INTERVIEW
Denker, Alfred: Heideggers formale Anzeige | |
Ein Gespräch mit Alfred Denker, Theodore Kisiel und Holger Zaborowski „Existenz“, „In der Welt sein“, sind das auch formal anzeigende Begriffe? Zaborowski: Das Problem, vor dem Heidegger steht und das er mit der formalen Anzeige zu lösen versucht, hängt eng mit der Sprache und der Methode der überlieferten Philosophie zusammen. Wie geschieht Philosophieren? Heidegger stellt fest, dass Philosophieren nicht wie eine theoretische oder objektivierende Wissenschaft geschehen kann. Was er aufzuzeigen versucht, ist etwas, das nicht einfach als Einzelfall eines Allgemeinen verstanden werden kann, dessen wir mit Hilfe von Kategorisierungen oder Generalisierungen habhaft werden können. Er versucht vielmehr immer wieder, den Leser eine bestimmte „Erfahrung“, eine „Denk-erfah rung“ machen zu lassen, die mit etwas zusammenhängt, was sich nicht in einer objektivierenden Sprache einholen oder begreifen lässt. Die formale Anzeige hilft ihm, etwas sehen zu lassen, was anderen Zugängen entgeht. Zum Beispiel ist „Dasein“ auch eine formale Anzeige. Wichtig ist zu sehen, dass es hier nicht um Personen oder Subjekte als zugehörig zu einer bestimmten Art von Lebewesen geht, vielmehr muss ich, um Dasein zu verstehen, mein eigenes Sein verstehen. Und das kann mir niemand abnehmen. Es gibt in der Sprache vergleichbare Weisen des Sprechens, etwa in der Dichtung. Auch hier hilft die Sprache, den Leser etwas sehen zu lassen, ohne dass dies objektivierend dargestellt oder begriffen würde. Das erklärt nicht zuletzt das Interesse, mit dem Heidegger sich mit Dichtung auseinandergesetzt hat. Kisiel: Man kann, sagt Heidegger, eine Unterscheidung zwischen „was“ und „wer“ machen, zwischen Allgemeinem bzw. Kategorien und Existenzialen. „Alle Menschen sind sterblich“, das ist allgemein; „ich muss sterben“ ist dagegen das Einmalige. Denker: „In der Welt sein“ ist ein gutes Beispiel. Es handelt sich dabei nicht um einen Gegenstand, ich kann „in der Welt sein“ nicht von außen betrachten. Zaborowski: „Dasein“ ist zum Beispiel „etwas“, das nicht irgendwie einfach nur vorhanden vorliegt. Was man bei „Dasein“ mithören muss, ist das vollzugshafte Moment, die zeitliche Dimension von sein. Was für eine Bedeutung hat die formale Anzeige für Heideggers Denken? Kisiel: Eine sehr große. Die formale Anzeige findet sich im ganzen Werk, sie ist auch im späten Heidegger noch da. Zaborowski: Die Grundeinsicht Heideggers ist zunächst einmal die, dass es zwischen der menschlichen Weise zu sein, also unserer Weise, wie wir sind, und allem anderen Seienden in seinen verschiedenen Seinsweisen einen grundlegenden Unterschied gibt. Das bedeutet: Ich kann im Grunde nicht über den Menschen und seine Seinsweise so sprechen wie etwa über einen Tisch oder einen Baum. Die Herausforderung ist also: Wie kann ich eine Sprache finden, die Phänomene sehen lässt, die die überlieferte Sprache in ihrer Tendenz, eben nicht formal anzeigend, sondern begreifend oder objektivierend zu sein, nicht sehen kann. Aber es bliebt schwierig, genau zu sagen, was die formale Anzeige eigentlich ist. Es ist so, dass Heidegger in verschiedenen seiner frühen Vorlesungen über die formale Anzeige spricht, dies aber nie systematisch ausformuliert und umfassend erläutert, was damit eigentlich gemeint ist. Kisiel: „Jeder“ hat seine Weise. Statt „alle“ verwendet Heidegger „jeder“. Der Unterschied liegt zwischen allgemeinem oder sogar Allgemeingültigkeit und dem „Jeweiligen“, genauer: zwischen dem gemeinen generischen Universalen des „allen“ und dem eigenartigen jeweiligen (zeitlichen, hermeneutischen, distributiven) Universalen des „jeden“. „Jeder“ ist offen für eine Situation, er ist mit einer Entscheidung konfrontiert, um für sich selbst seine eigenartige einmalige Situation zu ent-schließen. Denker: Die formale Anzeige ist die Methode von Heideggers Denken. Aber man hat diese Methode nur im Vollzug. Gibt es für Heideggers „formale Anzeige“ in der Philosophie Vorläufer? Denker: Auf Duns Scotus ist bereits verwiesen worden. Wurzeln hat die Methode aber auch in Husserls Phänomenologie. Zaborowski: Es ist auch eine offene Frage, ob eine Relecture der Geistesgeschichte nicht zeigen würde, dass sich in der Metaphysik, in der Mystik oder in der Transzendentalphilosophie nicht letztlich zumindest Momente dessen, was Heidegger „formale Anzeige“ nennt, aufweisen lassen. Kisiel: In der ersten von Husserls Logischen Untersuchungen gibt es einen Paragraphen (§ 26), der von „okkasionellen Ausdrücken“ spricht und das ist der Ausgangspunkt von Heidegger. Heidegger hat diesen Paragraphen immer wieder, etwa in Seminaren, ausgelegt (nach dem Zeugnis von Teilnehmern wie Günther Stern und Ludwig Landgrebe). Von diesem Paragraphen kann man sagen, dass Heidegger die formale Anzeige nach seinem Muster, dem Muster des Daseins, herausgearbeitet hat. Aber warum hat Heidegger diese „formale Anzeige“ nicht ausgewiesen? Denker: Heidegger hat 1917 bei seiner gemeinsamen Arbeit die Erfahrung gemacht, dass man die formale Anzeige nicht zum Objekt machen kann, auch theoretisch nicht, weil dabei das Wesentliche verloren geht. Auch Heideggers Schüler haben diese Erfahrung gemacht. Zaborowski: Deshalb ist der Begriff Methode auch mit einer gewissen Vorsicht zu verwenden, weil es hier nicht um eine Technik geht, die man einfach lernen und beherrschen kann. Es geht um Grunde nur um den eigenen Vollzug. Formal anzeigende Begriffe, wenn sie nicht als diese genommen werden, werden missverstanden. Das erklärt etwa das Missverständnis einiger Interpreten von Sein und Zeit. Denn wenn ich nicht sehe, dass Sein und Zeit letztlich formal anzeigend geschrieben ist, dann liegt das Missverständnis nahe, dieses Buch zum Beispiel als Beitrag zur Anthropologie zu lesen. Wenn ich aber sehe, dass Heidegger formal anzeigend vorgeht, dann setzt dies einen ganz anderen Zugang dazu voraus. Aber es ist keine Methode, die ich theoretisierend zusammenfassen kann. Bei der formalen Anzeige ist es vielmehr ähnlich wie beim Schwimmen: ich kann es theoretisch nicht lernen, ich muss ins Wasser springen. Kisiel: Es ist gar nicht einfach, diese Dimension zu finden. Heidegger bringt in den Beiträgen etwa Existenz mit In-ständigkeit zusammen. Es geht dabei immer um „meine Weile“, „mein Da“. Zaborowski: Die Frage ist immer wieder, wie kann ich bei einer Sprache, die die Tendenz hat, Sachverhalte zu konstatieren, eine Sprache entwickeln, die den Zeitcharakter von Sein zum Ausdruck bringen kann. Deshalb bemüht sich Heidegger sein ganzes Werk hindurch auch um die „Verflüssigung“ von philosophischen Begriffen. Das Problem ist, dass wir nicht nur in der Philosophie eine Sprache sprechen, in der sehr oft einfachhin etwas über etwas Allgemeines ausgesagt wird, und in der nicht über unsere eigene individuelle Existenz, unser je eigenes sein gesprochen wird. Eine wichtige Ausnahme ist vielleicht der Eigenname. Eigennamen könnte man als formal anzeigend beschreiben. Zaborowski: Sie gehören nicht zu einer durch bestimmte Merkmale bestimmten Gruppe aller Menschen, die Peter heißen. Man kann nicht sagen, sie sehen wie ein Peter aus, und deshalb heißen Sie Peter. Was es bedeutet, Peter Moser zu sein, können Sie nur aus ihrem je eigenen Vollzug heraus verstehen. Aber wir sollten nicht übersehen, dass es hier auch wichtige Unterschiede zu Heideggers „formaler Anzeige“ gibt. DIE TEILNEHMER DES GESPRÄCHS: Alfred Denker arbeitet an einer Heidegger- Biographie, Holger Zaborowski ist Assistant Professor an der Catholic University of America, und Theodore Kisiel ist Distinguished Research Professor an der Duquesne University. Das Gespräch fand im Frühjahr 2007 in Messkirch statt. Die Fragen stellte Peter Moser.
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