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POSITIONEN

Tarkan Tek :
Žižeks politische Philosophie

 

aus: Heft 2/2017, S. 46-51
 
  
Die Welt zu einer gerechteren zu machen
 
Der 1949 geborene slowenische Philosoph Slavoj Žižek gehört nicht nur zu den wichtigsten linken Theoretikern, er ist international bekannt als Philosoph, Psychoanalytiker, Politikwissenschaftler und Experte im Fach Populärkultur. Žižek definiert sich selbst als Philosoph, als dialektisch-materialistischer Hegelianer, als psychoanalytischer Lacanianer, als Politiker, als Kommunist, wie auch als Atheist, der sich aber gleichzeitig für das kulturelle Christentum begeistert. Seine Arbeiten behandeln sowohl Themen des Alltags als auch globale Probleme unserer Zeit. Žižek hat sich zu unterschiedlichsten Themen geäußert und sich an zahlreichen internationalen Diskussionen beteiligt. Zum israelisch-palästinensischen Konflikt hat er ebenso Stellung genommen wie zu den Filmen von Alfred Hitchcock, sein Spektrum reicht von der deutschen idealistischen Philosophie bis zu den politischen Perspektiven der Linken. Als ein Intellektueller, der sich für verschiedene Themen interessiert, hat er in fast allen sozialwissenschaftlichen Bereichen Schriften publiziert und an Vorträgen teilgenommen.
 
Žižeks Ansätze basieren auf den Theorien von drei Denkern: auf Hegel, Marx und Lacan. Durch Hegel gelangte Žižek zu Lacan und durch Lacan entdeckte er Marx wieder. In seinen politischen Texten konzentriert er sich auf die Texte von Marx und Lenin und in seinen Texten zur marxistischen Ideologiekritik kritisierte er nicht zuletzt Marx selbst. Dass Žižek heute in der ganzen Welt bekannt ist, liegt an seiner intellektuellen Ausdauer und manchmal gewagten Herangehensweise an Themen. Er versucht seine Fachgebiete Philosophie und Psychoanalyse seiner eigenen Ideologie dienlich zu machen, wobei er stets – und nicht immer erfolgreich – versucht, seine Gedankenwelt effektiv und zusammenhängend zu erklären. Ihm geht es darum, wie er erklärt, „die Welt zu einer gerechteren“ zu machen. Sein größtes Ziel ist es, „die Universalität der Philosophie mit der Universalität des Proletariats zusammenzubringen“ und aus dieser Zusammenkunft das Programm einer politischen Bewegung zu entwickeln.
 
Žižeks politische Laufbahn
 
Slavoj Žižek hat sich seit seiner Jugend gesellschaftlich engagiert. Ab 1977 war er Mitglied der Slowenischen Kommunistischen Par tei, machte in der Partei Karriere: er war Mitglied des Zentralkomitees und hat eine Periode lang die Reden und Texte der Partei verfasst - bis 1988, als er aufgrund seiner oppositionellen Haltung die Partei verlassen musste. Anschließend war er Mitglied des Menschenrechtskomitees, das 1988 aus Protest gegen die Festnahme von vier slowenischen Journalisten durch das jugoslawische Militär gegründet wurde und für eine gerechte Untersuchung des Falles sowie einen fairen Prozess sorgen wollte. Durch die Arbeit in diesem Komitee verstärkte sich Žižeks Kritik am Regime, er wurde über die Landesgrenzen hinaus als Oppositioneller bekannt.
 
Im Jahr 1990 fanden die Wahlen zum Kollektiven Präsidium der ehemaligen jugoslawischen Republik Slowenien statt. Žižek trat als Kandidat der Liberal-Demokratischen Partei (LDS) Partei an. Er nennt folgende Beweggründe, die ihn dazu veranlasst haben:
 
 Our aim is to promote pluralism and an awareness of ecological issues, and to defend the rights of minorities. This is the kind of liberal tradition we represent.” (1)
 
Žižek verlor die Wahlen, aber was noch schlimmer war: sein Antritt für eine liberale Partei enttäuschte Menschen in seinem Umfeld und auch enge Freunde. Es war für sie nicht nachvollziehbar, dass eine Person wie Žižek, der selbst aus einer linken Tradition kommt und einen wichtigen Einfluss ausübte, für eine liberale Partei antritt. Diese Kritik haftet auch noch heute an ihm und wird es wohl weiterhin tun. Die interessanteste Kritik kam von Ernesto Laclau, früher einer von Žižeks engsten Verbündeten:
 
Erzählt er den slowenischen Wählern, dass er die liberale Demokratie abschaffen wolle – ein Regime, das nach langwierigen Liberalisierungskampagnen in den 1980ern, in denen Žižek selbst äußerst aktiv war, nur langsam und mühselig errichtet wurde? (2)
 
Žižek maß solcher Kritik keine Bedeutung bei, insbesondere wenn sie von außerhalb des ehemaligen Jugoslawiens kam. Aber auch von den früheren Verbündeten aus der Kommunistischen Partei wurde er kritisiert, denen er nun als politischer Gegner gegenüber stand. Žižek konterte mit dem Vorwurf, Wächter des alten Regimes zu sein und dieses zu verteidigen. Warum unterstützen Žižek und seine Freunde die Liberal Demokratische Partei? Ihr Ziel war es, ihrem Land – eingeengt zwischen der Partei des alten Regimes und den rechtsgerichteten nationalistischen Parteien – Luft zum Atmen zu verschaffen. Für den Biographen Myers hatte Žižeks Beitritt in die LDS strategische Gründe:
 
This position was more strategic than a matter of conviction as he was attempting to defeat the conservative alliance between the nationalists and the excommunists. (3)
 
Nach 1990 trat Slavoj Žižek nicht mehr für die LDS an, fungierte jedoch noch viele Jahre als Berater des Parteivorstands. Zur damaligen Zeit stand die Partei und auch Žižek den Werten des westlichen Liberalismus skeptisch gegenüber. Es wäre daher irreführend, das Konzept der LDS-Partei mit dem heutigen Programm von liberalen Parteien gleichzusetzen. Ihr Ziel war die Ermöglichung eines Mehrparteiensystems unter Beibehaltung einer linken Politik. Einer ihrer größten Erfolge – und nach der Meinung einiger Kritiker ihr größter Fehler – war die Veränderung des politischen Systems in Slowenien.
 
Aktivismus in sozialen Bewegungen
 
Nach seiner Zeit für die LDS hat Žižek seine parteipolitische Arbeit eingestellt und sich auf seine akademischen und publizistischen Arbeiten konzentriert. Er begleitete nun die Politik Sloweniens und den Weg des Landes in die Unabhängigkeit publizistisch, sein Interesse aber galt nun von vor allem weltweiten neuen gesellschaftspolitischen Entwicklungen. In den letzten Jahren hat sich sein Engagement auf soziale Bewegungen konzentriert. Nach der LDS unterstützte er zudem erstmals wieder direkt eine Partei, die griechische Linkspartei SYRIZA, organisierte Pressekonferenzen mit deren Vorsitzenden Aleksis Tsipras und lud die europäischen Linken zu Konferenzen ein. Seine Meinung über SYRIZA wird auch durch folgendes Zitat veranschaulicht:
 
Zum Einen, eine wahre, den Prinzipien treue, radikale Linkspartei. Und zum Anderen scheuen sie sich nicht davor die Regierung zu übernehmen. Und wie Aleksis sagt: Jeder ist sich der Schwierigkeit der Situation bewusst...” (4)
 
Aber nicht nur SYRIZA, auch andere europäische Parteien und Organisation mit einem ähnlichen Programm fanden seine Unterstützung. Dieses Engagement als politischer Aktivist führte die vergangenen Jahre dazu, dass das Interesse an ihm weltweit anstieg, insbesondere bei jenen, die Kritik am globalen Kapitalismus üben. An manchen dieser Bewegungen (Balinyo Bewegung in Paris, Proteste an den Universitäten in Großbritannien, Arabischer Frühling, Occupy Wall Street, Gezi Park-Proteste) nahm Žižek selbst teil, gab dazu Interviews in mehreren Sprachen und schrieb verschiedene Artikel darüber. Sein Anliegen ist es, Bewegungen zu unterstützen, die auf einem antikapitalistischen Weg voranschreiten, nach einer gemeinsamen alternativen Politik suchen und auf eine Lösung weltweiter Probleme hoffen.
 
Žižeks „Idee des Kommunismus“
 
Žižeks Denken ist von seinen Anfängen bis heute marxistisch geprägt. Es hat jedoch, wie Sarah Kay betont, eine Wandlung durchgemacht:
 
Die Werke, die vor dem The Indivisible Remainder geschrieben worden sind, haben eine antitotalitäre Grundhaltung, und das eigentliche Thema, mit dem sie sich beschäftigen, ist die Kritik an Ideologien, insbesondere an nationalistischen und rassistischen Ideologien. Die nachfolgenden Werke, insbesondere das Werk Die Tücke des Subjekts gehen in eine hitzige Offensive gegen den Kapitalismus und verteidigen die Universalität als Gegenreaktion zur kapitalistischen Globalisierung. (5)
 
In den 1980er Jahren, als viele Länder von totalitären Regierungen geführt wurden, nahm er eine antitotalitäre und antifaschistische Haltung ein. In den 2000er Jahren und danach avancierten Kapitalismuskritik und Linksliberalismus zu den zentralen Themen. Der Klassenkampf als eines der Grundprinzipien des Marxismus blieb in Žižeks politischer Theorie jedoch der entscheidende Faktor. Er macht damit alle Diskriminierten, Unterdrückten, Armen und Migranten zum Subjekt der Politik. Eine Politik, die keine Verantwortung für Entscheidungen übernimmt, führt in seinen Augen lediglich einen Machtkampf.
 
Als Kommunisten, die sich als Universalisten bezeichnen, gibt es in unseren Augen nur eine Welt; deshalb ist das Leid und der Kampf der Unterdrückten auch unsere Sorge, auch wenn sie am anderen Ende der Welt sind, sind deren Probleme unsere. (6)
 
Gemeinsam mit Alain Badou war Žižek Vorreiter einer in den vergangenen zehn Jahren lebhaft geführten Diskussion über eine Wiederbelebung der kommunistischen Idee. Allerdings bildet dieser Versuch kein Novum in Žižeks Arbeit. Er findet sich bereits in seinen ersten Werken wie auch in seinem 2002 erschienen Buch Revolution at the Gates. Weitere wichtige Bücher zu dieser Diskussion über die kommunistische Idee und die Akzeptanz der kommunistischen Alternative sind auch Die Kommunistische Hypothese” (2006) und Wo steht der Name Sarkozy?” (2007), beide von Alain Badiou, der sich auf diesem Weg als Žižeks Verbündeter versteht, sowie Empire, das von Antoni Negri und Michael Hard gemeinsam verfasst wurde. Wichtig für diese Neuauflage des Kommunismus-Gedankens ist auch die von Badiou und Žižek gemeinsam 2009 in England organisierte Konferenz „Die Idee des Kommunismus“, sowie die daran anschliessenden Tagungen 2010 in Berlin und 2011 in New York.
 
Žižek zeigte sich dabei überzeugt, dass wir mit einer „Idee“ – konkret mit der „Kommunistischen Idee“ – leben und die Politik nach dieser Idee gestalten müssen. Das hindert ihn nicht daran, in vielen seiner Werke und auch öffentlich – wie in den genannten Konferenzen – die Linke und den orthodoxen Marxismus zu kritisieren. Die Rolle, die Žižek der kommunistischen Idee zuschreibt und seine Gedanken zu dieser Ideologie kommentierte er in einem seiner Bücher:
 
Diese unangenehmen Fragen, die wir bevorzugen zu ignorieren, sind ein Zeichen für die Notwendigkeit der Neuerfindung des Kommunismus. Wenn man die große Erfolglosigkeit des so dominierenden kommunistischen Entwurfs im 20. Jahrhundert mit einberechnet, wie können wir uns dieser Aufgabe zuwenden? Wo und wie begannen die Probleme? Die grundlegende Schwierigkeit der heutigen Postmarxisten ist, dass sie einerseits verstehen, wo Marx falsch liegt (oder nicht radikal genug ist), zum anderen jedoch seine Geste gegenüber Kritik wiederholen. (7)
 
Obwohl die Idee des Kommunismus politisch gescheitert ist, sind Mensch und Technik die Werte, die er trotz der belastenden Vergangenheit weiterhin vertritt:
 
Es ist dieser Bezug auf die „Commons“, der die Wiederbelebung des Kommunismusbegriffs rechtfertigt. Dies erlaubt uns, die zunehmende „Einhegung“ der Commons als einen Prozess der Proletarisierung derjenigen zu sehen, die hierdurch von ihrer eigenen Substanz ausgeschlossen werden. (8)
 
Žižek Idee eines revidierten Kommunismus geht von gemeinsamen Räumen aus: die gemeinsame Natur, die gemeinsame Biogenetik, der gemeinsame kulturelle Raum und die gemeinsame Sorge, niemanden zu diskriminieren. Es sind diese Räume, die für ein humanes Leben von essentieller Bedeutung sind. Durch den neoliberalen Prozess wurden diese privatisiert und als private Kapitalanlagen annektiert. Ihre Konzentration in der Hand einer Minderheit führte dazu, dass ein großer Teil der Bevölkerung nur eingeschränkt daran partizipieren kann. Dies hat eine nicht hinnehmbare Einschränkung des Lebensraums der ärmeren Bevölkerung zur Folge. Žižek diagnostiziert dies als Grund der Abneigung gegen den globalen Kapitalismus, die mit jedem Tag wächst und damit die Notwendigkeit für ein Comeback des Kommunismus vorbereitet. Ist es doch der Kommunismus, der sich weltweit für die Anliegen der Armen einsetzt.
 
Slavoj Žižek bezeichnet seine Arbeiten für den Erfolg der “Kommunistischen Idee” als sein wichtigstes politisches Projekt, für das er mit all seinen intellektuellen Kapazitäten und größtem Einsatz kämpfe. Alain Badiou, sein Mitkämpfer, meint dazu:
 
[Er...] ist der einzige Denker(...), der (...) mit Konstanz und Energie die Wiederkehr der Idee des Kommunismus voranzutreiben vermag. (9)
 
Slavoj Žižek in der Kritik
 
Žižek hat mit diesem Programm eine Popularität erreicht, die jene von anderen linken Theoretikern weit überschreitet. Menschenmengen bilden sich, um mit Žižek zu reden oder um ihre Bücher von ihm signieren zu lassen. Dieses große Interesse an ihm brachte ihm den Titel “Elvis der Kulturtheorie” ein. Seine Popularität verdankt Žižek zudem seiner medialen Persönlichkeit. Ihm gelingt es mit jedem Interview im Fernsehen oder in der Zeitung, die Zahl seiner Zuhörer und Leser zu erhöhen. Dabei scheut er sich nicht, auch an Veranstaltungen teilzunehmen, die von Firmen für Werbezwecke organisiert werden oder einen Essay für den Katalog der Kleidermarke Abercrombie & Fitch (im Jahr 2003) zu schreiben. Er lässt sich damit vom Kapitalismus, den er ablehnt, zugleich benutzen. Manche seiner Schriften und Artikel publizierte Žižek mehrmals als verschiedene Veröffentlichungen unter wechselnden Titeln. Dass er dabei jeden Artikel und jede Rede als ein „wirtschaftliches“ Produkt präsentiert, hat ihm bei seinen Kritikern nicht ganz zu Unrecht das Prädikat „Opportunist“ eingebracht.
 
Ernesto Laclau hat Žižek aus einem anderen Grund kritisiert. Er hält seinen Ansatz nicht für marxistisch genug, er wirft Žižek vor, anstatt aus einem marxistischen politischen Verständnis aus einem psychoanalytischen Umfeld heraus zu argumentieren. So moniert er, dass Žižek als Marxist keine ausreichende marxistische Literatur verwende und ausschließlich Marx und Texte der Russischen Revolution zitiere.
 
Während Žižek eine Politik für die Armen vorschlägt, analysiert er zugleich auch das soziologische Setting der Menschen. Er geht davon aus, dass nur der Kommunismus das Potential hat, eine Lösung für die Krise der Armen anzubieten, da die anderen Ideologien diese Probleme ignorierten
 
And the others – who cares? Let them starve. So communism is once again at the gates. Who is to decide on the priorities here, and how, if such decisions cannot be left to the market? It is here that the question of communism has to be raised once again. (10)
 
Zitatbelege
 
(1) Osborne, Peter (Ed.) (1996): A Critical Sense: Interviews with Intellectuals, Routledge, London, S.28
 
(2) Butler, Laclau, Zizek, (2013): Kontingenz Hegemonie Universalität –Aktuelle Dialoge Zur Linken, Turia + Kant Verlag, Wien, S. 358
 
(3) Myers, Tony (2003): Slavoj Žižek, Routledge, London, S. 23
 
(4) Žižek, Slavoj und Horvat, Srecko (2013): Was will Europa?: Rettet uns vor den Rettern, Laika Verlag, Hamburg, S. 172
 
(5) Kay, Sarah (2003): Žižek: A Critical Introduction, Polity Press, Cambridge, S. 18
 
(6) Žižek, Slavoj (2011): Living in the End Times: Updated New Edition, Verso Books, London, S.477
 
(7) a. a. O. S.519
 
(8) Žižek, Slavoj, Douzinas, Costas (2012): Die Idee des Kommunismus Bd.I, Laika Verlag, Hamburg, S.256
 
(9) Badiou, Alain (2011): Die Kommunistische Hypothese, Merve Verlag, Berlin, S.158, Fußnote 35
 
(10) Žižek, Slavoj (2013): Demanding the Impossible, Polity Press, Cambridge, S.19
 
UNSER AUTOR:
 
Tarkan Tek ist Doktorand an der Akademie der bildenden Künste in Wien.