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FORSCHUNG

18. Jahrhundert: Ästhetik und Logik

Zu finden in: Heft 4/2010

Wie Ästhetik und Logik zueinander fanden

Für die Geschichte von Poetik und Logik bedeutet das 18. Jahrhundert einen entscheidenden Wendepunkt: Poetik und Kunstphilosophie werden aus ihrer Verklammerung mit der Rhetorik gelöst und statt der Rhetorik der Logik zugeordnet. Von zentraler Bedeutung ist hier das Werk von Alexander Gottlieb Baumgarten. In seinen Philosophischen Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichts (1735) gliedert Baumgarten seine philosophische Kunsttheorie, für die er den Begriff „Aesthetica“ prägt, erstmals unter die Logik der unteren Verstandeskräfte und sprengt so den Kanon der „artes liberales“, wie er noch von seinem Mentor Christian Wolff vertreten wurde.

Wie Stefanie Buchenau in ihrem Aufsatz

Buchenau, S.: Die Einbindung von Poetik und Ästhetik in die Logik der Aufklärung, in: Bauereisen, A./Pabst, S.,/Vesper, A. (Hrsg.): Kunst und Wissen. Beziehungen zwischen Ästhetik und Erkenntnistheorie im 18. und 19. Jahrhundert, 2009, Königshausen und Neumann, Würzburg

ausführt, haben sich die Philosophen der Neuzeit zwar nicht selbst mit Dichtung und Rhetorik befasst, aber ihre logischen Versuche behandelten durchaus dichterische und rhetorische Themen. Die neuzeitlichen Logiktraktate bestimmten das Denkvermögen als genuin dichterisch bzw. produktiv und zwar insofern, als es als Werkzeug zur Entdeckung bisher unbekannter Wahrheiten und zur Erforschung einer unbekannten Natur dient.

Um 1630 hatte Francis Bacon und in der Folge Philosophen wie Descartes, Leibniz und von Tschirnhaus die Frage nach der Logik als „ars inveniendi“ oder Methode zur Entdeckung bisher unbekannter Wahrheiten aufgeworfen, Dabei wurde die Logik als die Methode produktiven Denkens als eine Art „Dichtkunst“ aufgefasst. Durch ihre produktive Dimension unterscheidet sich diese neue „ars inveniendi“ von der alten, antiken Tradition von Aristoteles und Cicero. „Inventio“ bedeutet nun nicht mehr lediglich das Auffinden von Argumenten und „ars inveniendi“ nicht mehr wie noch bei Aristoteles und Cicero die Kunst der Ordnung und Speicherung solcher Argumente mit Hilfe der Topik. „Inventio“ bezieht sich nun auf die Entdeckung unbekannter Wahrheiten, und „ars inveniendi“ bezeichnet die Logik oder Methode zu ihrer Entdeckung.

Allerdings bestanden diese Autoren auf einer strikten Trennung von Logik einerseits und Poetik und Rhetorik anderseits. Erste Veränderungen lassen sich bei Christian Wolff feststellen, der aktiv an der Debatte um die „ars inveniendi“ teilnimmt. Während man bislang vor allem Mathematikern und Philosophen Erfindungsgeist und Witz zugesprochen hatte, gesteht nun Wolff dies explizit auch dem Redner und Dichter zu und attestiert ihm die Leichtigkeit, Ähnlichkeiten und Unterschiede wahrzunehmen. Aber nicht nur das – er weist dem Redner und Dichter unter den verschiedenen Typen von Findern und Erfindern sogar Modellfunktion zu. Auf Wolffs Anregung hin verfassen seine Schüler erste Arbeiten zur Dichtkunst: Johann Jacob Bodmer und Johann Jacob Breitinger eine Critische Dichtkunst (1740) und Johann Christoph Gottsched den Versuch einer Critischen Dichtkunst wie auch Ausführungen zur Dichtkunst innerhalb der Logik.


Voraussetzung für die Einführung der Dichtung in die Logik ist ein äußerst weit gesteckter Logikbegriff, der schon eine gewisse Art von Hermeneutik und Rhetorik mit einbegreift. Diese Einbeziehung nicht streng kognitiver Dimensionen kennzeichnet die Aufklärungslogik allgemein. So enthält der praktische Teil der Vernunftlehre von Christian Thomasius ein Kapitel „Von der Geschickligkeit, andern die Erkäntnis des wahren beyzubringen“. Stefanie Buchenau sieht diese rhetorische Ausrichtung als eine Weiterführung und Verlängerung der rationalistischen Logik. So ist schon bei Leibniz (noch ausgeprägter bei Tschirnhaus) ein kommunikativer Ansatz der Logik im Keim angelegt. Wolff kann daher den rationalistischen Ansatz mit aufnehmen und gleichzeitig auch die Logik als Kunst der Erfindung und Mitteilung der Wahrheit bestimmen. In diesem Logikverständnis kommt eine zweifache Ambition zum Ausdruck, nämlich sowohl auf logische Schlüssigkeit als auch auf Verständlichkeit für den Gesprächspartner. Wolff betrachtet beide Ambitionen als durchaus kompatibel.

Bedingung der Eingliederung der Dichtkunst in die Logik ist einerseits die Auffassung von Logik als dichterisch und rhetorisch, andererseits aber auch die Auffassung von Rede und Dichtung als logisch. Weiter wird aber auch die Idee der Wahrheit der Dichtung vorausgesetzt. Das Gedicht stellt ein geordnetes Ganzes dar: „Diese Dinge müssen verknüpfet und verbunden werden, so daß sie einen Zusammenhang bekommen, und alsdann entstehet eine Fabel daraus“, schreibt Gottsched. Wie in einem mathematischen Beweis liegt die Wahrheit des Gedichts in seiner logischen Widerspruchsfreiheit oder Übereinstimmung mit dem Satz des zureichenden Grundes. Es ist auch nicht notwendig, dass die Wahrheit des Gedichts ganz und gar einsichtig wird – es ist ausreichend, dass das Gedicht wahr zu sein scheint.

Baumgarten gibt dieser These eine noch radikalere Form. Das poetische oder ästhetische Denken und Sprechen entspricht ihm zufolge einer Form von rhetorischem Denken und Sprechen, und als ein solches muss es vom logischen abgegrenzt werden. Zugleich bietet aber, wie Baumgarten mit seinen Zeitgenossen erkennt, die Rhetorik der Poetik keinen Platz mehr. Es ist denn auch den verschiedenen Tendenzen der Frühaufklärung – den Thomasianern, Pietisten und Rationalisten in der Wolffischen Schule – gemeinsam, dass sie die Rhetorik von der Kunst des Denkens und der Wahrheitsfindung, der Logik, abgrenzen und auf eine äußerliche Kunst des Stils und Ausdrucks begrenzen.
Baumgarten zufolge muss es darum gehen, einerseits das ästhetische Denken (als rhetorisches) vom logischen abzugrenzen, andererseits einen Ort außerhalb der Rhetorik und innerhalb der Logik für es zu finden und die Möglichkeiten der modernen Logik für die Ästhetik weiter auszuschöpfen. Baumgartens Lösung setzt bei einer Unterscheidung zwischen poetisch-rhetorischem und philosophisch-logischem Denken an, die sowohl die ihre rhetorischen Kapazitäten zu hoch einschätzenden rationalistischen Philosophen als auch die logizistischen Dichter und Dichtungstheoretiker in ihre Schranken verweist.