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Peirce

PEIRCE

 

Das Denken und die Logik des Universums

 

In der Houghton-Library der Harvard University liegen Texte der Vorlesungen von 1898, die Peirce im Rahmen der „Cambridge Conferences“ gehalten hat. Kenneth Laine Kettner hat sie in englischer Sprache zusammen mit einer Einleitung und einem umfangreichen Kommentar, den er zusammen mit Hilary Putnam geschrieben hat, veröffentlicht.

Helmut Pape hat beides nicht nur übersetzt, sondern noch zusätzliche Texte aus dem Anhang hinzugefügt:

 

Peirce, Charles S.: Das Denken und die Logik des Universums. Die Vorlesungen der Cambridge Conferences von 1898. Mit einem Anhang unveröffentlichter Manuskripte. 412 S., Ln., 2002, € 44.—, Suhrkamp, Frankfurt.

 

Erste Vorlesung

 

Der wahre wissenschaftliche Forscher verliert völlig den Blick für den praktischen Nutzen seiner Tätigkeit. In der Philosophie aber, die sich mit Dingen befasst, die uns heilig sind und sein sollten, gefährdet der, dem nicht jede Absicht auf praktische Anwendung fernliegt, seine eigene moralische Integrität und die seiner Leser. Der gegenwärtige infantile Zustand der Philosophie - denn solange ernsthafte Forscher sich nicht auf ein Prinzip einigen können, kann die Philosophie nur als etwas betrachtet werden, das noch in den Kinderschuhen steckt - geht darauf zurück, dass sie von Menschen betrieben wird, die nicht im Sektionsraum und anderen Laboratorien groß geworden sind, sondern von der Theologie herkommen und die deshalb nicht vom wahren wissenschaftlichen Eros bestimmt sind, sondern den brennenden Wunsch haben, ihr eigenes und das Leben anderer zu verbessern.

 

Die Theorie des Schließens ist vielleicht nicht lebenswichtig, aber für die Metaphysik ist sie unerlässlich. Wenn ein Metaphysiker die formale Logik nicht sehr gründlich beherrscht, und   einen metaphysischen Schluss akzeptiert, weil er den Eindruck hat, er sei in Ordnung, sollte er den Laden dichtmachen und sich nach einem anderen Metier umsehen. Dabei sind metaphysische Folgerungen, so wie wir sie kennen, recht einfach. Es sind die metaphysischen Begriffe, die schwierig zu verstehen sind. Diese sind aber nichts weiter als Übertragungen aus der formalen Logik: man kann sie daher nur im Lichte   eines minuziös genauen und gründlichen Sy­stems der formalen Logik begreifen.

 

In theoretischen Dingen darf dem Gefühl oder dem Instinkt kein Raum gegeben werden. Das, was man gewöhnlich als Überzeugung bezeichnet, hat in der Wissenschaft nichts zu suchen.  Reine Wissenschaft hat auch nichts mit Handeln zu tun. Sie nimmt die Propositionen, die sie bearbeitet, einfach mit in die Liste der Prämissen auf, die zu verwenden sie vorschlägt. Sie ist aber bereit, eine oder auch alle fallenzulassen, sobald die Erfahrung gegen sie spricht. Ganz anders in lebenswichtigen Fragen: Hier müssen wir handeln, und das Prinzip, nach dem zu richten wir bereit sind, ist eine Überzeugung.

 

An der obersten Stelle der Wissenschaften steht die Mathematik, die ihre Daten teilweise aus den unterhalb von ihr befindlichen Wissenschaften nimmt. An der obersten Stelle steht sie deshalb, weil sie die einzige Wissenschaft ist, die sich nicht damit befasst, welches die konkreten Daten sind, sondern die sich ausschließlich mit Hypothesen beschäftigt. Gleich unterhalb der Mathematik folgt die Philosophie. Sie unterscheidet sich von der Mathematik dadurch, dass sie eine Suche nach wirklicher Wahrheit ist und greift, um zu Prämissen zu gelangen, auf die Erfahrung zurück und nicht – wie die Mathematik – zu bloßen Vorschlägen. Von den Einzelwissenschaften unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf die Wirklichkeit der Existenz beschränkt, sondern auch mit der Wirklichkeit potentiellen Seins befasst ist. Die Phänomene, die sie als Prämissen verwendet, sind jene universalen Phänomene, mit denen alle Erfahrung dermaßen gesättigt ist, dass sie uns nicht entgehen können. Aufgrund dieser Universalität wie auch infolge der Ausdehnung ihrer Theorien auf ein potentielles Sein besitzen die Folgerungen der Metaphysik eine gewisse Notwendigkeit. Die Philosophie besteht aus zwei Teilen: der Logik und der Metaphysik. Die Logik ist die Wissenschaft des Denkens, des Denkens im Allgemeinen, und die Metaphysik ist die Wissenschaft des Seins im Allgemeinen, seiner Gesetze und Typen. Eine der am wenigsten bezweifelbaren Aussagen ist die, dass sich die Metaphysik bei jedem ihrer Schritte von der Logik leiten lassen muss. Jedes notwendige Schließen ist streng genommen mathematisches Schließen, d.h. es geschieht durch Beobachten von etwas, das     einem mathematischen Diagramm gleichkommt.

 

Wie Hilary Putnam in seinem Kommentar ausführt, nimmt Peirce hier eine Position ein, die der von Karl Popper ähnlich ist: Wissenschaft besteht nicht in akzeptierten Wahrheiten, sondern in nicht widerlegten Vermutungen. James und Dewey hingegen, zusammen mit Peirce Gründungsväter des Pragmatismus, waren überzeugt, dass die  Wissenschaft Führerin der Praxis sein sollte. Der Streit, der hier entsteht, dauert bis in die Gegenwart an: er herrscht zwischen denen, die ernsthafte Philosophie auf symbolische Logik und die exakten Wissenschaften aufbauen, und denjenigen, nach denen sich ernsthafte Philosophie mit Romanen und Dramen vertiefen kann.  

 

Zweite Vorlesung

 

Zu der Gruppe derjenigen Philosophen, die die Metaphysik auf die Logik gründen wollen, gehören Aristoteles, Duns Scotus und Kant. Die stärksten Gegner dieser Position sind Pythagoras und Epikur, Descartes, Locke und Hegel. In der formalen Logik geht es darum, bestimme kanonische Formen des Ausdrucks zu schaffen, deren Bedeutung unabänderlichen Regeln unterliegt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Form „Wenn A dann B“ bedeutet, „Entweder ist A unmöglich, oder in jedem möglichen Fall, in dem es wahr ist, ist B ebenfalls wahr“. Unter dieser Voraussetzung gibt es zwischen einer kategorischen und einer hypothetischen Aussage keinen logischen Unterschied. Eine universale kategorische Aussage ist disjunktiv hypothetisch und eine partikulare kategorische Aussage  ist kopulativ hypothetisch. Eine kategorische Aussage ist aber wesentlich komplizierter strukturiert als eine hypothetische Aussage. Beide sind zusammengesetzt, aber kategorische Aussagen haben eine besondere Komplikation, die hypothetische nicht haben.

 

Die gängige (falsche) Vorstellung, dass eine kategorische Aussage wie „Alle Menschen sind rationale Tiere“  einfach sei, geht auf eine Sprache zurück, in der die Gattungsbegriffe eine eigene Wortklasse bilden. Dies ist nirgendwo so ausgeprägt wie in den indogermanischen Sprachen. Die übrigen Sprachen kennen diese Wortklasse so gut wie nicht. Eine Sprache, in der das Substantiv voll entwickelt ist wie in unserer eigenen, kann die Idee, „Jeder Mensch ist ein rationales Tier“ mit Sicherheit nicht ohne das Verb „ist“ ausdrücken. Doch schon in einer dem Englischen verwandten Sprache, dem Griechischen, kann dieser Begriff weggelassen werden - eine Tatsache, die zeigt, dass der Gattungsbegriff sogar bei einem derartigen Verwandtschaftsgrad immer noch etwas von seinem Verbalcharakter bewahrt.

 

Hypothetische Aussagen weisen etwas Gleichwertiges auf, sind also auch nicht einfach strukturiert. Die Demonstrativ- und Personalpronomen „dies“, „das“, „du“ und „wir“ haben eine ganz besondere Kraft. Sie lassen uns Bedeutungen vermitteln, die Wörter allein nicht ausdrücken können. Das erreichen sie, indem sie den Zuhörer aufmerksam werden lassen. Sie beziehen sich auf eine Erfahrung, die dem Sprecher und Zuhörer gemeinsam ist bzw. sein kann. Genau in diesem Sinne ist das Wort auch in hypothetischen Aussagen zu finden.

 

Jedes Mal, wenn wir eine Konklusion ableiten, gehen wir von der mehr oder weniger bestimmten Vorstellung aus, dass der Schluss, den wir ziehen, nur ein Beispiel einer ganzen Klasse von möglichen Schlüssen ist, wobei aus einer Prämisse, die der vorliegenden Prämisse mehr oder weniger ähnlich ist, ein zuverlässiger Schluss einer Konklusion resultieren würde, die der vorliegenden Konklusion entspricht. Es gibt ein tief in unserem Geist wirkendes Prinzip, nachdem wir diese entsprechende Konklusion in jedem dieser Fälle wirklich ziehen sollten. Es ist dies das leitende Prinzip des Folgerns (inference). Sobald sich der Schlussfolgernde fragt, was ihn zu einem bestimmten Schluss berechtigt, ist er gezwungen, sein leitendes Prinzip zu formulieren. Ein leitendes Prinzip von maximaler Ab­straktheit kann als logisches Prinzip bezeichnet werden.

 

Peirce gibt hier, so der Kommentar von Kettner/ Putnam, eine Darstellung seiner höchst originellen Ansichten über das Wesen und die Begründung von unterschiedlichen Arten des Schließens. Für Peirce ist die fundamentale Bedeutungseinheit das Verb und nicht das Nomen. Es geht ihm darum, dass es die Prädikate und nicht die Individuenkonstanten sind, die für eine Sprache wesentlich sind, und diese Ansicht teilen viele gegenwärtige Logiker. Doch Peirce geht noch weiter: Eigennamen und Demonstrativa sind für ihn nicht wirklich Bestandteile von Propositionen, sondern vielmehr Anregungen zum Hinschauen - eine Ansicht, die zur gleichen Zeit auch Russell vertrat.

 

Dritte Vorlesung

 

In der Logik ist es unmöglich, auch nur einen Schritt zu tun, ohne Gefahr zu laufen, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Für Peirce hat Logik im strengen Sinn des Wortes nichts damit zu tun, wie wir denken. Denn das Wort Logik ist doppeldeutig. Es ist zugleich der Name einer allgemeinen Wissenschaft und eines besonderen Zweiges dieser Wissenschaft. Im engeren Sinne ist Logik jene Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, gute von schlechten und bei den wahrscheinlichen starke von schwachen Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Zweitens beschäftigt sich Logik mit allem, was nötig ist, diese Unterscheidungen vorzunehmen (und nichts anderem).

 

1866 kam Peirce zu der Überzeugung, dass Induktion, Deduktion und Retroduktion (und nichts anderes) die drei  Typen des Schließens sind sowie Begriff, Aussage und Schluss die drei Typen logischer Formen. Damit, so dachte er, sollte es möglich sein, den kantischen Schritt zu vollziehen und die Begriffe der Logik auf die Metaphysik zu übertragen. Die Logik selbst sieht Peirce als Untersuchung der Zeichen. Dabei ist ein Zeichen ein Ding, das ein zweites Ding für ein drittes Ding, das interpretierende Denken, darstellt. Es gibt drei Möglichkeiten, Zeichen zu untersuchen: erstens hinsichtlich der allgemeinen Bedingungen, durch die sie überhaupt Bedeutungen aufweisen, zweitens hinsichtlich der Bedingungen ihrer Wahrheit (was die Logik tut) und drittens hinsichtlich der Bedingungen der Übertragung ihrer Bedeutung auf andere Zeichen. Das Zeichen ist, allgemein gesprochen, das dritte Glied einer Triade aus er­stens einem Ding als Ding, zweitens einem Ding, sofern es mit einem anderen Ding reagiert, und drittens einem Ding, sofern es ein anderes für ein drittes darstellt. Diese drei Triaden verkörpern die drei Kategorien Qualität, Rela­tion und Darstellung. Peirce gibt ihnen aber eigene Namen, nämlich Erstheit, Zweitheit und Dritt­heit.

 

Erstheit ist die Weise, in der etwas für sich selbst existieren würde, ohne Beziehung auf etwas anderes, sodass es keinen Unterschied machen würde, wenn nichts anderes existierte. Zweitheit wird als eine Veränderung des Seins eines Gegenstands definiert, die ipso facto eine Seinsweise eines vom ersten deutlich verschiedenen Gegenstandes ist. Drittheit ist die Veränderung des Seins eines Gegenstands, welcher  eine Erscheinungsweise eines zweiten ist, insofern er die Veränderung eines Dritten ist. Man könnte sie einen inhärenten Grund nennen. Jedes Gesetz oder jede allgemeine Regel drückt eine Drittheit aus, weil es eine Tatsache veranlasst, eine andere zu verursachen.

 

Allerdings fand Peirce nach 1867 zu der Überzeugung, dass sein Schema der formalen Logik noch unvollständig war. Er fand es etwa ganz unmöglich, durch Syllogismen irgendeinen Ablauf geometrischen Denkens darzustellen. So stieß er auf die Logik der Relativa. 1870 erschien ein erster Vorschlag zur Erweiterung der Boole’schen logischen Algebra auf Relativa. 1883 stellte er seine „Algebra Dyadischer Relativa“ vor.

 

Wie Putnam in seinem Kommentar ausführt, hat diese Erweiterung zu bemerkenswerten Entdeckungen u. a. in der Mathematik, in der Lingui­stik und in der Computerwissenschaft geführt. Unabhängig von Peirce wurde dieses Gebiet auch von Frege als Quantifikationstheorie konzipiert. Peirce konstruierte eine elegante diagrammatische Methode für Deduktionen im Aussagenkalkül und in der Quantifikationstheorie, deren Gültigkeit und Vollständigkeit nachgewiesen wurde.

 

Vierte Vorlesung

 

Das Schließen hat wie jede Art der Untersuchung eine sich selbst korrigierende Tendenz, und das umso mehr, je umsichtiger es geplant ist. In der Logik der Relativa wird eine Deduk­tion mit dem Aufschreiben aller Prämissen begonnen. Diese werden dann in ein Behauptungsfeld gebracht, d. h. sie werden logisch verbunden bzw. in einer kopulativen Aussage zusammengefügt und dann einer aufmerksamen Beob­achtung unterzogen. Das ist nach Peirce genauso ein Vorgang der Beobachtung wie die Beobachtung von Bienen. Dabei führen wir ein Experiment durch: Wir verdoppeln erst Teile der Aussage, dann löschen wir Teile, d. h. wir lassen  einen Teil der Behauptung beiseite, um zu sehen, was das Übrige ist.

 

Peirce sieht vier Hindernisse, die dem Fortgang der Forschung im Wege stehen:

 

n die absolute Behauptung;

n die Behauptung, dieses oder jenes sei unserem Wissen unzugänglich;

n die Behauptung, dieses oder jenes Element der Naturwissenschaft sei endgültig;

n die Behauptung, die letzte und vollkommene Formulierung sei erreicht.

 

Fünfte Vorlesung

 

Das Wohl einer Gemeinschaft hängt weniger davon ab, ob alle Bürger ganz bestimmten Sätzen beipflichten, als von der Fähigkeit zu erkennen, welche Gedanken und Methoden für die Regierung und die öffentliche Meinung maßgeblich sein sollten. Es geht dabei darum, die Kunst des Denkens in den Mittelpunkt der Allgemeinbildung zu stellen.

Um das Ausführen der verschiedenen beim Forschen erforderlichen geistigen Fähigkeiten eine nach der anderen zu vervollkommnen, bedarf es einer analytischen Methode. Dabei geht es um drei geistige Operationen.

 

Die Beobachtung besteht aus zwei Teilen. Der erste ist eine Art unterbewusste Induktion, durch welche ein wiederholt betrachtetes Wahrnehmungsobjekt in einem seiner Elemente eine große assoziative Kraft bekommt, d. h. verstärkt andere Vorstellungen entstehen lässt. Dieses unterbewusste Beobachtungselement ist der allerwichtigste Teil des praktischen Denkens. Der andere Teil der Beobachtung besteht aus der Formung einer mehr oder weniger schematischen Vorstellung im höheren Bewusstsein, bis diese als dem Objekt der Beobachtung entsprechend empfunden wird.

Die Beobachtung lässt sich auch je nach der Natur der beobachteten Elemente in drei fast voneinander unabhängige Gattungen aufteilen. So kann sie auf die Qualitäten des Objekts oder auf die erfahrungsbestimmten Tatsachen der Rela­tion oder auf die Relationen zwischen Teilen  eines Bildes gerichtet sein, das der eigenen Phantasie entspricht.

 

Das zweite der drei geistigen Operationen ist das Experimentieren. Dabei sind folgende Qualitäten nötig: eine rege kreative Vorstellungskraft, in der sich eine unermüdliche, ständig schwierigere Aufgaben verlangende Willenskraft ausdrückt, zweitens ein „flair“, das die Arbeit verkürzt, weil es einen auf die Vorschläge lenkt, denen nachzugehen wahrscheinlich am lohnendsten ist, und drittens Ausdauer beim Durcharbeiten der verschiedenen Vorschläge, die hinreichend detailliert verfolgt werden müssen. Ein aktiver Geist sollte sich fortgesetzt mit systematischem Experimentieren beschäftigen.

 

Die dritte dieser Operationen ist die Gewohnheitsbildung - die Fähigkeit, Gewohnheiten anzunehmen und abzulegen.

 

Sechste Vorlesung

 

Wer die Kausalität zu einem der ursprünglichen Elemente im Universum oder zu einer der fundamentalen Kategorien des Denkens machen will, muss eine unangenehme Tatsache wegerklären: Die Begriffe, welche sich die Menschen von einer Ursache machen, sind in verschiedenen Stadien der wissenschaftlichen Kultur völlig unterschiedlich und miteinander unverträglich. In der antiken Literatur stoßen wir gelegentlich

auf die Feststellung, dass eine Ursache ein Ereignis von der Art ist, dass ihm notwendigerweise ein anderes Ereignis folgt, das die Wirkung darstellt. Heutzutage ist das die geläufige Vorstellung. Aber sie wurde erst in den letzten zwei Jahrhunderten zur herrschenden Konzep­tion.

 

Das Prinzip der Verursachung schließt drei Aussagen ein:

 

n Der Zustand der Dinge zu irgendeinem Zeitpunkt ist vollständig und genau durch den Zustand von Dingen zu einem anderen Zeitpunkt bestimmt.

n Die Ursache bzw. der bestimmende Zustand der Wirkung geht zeitlich vorher.

n Keine Tatsache bestimmt eine ihr in der Zeit vorhergehende Tatsache in demselben Sinn, in dem sie eine ihr in der Zeit folgende Tatsache bestimmt..

 

Diese Aussagen werden allgemein für selbstverständliche Wahrheiten gehalten. In Wahrheit jedoch stehen alle drei in glattem Widerspruch zu den Prinzipien der Mechanik. Nach der herrschenden mechanistischen Philosophie ist nichts im physikalischen Universum wirklich bis auf die Materiepartikel mit ihren Massen, ihren relativen Positionen zu verschiedenen Zeitpunkten im Raum sowie die unveränderlichen Gesetze der Beziehungen zwischen den Elementen Raum, Zeit und Materie. Entsprechend gibt es nichts, was zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich wäre, außer den Massen und ihren Positionen zusammen mit den Bewegungsgesetzen. Aber nach Newtons zweitem Bewegungsgesetz werden die Positionen der Massen zu irgendeinem Zeitpunkt nicht durch ihre Positionen zu irgendeinem anderen einzelnen Zeitpunkt bestimmt, nicht einmal unter Zuhilfenahme der Gesetze. Im Gegenteil, was bestimmt wird, ist die Beschleunigung. Nun ist die Beschleunigung die Beziehung der Positionen zu einem Zeitpunkt nicht zur Position zu einem anderen Zeitpunkt, sondern zur Position zu einem zweiten und  einem dritten Zeitpunkt. Es gibt eine wesentliche Drittheit gibt, die vom Kausalprinzip nicht berück­sichtigt wird, weshalb dessen erste Aussage falsch ist.

 

Daraus, dass der Raum ein Gesetz der Bedingungen der Wechselwirkung ist, folgt, dass es die rein räumliche Bestimmung ist, die vorschreibt, wie die Wechselwirkung eines besonderen Teilchens mit einem anderen aussieht. D.h. die Kraft zwischen den beiden Teilchen hängt lediglich von ihren Eigenschaften und ihren Positionen zu diesem Zeitpunkt ab. Verschiedene Arten von Paaren von Teilchen können nicht nur verschieden wirken, sondern das Gesetz darüber, wie die Wirkung mit den verschiedenen Positionen variiert, bleibt von den verschiedenen Eigenschaften der Teilchen abhängig.

 

Da der Raum nur das Sein eines Gesetzes hat, können seine Orte nicht an sich distinkte Identitäten haben, denn distinkte Identitäten kommen nur existierenden Dingen zu. Daher ist der Ort nur relativ. Aber da zugleich verschiedene Bewegungen hinsichtlich ihrer Größe vergleichbar sein müssen und da dieser Vergleich nicht von den sich bewegenden und wechselwirkenden Teilchen selbst bewerkstelligt werden kann, folgt, dass noch ein anderes Objekt im Raum gegeben sein muss, auf das alle Bewegung vollzogen wird. Es ist das Firmament oder Absolutum. Daraus, dass es dazu dient, jede Bewegung zu bestimmen, folgt, dass es ein Ort ist, den jede Gerade schneidet, und da der Raum nur ein Gesetz der Zweiheit ist, muss ihn jede Gerade in zwei Punkten schneiden. Es ist daher ein wirklicher quadratischer Ort, der den Raum in zwei Teile trennt, und der Raum der Existenz muss unendlich sowie nach jeder Richtung hin begrenzt sein. Die Kontinuität des Raumes wirkt so, dass sie ein Objekt dazu bringt, von Seinsweisen, die nicht die seinen sind, beeinflusst zu werden, wobei es nicht an ihnen teilnimmt, sondern ihnen entgegengesetzt ist. Der Raum, so fasst Peirce zusammen, ist das Gesetz der Wechselwirkungen existierender Dinge.

 

In dieser Vorlesung, so kommentiert Putnam, entwickelt Peirce ein gewagtes metaphysisches System, konzipiert als empirische Metaphysik.

 

Siebte Vorlesung

 

Die Physikbücher strotzen von Beispielen für „empirische Gesetze“. Gibt es irgendeine Reflektionsmethode, durch die wir sicherstellen können, dass ein beliebiges Gesetz, das wir bei der Naturbeobachtung feststellen, einen wirklichen und lebendigen Naturprozess darstellt?

Im Unterschied zum Wirken von „konservativer Kraft“ (d.h. den zeitlich unumkehrbaren Verursachen der Newtonschen Physik) sieht Peirce in der Verursachung ein wirkliches, grundlegendes und vitales Element sowohl der äußeren als auch der inneren Welt. Diese nicht-konservativen Vorgänge, die das Energiegesetz zu verletzen scheinen und welche die Physik wegerklärt, indem sie sie auf Zufallsprozesse zwischen Mil­liarden von Molekülen zurückführt, sind durch zwei Merkmale charakterisiert:

.

n Sie wirken in einer ausgezeichneten Richtung und tendieren asymptotisch dazu, einen Endzustand hervorzubringen, d. h. sie streben     einen finalen Zustand an.

n Nicht-konservative Vorgänge sind irreversibel.

 

Peirce hat sich, so Putnam in seinem Kommentar, nicht damit zufrieden gegeben, dass wir in einer deterministischen Welt leben, die zeitlich unumkehrbaren Gesetzen gehorcht. Er glaubt vielmehr, dass alle Verteilungen aus einem absoluten Zufall entstehen und er glaubt weiter, dass Gesetze in der Lage sind, aus demselben Ursprung zu entstehen.

 

Achte Vorlesung

 

Peirce schließt seine Vorlesungsreihe mit der Vision einer evolutionären Kosmologie und Metaphysik, beginnt aber mit einer Darstellung der projektiven Geometrie und Topologie, der Peirces eigene Theorie des Kontinuums untermischt wird. Für Peirce ist der evolutionäre Prozess nicht bloß ein Prozess des existierenden Universums, sondern vielmehr ein Prozess, der durch die platonischen Formen selbst entwickelt wurde. Für ihn ist der gesamte logische Raum, der gesamte Raum der möglichen Welten und der möglichen Attribute und Beziehungen das Produkt der kosmischen Evolution. Die Logik (und die Zeit, welche die Form ist, unter der die Logik in der Anschauung gegenwärtig ist), resultiert aus dem Zufall oder der Spontaneität.

 

Jedem interessierten Laien, der sich eine konzise und gut kommentierte Einführung in das Peirce’sche Schaffen wünscht, sei dieses kleine Büchlein empfohlen, schreibt Jens Balzer in der Berliner Zeitung. Balzer hat das Buch – es ist immerhin ein Werk von 412 Seiten – wohl kaum ganz gründlich gelesen: es handelt sich um ein schwieriges Werk, das nicht nur einen in der hiesigen Rezeption unbekannten Peirce vorstellt, sondern auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit der modernen Logik beinhaltet und direkt abenteuerliche Ausblicke auf eine evolutionäre Logik bietet.