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01 2021

Das Verlagswesen im Umbruch. Ein Gespräch mit Martin Hähnel, dem neuen und Lukas Trabert, dem bisherigen Leiter des Verlages Karl Alber

aus: Heft 1/2021, S. 76-86
 
 
Martin Hähnel (geb. 1980) hat mit einer Arbeit über die Anthropologie der Tugend in Eichstätt promoviert. Er war dann u. a. wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Philosophie und anschließend in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Der manipulierbare Embryo“ tätig, bevor er im Jahre 2020 als Lektor bei Karl Alber begann. Seit Januar 2021 leitet er den Verlag, den zuvor Lukas Trabert (geb. 1961) von 2002 bis Ende 2020 führte.
 
Herr Hähnel, Sie treten die Nachfolge von Lukas Trabert in einer Zeit an, in der viele von einem Umbruch im wissenschaftlichen Verlagswesen sprechen. Wie zeigt sich dies im Bereich Philosophie?
 
Martin Hähnel: Der Umbruch ist massiv zu spüren und geht vor allem einher mit einschneidenden Veränderungen im Buchhandel, an den Universitäten und ihren Bibliotheken. Ausgehend von den STM (Science, Technology, Medicine)-Bereichen ist eine phasenbeschleunigte Digitalisierung des wissenschaftlichen Verlagswesens schon seit längerem im Gange.
 
Die deutschen Universitätsbibliotheken haben einen Großteil ihrer Etats für digitale Produkte umgewidmet und bestellen ganz überwiegend die E-Journals und E-Books der großen Wissenschaftsverlage. Dabei werden die Maßstäbe der naturwissenschaftlich-technischen Fächer auf die Geisteswissenschaften übertragen, ohne die Besonderheiten und Bedürfnisse der unterschiedlichen Fächerkulturen ausreichend zu berücksichtigen. Auch wenn in den Geisteswissenschaften kaum jemand eine umfangreiche Monographie digital lesen möchte, ist es schwer, sich diesem Trend zu widersetzen.
 
Lukas Trabert: Das fängt ja schon bei Projektanträgen an – da müssen sich die Antragsteller überlegen, ob sie überhaupt ein gedrucktes Buch anstreben sollen oder ob sie nicht in vorauseilendem Gehorsam der „e-only“-Direktive folgen sollen – die Bibliothek der Zukunft sei ohnehin ein gigantischer Server. Hinzu kommt die Abwertung der Monographien gegenüber „papers“ in entsprechend „gerateten“ (E-)Journals, wenn es um die Evaluierung von Forschungsleistungen geht. Die Philosophie in ihrer bisherigen Form wird durch solche Verschiebungen im Wissenschaftsbetrieb marginalisiert und zu einem Nischenfach gemacht.
 
Martin Hähnel: Dementsprechend stellt sich für die philosophischen Fachverlage einerseits die Frage nach neuen Wegen, um auf die veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren, andererseits danach, wie sie sich zusammen mit ihren Autoren in den Nischen einrichten, vielleicht sogar daraus gerade den Ansporn gewinnen, philosophischem Denken in der Öffentlichkeit mehr Gewicht zu verschaffen, und zwar in seiner gesellschaftlich unverzichtbaren Aufgabe, grundsätzliche Kritik an vorherrschenden Argumentationsweisen und unreflektierter Begrifflichkeiten zu formulieren und in Gegenwarts- und Zukunftsfragen für Perspektivenvielfalt und Orientierung zu sorgen.
 
Und wie steht es mit den wissenschaftlichen Buchhandlungen?
 
Lukas Trabert: Mit der weiteren digitalen Transformation werden Universitäts- und Campusbuchhandlungen es noch schwerer haben als viele andere kleine Buchhandlungen. Früher gab es ein sogenanntes Semestergeschäft, weil ProfessorInnen bestimmte Bücher empfahlen, die sie ihren Vorlesungen     oder Seminaren zugrunde legten. Daraufhin wurden allein in einer Stadt einige Dutzend Exemplare bestellt. Das ist nun nur noch selten der Fall. Die Regel ist, dass philosophische Texthappen im digitalen Semesterapparat zur Verfügung gestellt werden.
 
Martin Hähnel: Gleichwohl ist der stationäre Buchhandel für uns weiterhin einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Vertriebsweg. Bei anderen Verlagen wird es ähnlich sein. Darum die Bitte, Alber-Bücher – wenn möglich – bei Buchhändlern vor Ort zu kaufen!
 
Lukas Trabert: Deren Gegenspieler Amazon mag zwar logistisch gut aufgestellt sein, aber neben allen anderen aus den Medien bekannten Gründen, dort nicht zu kaufen, haben wir noch einen weiteren beizusteuern: Nicht mehr Menschen sind dort für das Bestellwesen zuständig, sondern Algorithmen, und die „bestellen“ manchmal ohne Sinn und Verstand, z. B. bei einem Sammelband die Hälfte der Verkaufsauflage. Die wird dann in verschiedene Amazon-Lager geliefert, bis nach Dubrovnik, und danach fast vollständig remittiert.
 
Martin Hähnel: Das ist eine Besonderheit der Buchbranche, dass Ware gegen Gutschrift zurückgegeben werden kann; die Verlage verbuchen dann Negativumsatz. Hinzu kommt, dass die Verlage den gesamten Transport bezahlen müssen, hin und zurück, und dass es vorkommt, dass durch den Transport viele der Bücher nicht mehr verkäuflich sind. Das hat bei uns zuletzt einen großen finanziellen Schaden verursacht und zeigt, warum wir wieterhin auf die Kompetenz des stationären Buchhandels setzen.
 
Viele kleinere Verlage aus dem Gebiet der Philosophie haben sich vor kurzem größeren Verlagen angeschlossen. Was passiert da gerade?
 
Lukas Trabert: Auch der Konzentrationsprozess, den wir seit vielen Jahren beobachten, hängt mit der Digitalisierung und den Vertriebsstrukturen zusammen. Zum einen sind Investitionen in Technik und neue Strukturen notwendig, die für größere Verlage leichter zu stemmen sind als für kleine, zum anderen geht es um die Marktmacht, vor allem im Digitalgeschäft. Während die Universitätsbibliotheken große E-book-Pakete der Konzernverlage kaufen, wird mit den kleineren Verlagen gar nicht erst verhandelt. Das ist deshalb ein Ärgernis, weil auf diese Weise „Massenware“ teuer eingekauft wird und am Ende kaum Mittel übrig bleiben, um auch die E-books von Verlagen wie Alber zu erwerben. Dabei wäre es die Pflicht der Bibliotheken, gerade sicherzustellen, dass die Bücher der kleinen, feinen Verlage angeschafft werden.
 
Martin Hähnel: Einerseits ist es im Interesse der Großverlage ihr Programm in einigen Bereichen (z. B. Philosophie) durch gezielte Ankäufe zu stärken, andererseits ist dieser Prozess auch der Tatsache geschuldet, dass kleinere Verlage nicht immer rentabel genug arbeiten können, um selbstständig zu bleiben. Letzteres hat oft auch damit zu tun, dass die Vertriebsstrukturen der großen Verlage viel besser ausgebaut sind und die dortige Prozesseffizienz um einiges höher ist als in Häusern, wo ein kleines Verlagsteam bis auf den Satz und die Drucklegung alles selbst übernimmt.
 
Sind die kleineren und mittleren Verlage in Gefahr?
 
Lukas Trabert: Ja, das sind sie. Doch selbständige Verlage wie Suhrkamp, Reclam, Matthes & Seitz, Klett-Cotta im allgemeinen Segment und Meiner, Klostermann, Carl Winter, Mohr Siebeck, Frommann-Holzboog, Passagen im geisteswissenschaftlichen Fachbuchbereich sind als starke Marken gut aufgestellt, um die wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Einfach wird es aber nicht.
 
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