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FORSCHUNG

Erkenntnistheorie: Beruht die Realismusdebatte auf einem Missverständnis?

ERKENNTNISTHEORIE

Beruht die Realismusdebatte auf einem Missverständnis?

Ist die uns vertraute Wirklichkeit von unserem Denken und Erkennen unabhängig? Der Realismus gibt auf diese Frage eine positive Antwort, die verschiedenen Formen des Antirealismus (vom Idealismus über den Konstruktivismus und den Relativismus bis zum Verifikationismus) eine negative Antwort. Die Diskussion zwischen den beiden Positionen ist eine der zentralen Debatten der Philosophie der Neuzeit und hält bis in die Gegenwart unvermindert an. Nun behauptet der gegenwärtig in Frankfurt lehrende Marcus Willaschek in seiner Habilitationsschrift

Willaschek, M.: Der mentale Zugang zur Welt. 322 S., kt. € 24.—, 2003, Klostermann, Frankfurt

diese Diskussion beruhe auf einem Missverständnis. Der Realismus sei nichts weiter als eine triviale Alltagswahrheit, die in der Philosophie eigentlich unumstritten sein sollte. Der Grund, dass er als eine problematische und daher strittige These erscheine, sei nicht, dass die Denkunabhängigkeit der Wirklichkeit für sich genommen besonders fragwürdig wäre. Der Grund sei vielmehr, dass es uns unerklärlich zu sein scheint, wie wir uns auf eine unabhängige Wirklichkeit im Denken beziehen und über sie Wissen erlangen können. Das wirkliche Problem – so Willaschek – ist nicht die Unabhängigkeit, sondern die (intentionale und epistemische) Zugänglichkeit einer denkunabhängigen Wirklichkeit. Er versucht zu zeigen, dass die Möglichkeit, über die Wirklichkeit Wissen zu erlangen und intentional auf sie Bezug zu nehmen, durch ihre Denkunabhängigkeit nicht in Frage gestellt wird. Es gibt demnach auch umgekehrt keinen Grund, die Denkunabhängigkeit der Wirklichkeit in Frage zu stellen.

Für Willaschek sind wir bereits im Alltag auf eine Form des Realismus festgelegt, die mit allen gängigen Formen des Antirealismus unvereinbar ist. Das philosophische Problem, vor das uns der Realismus stellt, besteht allein darin, wie man verstehen kann, dass wir zu einer denkunabhängigen Wirklichkeit einen mentalen Zugang haben. Willaschek will mit seiner Arbeit also gewissermaßen die vorphilosophische Selbstverständlichkeit des Realismus wiederherstellen.

Der Realismus verbindet drei Begriffe, von deen jeder erläuterungsbedürftig ist: Wirklichkeit, Denken, Abhängigkeit.

Was ist die Wirklichkeit, die vom Denken unabhängig sein soll? Die Realismusdebatte betrifft insbesondere die Frage, ob dasjenige, was wirklich ist, von unserem Denken abhängt. „Wirklich sein“ ist dabei im weitesten Sinne zu verstehen: Wirklich ist alles, was es überhaupt gibt, alles, was existiert. Ein Realist hinsichtlich eines gegebenen Gegenstandsbereichs ist also jemand, der behauptet, dass es die Gegenstände dieses Bereiches wirklich gibt und dass ihre Existenz in einem noch näher zu explizierenden Sinn denkunabhängig ist.

Das zweite Element des Realismus beschreibt, wovon die Wirklichkeit unabhängig sein soll. Allgemein gesagt, handelt es sich um den Bereich des Geistigen oder Mentalen. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken zählt Willascheck auch die sprachlichen Ausdrucksformen dieser geistigen Vorkommnisse zum Bereich des Geistigen. Nun ist natürlich auch das Geistige selbst ein Teil der Wirklichkeit. Es ist aber notwendig, die These des Realismus auf einzelne Bereiche der Wirklichkeit zu beschränken. Auch das Mentale lässt sich als ein solcher Bereich verstehen. Beim Alltagsrealismus, der die Denkunabhängigkeit alltäglicher Gegenstände in Raum und Zeit betrifft, geht es also um die Unabhängigkeit eines Bereichs der Wirklichkeit (desjenigen raumzeitlicher Alltagsgegenstände) von einem anderen (demjenigen des Mentalen).

Das dritte Element betrifft die Abhängigkeits- bzw. Unabhängigkeitsbeziehung zwischen Denken und Wirklichkeit. Was kann es überhaupt heißen, dass die Wirklichkeit von unserem Denken abhängig ist? Ein idealistischer Antirealist muss verständlich machen, worin genau die von ihm behauptete Denkabhängigkeit der Wirklichkeit bestehen soll. Dabei ist immer wieder auf drei paradigmatische Fälle von Denkabhängigkeit zurückgegriffen worden: die Inhalte von Träumen und Phantasievorstellungen, die Produkte unseres Handelns und die epistemische Durchsichtigkeit des Bewusstseins.

Wenn jemand etwas träumt oder sich etwas in der Phantasie ausmalt, was nicht wirklich der Fall ist, so scheinen die geträumten oder vorgestellten Dinge und Ereignisse dennoch in gewisser Weise zu existieren, nämlich als Inhalte von Traum oder Vorstellung. Diese Art der Existenz ist von ihrem Geträumt- oder Vorgestelltwerden offenbar nicht unabhängig. Willaschek wendet dagegen ein, dass es sich hier gerade nicht um eine Art von Existenz, sondern eben nur um eine scheinbare Existenz handelt, solange den vorgestellten Gegenständen außerhalb des Geistes nichts entspricht. Er bezeichnet diese Art der Denkabhängigkeit als intentionale Abhängigkeit. Wenn etwas ein Gegenstand im weitesten Sinne ist, dann muss es eine Antwort auf die Frage geben, um welchen Gegenstand es sich handelt. Doch für rein intentionale Gegenstände lässt sich diese Frage prinzipiell nicht beantworten, sodass sich ihre Annahme nicht aufrechterhalten lässt. Und damit verliert auch die Rede von einer intentionalen Abhängigkeit ihren Sinn, denn sie beruht auf der Gleichsetzung denkabhängiger Gegenstände mit rein intentionalen Objekten.

Das zweite gängige Paradigma denkabhängiger Existenz ist der Bereich der Artefakte. Tatsächlich leben die meisten Menschen heute in einer Welt, die insofern fast vollständig von menschlichem Denken abhängt, als sie von Menschen planvoll hervorgebracht ist. Das Produktionsmodell überträgt diese Art der Denkabhängigkeit auf die raumzeitliche Wirklichkeit insgesamt. Der starken Variante dieser Auffassung zufolge sind natürliche Gegenstände Konstrukte, die durch unsere geistige Aktivität konstruiert werden. Eine schwächere Variante beschränkt die Handlungen des Geistes auf das Ordnen oder Einteilen der Wirklichkeit. Wenn es, so argumentiert Willaschek, sich dabei nicht um eine creatio ex nihilo handeln soll, dann muss den Aktivitäten des Geistes bereits etwas vorhergehen, worauf sie angewandt werden können. Schließlich werden auch Artefakte letztlich immer aus Materialien hergestellt, die selbst keine Artefakte sind. Und wenn man sich das Ausgangsmaterial nach Art einer realen, von unserem Denken unabhängigen Urmaterie vorstellt, scheinen die kausalen Kräfte des menschlichen Geistes einfach nicht auszureichen, daraus so etwas wie einen Baum oder einen Stern zu machen. Das Material, auf das der Geist seine Konstruktions- und Ordnungshandlungen anwenden kann, muss selbst bereits Inhalt geistiger Vorkommnisse und damit etwas Geistiges sein, denn allenfalls von geistigen Objekten kann man annehmen, dass wir sie durch bloßes Denken bearbeiten oder ordnen können.

Die Existenz einer denkabhängigen Wirklichkeit besteht dem Produktionsmodell zufolge also darin, Inhalt (das intentionale Objekt) von mental konstituierten Vorstellungen zu sein. Wie sich damit herausstellt, haben wir es hier mit einer speziellen Form von intentionaler Abhängigkeit zu tun, bei der dasjenige, von dem die Wirklichkeit intentional abhängt, ein mentales Konstrukt ist. Damit erweist sich das Produktionsmodell der Denkabhängigkeit als Sonderfall des Phantasiemodells. Nur auf diese Weise wird es überhaupt verständlich, wie man wirkliche Gegenstände als mentale Konstrukte bezeichnen kann.

Das dritte Modell orientiert sich am besonderen epistemischen Status der rein subjektiven Aspekte des Bewusstseins. Für qualitative Zustände wie Schmerzen oder Rotempfindungen scheint nämlich unbestritten zu gelten, was Berkeley zufolge auch für „äußere“ Gegenstände gilt: Esse est percipi. Schmerz ist, wenn es weh tut; ein Schmerz, den man nicht bemerkt, ist keiner. Hier fallen Existenz- und Erkenntnisbedingungen also zusammen. Es liegt nahe, diesen Zusammenhang in abgeschwächter Form auch bei anderen mentalen Vorkommnissen zu vermuten: Etwas, dessen man sich nicht bewusst werden kann, kann auch kein Inhalt des eigenen Geistes sein. Übertragen auf die raumzeitliche Wirklichkeit bedeutet dies: Die Existenz und Beschaffenheit eines Gegenstandes sind an die Bedingungen geknüpft, dass es für denkende und erkennende Wesen möglich ist, von seiner Existenz etwas zu wissen und seine Beschaffenheit vollständig zu erforschen. Unerkennbare Gegenstände, d.h. Dinge, die sich dem Nachweis ihrer Existenz und ihrer vollständigen Erforschung entziehen, kann es demnach nicht geben. Es besteht also nach dieser Auffassung ein notwendiger Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Erkenntnis.
Wie kann man, so fragt Willaschek, annehmen, dass die Grenzen unserer Erkenntnis zugleich die Grenzen der objektiven Wirklichkeit sind, ohne bereits vorauszusetzen, dass die Wirklichkeit von unserem Denken abhängt? Die einzige halbwegs plausible Möglichkeit besteht darin, die Wirklichkeit mit etwas Geistigem zu identifizieren, sie als intentionales Objekt unseres Denkens zu betrachten.

Um der Realismusthese einen klaren Sinn zu geben, führt Willaschek die Unterscheidung zwischen kausaler und begrifflicher Abhängigkeit ein. Etwas ist in kausaler Sicht denkabhängig, wenn mentale Vorkommnisse zu seinen Ursachen gehören. Begriffliche Abhängigkeit dagegen äußert sich in „materialen Implikationen“ (Brandom), die nicht bereits aufgrund ihrer logischen Form gültig sind, sondern auf der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke bzw. dem Zusammenhang zwischen den verwendeten Begriffen beruhen. So hängt die Aussage, dass dort ein Haus steht, begrifflich davon ab, dass dort ein Gebäude steht, denn aus „x ist ein Haus“ folgt „x ist ein Gebäude“. Was aber bedeutet nun „begriffliche Denkabhängigkeit“? Die Aussage „Diamanten sind wertvoller als Rubine“ ist in begrifflicher Hinsicht denkabhängig, da sie impliziert, dass Menschen Diamanten höher schätzen als Rubine. Es ist eine Aussage über mentale Vorkommnisse, denn etwas höher zu schätzen als etwas anderes ist eine mentale Einstellung.

Unser Alltagsverständnis legt uns auf die folgende ontologische Unabhängigkeitsthese (kurz AR) des Realismus fest:
„Für alltägliche Gegenstände gilt, (i) dass ihre Existenz denkunabhängig ist, (ii) dass ihnen zumindest einige ihrer Eigenschaften denkunabhängigerweise zukommen und (iii) dass zumindest einige Tatsachen denkunabhängigerweise auf sie zutreffen und zwar in kausaler Hinsicht unabhängig von allen wirklichen und möglichen Formen menschlichen Denkens, in begrifflicher Hinsicht unabhängig von allen Formen des Denkens überhaupt.“ Man kann diese These durch eine epistemische Zugänglichkeitsthese ergänzen:
„Wir Menschen haben Wissen über die denkunabhängige Wirklichkeit“

Tatsächlich halten wir die Wirklichkeit im Alltag nicht nur für denkunabhängig, sondern zugleich für erkennbar. Doch je „unabhängiger“ die Wirklichkeit von unserem Denken ist, desto schwieriger scheint es zu sein, die Möglichkeit von Wissen über sie zu erklären. Willaschek beschränkt deshalb seine Untersuchung auf die ontologische Unabhängigkeitsthese des Realismus. Mit ihr ist der Common sense, der Alltagsverstand, auf eine der stärkstmöglichen Realismusthesen hinsichtlich der Welt alltäglicher Gegenstände festgelegt. Die Annahme aber, die Wirklichkeit sei in begrifflicher Hinsicht denkunabhängig, ist in unserem vorphilosophischen Weltbild nur implizit enthalten, und zwar in unserem gewöhnlichen Verständnis dessen, was es heißt, dass etwas z.B. ein Baum ist. Die meisten Begriffe, unter die wir die Gegenstände unseres Alltags bringen (und damit auch die Eigenschaften, die wir ihnen zulegen), sind unserem alltäglichen Verständnis zufolge inhaltlich unabhängig von mentalen Vorkommnissen jeder Art.

Nach Meinung mancher Philosophen und Naturwissenschaftler handelt es sich bei unserem alltäglichen Weltbild um einen Hort von Vorurteilen und des Irrtums. Für Willaschek ist ein solches Verständnis jedoch mehr als zweifelhaft. Alle Überzeugungen zugleich können wir nicht ernsthaft in Frage stellen – auch nicht unsere Alltagsüberzeugungen: unser alltägliches Weltbild steht nicht zur Disposition. Würden die alltäglichen Rechtfertigungen für unsere Meinungen nicht ausreichen, dann würden es die philosophischen erst recht nicht.

Wie verhält es sich mit der begrifflichen Denkunabhängigkeit? Dass wir die Gegenstände unserer Alltagswelt für begrifflich denkunabhängig halten, bedeutet, dass jeder von ihnen unter mindestens einen Begriff fällt, der nicht auf mentale Vorkommnisse verweist. Die Frage lautet nun, ob diese Begriffe sachlich angemessen sind und ob wir im Alltag einen Grund haben, sie für sachlich angemessen zu halten. Für die sachliche Angemessenheit unserer Begriffe spricht vor allem die Tatsache, dass sie sich seit Menschengedenken empirisch bewährt haben und dass, nach unserem besten Wissen, viele der mit ihnen gebildeten Überzeugungen wahr sind. Sowohl die Annahme der kausalen wie der begrifflichen Denkunabhängigkeit können sich also auf vorphilosophische Begründungen berufen, die zwar nicht unumstößlich sind, aber so lange vollkommen ausreichen, wie keine überzeugenden Gegengründe vorgebracht werden.

Es zeigt sich also, dass der Realismus mit Blick auf alltägliche Gegenstände in Raum und Zeit ein wohlbegründeter Bestandteil des Common sense ist. Die Ablehnung des Realismus würde die Aufgabe von zahllosen Überzeugungen nötig machen, auf deren Wahrheit wir im Alltag vertrauen und die für alltägliche Zwecke auch ausreichend gerechtfertigt sind. Warum ist dann der Realismus eine umstrittene philosophische These? Die Tatsache, dass der Realismus gegenwärtig von vielen Philosophen als ernstes Problem mit weitreichenden Konsequenzen betrachtet wird: Das ist das Phänomen, das es zu erklären gilt.

Es gibt drei Strömungen in der Gegenwartsphilosophie, für die der Realismus nicht mehr selbstverständlich ist: die repräsentationalistische Theorie des Geistes, der ontologische Relativismus und die Verifikationstheorie der Bedeutung. Die Ursache hierfür sieht Willaschek in deren Bemühen, den Skeptizismus zu vermeiden. Dieser hat unmittelbar zur Folge, dass der Realismus fragwürdig wird: Wir glauben zu wissen, dass es eine von unserem Denken unabhängige Wirklichkeit gibt, doch wenn der Skeptiker recht hat, wissen wir es nicht. Allerdings: Obwohl der Skeptizismus viele Aspekte unseres alltäglichen Weltbildes zweifelhaft erscheinen lässt, muss er gerade den Kernpunkt des Realismus, nämlich die Denkunabhängigkeit der Welt, zugestehen.

Um den Skeptizismus zu vermeiden, wird zwischen einer geistig subjektiven Innenwelt und einer räumlich ausgedehnten Außenwelt unterschieden. Was bezweifelt werden kann, ist „außen“, was gegenüber einem solchen global Zweifel immun ist, ist „innen“. Der eigene Geist wird damit als ein Bereich ausgezeichnet, der von skeptischen Zweifeln weitgehend ausgenommen ist. Erst diese Einschränkung der Reichweite des Skeptizismus macht verständlich, warum nicht alles Wissen gleichermaßen fragwürdig erscheint, sondern besonders das Wissen um die Existenz der uns umgebenden Wirklichkeit zu einem philosophischen Problem wird. Die skeptischen Möglichkeiten führen vor Augen, dass unsere Innenwelt genauso beschaffen sein könnte, wie sie ist, auch wenn die Außenwelt ganz anders aussähe, als wir annehmen. In diesem Sinne ist die Innenwelt also von der Außenwelt unabhängig. Das heißt, dass es für die Inhalte unserer Gedanken und Überzeugungen nicht darauf ankommen kann, ob es die Gegenstände und Eigenschaften, auf die sie sich beziehen, wirklich gibt oder nicht. Es kann also nicht ihr Bezug zur Außenwelt sein, von dem es abhängt, welchen intentionalen Gehalt sie haben. Dies muss sich vielmehr allein aus der internen (d.h. dem Subjekt auf unbezweifelbare Weise zugänglichen) Beschaffenheit eines mentalen Zustandes ergeben. Diese Auffassung ist auf eine Theorie des Geistes festgelegt, die man als Repräsentationalismus bezeichnet. Danach kann man sich beispielsweise in einem mentalen Zustand mit dem Inhalt befinden, „dass dort das letzte Einhorn steht“, auch wenn es ein letztes Einhorn nicht gibt. Es ist gerade diese Wahrheitsneutralität mentaler Zustände, welche die Anwendung des Repräsentationsbegriffs auf das Mentale so attraktiv macht.

Wenn jeder Weltbezug durch Repräsentationen vermittelt ist, ist es unmöglich zu entscheiden, ob diesen Repräsentationen überhaupt etwas entspricht und falls ja, ob es durch sie adäquat repräsentiert wird. Ein Subjekt, dem nichts unmittelbar zugänglich ist als seine mentalen Repräsentationen, ist in seine Innenwelt eingeschlossen. Das Verblüffende ist: Für die Innenwelt des Subjektes hat dies keine Konsequenzen. Der Idealismus wird damit zu einer philosophischen Option. Vor die Alternative zwischen Skeptizismus und Idealismus gestellt, mag es dann als kleines Übel erscheinen, an der Möglichkeit von Wissen über die Alltagswelt festzuhalten und nur die Annahme aufzugeben, dass diese denkunabhängig ist. Willaschek versteht also den idealistischen Antirealismus als eine Strategie zur Vermeidung des Skeptizismus.

Während der Idealismus die wesentliche Gegenposition zum Realismus vom frühen 18. bis ins 19. Jahrhundert war, scheint diese Stellung inzwischen eher dem Relativismus zuzukommen. Eine relativistische Position, die mit dem Realismus unvereinbar ist, findet sich u. a. bei Ernst Cassirer, Thomas Kuhn, Nelson Goodman und den Vertretern radikal-konstruktivistischer Ansätze. Für sie gibt es mehrere gleichermaßen korrekte (wahre), aber nicht in ein Gesamtbild integrierbare Beschreibungen der Wirklichkeit – und relativ zu jeder dieser Beschreibungen existiert eine eigene Welt. Allerdings, so argumentiert Willaschek, der Relativismus allein impliziert noch keine Ablehnung des Realismus. Nur wenn man den Idealismus bereits voraussetzt, sprechen die relativistischen Thesen (dem Anschein nach) gegen den Realismus.

Die Realismusdebatte hat zwar eine lange Tradition, aber sie kommt erst in der Neuzeit auf. Vor Descartes galt der Realismus als Selbstverständlichkeit. Noch mehr: Den Philosophen standen weder in der Antike noch im Mittelalter die begrifflichen Mittel zur Verfügung, eine ernsthafte Alternative zu formulieren. Es muss eine philosophisch motivierte Veränderung im Verständnis der Begriffe von Denken und Wirklichkeit stattgefunden haben, die es überhaupt erst ermöglicht hat, die Denkunabhängigkeit der Wirklichkeit in Frage zu stellen.

Willaschek sieht zwei Fragestellungen, die dazu geführt haben. Erstens die erkenntnistheoretische Frage, wie unsere Überzeugungen als Wissen über die Wirklichkeit gelten können, wenn diese von unseren epistemischen Möglichkeiten unabhängig ist. Und zweitens die semantische Frage, wie unsere Gedanken sich überhaupt auf die Wirklichkeit beziehen können, die von unserem Denken unabhängig ist. Das Problematische an der Annahme einer denkunabhängigen Wirklichkeit ist nicht deren Denkunabhängigkeit, sondern unser mentaler und epistemischer Zugang zu ihr.

Um zu zeigen, dass der Realismus tatsächlich eine triviale Alltagsauffassung ist und die philosophische Diskussion über seine Wahrheit auf einem philosophischen Missverständnis beruht, setzt Willaschek bei den Punkten an, von denen ausgehend die Infragestellung des Realismus unausweichlich ist: der Möglichkeit des radikalen Irrtums und der Frage, wie sich unsere Gedanken auf eine unabhängige Wirklichkeit beziehen können. Willaschek will zeigen, dass selbst dann, wenn es möglich sein sollte, dass alle unsere Überzeugungen über raumzeitliche Gegenstände falsch sein sind, es unzulässig ist, aus dieser Möglichkeit zu schließen, dass wir tatsächlich kein Wissen über unsere Außenwelt haben. Der Fehler, der gemacht wird, besteht darin, die skeptischen Möglichkeiten ernst zu nehmen. Schließlich will Willaschek verständlich machen, wie wir uns im Denken auf eine unabhängige Wirklichkeit beziehen können. Er tut dies, indem er Überzeugungen als etwas begreift, das so auf die Wirklichkeit bezogen ist, dass ein Zweifel an der Denkunabhängigkeit dessen, worauf die Überzeugungen bezogen sind, erst gar nicht aufkommt.