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FORSCHUNG

Praktische Philosopie: Angelika Krebs sieht Liebe als geteilte Praxis

PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

Angelika Krebs sieht die Liebe als geteilte Praxis


Gegen den Hauptstrom des gegenwärtigen Denkens, der Liebe in erster Linie als Sorge für das Wohl des anderen um des anderen willen begreift, plädiert die in Basel Philosophie lehrende Angelika Krebs in ihrem Beitrag

Krebs, A.: Liebe als geteilte Praxis, in: Rentsch, Thomas (Hrsg.): Einheit der Vernunft? Normativität zwischen Theorie und Praxis (360 S., kt., 2005, Mentis, Paderborn)

Liebe (unter erwachsenen Personen) dialogisch als geteilte Praxis zu sehen.

In dem einem vielfach (unter anderem von Harry Frankfurt, Avishai Margalit und Hugh La Follette) vertretenen kurativen Modell bedeutet Liebe die empfindende und handelnde Sorge für das Wohl und Wehe eines besonderen Anderen. Man freut sich an seiner Freude, leidet an seinem Leid und tut sein Möglichstes, um das gute Leben des anderen auch tätig zu befördern.

Angelika Krebs vertritt ein sich davon abhebendes dialogischen Modell (das sich etwa bei Martin Buber und in der Gegenwart bei Annette Baier und Irvin Singer findet). Hier geht es in der Liebe um das empfindende wie tätige Teilen des Lebens mit einem besonderen anderen. Man freut sich miteinander, leidet miteinander und redet, reist oder musiziert miteinander. Die für die Liebe konstitutive Überwindung des Egoismus versteht das dialogische Modell nicht altruistisch, sondern kommunitaristisch: Es geht um das Wir, die Beziehung, die Gemeinschaft, das Teilen von Empfindungen und Handlungen. Es geht nicht um den anderen für sich genommen und auch nicht um einen selbst für sich genommen. Liebe steht zwischen Egoismus und Altruismus. Paradigma der Liebe ist dabei die erotische Liebe.

Im dialogischen Ansatz des Verständnisses von Liebe lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: Auf der ersten Ebene der internen Struktur der Haltung lässt sich die Hingabe an das Wir von der Instrumentalisierung des anderen für eigene Zwecke unterscheiden. Auf der zweiten Ebene des Wertes der Haltung bereichert die Hingabe an das Wir das eigene Leben. Liebe ist dabei eine offen geteilte Praxis mit einem besondern anderen. Liebende „bauen ihre Liebe“. Über das Moment der Offenheit lässt sich die Liebe von Freundschaft abgrenzen. Freundschaft ist in der Regel auf gewisse Bereiche eingeschränkt. Liebe dagegen zielt auf den anderen als ganze Person und umfasst auch seine Leiblichkeit.

Das für die dialogische Liebe charakteristische Empfinden lässt sich von anderen Arten des Empfindens, wie etwa das des kurativen Modells, abgrenzen. Das kurative Modell eignet sich vor allem für asymmetrische menschliche Beziehungen, wie den Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern oder zwischen Gesunden und Schwerkranken. Das kurative Modell kennt denn auch keine Erklärung für das Phänomen der Unersetzbarkeit des Geliebten. Warum man, sobald ein würdigeres Objekt auftaucht, seine Fürsorge nicht auf diese übertragen soll, ist für Krebs schleierhaft. Im dialogischen Modell dagegen wird das Wir als gemeinsames Werk begriffen.