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Leibniz: Philosophischer Briefwechsel 1686-1694

LEIBNIZ

Philosophischer Briefwechsel: 1686-1694


Der zweite Band des von der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie zu Göttingen gemeinsam herausgegebenen Philosophischen Briefwechsel von Leibniz ist im AkademieVerlag erschienen (1000 S., Ln., € 258.—, 2009) und umfasst den Zeitraum von 16861694. In diese Zeit fällt die fast dreijährige Reise (18871690) von Leibniz nach Süddeutschland, Wien und Italien, sodass sich eine natürliche Dreiteilung des Bandes (Hannover Zeit vor der Reise, Reisezeit, Zeit in Hannover nach der Reise) ergibt.

Der Band enthält 293 Briefe und Stücke aus 45 bekannten und drei unbekannten Korrespondenzen. 40 davon (14 von Leibniz) sind hier erstmals publiziert.

Wie Martin Schneider, Leiter der LeibnizForschungsstelle in Hannover, in der Einleitung ausführt, umfasst der Band einen für die Entwicklung der Philosophie von Leibniz entscheidende Zeitspanne. 1686 entwirft Leibniz seinen Discours de métaphysique, und 1695 erscheint sein Système nouveau de la nature et de la communication des substances – zwei seiner wichtigsten metaphysischen Schriften. 1684 hatte Leibniz erstmals öffentlich an der cartesischen Erkenntnismethode Kritik geübt und 1868 macht er seine Kritik an Descartes’ Gesetz von der Erhaltung der Bewegungsquantität öffentlich. Hieraus entwickelt sich eine bis 1687 hinziehende Kontroverse mit Catelan, dem Sekretär von Malebranche, an der partiell auch Malebranche teilnimmt. Die zentralen Themen von Leibniz in der Zeit, die der Band behandelt, beinhalten den metaphysischen Begriff der Substanz und den naturphilosophischen Begriff der Kraft. Daneben stehen andere Tätigkeitsfelder, wie etwa das Bemühen um eine adäquate Wissenschaftsmethode und sein Streben nach einer rationalkalkulatorischen Bewältigung von Kontroversen. Nicht vergessen werden darf seine 1686 erschienene Schrift Examen religionis Christi
anae, die aus seinen Bemühungen um eine Reunion der Kirchen hervorgegangen ist.

Im Zentrum der ersten Periode steht der berühmte Briefwechsel mit Arnauld, der insgesamt 36 Briefe umfasst. Er ist nicht nur der umfangreichste, sondern auch der für die Entwicklung der Leibnizschen Philosophie wichtigste. Arnauld, der wegen seiner Parteinahme für den Papst Frankreich verlassen musste, lebte an versteckten Orten im Exil in Holland. Deshalb lief die gesamte Korrespondenz über den Landgrafen Ernst von HessenRheinfels, dem der Aufenthaltsort Arnaulds bekannt war. Dieser wiederum war an einer Konversion von Leibniz zum Katholizismus interessiert.

Leibniz ging es in dieser Korrespondenz vor allem darum, seinen ersten geschlossenen metaphysischen Entwurf mit Hilfe der Kritik eines kompetenten Philosophen einer Überprüfung zu unterziehen – wozu ihm Arnauld als besonders geeignet erschien. Zum anderen ging es ihm aber auch darum, von einem großen Theologen der katholischen Kirche Bestätigung darüber zu erhalten, inwieweit seine Thesen von der katholischen Kirche toleriert werden könnten. Leibniz schätzte an Arnauld die tiefe Religiosität und philosophische Rationalität. Er war denn auch überrascht und verletzt über eine unsachliche und harsche Kritik Arnaulds an einer einzigen These seines Sommaire und ihrer Verwerfung aus angeblich religiösen Gründen.

Die Intensität der Diskussion und die Detailliertheit der Leibnizschen Antworten heben, wie Martin Schneider betont, die Korrespondenz mit Arnauld über die meisten anderen heraus. Auch Leibniz selbst hatte ihr, zumal er in einem wesentlichen Punkt die Zustimmung von Arnauld erhalten zu haben glaubte, einen besonderen Wert zugesprochen. Die Auseinandersetzung spielt sich in fünf Phasen ab, die jeweils aus kritischen Fragen und Einwänden von Arnauld und Antworten und Erläuterungen von Leibniz bestehen. Zur letzten ausführlichen Erwiderung von Leibniz gibt es keine weitere Replik von Arnauld. Leibniz sendet noch einen weiteren Brief, in dem er vorsichtig an den letzten Brief erinnert, aber auch diesen Brief beantwortet Arnauld nicht mehr.

In der ersten Phase reagierte Arnauld unwirsch und forderte Leibniz auf, seine metaphysischen Spekulationen aufzugeben und zur wahren Kirche zurückzukehren. Leibniz machte seiner Verärgerung über die sich auf die Sache nicht einlassende Kritik in einem vertraulichen Brief an den Landgrafen publik. Dieser leitete jedoch den Brief an Arnauld weiter. In der zweiten Phase entschuldigt sich Arnauld für sein Verhalten und erläuterte sein in der ersten Reaktion geäussertes pauschales Verdikt nun im Detail. Leibniz will nun vom Landgrafen erfahren, ob seine Behauptung, dass in dem vollkommenen Begriff einer Sache alle ihre wahren Prädikate enthalten sind, mit den Dogmen der katholischen Kirche tatsächlich unvereinbar sind. Dies lässt den theologischen Kontext erkennen, indem die philosophische Auseinandersetzung stattfindet.

Es sind drei Punkte, die Arnauld besonders irritieren:

1. Auch wenn Gott bei der Erschaffung Adams alle zukünftigen Ereignisse in seine Vorstellung miteinbezogen hat, so bedeutet das jedoch nicht, dass unsere Vorstellung von Adam, wie er an sich selbst ist, damit gleichgesetzt werden darf. Denn dann würde man alle Adam widerfahrenen Begebnisse zu intrinsischen und damit notwendigen Eigenschaften von Adam selbst machen, die eine fatale Notwendigkeit für seinen Lebensablauf zur Folge hätte.

2. Auch der von Gottes Willensentschlüssen unabhängige Begriff der möglichen Dinge, zwischen denen Gott auswählt, ist für Arnauld fragwürdig. Vielmehr scheinen solche möglichen Dinge Fiktionen zu sein. Wir können uns nur Begriffe von wirklichen, geschaffenen Dingen machen.

3. Es ist zweifelhaft, ob man überhaupt mehrere Vorstellungen desselben singulären Dings (wie z.B. Adams) bilden kann, so wie























Die Handschrift von Leibniz

man sich auch nicht mehrere Ichs vorstellen kann. Denn zu meinem Ich gehört die Einzigartigkeit, die aber nicht davon abhängt, dass alles, was mein Ich betrifft, aus ihm notwendig folgt, sondern auf bestimmten Wesenseigenschaften beruht.

Leibniz versucht den Einwand, dass die menschlichen Ereignisse unter seinen Voraussetzungen einer fatalen Notwendigkeit unterliegen, zu entkräften, indem er auf den Unterschied zwischen Gattungs und Individualbegriffen hinweist. Nur die ersteren sind unabhängig von Gottes Willensentschlüssen und schließen ewige, notwendige Wahrheiten ein; die letzteren hingegen nicht. Die Verbindung zwischen Adam und den ihm zustoßenden Ereignissen ist also zwar intrinsisch, aber nicht absolut notwendig, weil in sie immer alle freien Willensdekrete Gottes, die sich auf Adam und alle ihm widerfahrenden Geschehnisse beziehen, eingehen. Allerdings gibt es auch die Individualbegriffe von möglichen Individuen, die Gott vor der Erschaffung betrachtet, denn sonst würde er etwas schaffen, was er nicht kennt. Sie sind jedoch nicht unabhängig von den göttlichen Willensdekreten, denn in sie gehen ebenfalls die göttlichen Dekrete – aber nur als mögliche – mit ein. Der Begriff des möglichen Adam, den Gott vor seinem aktuellen Dekret, Adam wirklich zu erschaffen, betrachtet, schließt also alle als möglich verstandenen freien Willensentschlüsse Gottes mit ein, die sich auf die mit Adam in Zusammenhang stehenden Ereignisse beziehen und die, wenn sie zu aktuellen Dekreten werden, Ursache für den wirklichen, aktuellen Adam sind. Mit diesem Verständnis der möglichen, „an sich“, d. h. vor dem aktuellen Dekret Gottes betrachteten Individuen, versucht Leibniz, wie Schneider zeigt, einen Mittelweg zu beschreiten, der sie einerseits vom aktuellen Schöpfungsdekret unabhängig macht, andererseits von den als möglich verstandenen göttlichen Willensentschlüssen abhängig sein lässt, so dass auch in diesem Fall die intrinsische Verbindung zwischen Adam und den ihm widerfahrenden Geschehnissen nicht zu einer notwendigen wird.

Auf den Einwand Arnaulds, dass es nicht mehrere Ichs geben kann, antwortet Leibniz, solche mehrere Ichs gebe es nur „sub ratione generalitatis“, bei noch nicht vollständig bestimmten Individuen, etwa im Hinblick auf mein Menschsein oder im Hinblick auf die Tatsache, Paradiesbewohner zu sein (im Falle Adams). Daraus lasse sich jedoch keine Folgerung für eine konkrete Entscheidung ziehen. Insofern ist eine solche Entscheidung – etwa eine Reise anzutreten – nicht notwendig und damit auch nicht notwendig für die Konstitution meines Ichs. Gott hat, bevor er Leibniz schuf, einen Begriff von ihm als möglichem Ich gebildet, in dem der Entschluss einer Reise enthalten war. Aufgrund dieses Begriffs wäre es ein Widerspruch, würde er die Reise nicht antreten. Sollte es faktisch doch so sein, dass Leibniz die Reise nicht antritt, so würde es sich nicht mehr um Leibniz, sondern um einen anderen handeln. Es wäre berechtigt, dann von einer anderen Person zu sprechen. Damit entkräftet Leibniz Arnaulds Einwand gegen die Realität der möglichen Dinge, wonach der Begriff einer möglichen Substanz immer am Begriff einer wirklichen Substanz, wie sie Gott geschaffen hat, orientiert sein muss. Denn wenn ein Individualbegriff nur insoweit betrachtet wird, als er in Gottes Verstand ist, ist er ein möglicher Begriff, gleichgültig, ob die Substanz nun geschaffen wird oder nicht.

Leibniz stellt nun seine These, dass jeder individuelle Begriff einer Person alles einschließt, was ihr jemals widerfahren wird, in den Zusammenhang seines Systems. Danach sind alle Dinge so miteinander verbunden, dass alle individuellen Substanzen alle anderen und damit das ganze Universum in sich zum Ausdruck bringen. Dahinter steht Leibniz’ großes Prinzip, dass – aufgrund des allgemeinen Zusammenhangs – nichts ohne Grund geschieht. Jede individuelle Substanz ist eine Welt für sich und jeder ihrer Zustände ist eine Folge des vorhergehenden. Dieses Einwirken ist jedoch kein physikalisches, sondern erfolgt aus dem allgemeinen Zusammenhang der Dinge.

In der dritten Phase erklärt sich Arnauld mit der Antwort auf die Frage nach dem vollständigen Begriff der singulären Substanzen zufrieden gestellt. Ein freimütiges Bekenntnis, auf das Leibniz später oft mit Stolz hingewiesen hat. Bezüglich der Möglichkeit der Dinge und Gottes Schöpfung des Universums durch Auswahl aus unendlich vielen möglichen Universen bleiben ihm zwar Zweifel bestehen, auf die er sich aber nicht einlassen will. Arnauld interessiert sich dagegen für die Leibnizsche Hypothese der Konkomitanz, die in der Lage sein soll, das Wechselverhältnis zwischen Leib und Seele besser zu erklären als die These vom physischen Einfluss. Wie kommt es, wenn mein Arm verletzt wird, dass die Seele Schmerz empfindet? Für Leibniz kommt dieser Schmerz aus der Seele selbst, ohne dass der Körper sie beeinflusst. Ihr Wissen von der Armverletzung rührt daher, dass die Seele das gesamte Universum und speziell ihren Körper in sich ausdrückt.

Für Leibniz ist der Körper an sich keine selbständige Substanz, genauso wenig wie eine Maschine oder ein Steinhaufen. Eine sub




















Antoine Arnauld

stantielle Einheit erfordert ein vollständiges, unteilbares und wirklich unzerstörbares Wesen. Das beste Beispiel dafür ist das Ich oder die Seele. Die anderen substantiellen Formen muss man sich in Analogie zur Seele denken, sodass es vermutlich keine anderen körperlichen Substanzen gibt als belebte. Insofern Körper nicht belebt sind, stellen sie also auch keine wahren substantiellen Einheiten dar.
In einem Begleitschreiben an Landgraf Ernst rechtfertigt Leibniz die Beschäftigung mit solchen abstrakten Gedanken, die von vielen im öffentlichen Leben stehenden Menschen verachtet werden. Unter einem höheren Gesichtspunkt betrachtet seien diese jedoch von großer Bedeutung: Das Denken sei die höch¬ste und immerwährende Funktion unserer Seele. Deswegen sei die Metaphysik oder natürliche Theologie die wichtigste Erkenntnis überhaupt.

In der vierten Phase hat Arnauld zunächst Schwierigkeiten zu verstehen, warum der distinktere Ausdruck, den unsere Seele von ihrem Körper hat, diese zur Erkenntnis des Körpers und dann zur Schmerzempfindung bringt, während das bei anderen Phänomenen im Körper (wie z.B. der Verdauung) nicht der Fall ist. Für Leibniz drückt die Seele das
gesamte Universum in einem bestimmten Sinne aus, der durch die besondere Beziehung der anderen Körper zu dem ihrigen bestimmt wird. Aber das heißt nicht, das sie alles, was in ihrem Körper passiert, auch bemerkt, zumal es Grade in den Beziehungen zwischen den Körperteilen gibt.
Arnauld unterstellt Leibniz eine occasionalistische Haltung. Denn wenn die Seele nicht die reale Ursache für das Heben des Arms ist und auch nicht der Körper selber (da er sich selber nicht bewegen kann), so bleibe nur Gott als reale Ursache übrig, und die Seele sei nur die occasionale Ursache. Leibniz hält dem entgegen, dass in jeder Substanz alles Folge des ersten Zustands ist, den Gott ihr bei der Schöpfung verliehen hat. Das gilt sowohl für geistige wie körperliche Substanzen. Daher folgt auch das, was es an Realem in dem Bewegung genannten Zustand gibt, aus der körperliche Substanz selber, genauso wie Gedanke und Willensentschluss aus der geistigen Substanz hervorgehen. Der Beitrag Gottes besteht nur in der allgemeinen Erhaltung der Substanzen selber in ihrem Sein.

Von ebenfalls größerer Bedeutung ist der Briefwechsel mit Foucher, der sich über die ganze Spanne des Bandes erstreckt. Leibniz hatte Foucher als Kritiker von Malebranches Recherches de la verité kennengelernt und gibt ihm in der Zeit, als er seine Diskussion mit Arnold über den Begriff der singulären Substanz führt, einen gerafften Überblick über seine Philosophie. Ein dritter größerer Briefwechsel ist der mit Placcius und Vagetius, zwei Schüler von Jungius aus Hamburg.