenhäuser der Welt mit Hass zu überziehen oder sie als Feinde zu behandeln. Durch diese Indifferenz der Vornehmen, die die Macht haben, und es nicht einmal nötig haben zu hassen, entsteht die intensivste Art von Feindschaft. "Eben weil die Vereinigten Staaten die größte und stärkste Macht der Welt sind, sehen sie immer auf alle herunter", zitiert Balke einen amerikanischen Historiker. Indem die Täter ihre Zerstörungswut gegen Gebäude richteten, gaben sie den Zuschauern dieses Ereignisses etwas zu "lesen". Und dass sie auf jede Erklärung verzichteten, ist Ausdruck einer Signifikanz, die durch jede weitere Erklärung bloß vermindert würde. Dadurch, dass die ewige Wiederkehr des Geschehens, von Kameras aufgezeichnet, medial sichergestellt ist, ist die "imaginäre Rache" ewig. Die Rache des Ohnmächtigen, des ressentimentalen Menschen, vergreift sich, so Nietzsche, "an seinem Gegner - in effigie natürlich". Auf diesen Zusatz, so schließt Balke, komme es an.
Ob es sich bei dem Krieg in Afghanistan um einen "gerechten Krieg" handle, dieser Frage stellte sich der in Princeton lehrende Michael Walzer. Walzer hat 1977 das Buch Just and Unjust Wars geschrieben, das mittlerweilen als Klassiker einer modernisierten Theorie des gerechten Krieges gilt. Walzer unterscheidet zwischen dem "Krieg gegen den Terrorismus" und dem Krieg in Afghanistan. Im ersten Fall handle es sich bei dem Wort "Krieg" um eine Metapher für Kampf, Entschlossenheit und Ausdauer. Darauf sei die Theorie des gerechten Krieges nicht anwendbar. Den Krieg in Afghanistan hingegen halte er, "ausgehend von den Informationen, die wir gegenwärtig haben", für gerecht, insofern das Ziel die Verhinderung von weiteren Terrorschlägen sei. Denn die erste Verantwortung einer Regierung sei es, das Leben ihrer Bürger zu schützen und genau das sei das Ziel der Operationen in Afghanistan. Wichtig sei es, damit der Krieg legitim sei, das legitime Ziel getroffen und die "Immunität der Nichtkämpfenden" gewahrt werde. Die Hauptregel sei, dass man nicht auf den Tod von Zivilisten abzielen solle, und genau diese Regel verletze der Terrorismus bewusst. Terrorismus könne man definieren als Tötung und Terrorisierung von Zivilisten mit dem Ziel, Druck auf eine Regierung auszuüben. Im übrigen tritt Walzer für eine "kritische Unterstützung" der Linken gegenüber den westlichen Regierungen, die den Terrorismus bekämpfen, ein. Walzer hält "überhaupt nichts" von der These, dass die tieferen Ursachen der Terrorismus in Armut, Elend und Unterdrückung liegen. Er sieht vielmehr eine Mitverantwortung bei den Linken für die "freundlichen Gewässer", in denen die Terroristen bisher geschwommen sind.
Auch der Kunst- und Medientheoretiker Boris Groys lehnt die These von der Armut in arabischen Ländern und der Lage in Palästina als Ursache des Terrors ab: "Das hat einen sehr imperialistischen und kolonialistischen Beigeschmack: Wir machen Ursachen aus und erklären komplexe Bewegungen zu deren kausalen Symptomen, statt zu realisieren, dass diese Bewegungen bestimmte Ziele, Ideologien, Strukturen und Strategien haben, die sich darauf nicht reduzieren lassen". Groys sieht die eigentlichen Ursachen in der Struktur unserer Gesellschaft selbst begründet und ortet die Gründerväter der al-Quaida bei Bakunin, Kropotkin und Sorel. In seinen Augen spielt auch die Religion keine Rolle, er hält die Bewegung für durch und durch modern.
Über eine Analyse des Begriffs "Terrorismus" versucht der in Leipzig lehrende analytische Philosoph Georg Meggle in einem Vortrag "Terror & Gegen-Terror. Ethische Reflexionen" der Sache auf den Grund zu gehen - einen Vortrag, den er im Dezember in mehreren deutschen Universitätsstädten und anschliessend sogar in Kairo halten wird. Meggle zufolge sind Terror-Akte "Akte des (versuchten) Bewirkens von Zwecken mittels Gewalt induziertem Terror". Dabei richten sich diese Akte auch gegen unbeteiligte Dritte. Dies deshalb, weil Terror umso wirksamer ist, je unberechenbarer er ist. Hinzu kommt, dass Terror desto wirksamer ist, je sichtbarer die von ihm bewirkten Horror-Szenarien für möglichst viele sind.
Für Meggle ist Gewalt in Fällen der Notwehr und der Nothilfe erlaubt - sowohl für Individuen als auch für Kollektive. Damit jedoch ein Krieg gerecht ist, muss es sich um einen Verteidigungskrieg handeln oder um eine schwerstwiegende systematische Verletzung von Menschenrechten. Zudem muss der zu erwartende Gesamt-Gewinn der Aktion gegenüber den zu erwartenden Schäden wesentlich größer sein: Der Krieg muss den Schaden "wert" sein. Schließlich ist in einen Krieg einzutreten nur als "ultima ratio" erlaubt. Nach Meggle wäre es durchaus möglich, dass Terror ein Spezialfall eines gerechten Krieges sein könnte, aber er müsste dazu viele Bedingungen erfüllen: er müsste gegenüber einem verbrecherischen Regime die einzige Möglichkeit sein, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Gruppe zu stoppen; diese Strategie müsste angesichts der Unterstützung durch das eigene Volk Aussicht auf Erfolg haben usw. Umgekehrt ist der Kampf gegen ungerechtfertigten Terror erlaubt. Aber rechtfertigen die Anschläge des 11. September den Krieg gegen Afghanistan?
Es gab, so Meggle, keinen Staat, der als Angreifer gelten konnte, sondern nur das Al Quida-Netz, das sich über mehrere Staaten erstreckt. Damit seien die Voraussetzungen für einen Verteidigungskrieg nicht erfüllt. Der Einsatz von Waffengewalt hätte nur von einem internationalen Gerichtshof angeordnet werden können. Befürworter der US-Luftschläge argumentieren, die UN wäre zu schwach gewesen, militärisch einzugreifen. Dieses Argument sei "extrem schwach" kontert Meggle, denn die USA hätten mit ihrer UN-Blockade eben dies verhindert. Die USA hätten es durchaus in der Hand gehabt, zusammen mit anderen Ländern die UN so stark zu machen, dass sie solchen Aufgaben gewachsen ist. Und genau dies schlage nun auf die moralische Bewertung ihres Tuns durch. Denn in der Moral gehe es nicht nur um das, was unter Machtgesichtspunkten das Beste ist. Und - so Meggles persönliche Einschätzung - seit dem Beginn des Krieges in Afghanistan sei der Krieg gegen den Terror bereits verloren - denn Milliarden Menschen sehen in diesem Krieg nichts weiter als einen weiteren Beleg für den Imperialismus des Westens.
Eine ähnliche Position vertritt der 89jährige Carl Friedrich von Weizsäcker: "Dass der amerikanische Präsident Bush nun Afghanistan den Krieg erklärt, macht alles nur noch viel schlimmer". Denn es bestehe die Gefahr, dass dieser nun begonnene Krieg als ein Kampf der Kulturen formiert: "Aber der Islam ist in seiner Gesamtheit nicht kriegerisch, trotz einiger Elemente in islamischen Völkern".
"Es gibt keinen gerechten Krieg, egal von welcher Seite und es gibt auch keine Lösung für Gewalt" führte Bernhard Waldenfels bei einem Vortrag vor Ehemaligen der Universität Witten-Herdecke aus. Waldenfels plädierte dafür, Gewalt nicht qualitativ aufzurechnen, um damit Gegenschläge zu rechtfertigen, sondern die Wurzeln des "Gewaltgeschehens" selbst in den Blick zu nehmen. Insofern böten die Anschläge des 11. Septembers auch die positive Chance, sich unserem eigenem Fundamentalismus und unserer Gewalt gegen anderen Kulturen bewusst zu werden. Waldenfels zufolge stellen die Terroranschläge durch ihren hohen Symbolgehalt die westliche Lebensauffassung radikal in Frage.
Jürgen Habermas äußerte sich anlässlich der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels zum Thema und rief dabei zum Dialog mit dem Islam auf. Gleichzeitig warnte er vor dem Aufbau eines globalen Sicherheitssystems: "Im Terrorismus äußert sich auch der verhängnisvoll-sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wie der Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen". Einen der Auslöser des Fundamentalismus sieht Habermas in der radikalen Modernisierung in den Herkunftsländern der Attentäter, die die Menschen ihrer Wurzeln beraube. Habermas plädierte weiter für einen größeren gesellschaftlichen Respekt vor religiösen Sichtweisen. Auch für eine weitgehend säkularisierte Gesellschaft sei es vernünftig, "von der Religion Abstand zu halten, ohne sich deren Perspektive ganz zu verschließen". Denn der Westen habe im Prozess der Säkularisierung die Religion an den Rand gedrängt. Wolle sich die Gesellschaft nicht von "wichtigen Ressourcen für die Sinnstiftung abschneiden", müsse sie sich "ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahren". Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden wolle, müsse sich bewusst machen, dass auch das Abendland die von der Säkularisierung hinterlassenen Probleme noch nicht gelöst habe.
Der deutsche Innenminister Otto Schily tadelte in einem Interview in der Welt am Sonntag die Reaktionen in "gewissen intellektuellen Kreisen" als "wirklich schlimme" antiamerikanische Entgleisungen. Daraufhin fühlte sich Peter Sloterdijk an den Kalten Krieg erinnert und bemerkte, wenn Schily "als deutscher McCarthy in die Geschichte des Ungeistes eingehen" wolle, solle er ruhig so weiterreden. Sloterdijk diagnostizierte, unmittelbar nach den Terroranschlägen sei eine "Implosion des Reflexionsraumes" erfolgt. Begünstigt von einer "Selbstgleichschaltungstendenz" der Medien sei die Gesellschaft zunächst kaum fähig gewesen, eigene Überlegungen anzustellen.
Sloterdijk führte bei einer Gesprächsrunde unter den Lehrern der "Hochschule für Gestaltung" in Karlsruhe aus, der von der kolonialistischen Vergangenheit geprägte Blick des Westens habe sich ein weit reichendes Machtprivileg erworben. So glaube man im nicht-islamischen Westen, den Islam in seinen Facetten besser zu verstehen als die Menschen in der islamischen Welt.
Sloterdijk definiert den vorliegenden Terrorismus als "Zwei-Komponenten-Waffe". Der eine Bestandteil des Terrors sei das "Material", beispielsweise die Gifte für den biologischen Angriff. Der andere Bestandteil seien die "Motive" des Terrors. Die Hersteller dieser beiden Komponenten seien nicht identisch. "Die Hersteller des Materials sind wir", führte Sloterdijk am 12. Oktober in Frankfurt aus. Die Geburtsstunde des Terrorismus ist für Sloterdijk der 22. April 1915, als deutsche Soldaten alliierte Stellungen in Ypern mit Chlorgas angriffen. Seit diesem Tage sei Terror ein Element der konventionellen Kriegsführung geworden. Terrorismus sei eine Methode. Daher mache der Ausdruck "Kampf gegen den Terror" keinen Sinn: "Eine Methode kann man nicht bekämpfen".
Keine besondere Freude dürfte Schily an dem in Berlin lehrenden Diskursethiker Dietrich Böhler gehabt haben. Böhler formulierte 8 Thesen und sandte diese an wichtige Politiker und Ausschüsse, also auch an den Innenminister. Böhler geht vom "Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas aus: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz menschenwürdigen Lebens auf Erden" und leitet daraus seine Thesen ab. Diese lauten in stark gekürzter Form:
Böhler folgert aus diesen Thesen: "Nehmen wir unsere Mit-Verantwortung für die elementarsten Menschenrechte...durch öffentlichen Diskurs und Protest, durch Engagement bis zum zivilen Ungehorsam gegen kriegsunterstützende Maßnahmen war...Stehen wir auf!"
Zu einer kulturellen Analyse setzte Slavoj Zizek in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen (vom 23. Oktober) an: Hinter unserer westlichen Toleranz stecke in Wahrheit eine tiefe Intoleranz. Sie sei eine Art Abwehrmechanismus, die den anderen auf Distanz hält. Zizek wendet sich gegen die These vom "Clash of Civilizations"; die Konflikte verliefen vielmehr quer durch alle Gesellschaften. So gebe es auch in Amerika Fundamentalisten, die Bomben legten, und in Amerika habe es nach den Anschlägen von rechten Kommentatoren Reaktionen gegeben, die denen von seiten der Taliban verblüffend ähnlich gewesen seien: Die Anschläge eine Strafe Gottes dafür, dass in Amerika die Unmoral und die Promiskuität um sich gegriffen hätten. Enttäuscht zeigte sich Zizek von den Reaktionen der Linken: "Sie hat eine Liste der Dummheiten heruntergerasselt: von ihrem abstraktem Pazifismus bis zu der Logik, dass die Amerikaner mit ihrem Imperialismus selbst schuld an den Anschlägen seien,, Daran mag nur auf einer sehr abstrakten Ebene etwas Wahres daran sein". Was wir nach Zizek nun brauchen, sind positive Zeichen: "Ich fand es zum Beispiel gut, wie Arafat Blut für Amerika gespendet hat. Was immer er wirklich denkt, es war eine Geste".
Mit dem Anschlag würden wir ein Stück moderner Architektur verlieren, diagnostizierte Umberto Eco in der Frankfurter Rundschau (vom 22. September) und sieht das Ende der Wolkenkratzer gekommen: "Die einstürzenden Türme haben die Psyche der Menschen tief verändert. Die Türme sind jetzt nicht mehr starke Symbole der Macht, aufragende Kathedralen des Kapitals. Sie sind verwundbare Riesen, Giganten auf Krähen-Füßen". Als neue Symbole der Macht sieht Eco horizontale Bauten. Damit würde sich die Landschaft der Städte verändern und mit ihr das soziale Leben.
AutorPeter Moser, Journalist; Mitherausgeber von "Information Philosophie im Internet"