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STELLUNGNAHMEN

Charlotte Annerl, Rebecca Gutwald, Hilge Landweer und Mari Mikkola:
Wie können Frauen in der Philosophie gefördert werden?

aus: Heft 2/2015, S. 36-47


Die Quote der Frauen, die nach dem Studium eine Universitätslaufbahn anstreben, ist in der Philosophie gering. Es ist gesagt worden, das dominierende argumentative Modell des Philosophierens an Philosophieseminaren sei eher auf Männer zugeschnitten. Ist das so?

Rebecca Gutwald: Ich denke, dass das so ist. Ich habe schon von Kollegen aus anderen Disziplinen gehört, die den Stil, philosophische Debatten zu führen, als „aggressiv“ und „wenig wertschätzend“ bezeichnen. Man hat tatsächlich oft das Gefühl, dass man sich im philosophischen Seminar in einer Art rhetorischem Boxkampf befindet: nachdem man sein Argument vorgebracht hat, ist es Aufgabe der „Gegner“, einen möglichst gegensätzlichen Standpunkt einzunehmen, etwa den des advocatus diaboli, um das Argument bis ins kleinste Detail zu zerpflücken. Der Vortragende hat sich entsprechend zu verteidigen und mit ähnlicher Verve seine argumentative Bastion zu halten.

Dieses Bild kann trotz seiner starken Vereinfachung aus meiner Sicht einen Hinweis darauf geben, warum Frauen gerade in der Philosophie weniger vertreten sind. Aggressives und kämpferisches Verhalten wird bei Frauen aus sozialer Sicht eher negativ bewertet, während Männer gerne für ihren Kampfgeist gelobt werden. Damit will ich nicht sagen, dass Frauen von Natur aus „sanfter“ oder weniger kämpferisch sind, und damit ein weit verbreitetes Klischee bestätigen. Vielmehr liegt das Problem darin, dass Frauen in diesem Argumentationsmodell anders – und eher negativ – wahrgenommen werden als Männer, selbst, wenn sie sich genauso verhalten wie diese. Der englische Philosoph Jonathan Wolff hat die Situation von Frauen in der Philosophie meiner Meinung nach sehr gut in einem Artikel beschrieben, den er 2013 im Guardian veröffentlich hat:
„How can we end the male domination of philosophy? http://www.theguardian.com/education/2013/nov/26/modern-philosophy-sexism-needs-more-women
Er verweist auf die Zeit der 1940er Jahre in Oxford, die geradezu eine Blütezeit für weibliche Philosophinnen war: u. a. haben Elisabeth Anscombe, Phillippa Foot, Iris Murdoch oder Mary Warnock dort ihre Laufbahn begonnen; alle haben die moderne Philosophie maßgeblich geprägt. Wolff führt dies darauf zurück, dass die meisten männlichen Philosophen im Krieg waren oder anderen Aufgaben nachgingen, die damit verbunden waren. Damit eröffnete sich für diese Frauen eine bessere Möglichkeit, ihre akademische Karriere zu beginnen, weil sie sich in der weniger kompetitiven Atmosphäre besser aufgehoben und von ihren Kolleginnen gehört fühlten.

Im Übrigen denke ich nicht, dass der gängige Ton im Seminar, argumentativ die Schwerter zu kreuzen; wirklich der beste oder der einzige Weg zu philosophischer Erkenntnis ist; ich glaube, es gibt gute Gründe, das anzuzweifeln. Wolff beschreibt im gleichen Artikel die Methode einer seiner Lehrerinnen, Prof. Hidé Ishiguro. Sie hörte den Seminarteilnehmern auf-merksam zu, nahm die Kommentare auf und brachte sie in den historischen und philosophi-schen Kontext. Ich habe Jonathan Wolff bei der einen oder anderen Gelegenheit selbst erlebt, und er scheint sich einiges bei seiner Lehrerin abgeschaut zu haben: er lässt sich stark auf Kommentare aus dem Plenum ein, beantwortet Fragen respektvoll und ist offen für Anregungen. Es ist ein großes Vergnügen mit ihm zu diskutieren, weil man das Gefühl hat, ernst genommen zu werden – egal ob Mann oder Frau. Ob diese Art, auf Verständigung und den gemeinsamen Erwerb von Weisheit zu setzen, eine „weiblichere“ Art ist zu philosophieren, kann und möchte ich nicht sagen. Wolff beschreibt sie aber als einen „anständigeren“ Weg, Philosophie zu betreiben, und das finde ich einen sehr sympathischen Gedanken.

Hilge Landweer: Nicht das Argumentieren ist etwas, das Männern eher liegen würde, sondern die Art von pseudo-sportlicher Konfrontation, bei der es oft darum zu gehen scheint, den ‚Gegner’ bloßzustellen. Das wird oft als männliches Kampfspiel inszeniert, obwohl auch viele kluge Männer die Spielregeln eher abstoßend finden.

Mari Mikkola: Das kommt darauf an, was wir mit diesem Modell genau meinen. Ich bin nicht überzeugt, dass Frauen keine rigorose philosophische Argumentation mögen oder ein-fach eine andere „sensiblere“ Art des Diskutierens bevorzugen. Es geht eher darum, welche Seminarbeiträge von Dozierenden als wichtig betrachtet werden. An der HU Berlin haben wir vor kurzem eine Klima-Umfrage durchgeführt. Die Bewertung der Seminarbeiträge der männlichen Studierenden durch die weiblichen Studierenden lässt sich so zusammenfassen: lange Rede, kurzer Sinn. Und weibliche Studierende haben öfter das Gefühl im Seminare nicht erstgenommen zu werden.

Darüber hinaus spielt meines Erachtens der sogenannte Dweck-Effekt eine wichtige Rolle. Carol Dweck, eine Psychologin aus Kalifornien, fand heraus, dass es verschiedene Arten gibt, über die Fähigkeiten und Faktoren nachzudenken, die man braucht, um Erfolg in Mathematik zu haben. Grob gesagt glauben viele, dass mathematische Fähigkeiten ein angeborenes Talent, also wie eine Gabe sind, an der man nicht viel verändern kann. Wenn man an diese ‚Gabe’-Sichtweise in Bezug auf Mathematik glaubt und Schwierigkeiten mit Mathe hat, dann fühlt man sich bestätigt in dem Glauben, dass man die notwendigen Mathefähigkeiten einfach nicht besitzt. Wenn man im Gegensatz dazu denkt, dass Matheerfolg in erster Linie Anstrengung erfordert, dann bleibt man eher dran. Mädchen, die an das Talent-Modell glauben, sind also am Ende oft schlechter in Mathe und geben mit höherer Wahrscheinlichkeit auf. Und außerdem tendieren Mädchen eher als Jungen dazu, solch ein Modell zu ver-treten. Die neuste Forschung von Sarah-Jane Leslie (Princeton) und Kolleginnen bestätigt, dass so ein Gabe-Modell auch in der Philosophie häufig auftaucht: Entweder besitzt man die Philosophie-Fähigkeiten oder nicht. Aber wer das glaubt und Philosophie schwierig findet (was sie auch ist), der hängt die Philosophie auch eher an den Nagel. Wir sollten daher unsere Denkweise ändern und unseren Studierenden erklären: Es gibt kein angeborenes Philosophie-Talent, gutes Philosophieren erfordert einfach viel Arbeit.

Charlotte Annerl: Als externe Philosophin kann ich nicht leicht beurteilen, wie in Philoso-phieseminaren tatsächlich argumentiert wird. Zweifellos wäre das eine nähere Untersuchung wert. Lege ich hingegen jene Formen des Argumentierens zu Grunde, die in philosophischen Theorien zu finden sind, scheinen mir diese kein Grund für ein geringes weibliches Interesse an einer Karriere in diesem akademischen Bereich zu sein. Gerade die Philosophie macht im Unterschied zu den empirischen Wissenschaften kaum methodische Vorannahmen. Einst schienen die Geometrie oder die Logik jene Paradedisziplinen zu sein, die Idealmodelle der Beweisführung bereitstellen. Doch davon wurde abgegangen. Die Geschichte der Philosophie bietet in der Gegenwart ein breites Spektrum an Argumentationsarten bis hin zu Wittgensteins Aufwertung der Alltagssprache als unhintergehbare Basis. Zudem schätzten selbst traditionelle Philosophen immer schon die Diskussion mit Frauen wie etwa Descartes, Voltaire oder Mill, ja selbst Schopenhauer lobte im letzten Abschnitt seines Lebens seine weiblichen Gesprächspartnerinnen. Eher liegt die Annahme nahe, dass in Philosophie-Seminaren durch ein reproduzierend-immanentes Herangehen an die hoch elaborierten klassischen Tex-te ein unbefangenes, voraussetzungsloses und offenes Fragen nicht gerade einfach ist.

Sollte es tatsächlich immer noch einen abweichenden Denk- und Diskussionsstil bei männlichen und weiblichen Studierenden geben, dann würde sich zweifellos kein anderer Umstand so positiv auf einen höheren Studienabschluss und eine weiterführende Universitätslaufbahn von Philosophinnen auswirken wie ein hoher Anteil an weiblichen Institutsangehörigen. Jedenfalls ist eine Korrelation von weiblichen Lehrpersonen und weiteren Karrieren weiblicher Studierender an philosophischen Instituten statistisch belegt. Des Weiteren könnte für noch bestehende Unterschiede der Umstand relevant sein, dass die Geschichte der Philosophie gegenüber einer analytischen Philosophie, die sich stark an den Vorgaben und den Problemen der Physik, Biologie und Neurologie orientiert, an Terrain verloren hat. Im Zusammenhang damit trat auch die Auseinandersetzung mit jenen Sozial- und Humanwissenschaften in den Hintergrund, in denen ein erhöhter Anteil von weiblichen Studierenden und Lehrenden anzutreffen ist, also etwa mit der Psychologie, der Soziologie oder der Kunst- und Kulturgeschichte.

Was sind Ihrer Ansicht nach die Hauptgründe für fehlende Frauen im Mittelbau und bei den Professuren?

Mari Mikkola: Solche Hauptgründe kennen wir tatsächlich noch nicht, weil es noch keine entsprechende Forschung in Bezug auf die deutsche Philosophie gibt. Allerdings spielen meines Erachtens (u. a.) strukturelle Bedingungen des deutschen universitären Bereiches und das Klima in der akademischen Philosophie eine große Rolle.

Erstens trifft, wer eine Familie gründen will, auf nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten in Hinblick auf fehlende Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz und Verständnis im Kollegenkreis. Diese Schwierigkeiten sind natürlich nicht universell, und mehrere Universitäten haben Familienfreundlichkeit zum Leitbild gemacht. Dennoch scheint mir die Absichtserklärung, wissenschaftliche Arbeit familienfreundlich zu machen, manchmal eher Lippenbekenntnis zu sein. Die Hürde, um in der akademischen Philosophie zu bleiben, ist für diejenigen mit familiären Verpflichtungen einfach höher.

Zweitens gibt es in Deutschland noch viele Netzwerke, die Frauen gegenüber nicht einladend sind. Bei großen Tagungen dürfen etablierte Professoren (sic) öfter oder sogar ausschließlich Fragen stellen, und Frauen werden manchmal systematisch ignoriert (ich persön-lich beispielsweise habe genau solche Erfahrungen gemacht). Effektive Mentoring-Strukturen fehlen und viele Frauen wollen bzw. können Probleme mit (oder wegen) ihren ‚Chefs’ nicht offen diskutieren. Fehlendes Mentoring und ausbleibende Ermutigungen sind besonders problematisch aufgrund der Existenz von Mikro-Ungerechtigkeiten: Das sind an sich unwichtige, subtile und unscheinbar Einzelfälle bzw. Ereignisse, die sich schwierig nachweisen lassen, oft unbewusst passieren und von den Täter_innen nicht als solche erkannt werden. Beispiele sind (u. a.): von Kolleg_innen Gastreferent_innen nicht vorgestellt zu werden, von informellen Netzwerken/Treffen ausgeschlossen zu werden, kleine ‚Witze’ oder grenzüberschreitende Anmerkungen zu hören zu bekommen, kein oder kaum positives Feedback zu erhalten, und öffentliche Diskussionen darüber, wer ‚schlau’ ist und wer nicht. Isoliert sind solche Erfahrungen unwichtig und einflusslos, aber laut sozialwissenschaftlicher Forschung haben sie kumulativ eine große Auswirkung auf die Zukunftsperspektiven von Individuen aus strukturell benachteiligten Gruppen.

Hilge Landweer: Professoren nehmen exzellente Frauen oft nicht wahr, und wenn sie sie wahrnehmen, fördern sie sie nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie ihre männlichen Doktoranden. Zudem haben Dozent_innen bereits im BA- und MA-Studium oft eine Neigung, diejenigen für gut zu halten, die am dominantesten sind. Dass diese Einschätzung oft falsch ist, wird deutlich, wenn man Hausarbeiten beurteilt. Außerdem spielt in der Philosophie immer noch der Mythos von der philosophischen „Begabung“ eine große Rolle. Wie bei allen Begabungen (falls man weiterhin so reden und denken will) muss auch diese aber gefördert und ausgebildet werden. Das ist unsere Aufgabe als Lehrende. Es gibt Studierende mit einem guten Philosophieunterricht in der Schule, viele, die einen schlechten Unterricht hatten und etliche, die gar keinen Philosophieunterricht genossen haben, und schließlich gibt es die Professorenkinder, die von vornherein den ‚richtigen’ Habitus haben. Über diese schlichten Hintergründe und die eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten wird in der Philosophie zu wenig nachgedacht. Begabung fällt nicht vom Himmel. Merkwürdigerweise treten bei denen, die Begabung und Genie für angeboren halten, die Frauen oft gar nicht erst in den Horizont ihrer Wahrnehmung. Das bestätigt die Habitus-Studie von Guthoff 2013 für die deutsche Philosophie und auch die amerikanische empirische Studie von Leslie/Cimpian 2015 mit 1820 Befragten aus 30 Fächern: Wenn die Fachvertreter überzeugt sind, Erfolg könne ohne angeborenes Talent nicht erzielt werden, ist der Anteil von Frauen auf diesem Gebiet besonders klein. Als qualifizierte Kollegen werden in der Philosophie nur Männer angesehen: Solange z. B. Gutachter bei einer ‚reinen’ Frauenliste in der Philosophie mutmaßen, es müssten außerphilosophische Gründe anstatt der Qualifikation zu dieser Auswahl geführt haben, ist unser Fach offen frauenfeindlich. Ich erwarte von meinen männlichen Kollegen, dass sie solche und ähnliche Stellungnahmen zurückweisen. Und ich erwarte, dass in Zukunft keine homosozialen Tagungen mehr stattfinden. Das ist sehr leicht zu realisieren, wird aber trotzdem nicht immer umgesetzt.

Rebecca Gutwald: Es gibt seit kurzer Zeit einige wissenschaftliche Arbeiten, vor allem in der praktischen Philosophie, die sich mit der Frage auseinandersetzen, warum die Philosophie ein Frauenproblem hat – wogegen die meisten anderen Geisteswissenschaften schon einen wesentlich höheren Frauenanteil aufweisen. An der philosophischen Fakultät der Universität Sheffield wird z. B. viel dazu geforscht, renommierte Philosophinnen melden sich zu Wort, und es gibt Blogs dazu sowie den einen oder anderen mainstream-Artikel (z. B. im Blog des New Yorkers). Dort werden meiner Ansicht nach die Hauptgründe recht gut aufsummiert. Ein ernstes Problem ist meiner Meinung nach, dass die Benachteiligung von Frauen oft sehr subtil ist und damit schwer offen zu legen. Wie ich oben schon angedeutet habe, sitzen in vielen Menschen, auch in solchen, die sich sehr für Gleichheit einsetzen, im-mer noch unbewusste Vorurteile (im Diskurs oft „implicit bias“ genannt), die beeinflussen, wie das Verhalten von Männern und Frauen unterschiedlich wahrgenommen wird – von Männern, aber auch von Frauen selbst. Diskutieren Frauen aggressiv, werden sie oft als hysterisch angesehen, während dies bei Männern als Stärke ausgelegt wird. Auch ein Lebenslauf oder ein Paper wird häufig anders beurteilt wird, je nachdem, ob es von einem Mann oder einer Frau stammt. Das lässt sich mittlerweile recht gut mit Studien belegen.

Obwohl sich die Philosophie gerne als rational gibt, glaube ich, dass diese Vorurteile wegen der oben genannten eher „männlichen“ Art der philosophischen Methode besonders tief verwurzelt sind. Hinzu kommt meiner Ansicht nach, dass man sich in der Philosophie – wenn man von bestimmten Gebieten in der Logik mal absieht – wenig objektive Kriterien gibt, wie eine wissenschaftliche Leistung zu bewerten ist. In Philosophie ist ausschlaggebend, wie einen die „peers“ betrachten, gerade bei Vorträgen oder in der Gesprächsrunde. Es kann auch passieren, dass der eine ein Paper oder einen Vortrag großartig findet, während ein anderer davon gar nichts hält. Auf diesem Nährboden können sich die unbewussten Vorurteile natürlich ungehindert entfalten.

Zudem gibt es trotz der zunehmenden Entstehung von Frauengruppen in der Philosophie ein Netzwerkproblem, der sich weiter perpetuiert, je weniger Frauen in die Wissenschaft gehen. Die Welt der „Academia“ ist doch sehr stark von ungeschriebenen Regeln und networking geprägt. Über diese Kanäle werden aber eine ganze Reihe von Wissen, Kontakte und andere akademische Pfründe weitergereicht. Für Frauen scheint es, so meine Beobachtung, schwie-riger, ein Netzwerk zu finden, das ähnlich eng geknüpft ist wie die bereits bestehenden Netzwerken zwischen Männern in den verschiedenen Position, wo immer noch weniger Berührungsängste zu bestehen oder mehr Gemeinsamkeiten da zu sein scheinen. Daher fühlt man sich als Frau eher verloren in einer männlich dominierten Gruppe.

Außerdem glaube ich, dass es häufig schwierig ist, eine Karriere in der Wissenschaft anzustreben, wenn man eine Familie gründen will. Da steht Frauen in der Wissenschaft gerade in Deutschland noch das traditionelle Familienbild im Wege, in dem Frauen immer noch als diejenigen angesehen werden, die sich hauptsächlich um die Kinder kümmern sollen. In der Philosophie ist meiner Ansicht nach die Vereinbarkeit nicht nur besonders schwer, weil es wenig dauerhafte Stellen gibt. Ich glaube auch, dass es dazu beiträgt, dass man als Philosophin noch weniger ernst genommen wird, weil man im Kopf nicht frei genug scheint, um sich ganz der Philosophie zu verschreiben, was nach meinem Eindruck noch häufig erwartet wird, auch wenn es nicht geäußert wird. Über dieses Thema gäbe es noch einiges mehr zu sagen, das würde aber den Rahmen hier sprengen.

Charlotte Annerl: Diese Frage lässt sich aus zwei Perspektiven beurteilen: aus einer empiri-schen und einer philosophischen. Aus empirischer Sicht fällt der Blick auf Hemmnisse, die unter die klassisch-aufklärerische Kategorie des "Vorurteils" subsumierbar sind. Angesichts von universitären Förderprogrammen und offen bekundeter Akzeptanz von weiblichen Karrieren in der Wissenschaft werden diese heute verstärkt im Unbewussten verortet, und zwar durchaus bei beiden Geschlechtern. In der vor allem in den USA beheimateten Forschung zu diesem Thema, die allerdings weniger die Philosophie als die MINT-Fächer behandelt, ist von implicit biases, also impliziten Vorurteilen, oder von gender schemas, also Geschlechter-Schemata im Sinne unbewusster Sets von problematischen Annahmen, Assoziationen und Erwartungen, die Rede. Als weitere Ursache gilt das ebenfalls empirisch erforschte Phänomen stereotype threat, also die Verunsicherung durch die Erinnerung an Abwertungen der eigenen Gruppe in einer Leistungssituation. Tatsächlich wäre es ziemlich anspruchsvoll, die feineren, subtilen Mechanismen und die zahlreichen Faktoren nachzuzeichnen, die bei Kariereverläufen eine Rolle spielen. Als Methode wären auch Tiefeninterviews vorstellbar, wie sie beispielsweise der Soziologe Jean-Claude Kaufmann entwickelte.

Allerdings vernachlässigt diese Diskussion, dass die modernen Formen des Wissens nicht "naturwüchsig", wie Marx sagen würde, aus anthropologisch fixierbaren Vermögen entstan-den, sondern aus konfliktreichen Lebenssituationen, aus der Konfrontation mit schwer zu lö-senden Problemen einer zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft. Ich würde daher vorschla-gen, neben den Begriffen des Vorurteils und der Begabung (oft auch als "Talent-Modell" be-zeichnet) hier als dritte Kategorie jene des Interesses ins Spiel bringen, und zwar des fachli-chen, intellektuellen und institutionellen Interesses. Diese Interessen sind einfach unter-schiedlich gelagert und bedürfen der genauen Analyse.

Es ist der Vorschlag gemacht worden, „alternative“ zu den dominierenden Formen des Philosophierens zu fördern. Wie sehen Sie das und welche Formen könnten das sein?

Charlotte Annerl: Ich würde durchaus für alternative Akzente und Themen des Philosophie-rens plädieren. Frauen standen und stehen vor dem Hintergrund der Geschichte der Geschlechterordnung vor der Aufgabe, ihren eigenen Weg in die Öffentlichkeit zu erkämpfen und zu reflektieren. Daher wäre es für die Philosophie insgesamt eine Bereicherung, sich systematischer als bisher mit den Themen, Grundlagen und Problemen jener Sozialwissenschaften zu befassen, die diesen Sonderweg zu thematisieren vermögen und nicht zufällig bereits eine hohen Frauenanteil aufweisen. Derzeit finden hingegen selbst die Phasen der Abtrennung von Disziplinen wie der Psychologie oder der Soziologie aus dem Verband der Philosophie des 19. Jahrhunderts kaum mehr philosophische Beachtung, Autoren wie Weber, Tönnies oder Durkheim, Fries, Herbart oder James werden heute nur mehr von wissenschaftsgeschichtlich interessierten Soziologen oder Psychologen diskutiert.

Mari Mikkola: Dies hängt davon ab, was wir unter diesen Formen verstehen. Wenn es um philosophische Methoden geht (wie Begriffsanalyse oder gegen Intuitionen getestete Gedankenexperimente), würde ich sicherlich eine selbstreflektierende Analyse der philosophischen Methodik fördern. Diese metaphilosophischen Überlegungen sehe ich allerdings nicht notwendigerweise auf einer Ebene mit Fragen zur Inklusivität in der Philosophie.

Hilge Landweer: Wenn diese Frage auf die philosophische Kultur abzielt, so gibt es sicherlich eine Menge Dinge, die geändert werden müssen, um eine allzu große Gleichförmigkeit der Stile und Denkweisen zugleich mit der Geschlechtshomogenität zu durchbrechen. Dies fängt bei einer asketischen Selbststilisierung und einem Arbeitsethos an, das keinerlei andere Interessen neben sich duldet, wenn man als ‚richtiger’ Philosoph/Philosophin anerkannt werden will, und reicht bis zu der Erkenntnis, dass bei vielen der philosophischen Probleme, die mit einer merkwürdigen Leidenschaft diskutiert werden, die Bedeutsamkeit für die praktische Orientierung entweder vollkommen unklar ist oder nicht deutlich gemacht wird. Ich denke, dass die Philosophie insgesamt davon profitieren würde, wenn sie sich ihrer orientierenden Kraft bewusster würde. Dann würde die Philosophie auch für Frauen interessanter werden.

Rebecca Gutwald: Da ich viel im interdisziplinären Kontext arbeite und in meiner Freizeit gerne Philosophierunden für fachfremdes Publikum, z. B. Kinder, organisiere, bin ich bei dieser Frage bestimmt etwas voreingenommen. Ich glaube, dass sich die akademische Philosophie, gerade die praktische, in vielerlei Hinsicht ändern sollte, um wieder mehr für die heutige Zeit und auch für andere Wissenschaften relevant zu werden. Dazu gehört das, was ich unter Bezug auf Wolff oben beschrieben habe: zuhören, systematisieren, reflektieren, die richtigen Begriffe und Bezüge in der Philosophiegeschichte finden, die es häufig gibt. Viele, auch abwegig scheinende, Standpunkte sind in der Philosophie schon einmal geäußert worden. Eine Aufgabe eines Seminarleiters ist meiner Mei¬nung nach die eines philosophischen Moderators: er soll den Studenten helfen, ihre Standpunkte besser auszudrücken, mit Argumenten aus der Philosophie zu verknüpfen und damit philosophische Probleme besser zu verstehen. Da es in der Philosophie viel um das Stellen von Fragen geht, sollte das mehr ge-übt werden.

Ein engerer Austausch mit anderen Disziplinen – etwa der Ökonomie, den Neurowissenschaft oder der Medizin – kann hier, finde ich, ebenso interessant sein. Solchen Austausch gibt es ja schon auf Forschungsebene, aber interdisziplinäre Seminare wären auch im Studium ein guter Weg, um auch zu zeigen, welche Relevanz die Philosophie für praktische Probleme hat. Ebenso kann ich mir gut Philosophieren in praktischen Projekten außerhalb der Universität vorstellen, etwa in der Entwicklungshilfe oder in der sozialen Arbeit. Ich glaube aber, dass wir nicht unbedingt nach brandneuen Alternativen des Philosophierens suchen müssen. Sinnvoll ist es eher, sich wieder mehr auf die alternativen Formen des Philosophierens rückzubesinnen, die es schon gab, etwa in der Antike. Damals wurde viel im Dialog erarbeitet und die Kommunikation miteinander selbst wurde zum Thema gemacht. Philosophie war damals mehr als heute eine Praxis. Ich glaube, es würde sich lohnen, diesen Gedanken nochmals aufzunehmen und auch „nebenbei“ auszuprobieren, ob das zu mehr Geschlechtergleichheit führen könnte.

Sehen Sie eine Verbesserungsmöglichkeit durch eine gendersensible Didaktik des Philoso-phiestudiums an Hochschulen?

Mari Mikkola: Absolut. Dazu gibt es viel zu sagen, aber zusätzlich zu dem schon erwähnten Dweck-Effect sollten zukünftige Lehrende besonders auf zwei Phänomene im Seminarraum aufmerksam gemacht werden. Erstens: implizite Vorurteile. Diese speisen sich aus größtenteils unbewussten Sets von Annahmen, Assoziationen, Vorurteilen und Erwartungen, die wir haben, um die Welt zu organisieren. Zunächst einmal sind solche Assoziationen nichts Schlechtes, möglicherweise sind sie sogar notwendig. Es gibt allerdings mit Gender assoziierte Schemata, die viel Schaden anrichten, indem sie z. B. beeinflussen, wie wir Personen und deren Leistungen bewerten und evaluieren. Mehrere Studien zu Lebenslaufsbewertungen illustrieren diesen Punkt: Gleichwertige Bewerbungen werden ungleich eingeschätzt aufgrund des Geschlechts der Bewerber_innen. Lebensläufe männlicher Kandidaten werden öfter als hochwertig eingestuft, obwohl kein Unterschied zwischen den Qualifikationen von männlichen und weiblichen Bewerber_innen existiert. Das heißt: unsere unbewussten Vorannahmen verursachen unfaire und ungleiche Leistungsbewertungen, was vielleicht in der Philosophie besonders Frauen benachteiligt, weil ihre philosophischen Beiträge womöglich unbewusst als schlechter bewertet werden.

Zweitens: Bedrohung durch Stereotype (stereotype threat). Hierbei handelt es sich um eine Beeinflussung unserer eigenen Leistung. Wird ein Mitglied einer mit Vorurteilen belegten Gruppe vor bestimmten Aufgaben an seine Gruppenzugehörigkeit erinnert, so erbringt diese Person schlechtere Leistungen. Zum Beispiel wird die Mathe-Prüfungsleistung von Frauen schlechter, wenn sie auf Gender ‚geprimed’ sind (vor einem Test an ihre Gender-Gruppenzugehörigkeit erinnert werden). Eine mögliche Erklärung ist die Bedrohung durch Stereotype: Frauen werden auf negative Vorurteile über ihre Gruppenzugehörigkeit aufmerksam gemacht, was eine Art Angst, das Vorurteil zu bestätigen, kreiert. Diese Angst hat dann einen negativen Effekt auf die Leistung von Frauen, weil sie sich weniger selbstsi-cher fühlen und viele ihrer kognitiven Ressourcen verbrauchen um diese Unsicherheit zu überwinden.

Zukünftige Lehrende sollten also (u. a.) auf diese beiden Phänomene hingewiesen werden, um deren negative Auswirkungen zu vermindern bzw. aufzuheben.

Rebecca Gutwald: Viele Konzepte, wie man die Lehre gendersensibel gestalten kann, haben einiges für sich. Das fängt schon bei der Formulierung von Beispielen an (indem man z. B. nicht immer Männer als Protagonisten wählt) oder in der Auswahl der Literatur, die man im Seminar liest. Wenn man die Seminarpläne für bestimmte Themen ansieht, bestehen diese häufig aus Texten von Männern – auch in der aktuellen Philosophie. Dadurch wird natürlich der Eindruck vermittelt, dass Frauen in bestimmten Themenbereichen nichts zu sagen haben. Die Lehrenden für das Thema gender zu sensibilisieren, kann so zur Sichtbarkeit von Frauen in der Philosophie beitragen. Das hat einen wichtigen Vorbildeffekt für junge Frauen. Ich kann mich erinnern, dass es mich doch bestärkt hat, wenn ich Aufsätze von beispielsweise Philippa Foot oder Onora O’Neill gelesen habe. Ich habe mich dadurch einfach in anderer Weise angesprochen gefühlt. Im Grunde ist das wie bei fast jeder Frage nach Inklusion: man fühlt sich wohler und zugehöriger, wenn jemand dabei ist, der einem ähnlich ist.

Am wichtigsten wäre es, denke ich, dass die Lehrenden selbst darin geschult werden, gendersensibel zu handeln und Frauen auch im Seminar genügend Raum zu geben. Die oben angesprochenen unterbewussten Vorurteile bestehen auch bei Leuten, die sich sehr um Gleichheit bemühen und bei Frauen selbst. Ich denke, dass hier tatsächlich der Boden bereitet werden kann und sogar muss, damit sich mehr Frauen von einer Karriere als Wissenschaftlerin angesprochen fühlen.

Hilge Landweer: Eines der wenigen didaktischen Prinzipien, die ich habe, besteht darin, bei mehreren Meldungen stets diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die sich bis dahin nicht beteiligt haben. Auf diese Weise werden deutlich mehr Studierende in die Diskussion einbezogen, und es hebt – zumindest sehr oft – zugleich das Niveau der Diskussion. Zudem führt es dazu, dass die Studierenden besser aufeinander achten und weniger auf die Professorin fixiert sind. Es verbessert eindeutig die Seminaratmosphäre. Vor allem aber darf der oder die Lehrende niemanden öffentlich bloßstellen. Stattdessen sollte sie auch ungenauen oder unpassenden Beiträgen einen rationalen Willen unterstellen. Sie sollte die Äußerungen möglichst so umformulieren, dass sie in die Debatte integriert werden können. Nichts ist entmutigender, als wenn Beiträge von Studierenden übergangen werden, als zählten sie nichts oder seien falsch. Besonders ausgrenzend sind autoritäre Äußerungen des Typs „Dies gehört nicht hierher“, die äußerst selten wirklich nötig sind. Es ist Aufgabe von Lehrenden, der Gruppe zu vermitteln, was aus welchen Gründen zu einer Debatte gehört und was eher zu einem anderen Problemkontext. Das kann man so sagen, dass dabei niemand beschämt wird. Ich sehe die Aufgabe einer „gendersensiblen Didaktik“ darin, eine genauere Wahrnehmung für die Anliegen und Befindlichkeiten ALLER Studierender auszubilden.

Philosophie hat für viele den Anklang eines Faches für Hochbegabte. Könnte das auf Frauen abschreckend wirken?

Charlotte Annerl: Das Fach Philosophie weist die Besonderheit auf, dass einem kleinen Kreis von Spitzenpositionen innerhalb der Universität so gut wie kein außeruniversitäres Tätigkeitsfeld gegenübersteht. Allerdings besteht die Möglichkeit, auch außerhalb der Unive-sität philosophisch zu forschen, bedarf es hierfür doch im Unterschied zu anderen Disziplinen keiner wissenschaftlichen Laboreinrichtungen, keiner breit angelegten Befragungen, keiner Tests von Versuchspersonen und keiner aufwändigen Feldforschung. Wie Statistiken belegen, wählen nicht wenige Philosophinnen diesen freilich von der Gefahr des Prekariats bedrohten Weg außerhalb einer institutionellen Verankerung. Auch die feministische Philosophie entwickelte sich zunächst ohne universitäre Einbindung, wie Sabine Hark in Dissidente Partizipation ausführt. Angesichts dieser Optionen werden Frauen, sofern sie zu einer vorsichtigen Low-Risk-Strategie tendieren, sicher abgeschreckt. Umso mehr, wenn an Instituten männliche Kollegen dominieren, die zudem im Unterschied zu anderen Disziplinen nicht selten auch in den Medien präsent sind. Eine stärkere Beachtung der Frage "Was ist Philosophie" könnte zudem dazu beitragen, gerade beim heiklen Übergang vom ersten Stu-dienabschnitt zu einer Master- oder einer PhD- bzw. Doktorats-Ausbildung Unklarheiten darüber zu thematisieren, welche Art von Wissen die Philosophie darstellt, welches Anforderungsprofil und welche Perspektiven bestehen. Das Fach mit seinen zahlreichen, teilweise Jahrtausende alten Einzeldisziplinen scheint besonders AnfängerInnen unübersichtlich und ungreifbar.

Die „Feministische Philosophie“ ist praktisch inexistent. Wurde sie von den Gender Studies aufgesogen oder gibt es andere Gründe dafür?

Hilge Landweer: Viele promovierte feministische Philosophinnen haben sich in anderen Disziplinen habilitiert, weil die Philosophie sich diesen Inhalten immer noch weitgehend verschließt und sie als „nicht philosophisch“ ausgrenzt. Nicht die Gender Studies haben sich als Staubsauger betätigt, sondern die akademische Philosophie arbeitete hier als Bulldozer. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass es keinen von einer großen Mehrheit der akademischen Philosophie geteilten Philosophie-Begriff gibt. Feministische Philosophie existiert in nicht-etablierter Form außerhalb der akademischen Philosophie, und das tut weder der Akademie und den etablierten Inhalten noch den Ausgegrenzten gut. Ist das Verhältnis von Peripherie und Zentrum wirklich so eindeutig bestimmt, dass sich Ausschlüsse damit rechtfertigen lassen? In der Geschichte der Philosophie zeigt sich, dass das Verhältnis des sog. „Kerns“ des Fachs zu seinen Rändern keineswegs ein für allemal feststeht: Der gegenwärtige philosophische Kanon besteht in wichtigen Teilen aus Denkern, die zu ihrer Zeit aus der Institution ausgeschlossen waren und oder gegen sie angingen, von Descartes und Hobbes über Hume zu Nietzsche und Kierkegaard. Es waren oft gerade die dissidenten Denker, die das Verhältnis von Peripherie und Zentrum in der Philosophie in Bewegung gebracht haben. – Erst vor wenigen Jahren wurde Hannah Arendt in einem Bewerbungsverfahren von einem – offenbar recht bornierten – Fachvertreter als Nicht-Philosophin bezeichnet. Es macht nicht eben Hoffnung, dass die feministische Philosophie sich an den Rändern der akademischen Philosophie in guter Gesellschaft befindet.

Mari Mikkola: Eigentlich stimmt es nicht, dass feministische Philosophie inexistent ist. In Deutschland ist es so! Während feministische Philosophie hier kaum zu finden ist, wurde sie in den letzten zwei Jahrzehnten im englischsprachigen Raum als eigenständiger Philosophiebereich etabliert und anerkannt. Dort ist feministische Philosophie mittlerweile vom Nischenthema zu einem Standardbereich geworden. Jede große englischsprachige Philosophie-Tagung (wie die American Philosophical Association-Tagungen und die Joint Session in Großbritannien) hat ausgewiesene Sitzungen zu Feminismus und Gender-Themen. Hier sind wir allerdings hinter der Entwicklung: In Deutschland gilt feministische Philosophie noch nicht als Philosophie. Wer heutzutage feministische Themen philosophisch bearbeiten will, sieht sich oft mit schlechten Forschungsmöglichkeiten und fehlender Akzeptanz für solche Forschungsvorhaben konfrontiert. Daher verzichten viele Philosophinnen auf feministische und Gender-Themen: diese werden als karriereschädlich betrachtet. Leider ist diese Befürchtung nicht unbegründet und dagegen sollten wir in der deutschen Philosophie dringend etwas tun. Die Gründe für die fehlende feministische Perspektive in der deutschen Philosophie sind also, einfach gesagt: Mangelnde Kenntnis von feministischer Fragestellung in der Philosophie und eben Vorurteile.

Charlotte Annerl: Der Terminus Feministische Philosophie signalisiert zweifellos stärker als die Bezeichnung Gender Studies einen moralisch-politischen Anspruch. So waren beispielsweise am Institut für Philosophie in Wien eine feministische Professur und eine institutionelle Verankerung der feministischen Forschung unverzichtbare Wegbereiter für eine universitäre Öffnung, dank der heute acht männlichen sieben weibliche Professoren, die ein breites Forschungsfeld abdecken, gegenüberstehen. Indem im Augenblick für die Fortführung der derzeit nicht nachbesetzten feministischen Professuren in der Philosophie sowie in der Geschichts- und Politikwissenschaft gekämpft wird, taucht dieser Begriff wieder verstärkt in den Diskussionen auf, nachdem er zuvor in internen Kritiken bereits als "historisch überholt", ja als "Opferfeminismus" abgeschrieben wurde.

Auf der theoretischen Ebene ist philosophische Forschung aber letztlich mit komplizierten Grundsatzfragen bei der Analyse der tatsächlichen historisch-logischen Entwicklung der Ge-schlechterordnung konfrontiert. Hier hat die "klassische" feministische Philosophie noch keinen wirklichen Durchbruch erzielt. Sie ist einerseits vom Faktum der Gleichheit der Ge-schlechter ausgegangen, andererseits reagierte sie bei der intellektuell bedeutsamen Frage, wie es zu derart unterschiedlichen Rollen und Wesenszuschreibungen überhaupt kommen konnte, teils mit einem überzogenen Differenzanspruch, teils wusste sie außer dem Gedanken der Unterdrückung von ihrem Ansatz her wenig zu sagen. Dies wäre aber die Bedingung für die immer noch kaum umgesetzte Forderung, "die Impulse aus der Geschlechterforschung sowie feministischer Theoriebildung in die Forschung und die Lehre der Fakultät zu integrieren", so der Frauenförderplan an der Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik an der Ruhr-Universität Bochum.

Rebecca Gutwald: Dass die Gender Studies die feministische Philosophie in sich aufge-nommen haben, denke ich nicht, denn in der feministischen Philosophie geht es teilweise um andere Fragen, etwa die nach Gerechtigkeit oder Ethik in der Familie. Der Hauptgrund liegt aus meiner Sicht darin, dass die feministische Philosophie weniger ernst genommen wird als andere Teildisziplinen der (praktischen) Philosophie. Hinter vorgehaltener Hand habe ich öfter gehört, dass Frauen davon abgeraten wird, feministische Philosophie zu betreiben, weil sie sich damit ihre – ohnehin schon geringen – Karrierechance ruinieren würden. Ich kann nur mutmaßen, woher diese Einschätzung kommt, da es in der feministischen Philosophie auch jetzt noch einige sehr prominente Philosophinnen gibt, die dort wie auch in anderen Teilbereichen sehr gute Arbeit machen. Es könnte aber mit dem Umstand zusammenhängen, dass man als Frau, die feministische Philosophie betreibt, so wirkt als würde man quasi darüber „lamentieren“, wie man selbst behandelt wird. Es könnte sogar peinlich werden, wenn jemand z. B. denkt, man wolle eingeladen werden, wenn man etwa darauf hinweist, dass eine Konferenz keine weiblichen Vortragenden hat oder ein Sammelband nur Beiträge von Männern enthält. Dies ist von feministischen Philosoph_innen selbstverständlich nicht gemeint. Ebenso kann es sein, dass die feministische Philosophie nicht ernst genommen, weil sie leider häufig nur von Frauen betrieben wird. Da beißt sich die Katze in den Schwanz: wenn Frauen in der Philosophie weniger ernst genommen werden, dann wird auch die Philosophie über sie weniger ernst genommen.

UNSERE AUTORINNEN:

Charlotte Annerl ist promovierte Philosophin und gibt in Wien das „e-Journal Philosophie der Psychologie“ heraus. Rebecca Gutwald ist promovierte Philosophin und wissenschaftli-che Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophie IV der Universität München. Hilge Landweer ist Professorin für Philosophie an der FU Berlin, Mari Mikkola ist Juniorprofessorin für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.